Kategorie: Debatte

Die Zukunft der LINKEN muss heute beginnen oder es wird keine Zukunft geben

Stellungnahme des Ko-Kreis der Bewegungslinken

Wenn die Bundestagswahl für uns ein Blick in den Abgrund war, dann haben spätestens der russische Angriff auf die Ukraine sowie die Berichte zu #linkemetoo und sexistischen Übergriffen jedem Mitglied gezeigt, dass sich DIE LINKE dringend verändern und erneuern muss. 

Klar ist: Es muss jetzt eine Vision für die Zukunft der Partei entwickelt werden oder es wird keine Zukunft geben. Nach den verheerenden Wahlniederlagen brauchen wir ausgehend vom Bundesparteitag eine Verständigung, wofür die LINKE geschlossen, entschlossen und unverrückbar steht und wie die vergiftete Kultur der letzten Jahre überwunden werden kann. 

Inhaltlich braucht es dazu eine klare Funktionsbeschreibung. Dazu haben wir aus verschiedenen Landesverbänden „Wendepunkte“ identifiziert. Sie betonen unsere Alleinstellungsmerkmale und sind dennoch für große Teile der Gesellschaft anschlussfähig – sie sind gewinnbar, obwohl es nur DIE LINKE will. Sie drücken eine Offensivhaltung aus und sind parlamentarisch wie außerparlamentarisch gut zu bearbeiten. Sie sind integrierend und auf der Höhe der Zeit. Alle Spektren und Strömungen unserer Partei können sich mit ihnen identifizieren.

Zur Arbeit an den Wendepunkten braucht es kein neues Grundsatzprogramm, sondern einen Richtungsentscheid für die Praxis. Es kommt darauf an, was wir draußen tun, wenn in den kommenden Jahren alle großen Zukunftsfragen verhandelt werden. Wir sind davon überzeugt, dass DIE LINKE nach der kräftezehrenden Pandemie wieder den Kopf heben kann – bei der Klimawende mit den Beschäftigten, bei Frieden und Abrüstung, beim Deckeln der Mieten und bei Pflege und Entlastung im Gesundheitswesen.

Wir werben mit den Wendepunkten für eine neue und ehrliche Funktionsbeschreibung der LINKEN, die motivierend ist und die alle Mitglieder erklären und erzählen können. Die Grundlage für eine verbindliche Schwerpunktsetzung ist und bis zur Bundestagswahl mit konkreten Schritten und Konzepten für die Praxis verbunden wird. In diesem Sinne werden wir uns zu den Leitanträgen beim Bundesparteitag einbringen.

Für die Zukunft der LINKEN braucht es zweitens Personen, die Verantwortung übernehmen: Wir begrüßen die Entscheidung des Parteivorstandes, neben wichtigen programmatischen Beschlüssen auf dem Juni-Parteitag auch den Parteivorstand neu zu wählen. Zugleich ist völlig klar, dass eine Neuwahl des Parteivorstandes nur dann neuen Schwung bringen kann, wenn auch in der Fraktion Verantwortung übernommen und eine Neuaufstellung ermöglicht wird. Es ist überlebenswichtig, dass Partei- und Fraktionsführung künftig gemeinsam statt gegeneinander agieren und abgestimmte Botschaften senden.

Wir empfehlen daher ein Votum des Bundesparteitags auch für die neue Fraktionsspitze und werden mit unseren Mitgliedern und Delegierten darüber beraten, ob die kursierende Idee einer zeitlich begrenzten Partei- und Fraktionsführung mit identischem Personal „aus einer Hand“ eine geeignete Konstellation bis zur nächsten Bundestagswahl sein kann, um DIE LINKE aus der Krise zu führen.

Für die Zukunft der LINKEN braucht es drittens wirksame Verfahren bei sexistischen Übergriffen: Uns schockieren die Berichte zu #linkemetoo und wir setzen uns dafür ein, dass diese Fälle schnell und unabhängig aufgeklärt werden. Sexismus in der Partei und eine (Un-)Kultur des Herabwürdigens waren und sind für uns Motivation für die Gründung und Arbeit der Bewegungslinken. 

Wir sind solidarisch mit allen Betroffenen von sexualisierter Gewalt, sexueller Belästigung oder auch sexistischen Anfeindungen. Dass die Partei nicht frei von diesen Formen der Unterdrückung ist, überrascht uns nicht. Gleichwohl ist es richtig, von ihr einen entsprechenden Umgang zu erwarten. Wir begrüßen daher die Beschlüsse des Parteivorstands, erwarten aber auch von den Gliederungen auf Landes- und Kreisebene, die eigenen Strukturen selbstkritisch zu überprüfen und Vorkehrungen zu schaffen, um weiteren Fällen präventiv entgegenzutreten. 

Zu den Vorkommnissen gilt es ebenso festzuhalten, dass Beschuldigte noch keine Täter:innen sind und wir dem Anspruch unabhängiger Aufklärung nur dann gerecht werden können, wenn Vorwürfe, in den dafür vorgesehenen Kommissionen statt über die Medien (das schließt die Kommentierung von noch nicht geklärten Fällen über die Medien ein), von unabhängigen Stellen und frei von machtpolitischen Interessen überprüft werden. Persönlichkeitsrechte müssen dabei gewahrt werden. 

Wir weisen die Darstellung, in der Partei stünde sexualisierte Gewalt an der Tagesordnung, zurück. Sehr wohl sind aber Herabstufungen aufgrund des Geschlechts weit verbreitet, sodass dafür überall vor Ort sensibilisiert und um einen bewussten und respektvollen Umgang gerungen werden muss. Wir wollen dazu beitragen und im Sinne unserer Gründungserklärung eine Kultur schaffen, „die Lust aufs Mitmachen macht“ und in der sich Genossinnen auf allen Ebenen sicher und ermuntert fühlen, für die Linke im Land Verantwortung zu übernehmen.

Für die Zukunft der LINKEN braucht es viertens eine andere Parteikultur: Wir werben für einen Kulturwandel, der nicht nur den persönlichen Umgang einschließt, sondern auch die Diskussionsatmosphäre. Diese hat sich in den vergangenen Jahren stetig verschlechtert und auch Mitglieder der Bewegungslinken waren nicht immer vorbildlich unterwegs. Wenn wir unter Genoss:innen aber das Interesse am Gegenüber und ihren/seinen Argumenten verlieren, werden wir nicht klüger, sondern dümmer. Wir lernen nicht im Diskussionsprozess, wir lernen nicht von anderen. 

Wir arbeiten deshalb an einer Kultur, in der Fehler gemacht werden können, um besser zu werden. Wir streiten für eine Partei, in der Erfahrungen ausgewertet werden, anstatt Schuldige zu suchen. Angesichts des Krieges in der Ukraine ist es doch beispielsweise nachvollziehbar, dass viele Menschen, auch Mitglieder der LINKEN, über Waffenlieferungen nachdenken, um die Ukrainer:innen nicht ihrem Schicksal zu überlassen. 

Als Bewegungslinke finden wir diese Schlussfolgerung falsch, aber werben dafür, einander mit geduldigen Argumenten zu überzeugen, statt Genoss:innen pauschal als Kriegstreiber:innen zu bezeichnen. Andersrum ist es ebenso daneben, denjenigen, die gegen Waffenlieferungen und teils auch gegen Sanktionen sind, zu unterstellen, sie seien damit für die Kapitulation der Ukrainer:innen oder gar putinfreundlich.

In einer Diskussionsatmosphäre, die so vergiftet ist, begegnen wir uns längst nicht mehr als Genoss:innen und schon gar nicht mehr auf Augenhöhe. Dies ist aber unabdingbar, wenn die einzige linke Partei in diesem Land eine Zukunft haben soll. Dafür gilt es beim kommenden Parteitag die Weichen zu stellen.

Konkrete Vorschläge, bitte! – Anmerkungen und Fragen zu Matthias Höhn und anderen

Beitrag von Thomas Goes

Matthias Höhn hat vor dem Parteitag im Juni (erneut) ein Papier vorgelegt[i], in dem er eine Neubesinnung in der Sicherheits- und Außenpolitik der Bundespartei fordert. Damit ist er nicht allein, auch Caren Lay, Paul Schäfer[ii], Wulf Gallert und Susanne Hennig-Wellsow haben sich zu Wort gemeldet. Gegen den Anspruch einer Neuverhandlung regt sich Unmut, und das verständlicherweise bei denen, die der Meinung sind, dass die augenblicklichen programmatischen Positionen völlig ausreichend sind. Ich denke, das wird uns nicht weiterhelfen. Wo Debatte eingefordert wird, muss man sie führen. Eine Partei, die sich lediglich in Feldschlachtordnung begegnen kann, hat ein vielleicht tödliches Problem.

Susanne Hennig-Wellsow hat in einem Interview nach dem saarländischen Wahldesaster wissen lassen, dass in naher Zukunft die außen- und sicherheitspolitischen Positionen neu bestimmt werden sollen. Sie hat ergänzt, dass diejenigen, deren Position sich nicht durchsetzt, sich dann fragen müssen, ob sie noch in der richtigen Partei sind. Das hat für einen Aufschrei der Entrüstung gesorgt. Ich denke, das ist übertrieben. Wir alle ringen um das Programm, und in einer demokratischen Partei ist das ein normaler Vorgang. Am Ende des Tages wägen wir alle das ständig ab: setzen sich unsere Vorstellungen nicht durch, sind wir am richtigen Ort? Die LINKE ist keine Kirche, sondern eine Bewegung, die die Wirklichkeit verändern will. Also lasst uns diskutieren. Ich bin ein außen- und sicherheitspolitischer Laie, dessen Arbeitsschwerpunkte woanders liegen. Gerade deshalb misch ich mich ein, denn es sollte eine Diskussion in der breiten Mitgliedschaft sein, nicht lediglich unter Expert:innen.

Theorie und Praxis

Ich möchte mit einer längeren Vorbemerkung beginnen. Im Beitrag von Matthias, aber auch bei anderen, etwa Caren Lay[iii] und Wulf Gallert[iv], fällt auf, dass nicht unterschieden wird zwischen Programmlage, Mehrheitshaltungen in der Partei und Positionen, die durch sehr sichtbare Vertreter:innen unserer Partei nach Außen getragen werden. Es geht in den Texten ein wenig durcheinander. Durch alle genannten Beiträge zieht sich beispielsweise die Kritik daran, die Außenpolitik an Staaten auszurichten, Bezugspunkt dürften nicht Diktaturen sein. Aber hat das etwas mit unserer Programmlage zu tun? Wenn ja, was genau? Oder ist es nicht eher so, dass bestimmte Vertreter:innen der Partei die Neigung haben, unser Programm auf eine besondere Art und Weise auszulegen? Ich hörte einmal einer Diskussion zwischen führenden Genoss:innen zu, bei der es um China ging. Für die einen ein positiver Bezugspunkt, für die die anderen ein abschreckendes Beispiel. Alle bezogen sich auf das Erfurter Programm. Oder: Finden sich wirklich in unserer programmatischen Selbstverständigung die Ursachen dafür, dass wir im Fall Russlands und der Ukraine danebenlagen? Zugespitzt: Ist es die NATO-Kritik, die blind machte für die Eskalation im Osten? Für den Kriegskurs der russischen Regierung? Ich habe meine Zweifel. Es dürfte eher an einer unzureichenden Imperialismusanalyse und einem Mangel an gemeinsamer lernender Verständigung in den Führungsgruppen unserer Partei darüber liegen, was eigentlich im imperialistischen Weltsystem passiert und wie wir uns dazu verhalten sollten. Kommt hinzu, dass in der Praxis unsere Positionen in der Öffentlichkeit von Leuten vertreten wurden (und zum Teil werden), die eher eine Parteiminderheit repräsentierten. Ich will – ohne Polemik – daran erinnern, dass etwa Diether Dehm, der ein besonders schillerndes außenpolitisches Weltbild vertritt, das mit dem von Matthias Höhn nur wenig gemein haben dürfte, einer der Architekten des „Hufeisenbündnisses“ in der Bundestagsfraktion gewesen ist. Sevim Dağdelen ist jedenfalls nicht zu einer einflussreichen sicherheits- und außenpolitischen Stimme der Fraktion geworden, weil es der Zufall so wollte. Und Sahra Wagenknecht wurde bis vor nicht allzu langer Zeit alles Außenpolitische erlaubt, weil sie das bekannteste Gesicht der Partei ist. Ich komme darauf am Ende zurück. Es wäre also ratsam, genauer zu unterscheiden, wo denn nun unsere Probleme liegen – in der Programmatik, in der auf dieser Basis immer wieder zu vollziehenden tagespolitischen Analyse, oder in der Praxis selbst? Zumindest ein Teil derjenigen, die sich heute eine Neuausrichtung wünschen, muss sich jedenfalls nach ihrer Verantwortung für das desaströse Bild fragen lassen, das unsere Bundestagsfraktion zum Teil abgegeben hat. Das gilt meines Wissens nach auch für Matthias Höhn. Wenn die Partei eine Zukunft haben will, dann muss diese „Der Gegner meines Gegners ist mein Freund Politik“ in der Partei aufhören, ganz sicherlich in der Bundestagsfraktion, und wir müssen dazu zurückkehren, dass Inhalte wichtiger sind als Machtbündnisse. Dazu gehört auch eine Diskussionskultur, die am Argument interessiert ist, Neugierde und die Bereitschaft, die eigene Meinung zu verändern.

