Kategorie: Außenpolitik

Von der Aktualität des Antiimperialismus

Beitrag von Christine Buchholz

Der grausame Angriffskrieg Putins gegen die Ukraine ist eine Katastrophe. Dass die Bundesregierung und das sicherheitspolitische Establishment in Deutschland ihn nutzen wollen, um lange geforderte Aufrüstungsforderungen durchzusetzen, verwundert nicht. Das Plädoyer von Hedwig Richter, Historikerin an der Bundeswehruniversität in München, den «Friedenswunsch und den Verteidigungswillen in Einklang zu bringen», wird auch von Linken positiv aufgegriffen. DIE LINKE sollte aber keine friedenspolitische «Zeitenwende» einläuten und ihre friedenspolitischen Grundpositionen nicht aufgeben. Eine Verurteilung des russischen Angriffskriegs ist genauso geboten wie die Kritik an der NATO und der Aufrüstung der Bundeswehr. 

Russlands Überfall auf die Ukraine ist ein Akt imperialistischer Aggression

Russlands Überfall auf die Ukraine reiht sich ein in eine Serie blutiger Militärinterventionen unter Putins Oberbefehl. Russland unter Putin hat die tschetschenische Unabhängigkeitsbewegung niedergeschlagen, Krieg gegen Georgien geführt, die Krim annektiert, Syrien bombardiert, um die brutale Diktatur Baschar al-Assads zu retten, und kürzlich gegen die breit getragenen Proteste in Kasachstan interveniert. Putin hat den Krieg um einen Regime-Change in der Ukraine angekündigt und mit chauvinistischen Argumenten begründet. Die Expansionspolitik der russischen Regierung, ihre Militäreinsätze im Kaukasus, in Osteuropa und im Nahen Osten, sind imperialistischer Natur. Sie sind Ausdruck der Expansionsbestrebungen des russischen Kapitalismus und stehen in der Tradition der Unterdrückung nicht-russischer Völker durch das Zarenreich und den Stalinismus.

Den Preis für den Krieg zahlt die Bevölkerung in der Ukraine und darüber hinaus

Die Bevölkerung in der Ukraine ist das erste Opfer des Kriegs. Menschen werden getötet, verletzt und traumatisiert. Familien werden zerrissen, Städte verwüstet. Die Bilder aus der Ukraine bewegen zu Recht Menschen überall auf der Welt, die sich gegen den Krieg stellen und Solidarität mit den Opfern des Kriegs ausdrücken. Darüber hinaus bezahlt auch die Arbeiterklasse in Russland für diesen Krieg. Russische Soldaten sterben, und die Mehrheit der russischen Bevölkerung bekommt, im Unterschied zu den Oligarchen und Reichen, die Auswirkungen der Wirtschaftssanktionen im Alltag schmerzhaft zu spüren. Auch anderswo in Europa machen sich die Kriegsfolgen bemerkbar. Bereits jetzt droht der Konflikt auf den Westbalkan überzuspringen. Die Eskalationsdynamik, die sich entfalten würde, wenn ein NATO-Staat mit in den Krieg einbezogen würde, beträfe die breite Bevölkerung.

«Imperialismus» ist kein Etikett, das man einzelnen Staaten aufkleben kann 

Historiker*innen beklagen die «Rückkehr des Imperialismus». Als imperialistisch erscheint dieser Tage vor allem die Politik Putins. Aber so wenig, wie die ausschließliche Kritik an den USA oder der NATO als «imperialistisch» je richtig war, so falsch ist es jetzt, Russland als alleinige imperialistische Macht darzustellen. Der Imperialismus ist ein System rivalisierender Mächte der wirtschaftlich entwickeltesten und mächtigsten