Fehler ja – aber welche Vorschläge?

Deshalb nun also zu dem Text, den Matthias Höhn vorgelegt hat. Er beginnt damit, dass wir uns mit Blick auf die Politik Russlands gegenüber der Ukraine geirrt haben. Das stimmt. Aber es fehlen konkrete Ausführungen dazu, was wir denn anders gemacht hätten als Partei, wenn wir uns nicht geirrt hätten. Also wenn wir angenommen hätten, die russische Regierung könnte in die Ukraine einmarschieren. Wenn man an der Stelle nicht genauer wird, ist es schwer zu diskutieren. Wäre die Zustimmung zur NATO-Osterweiterung das, was Matthias vorschwebt? Abgesehen von der Vermeidung absurder Stellungnahmen (wie der von Sevim Dağdelen wenige Tage vor dem Einmarsch[1]) fällt mir wenig ein, was man hätte vermeiden können als LINKE. Ich meine in der Substanz, natürlich hätte man sich kritischer mit der russischen Regierung auseinandersetzen können. Aber welche Vorschläge zur Konfliktvermeidung hätten wir gemacht? Diese Antwort fehlt bei Matthias Höhn. Bei Caren Lay habe ich gelesen, dass die Forderung nach einem neuen Sicherheitsbündnis unter Beteiligung Russlands, durch das die NATO ersetzt werden soll, sich erledigt hat. Ich denke, da ist kurzfristig etwas dran, denn nach dem Überfall auf die Ukraine ist das nicht nur auf der Straße im Bürgergespräch schwer vermittelbar – es fehlt angesichts der russischen Aggression auch der realpolitische Strohhalm, mit dem man arbeiten müsste. Aber ist die Forderung deshalb mittelfristig falsch? Ich will dran erinnern – und zwar jetzt mit einem realistischen Blick auf das, was in Sicherheitsbündnissen passiert, nicht gemessen an unseren normativen Erwartungen -, dass in der NATO Staaten beteiligt sind, die ebenfalls zum Typus „gelenkte autoritäre Fassadendemokratie“ gehören, etwa die Türkei. Auch wenn man sich vollkommen andere innenpolitische Verhältnisse in der Türkei wünscht: Um Kriege zu vermeiden, kann es auch dann sinnvoll sein, die Türkei in Bündnis- und Verhandlungssysteme einzubinden, wenn immer noch demokratische Grundsätze missachtet und Menschenrechte verletzt werden. Entscheidend wäre – und das passiert in Wirklichkeit so gut wie nicht -, diese Einbindung der Türkei auch als Anlass und Mittel zu nehmen, um Menschenrechte und demokratische Rechte zu stärken (das gilt u.a. auch für Ungarn oder Polen, wo nationalistische und rechtspopulistische Parteien regieren). Kurzfristig jedenfalls, nicht mittelfristig, stellt sich mit Blick auf Russland und die Ukraine die Frage, was wir denn vorschlagen, um aus der Gewaltspirale rauszukommen. Das führt uns unmittelbar zur Frage des Krieges, natürlich. Für mich ist das Selbstverteidigungsrecht der Ukraine unbestritten. Aber wenn wir über den Tag hinausdenken, was schlagen wir vor?

Wie konkret Demokratie und Menschenrechte stärken?

Es ist auch richtig, dass wir uns in unserer Außen- und Sicherheitspolitik nicht auf Diktaturen beziehen sollten, sondern – ich übersetze das mal in meine Sprache – auf Menschen vor Ort, auf die Stärkung von Demokratie, Freiheit und Menschenrechte. Das finde ich als Zielsetzung sehr richtig, deshalb stimme ich Matthias auch ausdrücklich in seiner Kritik an denen zu, die in der Logik von „Der Feind meines Feindes ist nicht so schlimm“ denken: „Wer glaubwürdig Menschenrechtsverletzungen in den Diktaturen des Nahen und Mittleren Ostens oder von Demokratien wie den Vereinigten Staaten in Guantanamo oder im Irak anprangern will, darf nicht mit zweierlei Maß messen und zu den Zuständen in China, Russland oder Venezuela schweigen. Wer den Völkerrechtsbruch der USA im Irak oder anderswo verurteilt, darf nicht wenige Jahre später die russische Annexion der Krim und die Besetzung des Donbas relativieren.“ Das ist einfach wahr. Ich finde auch richtig, dass Matthias in diesem Geiste die Energiepolitik der Bundesregierung und ihrem neuesten Türkeideal kritisiert. Gut. Aber was heißt das dann weiter? Immerhin ist es doch so, dass Menschenrechte und Demokratie auch von Staaten mit Füßen getreten werden, mit denen Deutschland Bündnisse pflegt. Also: Wie genau stärken wir sicherheits- und außenpolitisch nun Demokratie, Menschenrechte, fortschrittliche Bewegungen? Und was heißt das für unsere Vorstellungen von internationaler Bündnispolitik? Matthias wird da leider nicht sehr konkret. Ich will daran erinnern, wie Paul Schäfer einmal pointiert festgestellt hat, dass es ein Spannungsverhältnis gibt zwischen der Position, die nationale Souveränität von Staaten zu verteidigen, und der Orientierung an Menschenrechten[v] – zumindest dann, wenn man sagt, die Verletzung von Menschenrechten könnte ein Grund dafür sein, die nationale Souveränität aufzuheben, also militärisch zu intervenieren. Wolfgang Fritz Haug hat einmal geschrieben, in der Geschichte seien die Jüngeren älter. Und so fallen uns alle Beispiele ein, mit denen wir uns auf dieses Spannungsfeld beziehen können. Dass Vietnam den Massenmord der Roten Khmer am eigenen Volk durch Einmarsch beendet hat, war richtig. Dass die USA die Diktatur der Baath-Partei im Irak durch einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gestürzt hat, natürlich im Namen von Freiheit, Demokratie und Menschenrechten, war aber falsch. Meines Erachtens gibt es hier kein absolutes Richtig und Falsch. Aber: Dass Kriegserklärungen (militärische Interventionen sind immer Kriegserklärungen) kein zentraler Teil unserer Sicherheits- und Außenpolitik sein können, noch dazu im Rahmen der NATO, scheint mir klar zu sein. Überhaupt fällt in allen jüngeren Texten – Caren Lay ist da eine Ausnahme, wenngleich ihre Ausführungen dazu eher kurz sind – auf, dass die Vereinten Nationen kaum vorkommen. Noch mal die Frage: Wie also gedenken wir demokratische Bewegungen in anderen Ländern genau zu stärken?

Rückbau der Bundeswehr zur reinen Verteidigungsarmee

Matthias Höhn sagt, dass es angebracht ist, die Sicherheitsbedürfnisse der Menschen ernst zu nehmen und die Frage zu beantworten, wie denn die LINKE gedenkt Sicherheit zu garantieren oder zu gewährleisten. „Was die Linke nicht tun darf, ist, aus Angst, der Sicherheitsdiskurs könnte Wasser auf Mühlen der Rechten sein, ihn deren autoritären Antworten zu überlassen. Das Bedürfnis nach Sicherheit ernst zu nehmen, bedeutet schließlich nicht, im Einklang mit der Rechten nach mehr Überwachung, Gefängnissen, Abschiebungen und härteren Strafen zu rufen.“ Das hat Ingar Solty mit Blick auf die Debatten über innere Sicherheit geschrieben[vi]. Ich finde das auch richtig, wenn man es auf die äußere Sicherheit bezieht. Denn Angst und das Interesse daran sicher zu leben, sind verständlich. Aber auch da wird der Text merkwürdig still, weil fehlt, was das konkret bedeuten würde. Es wird zwar darüber gesprochen, dass die Bundeswehr eine Ausrüstung braucht, die sie verteidigungsfähig hält. Aber darum geht es in der Debatte um die NATO-Rüstungsziele nicht. Meines Erachtens müsste es heißen, die Bundeswehr zurückzubauen zur reinen Verteidigungsarmee. Ihr Umbau zu einer Berufsarmee hat vermutlich auch mit der Weiterentwicklung der hochmodernen Waffensysteme zu tun, aber ebene auch mit der neuen Rollenbestimmung der Bundeswehr als Truppe, die außerhalb der Bundesrepublik eingesetzt werden soll. Landesverteidigung statt Sicherung außenwirtschaftlicher und außenpolitischer Interessen in Afghanistan und anderswo. Warum nicht? Das setzt einen Bruch mit einer lang anhaltenden Strategie voraus, die auf die Normalisierung von Gewalt als Mittel der Außenpolitik hinausläuft, wie Ekkehart Krippendorf das zu Beginn der 2000er-Jahre bereits nannte. Man kann nicht über die Bundeswehr reden, und darüber schweigen. Sollte Matthias genau das mit „klarer Fokus auf die Landes- und Bündnisverteidigung, Schluss mit der Überdehnung ihrer Aufgaben und Fähigkeitsanforderungen“ meinen, wäre ich einverstanden. Und dann wäre es auch folgerichtig über Missmanagement, Berater*innenverträge und das Beschaffungswesen bei der Bundeswehr zu sprechen.

Kommen wir nun zu den Auslandseinsätzen, die Matthias Höhn eher im Nebensatz auf den Plan ruft, indem er sagt, die Bundeswehr hätte in Syrien eingesetzt werden sollen, um chemische Waffen zu vernichten. Aber warum? Warum hätte die Bundeswehr in Syrien eingesetzt werden sollen? Und wenn in Syrien: warum nicht im Jemen, warum nicht in Tschetschenien? Mir leuchtet das nicht ein – zumal die Strategie der Auslandseinsätze der Bundeswehr keine Erfolgsgeschichte ist, wenn man die offiziellen Ziele (in der Regel ja Schutz von Menschenrechten oder Demokratie) zu Grunde legt. Warum kommt der Text von Matthias ganz ohne eine entsprechende kritische Bilanz aus? Und warum sollten Auslandseinsätze der Bundeswehr Teil einer umfassenderen Sicherheitspolitik sein?

Umfassende Sicherheit geht nur durch Entspannungspolitik

Richtig finde ich die Überlegung von Matthias, Sicherheit umfassender zu diskutieren. „Sicherheitsdebatten müssen darum auch immer Debatten über ökonomische Dominanzen und Abhängigkeiten, faire Welthandelsbeziehungen, globale Ungerechtigkeiten und wirksame Klimapolitik sein und gehen weit über die Frage der Einsatzfähigkeit einzelner Armeen hinaus.“ Das ist ein Gedanke, den von ganz unterschiedlichen Teilen der Partei vertreten wird. Ich bin mir aber nicht sicher, ob wir alle dasselbe meinen. Wenn wir – als einzige Partei im Bundestag – nicht Militäreinsätze im Ausland als Mittel der Außenpolitik stärken wollen, dann müssen wir selbstverständlich darüber reden, wie Konflikte deeskaliert und Frieden gesichert werden kann. Auffällig ist jedenfalls, dass der Text gar nicht versucht realpolitisch durchzubuchstabieren, was „Entspannungspolitik der 2020er und 2030er Jahre“ sein müsste. Wenn Matthias mit der Bemerkung endet, dass offen ist angesichts des jetzigen Krieges, wann wieder vertrauensvolle Gespräche mit der russischen Regierung möglich sind, ist das eine richtige Frage. Aber das ändert nichts daran, dass es eine modernisierte Entspannungspolitik sein muss, die als Strategie den zentralen Eckpfeiler unserer Politik zu bilden hat.

Entspannungspolitik braucht man nicht unter Freunden. Caren Lay hat in ihrem Beitrag nebenbei bemerkt, dass eine auf Kooperation zielende Politik gegenüber Russland erst wieder möglich ist, wenn Putin gestürzt wurde. Das ist nachvollziehbar, es ist aus meiner Sicht realpolitisch aber falsch – jedenfalls überzeugt es mich nicht. Das sozialdemokratische Konzept der Entspannungspolitik setzt darauf, mit Leuten, mit denen man ganz grundlegend nicht übereinstimmt, in Aushandlungen zu treten. Ihre Interessen ernst zu nehmen und mit ihnen Vereinbarungen zu treffen, die das stärken, was uns wichtig ist. Völlig richtig betont Matthias Höhn zum Beispiel, dass Russland und China massiv aufgerüstet haben, Rüstungskontrolle völlig vernachlässigt ist. Durch Verhandlungen müssen wir wieder dahin kommen, dass abgerüstet wird. Verhandlungen sind unangenehm, weil etwas gegeben werden muss. Aber wie sonst sollten Abrüstungsverträge denn entstehen? Ich will zugestehen, dass es im Angesicht eines Krieges schwerfällt, das zu einer Strategie zu erheben. Und ich will eingestehen, dass die Möglichkeit einer solchen Politik davon abhängt, ob sich die gelenkte autoritäre Fassadendemokratie in Russland tatsächlich in Richtung eines totalitären Regimes entwickeln wird, wie einige behaupten. Das ist nüchtern zu analysieren. Ich will aber daran erinnern, dass Entspannungspolitik in den 1970er und 1980er-Jahren gegenüber der Sowjetunion betrieben wurde, nachdem diese Volksaufstände in Ungarn, der DDR und der Tschechoslowakei hatte niederschlagen lassen, während in Polen Solidarność unterdrückt und russische Truppen in Afghanistan einmarschiert sind. Entspannungspolitik braucht man gegenüber Diktaturen – und es ist verblüffend, dass wir darüber nicht ausführlich diskutieren. Bei Willy Brandt und Egon Bahr[vii]kann man nachlesen, dass Entspannungspolitik interessanterweise nicht die Zuneigung zum Verhandlungspartner voraussetzt, sondern den Willen zur Aushandlung. Jedenfalls dürfte außer Zweifel stehen, dass die deutsche Sozialdemokratie, und die beiden Genannten voran, mehrheitlich eine ablehnende Haltung gegenüber der DDR und der Sowjetunion eingenommen haben.

Entspannungspolitik als Mittel, um die Klimakatastrophe zu verhindern

Aber die Frage nach einer neuen Entspannungspolitik drängt sich auch gerade dann auf, wenn man ein umfassenderes Verständnis von Sicherheit zu Grunde legt. Denn ein umfassendes Sicherheitskonzept muss heute zwingend die Bewältigung der Klimakatastrophe gewährleisten. Wer den letzten Klimaratsbericht des Weltklimarates wenigstens zur Kenntnis genommen hat, ahnt, was an Verwerfungen auf uns zukommen wird. Und Matthias gelegentliche Bemerkungen zur Klimapolitik lassen mich annehmen, dass er das getan hat. Ganze Zonen der Erde, die stark besiedelt sind, werden vielleicht unbewohnbar. Eine Verschärfung der Lebensmittelkrisen droht. Kriege um Wasser und seltene Metalle, die für die ökologische Modernisierung des Kapitalismus (und das ist es, was die Eliten der Welt gerade betreiben – bis auf eine Fraktion der herrschenden Klasse, die durch Politiker wie Trump repräsentiert wird, die die Klimakrise einfach leugnen) gebraucht werden, sind wahrscheinlich. Es wird gar nicht möglich sein in einer humanistischen Perspektive voranzukommen (ich traue mich gar nicht von einer sozialistischen Perspektive zu schreiben), wenn es keinen Dialog mit Russland und China gibt. Es darf sich jeder fragen, ob China oder die USA Flugzeugträger für die Landesverteidigung brauchen. Wer im Horizont der Klimakrise nicht auf die Barbarei zugehen will, wird darüber nachdenken müssen, wie die Eskalation mit Russland und China vermieden werden kann. Ich weiß, dass die Forderung nach Entspannungspolitik unglaublich klingt, weil Russland gerade in die Ukraine einmarschiert ist. Aber dennoch: Welche Schritte müsste man gehen? Sobald man darüber nachdenkt, werden alle Fragen wichtig, die in der jüngsten Debatte aufgeworfen wurden. Zum Beispiel, wie sichergestellt werden kann, dass die sicherheitspolitischen Interessen der baltischen Staaten, aber auch der Ukraine, nicht schlicht übergangen werden.

Im Zusammenhang mit einem umfassenderen Sicherheitskonzept ist auch über die Aufrüstung zu sprechen, auch mit Blick auf die Herausforderung, die drohende Klimakatastrophe zu verhindern. Matthias Höhn ist in seinem Papier völlig unklar, wie wir es mit dieser Aufrüstungspolitik nun halten sollen. Er lobt, dass wir gegenhalten. Er sagt, angesichts der haushaltspolitischen Lage könnten militärische Mehrausgaben zu Lasten anderer wichtiger Investitionen gehen – um dann klarzumachen, dass Investitionen trotzdem nötig sind. Irgendwie nicht in der Höhe – aber was eigentlich genau? Hier bleibt es bei Andeutungen. Zunächst: Ich denke nicht, dass die weitere Aufrüstung der Bundeswehr oder der NATO-Staaten helfen werden, mehr Sicherheit zu schaffen. Ich müsste weit ausholen, um hier meine Sichtweise plausibel zu machen, hier nur kurz: Die NATO-Staaten sind Russland militärisch weit überlegen, im Fall eines Angriffs auf einen NATO-Staat greift der Bündnisfall. Trotzdem hat all das Russland nicht davon abgehalten, in die Ukraine einzumarschieren. Insofern wäre die weitere Aufrüstung also wirkungslos. In diesem Zusammenhang wurde darauf hingewiesen, die USA könnten in Zukunft – etwa, wenn ein neuer Präsident erneut Trump heißen könnte – ihre europäische Sicherheitsarchitektur auflösen. Mit anderen Worten: Europa als eigenen sicherheits- und außenpolitischen Brückenkopf aufgeben. Ich halte das für hochgradig spekulativ, und ich kann nicht sehen, was dafürspricht. Die Spannungen, die zwischen den USA und China existieren, sprechen nicht dafür – jedenfalls werden die USA die EU brauchen, um in den Weltneuordnungskonflikten zu bestehen. Zumindest ist diese Annahme plausibler als die Vorstellung, die USA werde sich mit einem isolationistischen Kurs in die Schlacht begeben.

Kommen wir wieder zum umfassenderen Sicherheitskonzept und der Aufrüstung zurück. Die Aufrüstung wird die Erderwärmung beschleunigen, weil die Produktion (und der Einsatz) von Waffen CO₂-intensiv ist. Außerdem wird das Geld überall für die dringend nötigen Klimanotstandsprogramme fehlen. Natürlich kann man sagen, dass theoretisch der angestrebte Beschluss über das Sondervermögen der Bundeswehr ja zeigt, dass das Geld dafür ja da ist. Und man kann sagen, die Schuldenbremse müsse weg. Es ist auch richtig, wie es aus der Gewerkschaftsbewegung und auch aus der Klimagerechtigkeitsbewegung getan wurde, ein Sondervermögen Klimaschutz zu fordern. Aber es ist fast unpolitisch anzunehmen, so ließen sich harte Verteilungskonflikte vermeiden. Denn wir wissen doch, dass wir auf absehbare Zeit keine politischen Mehrheiten im Bundestag für diese Forderungen haben. Die CDU/CSU und FDP müssten zustimmen. Wer die letzte Rede von Friedrich Merz gehört hat, in der er der Ampelkoalition die Bedingungen der Unionspart für ihre Zustimmung zur Festschreibung des Sondervermögens der Bundeswehr in das Grundgesetz diktieren wollte, weiß: dort steht die Wand. Die Aufrüstung wird die Klimakrise und soziale Probleme im Land verfestigen.

In was für einer Welt, in welcher Periode leben wir?

Was mir schließlich völlig fehlt, ist der Versuch einer Zeitenbestimmung. Unter welchen Bedingungen wollen und müssen wir also Außen- und Sicherheitspolitik machen, welche Spannungen und Konflikte erleben wir und werden wir im imperialistischen Weltsystem erleben, mit welchen Konflikten? Ich habe dieses Feld oben verschiedentlich angeschnitten. Wenn es richtig ist, dass wir Demokratie, Menschenrechte und fortschrittliche Bewegungen unterstützen, nicht in erster Linie Staaten (wobei die nationale Souveränität von Staaten ein hohes Gut ist), was heißt das in einer Periode, in der schwere Konflikte zwischen der NATO-Führungsmacht USA und China drohen?

Theorie und Praxis 2

Eine abschließende Bemerkung, mit der ich auch an den Anfang zurückspringe. Möglicherweise wäre die Debatte um solche Fragen einfacher zu führen, würde zwischen Theorie und Praxis nicht ein Graben klaffen. In der Theorie fordern Matthias Höhn und viele andere den Bruch mit bestimmten sicherheits- und außenpolitischen Positionen, deren entschlossenste Vertreter:innen er und andere in der Bundestagsfraktion über Jahre in öffentlichkeitswirksame Sprecher:innenpositionen gebracht haben. Alle wissen das, die sich mit den internen Konflikten in der Fraktion und den dortigen Bündniskonstellationen ein wenig beschäftigen. Man kann dieses Bündnis unterschiedlich bewerten, zu einer Entpolitisierung der Debatte trägt es aber in jedem Fall bei.

[1] Siehe hier ihre Rede vom 18.02.2022 https://www.youtube.com/watch?v=eTg8wYqV1RI

[i] Eine neue Debatte über linke Sicherheitspolitik hat begonnen. https://www.links-bewegt.de/de/article/522.europäische-sicherheit-organisieren.html

[ii] Gedankenfragmente und Provokationen zum Ukraine-Krieg. https://www.paulschaefer.info/PDFs/Ukraine-Krieg-und-Folgen-Positionsbestimmung.pdf

[iii] Linke Außenpolitik braucht ein Update. https://www.rosalux.de/news/id/46154/linke-aussenpolitik-braucht-ein-update

[iv] Linke Außenpolitik braucht die Rückkehr zu Marx. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1160092.aussenpolitik-der-linkspartei-linke-aussenpolitik-braucht-die-rueckkehr-zu-marx.html

[v] Linke Außenpolitik – ein Debattenbeitrag. https://forum-ds.de/?p=3264

[vi] Ingar Solty 2016, Sicherheit: Ein heißes Eisen für die Linke? Angstfreiheit als Frage sozialer Infrastruktur. https://zeitschrift-luxemburg.de/artikel/sicherheit-ein-heisses-eisen-fuer-die-linke/

[vii] Siehe Egon Bahr: Ostwärts und nichts vergessen, 2015. Und: Willy Brandt: Erinnerungen, 1993.

Für eine radikale Friedensbewegung – auf der Straße und im Parlament!

Beitrag von Ko-Kreis, BAG Bewegungslinke

Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine macht viele Menschen zurecht fassungslos. Tagtäglich finden Angriffe gegen Wohnviertel, zivile Infrastruktur und auch Krankenhäuser statt. Familien wurden auseinander gerissen. Millionen Menschen sind auf der Flucht, Tausende sind bereits gestorben. Die Verantwortung dafür trägt die russische Regierung.

Der Krieg ist das Ergebnis einer Weltordnung, die durch geopolitische Konflikte zwischen imperialistischen Mächten strukturiert ist, in der Staaten sich Einflusssphären sichern und eine Vormachtstellung bewahren. Erstmals seit 1989 ist eine militärische Konfrontation zwischen Atommächten eine denkbare Option. Wir brauchen deshalb nicht nur unmittelbare Antworten auf die Frage, wie der Krieg so schnell wie möglich beendet werden kann, sondern auch langfristige Ideen, wie wir in einer Welt ohne Kriege leben können und niemand wegen Hunger oder Tod aus der Heimat fliehen muss. 

Angesichts der komplizierten Lage in der Ukraine ist Besserwisserei jedoch nicht angebracht. Fragen müssen auch in unseren Diskussionen erlaubt sein. In der aktuell aufgeheizten Stimmung ist Widersprüchlichkeit normal. Und Widerspruch gleichzeitig absolut notwendig.

1. Für ein sofortiges Ende des Krieges in der Ukraine!

Wir fordern einen sofortigen Stopp der Kämpfe und die Weiterführung diplomatischer Verhandlungen für eine unverzügliche Waffenruhe und Frieden in der Ukraine. Die russischen Truppen müssen schnellstmöglich abgezogen werden. Verhandlungen zwischen der russischen und ukrainischen Regierung werden jedoch nur kurzfristig helfen. Es bleiben einerseits inner-ukrainische Konflikte und andererseits der übergeordnete Konflikt zwischen Russland und der NATO. Zudem ist das Bedürfnis vieler benachbarter Staaten nach einer NATO-Mitgliedschaft größer geworden. 

Dass nun die NATO aber zu einem Friedensbündnis verklärt wird, ist bestenfalls geschichtsvergessen. Auch sie ist ein imperialer Akteur mit geopolitischen Interessen, für das insbesondere die USA, aber auch andere Mitgliedstaaten Kriegsverbrechen begangen haben. Wenn sich etwa Olaf Scholz und Annalena Baerbock dieser Tage mit Erdogan und anderen Vertreter:innen der türkischen Regierung treffen, um ihre Partnerschaft zu zelebrieren, während gleichzeitig die türkische Regierung kurdische Gebiete bombardieren lässt, zeigt das die Doppelmoral deutlich auf. Allein in Afghanistan, Irak und Libyen hat der sogenannte Westen Kriege mit mindestens einer Million Toten und mehreren Millionen Vertriebenen geführt. Die militärischen Interventionen haben die Lage dort nicht verbessert, sondern eher dramatisch verschlechtert. 

Viele Linke irrten in ihrer Haltung und Einschätzung zu Russland. Sie irrten aber nicht in ihrer grundsätzlichen Kritik an der NATO. Daher bleibt die Forderung nach einem Sicherheitsbündnis, das Frieden garantiert und somit auch ein Post-Putin-Russland einbezieht, aktuell – auch wenn die Vorzeichen dafür komplizierter geworden sind. Sicherheit darf nicht militaristisch gedacht werden, Vertrauensbildung wird in Zukunft wichtig sein.

Wir kämpfen für eine Welt jenseits der Spaltung in imperialistische Lager, stehen weder an der Seite Russlands, noch identifizieren wir uns mit der NATO und ihren angeblichen Werten. Wir kämpfen an der Seite der Menschen für Demokratie und Frieden und zeigen uns solidarisch mit den angegriffenen Ukrainer:innen und den widerständigen Menschen in Russland.

2. Friede den Hütten! Enteignet die Paläste!

Bislang treffen die Sanktionen gegen Russland vor allem breite Teile der russischen Bevölkerung und noch nicht genug und gezielt die russische Führung.

In Russland gibt es über 200.000 Millionäre. Viele von ihnen haben in ganz Europa ihr Geld auf Bankkonten liegen oder bspw. in Immobilien investiert. So parken die reichsten 0,01 Prozent der russischen Bevölkerung, die etwa 13 Prozent des gesamten russischen Kapitals besitzen, 80 Prozent davon im Ausland. Sie alle könnte man auf eine Sanktionsliste setzen und ihre Güter beschlagnahmen. Sie tragen die russische Wirtschaft und bilden dadurch das politische Hinterland von Putin, welches letztlich bröckeln würde. Hilfreich wäre daher die Einführung eines internationalen Finanzregisters, um Transparenz herzustellen und somit den Zugriff für Sanktionen zu erleichtern. Dass es das bislang nicht gibt, ist kein unbeabsichtigtes Versäumnis, sondern Ausdruck mangelnden politischen Willens, da eine solche Vorgehensweise auch westliche Wirtschaftseliten zwingen würde, ihr Vermögen offen zu legen. 

3. Waffen schaffen keinen Frieden!

Dass viele Menschen aus dem Selbstverteidigungsrecht der Ukraine und der Solidarität mit der ukrainischen Bevölkerung auch eine Zustimmung zu Waffenlieferungen ableiten, finden wir verständlich. Trotzdem halten wir Waffenlieferungen für falsch und andere Maßnahmen für erfolgsversprechender den Krieg zu beenden, als eine Region auch mittelfristig mit noch mehr Waffen auszurüsten, die noch mehr Menschen töten werden. Auch in anderen Kriegen auf der Welt liefert die deutsche Bundesregierung keine Waffen an die angegriffenen Staaten. Auch nicht, wenn diese das Recht hätten, sich besser zu verteidigen, – etwa aktuell im Jemen, wo der Krieg auf unendliche Armut und Hunger trifft. Die Waffen, die die deutsche Bundesregierung derweil an die Ukraine lieferte, sind ein Tropfen auf den heißen Stein und dienen nur dem eigenen Gewissen – sowie der Ablenkung davon, dass viel wirksamer eingegriffen werden könnte, wenn ernsthafte harte Sanktionen gegenüber Russlands Reichen vorgenommen würden.

4. Gegen Aufrüstung und Militarisierung

Während die Möglichkeiten gezielter Sanktionen nur halbherzig genutzt werden, wird umso vehementer für Aufrüstung getrommelt. Keine Zeit für Zweifel, keine Zeit für Nachdenklichkeit: In Rekordzeit werden Aufrüstungsprogramme und Waffenlieferungen durchgepeitscht. Krieg erlebt als Mittel der Politik ein Revival. Kritische Stimmen haben es in diesen Zeiten schwer durchzudringen, nur langsam verschaffen sich Rüstungsgegner:innen wieder Gehör. Die von Olaf Scholz angekündigten 100 Milliarden Sondervermögen für die Bundeswehr sind grotesk. So hat sich der Verteidigungshaushalt die vergangenen Jahre jährlich erhöht, ohne dass sich das positiv auf die Ausrüstung der Bundeswehr ausgewirkt hätte. Schon jetzt gibt der Westen jährlich eine Billion Dollar für seine Militärapparate aus, schon jetzt sind die Armeen der NATO-Mitgliedsländer der russischen Armee überlegen – beides hat die Invasion in die Ukraine nicht verhindert. Auch eine deutlich stärker aufgerüstete Bundeswehr würde nicht an der Seite der ukrainischen Armee ins Geschehen eingreifen. Nicht zuletzt hätte sie dem drohenden Einsatz von Atomwaffen nichts entgegenzusetzen. Und die Aufrüstung wird die Bundesrepublik auch nicht energieunabhängiger machen. Der Plan von interessierten politischen Kräften und der Rüstungslobby, die Ausgaben für Waffen und die Bundeswehr aufzustocken, lag schon lange vor Ausbruch des Kriegs in den Schubladen. Die aktuelle Angst der Bevölkerung wird jetzt genutzt, die Pläne als notwendige Reaktion auf den Krieg zu verkaufen. 

5. Asyl für Geflüchtete und Deserteure

Wir fordern das Recht auf Asyl für alle Geflüchteten an den europäischen Außengrenzen. Das UN-Flüchtlingskommissariat (UNHCR) geht davon aus, dass aufgrund des Ukraine-Kriegs mindestens 4,5 Millionen Menschen aus ihrer Heimat vertrieben werden. Sie müssen jetzt unbürokratisch und schnell aufgenommen werden, aber auch Perspektiven über die erste schnelle Hilfsbereitschaft hinaus bekommen. Es darf dabei keine Unterschiede im Umgang mit Geflüchteten geben, denken wir etwa an die Tausenden Geflüchteten an der polnisch-belarussischen Grenze, die brutal abgewiesen wurden – oder die Geflüchteten in den griechischen Lagern auf Lesbos. Die Aufnahmebereitschaft der europäischen Staaten für die ukrainischen Geflüchteten zeigt die ganze Heuchelei beim Gerede um die sog. westliche Wertegemeinschaft. Während innerhalb von wenigen Tagen richtigerweise hunderttausende ukrainische Geflüchtete in Europa aufgenommen wurden, scheiterten die europäischen Staaten zuvor daran, wenige tausend Geflüchtete aus dem Nahen Osten oder Zentralafrika, die vor dem Krieg in ihrer Heimat flohen, aufzunehmen – wegen angeblich fehlender Kapazitäten.

Als Linke verteidigen wir das Recht auf Asyl universell. Wir fordern das Recht auf Asyl auch für Deserteure der russischen und der ukrainischen Armee. Niemand darf zum Krieg gezwungen werden. Wir müssen uns als Partei vor Ort für die ankommenden Geflüchteten einsetzen, bei der Ankunft, Wohnungssuche oder Sprachkursen. Wir müssen Solidarität praktisch werden lassen! 

6. Solidarität mit der russischen Opposition

Wir sind solidarisch mit den Menschen, die in Russland für Frieden demonstrieren und aufgrund ihres Protests hohe Haftstrafen riskieren. Wir wollen dazu beitragen, Friedensbewegungen weltweit zu unterstützen und zu stärken. Dazu gehört u.a. auch, Gespräche mit Friedensbewegten zu suchen, statt etwa alle Gesprächsfäden nach Russland zu kappen. Wir verstehen das Bedürfnis danach, auch symbolische Zeichen zu setzen. Partnerprogramme auszusetzen, scheint uns aber keine geeignete Antwort auf die wachsenden Herausforderungen einer friedlichen Welt zu sein. Die russische Bevölkerung darf nicht mit Putins Angriffskrieg gemein gemacht werden. Antirussische Ressentiments bekämpfen wir daher in aller Entschiedenheit. 

7. Soziale Folgen weltweit abfedern

Die Ukraine ist das ärmste Land Europas. Ein Schuldenerlass würde dem Land auch eine Perspektive für die Zeit nach dem Krieg geben. Der Krieg hat aber aktuell auch für andere Länder dramatische Folgen: 29 Prozent der weltweiten Weizenexporte kommen aus Russland und der Ukraine, die Weizenpreise sind seit Kriegsbeginn um knapp ein Drittel gestiegen. Importierende Länder, die zuvor schon große Schwierigkeiten bei der Nahrungsmittelversorgung hatten, bekommen jetzt also noch größere Probleme. Wie so oft sind es die Ärmsten der Armen, die das am meisten zu spüren bekommen. Weizen darf jetzt unmittelbar nur für die Ernährung von Menschen bereitgestellt werden, andere Zwecke sind hintenan zu stellen. 

Gegen das Hungerleid der Einen scheinen die steigenden Benzin- und Energiekosten in Deutschland ein Luxusproblem zu sein. Aber auch hier, in einem reichen Land, trifft es insbesondere Menschen, die schon zuvor mit niedrigen Einkommen Sorgen vor dem Ende des Monats hatten. Für sie sind die auf allen Ebenen gleichzeitig stattfindenden Preissteigerungen existenziell. Das lässt sich mit Verweis auf den an der Tanke schäumenden SUV-Fahrer nicht abräumen. Für viele Pendler:innen gibt es noch keine Alternativen, weil der Nahverkehr eher ab- als ausgebaut wurde, die Ticketpreise sind zudem seit Jahren gestiegen und alles andere als erschwinglich. Wann wenn nicht jetzt wäre Zeit für eine komplette Umkehr: Statt Tankrabatte braucht es günstigeren oder gar kostenfreien Nahverkehr, die Mineralölkonzerne müssen bei ihrer Abzocke gestoppt werden.

8. Investitionen in Energiesouveränität statt Subventionen für abzockende Konzerne

Unsere Abhängigkeit von russischem oder US-amerikanischem Gas, Öl aus Saudi-Arabien u.a. ist spürbar geworden und die damit verbundenen Kriegsgefahren sind näher gerückt. In dieser Hinsicht wirft der Krieg einen Schatten voraus, auf das, was in den nächsten Jahrzehnten droht. Grundlegende Alternativen sind bisher kaum verankert und viele Menschen haben zurecht Angst davor, am Ende die Kosten aufgebürdet zu bekommen. 

Wir müssen zusammen mit der Klimabewegung nicht nur Widerstand gegen die Rückkehr zu fossilen Brennstoffen leisten, sondern die Chance für eine radikale Energiewende ergreifen, die sich von energieintensiven Wirtschaftszweigen abwendet und sozial abgesicherte Maßnahmen zur Reduktion des Energieverbrauchs im privaten Bereich erkämpft. Die 100 Milliarden Euro wären diesbezüglich besser investiert. Wir stehen vor der Herausforderung, konkrete Alternativen für einen Umbau der gesamten Weise des Wirtschaftens zu machen. Die Grünen denken Energiesouveränität letztlich als imperiales Projekt der EU und Deutschlands, das mit Standortpolitik für den Zugang zu Energie und Rohstoffen und mit Aufrüstung einhergeht. Beim notwendigen Umbau zu den Erneuerbaren Energien dürfen wir aber nicht vergessen, dass viele Technologien nicht ohne den umweltschädlichen Abbau von Erzen auskommen, die nur in wenigen Ländern verfügbar sind, wodurch neue rohstoffliche Abhängigkeiten und imperiale Konflikte entstehen. Es geht daher auch um eine wirkliche Mobilitätswende jenseits der Abhängigkeit vom Auto, um massive Energieeinsparung (was auch einen Umbau von Dienstleistungen und eine alternative Vision zur Digitalisierung beinhaltet), um demokratisch geplante regionale Produktion. Ohne eine globale Energiewende hat eine neue Friedensordnung keine Chance und umgekehrt werden die Profiteure des fossilen Kapitals – Konzerne wie autoritäre Regime – ihre Macht nicht einfach aufgeben. 

9. Breite Bündnisse und neue Friedensbewegung

Wir stellen uns nicht nur gegen Aufrüstung, wir werben vielmehr sogar für Abrüstung. Das tun wir bei den aktuellen Friedenskundgebungen, auch wenn diese Stimmen nicht überall gern gehört werden. Und es gibt mehr dieser Stimmen, als in den ersten Tagen nach Kriegsausbruch der Eindruck war. Wir suchen daher die Gespräche mit Bündnispartner:innen und werben auch bei den vielen Menschen, die momentan andere Antworten geben, aber noch nicht entschieden sind. Zweifel und Widersprüche gibt es derzeit nicht nur in den eigenen Reihen. Dabei geht es nicht nur darum, an welchen Stellen die jetzt für Aufrüstung eingeplanten Milliarden in Zukunft fehlen werden, sondern dass bereits die angebliche Notwendigkeit einer Aufrüstung falsch ist und der Teufelskreislauf der Militarisierung durchbrochen werden muss. Wir wollen die neue Friedensbewegung mit aufbauen und darin diese Position stärken. Wir wollen in diesen schwierigen Zeiten Pol der Hoffnung werden, für eine Welt ohne Kriege und Kapitalismus. 

Nein zum Krieg – Widersprüchlichkeiten und Bewegungsperspektiven

Beitrag von Daphne Weber, Mitglied im Parteivorstand

500.000 Menschen waren am 27.02. in Berlin auf der Straße, um gegen den völkerrechtswidrigen Krieg Russlands unter Putin gegen die Ukraine zu demonstrieren. Auf der Großdemonstration war die ganze Vielfalt zu sehen um einerseits „Nein zum Krieg“ zu sagen und gleichzeitig Forderungen nach Aufrüstung, Waffenlieferungen und weiterer Eskalation zu beklatschten. Parallel zu dieser Demo reichte die Ampel im Bündnis mit der CDU/CSU einen Entschließungsantrag über ein Aufrüstungspaket im Bundestag ein, das von der Rede von Olaf Scholz, in der er 100 Milliarden Sondervermögen für die Bundeswehr ankündigte, noch übertroffen wurde und damit das größte Aufrüstungspaket seit 1945 in Deutschland sein wird.

Über Jahre war das Thema Krieg und Frieden kaum ein Thema im deutschen Diskurs, auch, weil der Krieg so weit weg schien und weil er Menschen betraf, mit denen sich wenig bis nicht solidarisiert wurde. Schwarze Menschen, arabische Menschen, Muslime. Auch jetzt gibt es im europäischen Grenzregime Rassismus. Ukrainer*innen werden durchgelassen, afrikanischen Austauschstudent*innen in der Ukraine oder Menschen, die schon seit langem aus dem Nahen Osten kommend an der Grenze ausharren, die Weiterreise verwehrt.

Gehen wir zurück in den Sommer letzten Jahres.

Nach 20 Jahren Kriegsdesaster in Afghanistan stand im Sommer 2021 der deutsche Truppenabzug an. Die Truppen hingeschickt hatte damals eine rot-grüne Regierung, unter fortwährendem Protest der Linken gegen diesen Krieg. Im Sommer trieb eine Koalition ganz ähnlich derer, die jetzt das Aufrüstungspaket verabschiedet hat, die LINKE in die Enge, sie wolle ja den kriegsgebeutelten Afghan*innen nicht helfen. Dass statt Menschen Bier ausgeflogen wurde, Ortskräfte bewusst zurückgelassen wurden oder bei Subunternehmen angestellt waren, so dass man sie rechtlich sicher dort lassen konnte oder dass das vorherige Bundeswehr-Mandat weitreichendere Rettungsaktionen möglich gemacht hätte, folglich man gar kein neues brauchte, all das wurde in der erhitzten Stimmung des Wahlkampfes niedergeschrien, in dem es darum ging, möglichst kurzfristig viele Stimmen zu sammeln. Ein halbes Jahr später interessieren sich die Ampel-Parteien nicht mehr für die Menschen in Afghanistan, die dort immer noch unter den Umständen leiden. Wahlkampf vorbei, Kapitel abgehakt.

Aufrüstung, Waffenlieferungen, Sanktionen

Ähnlich wie im Sommer 2021 können wir jetzt beobachten, wie die Ausnahmesituation des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine für eine Politik missbraucht wird, in der es um etwas ganz anderes geht: Auf das Leid der Menschen in der Ukraine, den Schock der Menschen hierzulande antworten SPD, GRÜNE, FDP und CDU/CSU mit „deutscher Aufrüstung“ und nutzen die Krise für eine Politik, die ohne den Krieg nicht durchsetzbar wäre. In unmittelbarer Folge der Aufrüstungsankündigung steigen die Aktienkurse deutscher Rüstungskonzerne auf ein Rekordhoch. Sogar über eine Wiedereinsetzung der Wehrpflicht wird debattiert. Der AfD gefällt’s; endlich maskuline Härte statt verweichlichte queere „Snowflakes“, die keine „echten Männer“ mehr sein wollen. Während der Krieg mit aller Brutalität seit Tagen anhält, wird hierzulande bequem vom Sofa die ukrainische Mannschaft angefeuert, als ginge es um ein Sportmatch und nicht um deren Aussicht auf einen Häuserkampf gegen eine völlig überlegene Armee Russlands. Unter den russischen Soldaten an der Front sind etliche in den Jahren 2000, 2001, 2002 geboren, wie man zittrigen Geständnissen von Kriegsgefangenen entnehmen kann. Sie haben verdreckte Gesichter, manche blutüberströmt, starren mit müden Augen ins Leere, antworten aus aufgeplatzten Lippen. Auch auf der ukrainischen Seite: Männer ab 18 dürfen das Land nicht verlassen. Manche Familien fliehen ohne ihre Männer, manche entscheiden sich, wegen des Ausreiseverbots für ihre Männer, Väter, Brüder zu bleiben. Es ist ein wiederkehrendes Muster: Machthaber befehligen Kriege, die Armen schießen aufeinander… junge Männer, die vielleicht grade die Schule abgeschlossen haben, zum ersten Mal verliebt waren, hofften, dass sie nach Corona wieder zusammen feiern können oder vor der XBox mit Freunden gezockt haben.

Wer jetzt Waffenlieferungen fordert, muss sich bewusst sein, dass er diese ukrainischen Männer bewaffnet. Dass dies den Krieg verlängert, der vermutlich in einen blutigen Häuserkampf mündet unter heftigen Bombardierungen der russischen Armee aus der Luft. Dass es gut möglich ist, dass in einigen Tagen die Waffen ihre Besitzer gewechselt haben. Für den Weg einer Waffe kann niemand garantieren. Wie Expertinnen für die extreme Rechte recherchiert haben, gibt es zudem mittlerweile Chatgruppen, in denen Neonazis an die Front vermittelt werden zu offen faschistischen Batallionen, wie etwa zum Asow Regiment. Deutsche Waffen könnten dann auch in deren Hände gelangen, nach ihrer Rückkehr wären sie eine immense Gefahr für die innere Sicherheit. Wer bewaffnet wen? Kann für den Weg der Waffen garantiert werden? Mit welcher Perspektive werden Waffen geliefert? Wer Waffenlieferungen befürwortet, muss sich diese Fragen stellen.

Lehnt man Waffenlieferungen ab, wird man wahlweise als naiv oder als unsolidarischer Mensch hingestellt, der die Ukrainer*innen ihrem Schicksal überlassen möchte. Aber so einfach ist es nun eben nicht. Solidarität bedeutet nicht Militarisierung. Nötig ist das Drängen der Weltgemeinschaft auf eine Waffenruhe, um als allererstes das Blutvergießen zu stoppen. Das fordert die Ukraine. Danach muss verhandelt werden. Egal wie viele Stunden, Tage, Wochen, Monate. Alles ist besser als das Gemetzel. Alles.

Nötig ist eine Sanktionierung derer, die mit dem Tod ihre Geschäfte und Profite machen. Die Namen und Firmen russischer Waffenlieferanten sind bekannt. Vizekanzler Robert Habeck gab kürzlich erst zu, dass Deutschland vom Import russischen Gases abhängig sei (fast die Hälfte der Gasimporte) – eine Folge der jahrzehntelang verschleppten Energiewende. Es ist ein Dilemma: Habeck möchte den Gasimport nicht kappen, denn ein solcher Schritt würde vor allem die unteren Einkommensschichten in Deutschland hart treffen. Frieren muss nicht die Mittel- und Oberschicht, die können sich auch den zweifachen Preis leisten. Umso mehr muss die Suche nach Maßnahmen verfolgt werden, die die politische Elite und die Putin unterstützenden Kapitalfraktionen treffen.

An dieser Stelle lässt sich allerdings beobachten, wie sich eine völlig umgekehrte Bewegung vollzieht: Luxusgüter werden von der Sanktionsliste genommen, russisches Oligarchenvermögen im Ausland ist weiterhin flüssig statt eingefroren und kreative Forderungen, wie etwa Oligarcheneigentum an Wohnungen in Deutschland oder Yachten zu enteignen, werden als unrealistisch abgetan. Oligarchenvermögen zu sanktionieren würde Transparenz etwa in Form eines internationalen Finanzregisters, voraussetzen, wie es der Ökonom Thomas Piketty vorschlägt, was allerdings auch die westlichen Oligarchen und Superreichen nicht wollen. Das Großkapital ist eben transnational miteinander verwoben. Und die Ampel? Die würde nie etwas beschließen, was dem deutschen Kapital weh tut und bald ist ja auch wieder Wahlkampf, da will man es sich mit niemandem verscherzen.

So kommt es, dass sich die Verantwortlichen der Ampel ein reines Gewissen kaufen durch Aufrüstung und Waffenlieferungen und dafür mit Standing Ovations bejubelt werden. So lassen sich komplizierte Gedankenknoten beiseite schieben, es wird nicht mehr gefragt, wie eigentlich die Bemühungen der Ampel für einen Waffenstillstand aussehen, wer hier an wen liefert. Der Krieg findet ja woanders statt und in den Hintergrund tritt all das, was wirksamer, friedlicher und nachhaltiger wäre – und was sie nicht tun. Schießen müssen schließlich andere, sterben müssen andere. Der Krieg geht weiter.

Bewegungsperspektive

Neben der Friedensbewegung positionieren sich nun verschiedene Initiativen, wie etwa Fridays for Future, gegen den Krieg und gleichzeitig gegen die deutsche Aufrüstung. Die Friedensbewegung war geschwächt, aber jede Bewegung, die für das Leben eintritt, hat Berührungspunkte mit der Friedensfrage und in dieser Hinsicht kann es gelingen, aus dem zivilgesellschaftlichen Bewegungsspektrum heraus die Friedensbewegung zu verbreitern. Die traditionelle Friedensbewegung war über Jahre eher ein randständiges Phänomen – weil der Krieg weit weg schien – und wurde belächelt: ein paar alte Menschen, die scheinbar in der Logik des Kalten Krieges hängen geblieben waren, junge Menschen, die eine Verjüngung und Vitalisierung der Friedensbewegung forderten, wurden nicht für voll genommen. Andererseits haben manche Akteure der Friedensbewegung einige strategische Fehler gemacht, die der Verbreiterung der Bewegung nicht dienlich waren. Nicht selten wurden Leute, die Fragen gestellt haben, auch in Bezug auf Staaten wie Russland oder Syrien andere Einschätzungen hatten, eher beschimpft, anstatt sie gewinnen zu wollen. Nun werden wir von einer spontanen Mobilisierung, die durch die Drastik und unvermittelte Brutalität des Kriegs gelenkt wird, überrollt.

In dieser gesellschaftlichen Dynamik brauchen wir breite Bündnisse von Initiativen, Bewegungen und Gewerkschaften für einen sofortigen Waffenstillstand in der Ukraine, die Aufnahme von Geflüchteten, den Rückzug der russischen Truppen, für Frieden und Abrüstung. Diese Forderungen müssen an alle politischen Instanzen erhoben werden, in Deutschland und der EU.

Neben dem Fordern müssen wir uns selbst die Frage stellen, was wir konkret tun können, an den Orten, an denen wir leben und arbeiten – sowohl hinsichtlich des Kriegs in der Ukraine als auch gegen die deutsche Aufrüstung. In meiner Phantasie sieht die Tatkraft solcher zivilgesellschaftlicher Bündnisse ungefähr so aus: Umweltaktivistinnen von „Ende Gelände“ blockieren Eigentum russischer Oligarchen, Seebrücke-Aktivisten helfen Geflüchteten aus dem Kriegsgebiet, Fridays for Future ruft zu Friedensdemonstrationen auf, die Initiative „Rheinmetall Entwaffnen“ hält Dauermahnwachen vor deutschen Rüstungskonzernen, Journalistinnen recherchieren, wer vom Krieg profitiert und lassen den politischen Verantwortlichen keine Ruhe. Die Gewerkschaften rufen ihre Mitglieder auf, Rüstungskonzerne zu bestreiken, Hafenarbeiterinnen legen die Verschiffung von Waffentransporten lahm (es wird ja weiter munter exportiert auch in Autokratien). Tech-Aktivisten hacken Seiten, um Informationen mit der Bevölkerung in Russland zu teilen. Mit den mutigen Menschen, die in Russland auf die Straße gehen, um gegen den Krieg zu protestieren, solidarisieren wir uns, die Kontakte reißen nicht ab. Deutsche Wissenschaftler bilden Tandems mit russischen Wissenschaftlerinnen, um sie im Widerspruch zum Krieg zu stärken. Deutsche Bürgermeisterinnen halten den Kontakt zu russischen Bürgermeistern.

Einiges davon passiert bereits und liegt nicht im letzten Gehirnwinkel einer fernen Utopie.

Die Friedensbewegung in Russland ist ein wichtiger Schlüssel zur Beendigung dieses Kriegs und hat mit massiven Repressionen zu kämpfen. Sanktionen, die blind die russische Bevölkerung treffen, schwächen vermutlich diese aufbegehrenden Menschen, flächendeckende Kontaktabbrüche beispielsweise deutscher Unis zu russischen Unis sind das Gegenteil von Stärkung der russischen Friedensbewegung. Solche Kontaktabbrüche stärken eher Putin. Wer sich kaum noch Nahrungsmittel und Heizung leisten kann, weil sich alles verteuert, begehrt nicht eher auf, wie es manche Verelendungstheorie glauben macht. Ziel der Überlegungen muss sein, wie man aufbegehrende Menschen der russischen Zivilgesellschaft stützt und den Rückhalt Putins in der Bevölkerung schwächt. Fällt dann noch das russische Kapital, beispielsweise durch gezielte Sanktionierung, von ihm ab, besteht die Chance seine Machtbasis zu minimieren. Es gibt viele Beispiele, in denen allgemeine Wirtschaftssanktionen, die die gesamte Bevölkerung trafen, die Machthaber eher gestärkt haben, von Nordkorea bis Iran. Antikapitalistische Angriffe auf das Eigentum der russischen Elite und Putins Unterstützerbasis hingegen sind Forderungen, die die Friedensbewegung hier durchaus erheben kann.

DIE LINKE im Handgemenge

In der friedensbewegten und antikapitalistischen Praxis, die wir auf die Frage „Was tun?“ entwickeln, ist auch der Platz der Partei DIE LINKE, als derjenigen Partei, die immer gegen Krieg war, egal wo er stattfindet. So auch jetzt.

Diejenigen in der Partei, die stets Putin verharmlost haben, sollten in sich gehen und analysieren, weshalb sie so falsch gelegen haben. Wir sollten aber in einer solidarischen Fehlerkultur allen die Möglichkeit geben, Ansichten zu korrigieren, gerade jetzt in dieser aufgeheizten Stimmung. Diejenigen, die nun endlich den Zeitpunkt gekommen sehen, um Tabula Rasa zu machen und alles Friedensprogrammatische auf den Prüfstand stellen wollen, sollten das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Gerade jetzt ist nicht der Zeitpunkt, eine konsequente Friedenshaltung aufzugeben – sonst gibt es keine politische Partei, die als Stimme der Vernunft und Solidarität eine solche vertritt, in Öffentlichkeit und Parlamente trägt. Die Stimme der LINKEN in friedenspolitischen Belangen wird mehr denn je gebraucht. Diejenigen, die Fragen haben, sollten nicht niedergebrüllt werden. Das Programm nicht aufweichen zu wollen, ist zwar berechtigt, aber an sich noch kein Argument. Die Auseinandersetzung um unsere Friedens- und Sicherheitspolitik sollte mit Argumenten in der Sache geführt werden – in denen sich das konsequentere und schlüssigere durchsetzt. Die Friedensprogrammatik der LINKEN ist keine Sache des Dogmas, sondern eine Sache der Notwendigkeit.

Bei dieser Auseinandersetzung müssen wir uns von dem Anliegen leiten lassen, Antworten zu entwickeln, die nicht nur die nächste Meinungsumfrage oder Regierungsbeteiligung im Blick haben, sondern unsere Kernkompetenz als Friedenspartei weiterentwickeln.

Eine Friedensprogrammatik besteht aus mehreren Säulen: 1. Abrüstung, Stopp von Waffenexporten, Ächtung von Atomwaffen und Transformation der Rüstungsindustrie in zivile Produktion, 2. Solidarität mit geflüchteten Menschen, Hilfe statt Abschottung und brutaler Grenzregime, 3. Stärkung ziviler Konfliktlösung und Zusammenarbeit, statt Ausweitung der Nato und 4. gerechter Welthandel, der anderen Nationen und Menschen auf Augenhöhe begegnet.

Die Frage nach einer europäischen (und eigentlich Welt-) Sicherheitsarchitektur bleibt bestehen; ganz akut, weil der Krieg in der Ukraine beendet werden muss und auch dauerhaft, denn es wird ein Russland nach Putin geben. Der Angriffskrieg gegen die Ukraine steigert nun die Nachfrage der Staaten Osteuropas nach Nato-Mitgliedschaft, aber die bisherigen Probleme mit der Nato verschwinden dadurch ja nicht. Imperiale Konflikte schwelen weiter und dieser Krieg entbindet Linke nicht davon, zu benennen, dass die Nato keine weiße Weste hat, Kriege geführt, das Völkerrecht missachtet und auch nicht die Lösung für eine Welt des Friedens ist. Hier müssen wir weiter klar bleiben. Ein Konstrukt wie die Nato kann kein Bezugspunkt für Linke sein.

Der gerechte Welthandel ist besonders wichtig, um auch zukünftige Konflikte und Kriege zu verhindern, indem man ihren Nährboden austrocknet. Können Wirtschaftsinteressen nicht mehr anders durchgesetzt werden, wird es wahrscheinlicher, dass sie militärisch abgesichert werden. Die Ausbeutung vor allem des globalen Südens durch große Konzerne des globalen Nordens hat die Destabilisierung ganzer Länder, Verarmung und Fluchtbewegungen zur Folge. Auch Umweltverschmutzung und Klimawandel tragen zusätzlich dazu bei. Kriege kommen nicht aus heiterem Himmel auf, sie haben Nährböden, auf denen sie wachsen. Diese Nährböden sind neben Ideologien wie Großmachtstreben vor allem die Ausweitung geopolitischer und ökonomischer Macht – explizit dann, wenn man von den kapitalistischen Zentren in die Peripherie gedrängt wird oder von dort nie weggekommen ist. Und umgekehrt wollen kapitalistische Zentren ihre Vormachtstellungen halten, zur Not militärisch abgesichert.

Eine nachhaltige Friedensordnung beinhaltet deshalb, dass die territorialen Einheiten, Staaten oder Wirtschaftsblöcke, keinen Wirtschaftskrieg gegeneinander führen und das rücksichtslose Streben nach Profitmaximierung von Konzernen vernünftigen Prinzipien zur Einrichtung der Welt weicht.

Rosa Luxemburgs Ausruf „Sozialismus oder Barbarei“, auch wenn er vielfach zum Marketing-Claim degradiert, entsprechend verhunzt wurde und so viel seiner Ernsthaftigkeit verloren hat, bleibt aktuell. Konflikt- und Kriegsprävention beinhaltet mehr als die Abwesenheit von Panzern und Schüssen. Abrüstung und Frieden müssen Elemente der Klimabewegung werden und umgekehrt nachhaltige, sozial gerechte Umwelt- und Klimapolitik, Ausstieg aus den fossilen Energieträgern Elemente der Friedenspolitik. Im Vergleich zum Aufrüstungspaket sind die Investitionen der Ampel in humanitäre Hilfe verschwindend gering. Die mangelnde Bekämpfung der weltweiten Armut und Hilfe bei humanitären Katastrophen ist also vorrangig eine Frage des politischen Willens, die anständige Bezahlung von Krankenschwestern hierzulande, eine gute Gesundheitsversorgung, Investitionen in die sozial-ökologische Transformation ebenso. Das haben wir drastisch vor Augen geführt bekommen, darauf müssen wir pochen.

Das systematische Aushöhlen des Völkerrechts durch vergangene imperiale Kriege, in die sich der Krieg Russlands nun einreiht, und parallel dazu die Verrechtlichung globaler Ausbeutung und privatrechtliche Absicherung transnationaler Konzerninteressen – es müsste umgekehrt sein und von der globalen Zivilgesellschaft eingefordert werden: Völkerrecht und Menschenrecht, statt Absicherung von Kapital- und Profitinteressen. Die Kämpfe gegen Ausbeutung, gegen Krieg, für Menschenrechte, Demokratie, Frieden, eine intakte Umwelt und globale Gerechtigkeit, sie hängen zusammen und können nur international wirksam geführt und gewonnen werden.

Für linke politische Akteure und Parteien müsste dies eine weitere Stärkung der internationalen Zusammenarbeit zur Folge haben. Was bedeutet linke internationale Solidarität konkret, in der Praxis, abseits von Papieren und Zoom-Meetings? Diese Frage sollten wir uns offen stellen mit dem Begehren, Antworten zu entwickeln, die tragfähig, konsequent, radikal und relevant sind. Eins steht allerdings fest: Militarisierung ist keine Solidarität.

„Brüder, nicht schiessen!“, stand auf einem Schild inmitten einer Demonstration der Novemberrevolution 1918. Kriege werden von Menschen begonnen, meist von denen, die nicht kämpfen müssen. Menschen können Kriege beenden, wenn sie sich als Brüder und Schwestern begreifen. Statt die Kriegslogik mitzumachen haben wir als Linke und als LINKE die Aufgabe, eine Welt zu skizzieren, die vorstellbar ist, jenseits von Krieg, Kapitalismus und Klimakollaps – und uns gemeinsam mit anderen auf den Weg zu machen.

Von der Aktualität des Antiimperialismus

Beitrag von Christine Buchholz

Der grausame Angriffskrieg Putins gegen die Ukraine ist eine Katastrophe. Dass die Bundesregierung und das sicherheitspolitische Establishment in Deutschland ihn nutzen wollen, um lange geforderte Aufrüstungsforderungen durchzusetzen, verwundert nicht. Das Plädoyer von Hedwig Richter, Historikerin an der Bundeswehruniversität in München, den «Friedenswunsch und den Verteidigungswillen in Einklang zu bringen», wird auch von Linken positiv aufgegriffen. DIE LINKE sollte aber keine friedenspolitische «Zeitenwende» einläuten und ihre friedenspolitischen Grundpositionen nicht aufgeben. Eine Verurteilung des russischen Angriffskriegs ist genauso geboten wie die Kritik an der NATO und der Aufrüstung der Bundeswehr. 

Russlands Überfall auf die Ukraine ist ein Akt imperialistischer Aggression

Russlands Überfall auf die Ukraine reiht sich ein in eine Serie blutiger Militärinterventionen unter Putins Oberbefehl. Russland unter Putin hat die tschetschenische Unabhängigkeitsbewegung niedergeschlagen, Krieg gegen Georgien geführt, die Krim annektiert, Syrien bombardiert, um die brutale Diktatur Baschar al-Assads zu retten, und kürzlich gegen die breit getragenen Proteste in Kasachstan interveniert. Putin hat den Krieg um einen Regime-Change in der Ukraine angekündigt und mit chauvinistischen Argumenten begründet. Die Expansionspolitik der russischen Regierung, ihre Militäreinsätze im Kaukasus, in Osteuropa und im Nahen Osten, sind imperialistischer Natur. Sie sind Ausdruck der Expansionsbestrebungen des russischen Kapitalismus und stehen in der Tradition der Unterdrückung nicht-russischer Völker durch das Zarenreich und den Stalinismus.

Den Preis für den Krieg zahlt die Bevölkerung in der Ukraine und darüber hinaus

Die Bevölkerung in der Ukraine ist das erste Opfer des Kriegs. Menschen werden getötet, verletzt und traumatisiert. Familien werden zerrissen, Städte verwüstet. Die Bilder aus der Ukraine bewegen zu Recht Menschen überall auf der Welt, die sich gegen den Krieg stellen und Solidarität mit den Opfern des Kriegs ausdrücken. Darüber hinaus bezahlt auch die Arbeiterklasse in Russland für diesen Krieg. Russische Soldaten sterben, und die Mehrheit der russischen Bevölkerung bekommt, im Unterschied zu den Oligarchen und Reichen, die Auswirkungen der Wirtschaftssanktionen im Alltag schmerzhaft zu spüren. Auch anderswo in Europa machen sich die Kriegsfolgen bemerkbar. Bereits jetzt droht der Konflikt auf den Westbalkan überzuspringen. Die Eskalationsdynamik, die sich entfalten würde, wenn ein NATO-Staat mit in den Krieg einbezogen würde, beträfe die breite Bevölkerung.

«Imperialismus» ist kein Etikett, das man einzelnen Staaten aufkleben kann 

Historiker*innen beklagen die «Rückkehr des Imperialismus». Als imperialistisch erscheint dieser Tage vor allem die Politik Putins. Aber so wenig, wie die ausschließliche Kritik an den USA oder der NATO als «imperialistisch» je richtig war, so falsch ist es jetzt, Russland als alleinige imperialistische Macht darzustellen. Der Imperialismus ist ein System rivalisierender Mächte der wirtschaftlich entwickeltesten und mächtigsten kapitalistischen Staaten, die um die Aufteilung der Welt untereinander im Streit liegen. Dieser Streit ist vor allem ökonomischer Natur, droht aber in Phasen der Stagnation und der Krisen politisch-militärische Formen anzunehmen. 

Seit dem Zweiten Weltkrieg haben die militärischen Führungsmächte der NATO – die USA, Großbritannien und Frankreich – zusammen mehr als 80 Kriege und militärische Operationen in allen Erdteilen geführt bzw. durchgeführt. Allein seit 1999 waren es vonseiten der NATO oder einzelner Staaten des Bündnisses 13 Kriege oder Militäroperationen, zum Beispiel gegen Irak, Afghanistan, Libyen, Jemen, Jugoslawien/Serbien, Tschad, Somalia, Mali. Keiner der Kriege war ein Verteidigungskrieg. Die NATO dient weder dem Friedenserhalt noch dem Erhalt der Unabhängigkeit kleinerer, wirtschaftlich schwächerer Nationen, sondern der militärischen Sicherung der wirtschaftlichen Expansionsbestrebungen der führenden westlichen Industriestaaten. Die Konkurrenz zwischen kapitalistischen Nationalstaaten ist die Triebfeder der Kriege. Wirtschaftliche Konkurrenz zwischen nationalen Monopolen und Konzernen schlägt in militärische Konkurrenz zwischen Nationalstaaten um. 

Vorgeschichte – Zerfall und Wiedererstarken des von Russland beherrschten Imperiums

Die sowjetische Armee wurde 1989 zum Rückzug aus Afghanistan gezwungen. Der russische Imperialismus hatte eine schwere Niederlage erlitten. Gorbatschow verkündete, die russische Armee werde – anders als in der DDR (1953), in Ungarn (1956) und in der Tschechoslowakei (1968) – nicht mehr bei Aufständen in Osteuropa intervenieren. Es kam zu großen Aufständen in der Sowjetunion, bei denen Bergarbeiter in Sibirien und in der Ukraine eine zentrale Rolle spielten. Die Arbeiterbewegung verschmolz mit den nationalen Unabhängigkeitsbewegungen. Insgesamt 14 Staaten spalteten sich von der Sowjetunion ab, das unmittelbare geografische Herrschaftsgebiet Moskaus verringerte sich um ein Viertel. Der Zerfallsprozess setzte sich in den 1990er-Jahren fort und drohte das restliche Russland zu ergreifen. Mitte des Jahrzehnts wurde die russische Armee in Tschetschenien geschlagen und war gezwungen, sich zurückzuziehen. Versuche, den Einfluss Russlands aufrechtzuerhalten, etwa über die sogenannte Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS), blieben erfolglos. 

Die Wende erfolgte unter Putin. Im Zweiten Tschetschenienkrieg zwischen 1999 und 2009 gelang es der russischen Armee, die Kontrolle über Tschetschenien wiederzuerlangen. Die Vernichtung der Städte, Massenmorde an jungen Männern, Vergewaltigungen und Plünderungen waren Teil der russischen Kriegsstrategie. Im Jahr 2008 überfiel die russische Armee Georgien. Als Begründung diente auch dort der angebliche Schutz russischer Bürger*innen im Ausland. Von daher war es schon immer falsch, den russischen Imperialismus zu negieren oder kleinzureden. Er dient den kapitalistischen Interessen und Bedürfnissen der russischen Oligarchen. Für den russischen Kapitalismus spielt die Ukraine eine wichtige ökonomische und geopolitische Rolle. Die Industrieproduktion war bis 2013 eng mit dem russischen Markt verbunden, das Land ist ein wichtiges Empfänger- und Transitland für russische Rohstoffe. Zudem hatte die Ukraine eine herausragende geopolitische Bedeutung. 

EU, NATO und interimperialistische Konkurrenz

Die Länder Osteuropas wurden nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der Auflösung des Warschauer Pakts sehr schnell wirtschaftlich und politisch in den Westen integriert, erst mit Freihandels- und mit Assoziierungsabkommen, schließlich mit der Aufnahme in die EU. Die Mehrheit der Menschen in Osteuropa begrüßte diese Entwicklung und verband damit die Hoffnung auf eine Verbesserung ihrer Lebensumstände. Die NATO-Osterweiterung und die EU-Beitritte der osteuropäischen Staaten gingen Hand in Hand. Es kam zu einer schrittweisen Neuaufteilung von Macht- und Einflusssphären in Ost- und Südosteuropa. Der Westen führte einen Wirtschaftskrieg gegen die ehemalige Sowjetunion, die zunehmend auf eine Beteiligung an der internationalen Arbeitsteilung angewiesen war.

Die NATO hatten die USA und ihre westlichen Verbündeten gegründet, um die im Zweiten Weltkrieg gewonnenen Einflussgebiete militärisch abzusichern. Später ermöglichte diese feste «Front» den USA, in der Welt Kriege zu führen, ohne Entlastungsangriffen in Europa befürchten zu müssen. Die NATO, deren Existenz mit der Bedrohung durch den Ostblock begründet wurde, blieb nach dessen Zusammenbruch bestehen und nutzte die Schwäche ihres russischen Rivalen, um nach Osten in dessen früheren Einflussbereich vorzustoßen. Durch Abkommen wie die NATO-Russland-Grundakte aus dem Jahr 1997 sollte ein gegenseitiges Vertrauensverhältnis aufgebaut werden, um einen «gemeinsamen Raum der Sicherheit und Stabilität» zu schaffen. Übersetzt bedeutete dies die Anerkennung der Neuaufteilung Osteuropas durch Russland. Im Gegenzug versprach die NATO, keine weiteren einseitigen Schritte zu unternehmen, die den geostrategischen Interessen Russlands schaden würden.

Zu dieser Zusage gehörte auch die Vereinbarung, dass es in den neuen osteuropäischen NATO-Staaten zu keiner nennenswerten Stationierung von Truppen aus anderen NATO-Staaten oder von Atomraketen kommen sollte. Aber in der kapitalistischen Weltordnung lässt sich die zwischenstaatliche Konkurrenz nicht dauerhaft durch Verträge und Absichtserklärungen eindämmen. Während Moskau die Tatsache akzeptieren musste, dass die drei baltischen Staaten 2004 der NATO beitraten, kam es zu offenen Konflikten um wirtschaftliche und geopolitische Interessen in der Ukraine, die über ein enormes wirtschaftliches Potenzial verfügt und als nördlicher Anrainerstaat des Schwarzen Meers strategisch wichtig ist.

Im Jahr 2013 unterbreitete die EU der ukrainischen Regierung ein Assoziierungsabkommen, das den Abbruch der wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland vorsah. Dies führte zu einer Spaltung unter den auch in der Ukraine wirtschaftlich herrschenden Oligarchen, da die Industriekonzerne der Ostukraine (Eisenerz, Kohle, Stahl, Gas) traditionell eng mit Russland verflochten waren. Die Massenproteste auf dem Maidan waren vor allem durch die sozialen Verwerfungen, die die Herrschaft der verschiedenen Oligarchen hervorgebracht hatte, und die Hoffnung motiviert, durch die Annäherung an die EU die Lebensumstände in der Ukraine zu verbessern. Die Frage der EU-Assoziierung wurde schließlich zum dominierenden Thema und führte in den Bürgerkrieg. Nachdem der Westen jahrelang militärisch immer weiter nach Osten vorgedrungen war, nutzte er seine wirtschaftliche Stärke, um russisches Kapital auch aus der Ostukraine zu verdrängen. Moskau reagierte militärisch, annektierte im März 2014 die Halbinsel Krim und unterstützt seitdem Sezessionsbestrebungen im Osten des Landes.

Mit der Krim-Krise ist eine neue Phase der Eskalation eingetreten

Ein neues Wettrüsten war die Folge. Beide Seiten demonstrierten Stärke und provozierten sich gegenseitig mit einem Ausmaß an militärischer Aktivität, wie es sie seit den 1980er-Jahren nicht mehr gegeben hatte. Diesen Prozess haben Russland ebenso wie die NATO in großem Umfang vorangetrieben. Die russische Regierung hat ihre Waffensysteme modernisiert, Kampfdrohnen entwickelt und die Rüstungsexporte gesteigert. Und die NATO hat eine «schnelle Eingreiftruppe» aufgebaut, ihre Truppenstationierung an der Ostflanke sowie ihre Marinepräsenz verstärkt und hält regelmäßig Manöver an Russlands Westgrenze ab. Das festzustellen ist keine Rechtfertigung für Putins Angriffskrieg. Es zeigt, dass das Reden von «Verteidigung» als eine rein defensive Taktik nicht der materiellen Realität der Genese des Konflikts entspricht.

Die NATO ist kein defensives Verteidigungsbündnis – sie ist ein imperialistisches Bündnis

Wer jetzt fordert, nicht länger die NATO zu kritisieren, der geht der Rhetorik der NATO auf den Leim, die ihre imperialen Interessen als Verteidigung tarnt. Und er verkennt die Realität imperialistischer Kriege, die immer grausam ist – auch wenn Medien und bürgerliche Öffentlichkeit einige von ihnen wahrnehmen, andere nicht. Die NATO bombardierte 1999 Serbien. Der Kosovokrieg führte zu Tausenden Toten, einer Herauslösung des Kosovos und einer permanenten NATO-Besatzung auf dem Balkan. Dem Angriff auf Afghanistan 2001 folgte eine 20-jährige Besatzung unter Führung der NATO. Viele NATO-Staaten waren zudem an der US-geführten «Koalition der Willigen» 2003 im Krieg gegen den Irak beteiligt (so Großbritannien, Italien oder die Niederlande) ebenso wie viele ehemalige Ostblockstaaten (darunter nicht nur neue NATO-Mitglieder, sondern auch die Ukraine, Georgien, Albanien und Mazedonien) sowie einzelne Staaten des globalen Südens. Die Bilanz dieser Kriege ist verheerend, Hunderttausende Menschen wurden verletzt und getötet, Millionen vertrieben. 

Der Umbau der Bundeswehr zur Einsatzarmee und ein Aufrüstungsschub sind langfristige Projekte des politischen Establishments

Die von Olaf Scholz ausgerufene «Zeitenwende» reiht sich ein in das Vorhaben der herrschenden Klasse Deutschlands seit 1991, die Bundeswehr in eine weltweit einsetzbare Armee umzuwandeln. Dieser Prozess, angestoßen unter der Regierung Kohl, vollzog sich Schritt für Schritt über die 1990er-Jahre, wie wir in einem gemeinsam von der Linksfraktion und der Rosa-Luxemburg-Stiftung 2016 herausgegebenen Schwarzbuch, dem «Kritischen Handbuch zur Aufrüstung und Einsatzorientierung der Bundeswehr», detailliert nachgezeichnet haben. 

Der frühere Bundespräsident Horst Köhler bezahlte seine Aussage zur Verteidigung wirtschaftlicher Interessen mit militärischen Mitteln 2010 noch mit seinem Amt. Es war nicht opportun, offen darüber zu sprechen, was bereits 1992 in die «Verteidigungspolitischen Richtlinien» als vitales Sicherheitsinteresse Deutschlands zur Begründung von Auslandseinsätzen geschrieben worden war: «Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt.» 

Auf der Münchener Sicherheitskonferenz im Januar 2014 verkündeten der sozialdemokratische Außenminister Steinmeier, die konservative Verteidigungsministerin von der Leyen und Bundespräsident Gauck ein offensiveres Verständnis von der Rolle Deutschlands. «Deutschland ist zu groß, um Weltpolitik nur von der Außenlinie zu kommentieren», so Steinmeier. Von der Leyen ergänzte: «Wenn wir über die Mittel und Fähigkeiten verfügen, dann haben wir auch eine Verantwortung, uns zu engagieren.» Gauck forderte, die Bundesrepublik sollte sich «früher, entschiedener und substanzieller einbringen».

Die neue Doktrin, die von der Leyen als «Münchner Konsens» bezeichnete, wurde im Januar 2014 vorgestellt. Das war sowohl vor der Massenflucht aus Syrien nach Europa und bevor der IS als Gefahr definiert wurde. Auch die Krimkrise eskalierte erst ab dem 25. Februar 2014, also mehr als drei Wochen nach den Reden Gaucks, von der Leyens und Steinmeiers in München. Da der Anspruch, Deutschland solle zu einer «Gestaltungsmacht» werden, die öfter und entschiedener militärisch eingreifen soll, für die kriegskritische Öffentlichkeit zu offensiv klang, wurde er nicht mit eigenen Interessen, sondern mit der vermeintlichen «Verantwortung» begründet. Dieser Gedanke wurde unter anderem in einem im September 2013 erschienenen Papier der Stiftung Wissenschaft und Politik mit dem Titel «Neue Macht, Neue Verantwortung» entwickelt. Im Weißbuch 2016 wurde der Faden fortgesponnen und der Anspruch erhoben, «die globale Ordnung aktiv mitzugestalten».

Verteidigungsministerin von der Leyen forderte massive Aufrüstungsschritte ein. Diese umfassten die Beschaffung zusätzlichen Materials vor allem im Zusammenhang mit dem Konflikt mit Russland, Maßnahmen zur Modernisierung bereits vorhandenen, aber technisch veralteten Materials sowie Maßnahmen zur «qualitativen Erweiterung des Fähigkeitsspektrums der Bundeswehr» für die zukünftigen Auslandseinsätze. In diesem Zusammen forderte das Ministerium in einem Schreiben an die Abgeordneten des Verteidigungsausschusses: «Die Ausgaben für Verteidigung müssen über die nächsten Jahre schrittweise deutlich ansteigen und dann verstetigt werden.» Ziel sei es, den Anteil der Rüstungsinvestitionen von etwa 14 auf 20 Prozent der Gesamtausgaben für Verteidigung zu steigern. Der Bedarf allein für diesen Ausgabenbereich betrage 130 Milliarden Euro bis zum Jahr 2030. 

Angela Merkel bekräftigte wiederholt das Ziel, zwei Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) für den Verteidigungshaushalt bereitzustellen. Zwischen 2014 und 2021 wurde der Militärhaushalt um 50 Prozent erhöht.  

An Krieg gewöhnen – niemals

«Die nüchterne Demokratie und Distanz zum Kriegerischen sind nobel», schreibt Hedwig Richter in ihrem Artikel in der Zeit. Und weiter: «Doch beides gehört zusammen, es muss zusammengehören: die diverse, freie Welt des Friedens und die rohe militärische Verteidigung.» Glaubt Hedwig Richter wirklich, es gäbe eine militärische Antwort auf die aktuelle Eskalation? Mich erinnert ihre Aussage an etwas anderes. 1991 hat der damalige Generalinspekteur der Bundeswehr, Admiral Dieter Wellershoff, auf einer Kommandeurstagung vor 480 ranghohen Offizieren beklagt: «Nicht die Überwindung von Angst, sondern das Ausleben von Angst ist zur Nationaltugend erhoben worden. […] Es ist zu fragen, ob wir nicht den Gedanken an Krieg, Tod und Verwundung zu weit in den Hintergrund geschoben haben.»

Die Anti-Kriegs-Stimmung in der Bevölkerung und eine kritische Haltung gegenüber Auslandseinsätzen der Bundeswehr sind lange Zeit Hindernisse für die Militarisierung der deutschen Außenpolitik gewesen und haben unter anderem Hunderttausende gegen den zweiten Golfkrieg 1991 und den Irakkrieg mobilisiert. Beide Mobilisierungen haben SPD und Grüne unterstützt – anders als die gegen den Kosovo- und den Afghanistankrieg. Im Zusammenhang mit der Beteiligung der Marine an Patrouilleneinsätzen der NATO zur Durchsetzung eines Embargos gegen Serbien in der Adria während des beginnenden Bürgerkriegs im ehemaligen Jugoslawien bemerkte der Spiegel 1992, dass «weder die Bürger noch die Bundeswehr auf solche militärischen Ausflüge vorbereitet» seien. Darauf antwortete Verteidigungsminister Rühe: «Das ist ja meine These. Deswegen müssen wir Schritt für Schritt vorgehen. Es geht auch nicht nur darum, die Soldaten, sondern die ganze Gesellschaft auf diese neuen Aufgaben vorzubereiten.» Diese Taktik in Richtung Einsatzarmee wurde in den folgenden Jahren systematisch umgesetzt. 

Letztlich war es die rot-grüne Bundesregierung mit der Beteiligung am Kosovokrieg 1999 und später am Afghanistankrieg, die den Tabubruch vollzog. Dies verunsicherte Teile der Bevölkerung, die noch gegen vorherige Kriege auf die Straße gegangen waren, und erschwerte den Aufbau einer Anti-Kriegs-Bewegung. Die heutige, von weiten Teilen der Medien unkritisch begleitete angekündigte Aufrüstung folgt keinem friedenspolitischen Impuls und wird auch keinen Frieden sichern. Sie lässt vor allem die Rüstungsindustrie jubeln. Sie folgt den strategischen Linien, die alle Bundesregierungen seit 1990 verfolgt haben: Sie dient der Normalisierung des Militärischen. Und sie führt direkt in den Burgfrieden der ganz großen Koalition, die diese Normalisierung befürwortet. Es ist kein Zufall, dass es der sozialdemokratische Kanzler Scholz und die grüne Außenministerin Baerbock sind, die diese massive Aufrüstung durchsetzen.

Neue Friedensengel – alte Interessen

Die wahren Interessen hinter Kriegen werden durch Argumente verborgen, die das kriegerische Vorgehen legitimieren sollen. Deswegen gehören Kriegslügen zum Krieg. Der angebliche «Genozid» an der russischsprachigen Bevölkerung in der Ukraine, den Putin als Kriegsbegründung anführt, zählt genauso dazu wie die angeblichen Massenvernichtungswaffen des Irak, die die US-Regierung 2003 als Rechtfertigung für den Krieg anführte. Deswegen sollte man auch hellhörig werden, wenn sich auf einmal diejenigen als Friedensengel gerieren, die jahrelang dem ungehemmten Kurs der Aufrüstung, der Eskalation und den imperialen Ambitionen Deutschlands und der EU das Wort geredet haben. In anderen Worten: Wenn Markus Söder auf der Friedenskundgebung in München spricht, läuft etwas falsch. 

Karl-Heinz Paqué, der Vorsitzende der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung, sagt auf deren Webseite deutlich, worum es geht: «In jedem Fall hängt die Glaubwürdigkeit der Wende maßgeblich davon ab, dass der neue Kurs auf Dauer erhalten bleibt. Der (bedingungslose) Pazifismus darf nicht wieder auferstehen. Dies zu gewährleisten ist in der Ampelkoalition eine zentrale Aufgabe der FDP – als jener Partei, die traditionell der Landesverteidigung im Rahmen der NATO und ihrer Finanzierung vorbehaltloser gegenübersteht als Grüne und SPD. Parlamentarisch sollte die CDU/CSU diesen neuen Kurs unterstützen, was sie in der historischen Debatte am vergangenen Sonntag tatsächlich getan hat. Die NATO-Partner in West und Ost danken es mit Applaus. Deren Erleichterung über die Botschaft der historischen Parlamentsdebatte war mit Händen zu greifen. Eine große Chance für das wertegebundene Militärbündnis des Westens!»

Die Arbeiterklasse, die Mehrheit der Bevölkerung, zahlt überall den Preis für imperialistische Politik. Auch in Deutschland werden Lohnabhängige und ihre Familien wieder einmal die Kosten für diese Politik der Militarisierung und des Kriegs tragen. 

«Nieder mit den Kriegshetzern diesseits und jenseits der Grenze!» (Karl Liebknecht)

Viele fordern von der LINKEN, ihre friedenspolitischen Positionen und ihre Haltung zur NATO zu überdenken. Ich habe begründet, warum ich davon nichts halte.  DIE LINKE darf zwei Fehler nicht machen: Zum einen war und ist es ein Fehler, die imperialistische Politik Russlands unter Putin zu verharmlosen und mit Kritik an seinem Militarismus, seinen Chauvinismus und der Repression von Opposition und Arbeiterklasse zu sparen. 

Das ist in der Vergangenheit immer wieder passiert und das haben ich und viele andere wiederholt kritisiert. Gerade ist mir eine Kontroverse um einen «Offenen Brief an Gorbatschow» zur Ausrichtung einer Weltfriedenskonferenz wieder in die Hände gekommen. Diesen offenen Brief, der als Antrag an den Bundesparteitag der LINKEN 2015 in Bielefeld gerichtet war, kritisierten mein leider im letzten Jahr verstorbener Genosse Klaus-Dieter Heiser und ich öffentlich, weil er die Kritik an Putin aussparte und nicht den Militarismus im eigenen Lager thematisierte. 

Als Liebknecht davon sprach, «der Hauptfeind steht im eigenen Land», meinte er, dass die Arbeiterklasse sich nicht hinter dem Nationalismus und den imperialistischen Interessen der eigenen herrschenden Klasse sammeln sollte. Das bedeutete nicht, dass sich die Friedenskräfte den Standpunkt des Gegners der eigenen herrschenden Klasse zu eigen machen sollten. Liebknecht forderte: «Nieder mit den Kriegshetzern diesseits und jenseits der Grenze!» Zum anderen war und ist es ein Fehler, unter dem Schock der Ereignisse, die friedenspolitischen Positionen der LINKEN aufzugeben. Nichts anderes ist 1914 angesichts des beginnenden Ersten Weltkriegs bei der SPD und 1999 beim Kosovokrieg bzw. 2001 nach den Terroranschlägen des 11. September mit der Zustimmung von SPD und Grünen zum Afghanistankrieg passiert. 

DIE LINKE begründet ihre Position oft pazifistisch. In einer Situation wie jetzt wird deutlich: Sie muss ihren Standpunkt antimilitaristisch und antiimperialistisch begründen. Auch wenn ihr der Wind ins Gesicht bläst. Das schließt die Frage nach der Gegenmacht zu den Triebkräften des Imperialismus mit ein. Ihre unmittelbare Aufgabe ist es, für eine Deeskalation in dieser brandgefährlichen Situation einzutreten und die drohende Aufrüstung zu bekämpfen. Das würde helfen, eine Friedensbewegung aufzubauen, die all diejenigen stärkt, die nicht der Aufrüstung und der Konfrontation das Wort reden wollen. 

Dieser Beitrag erschien zuerst auf rosalux.de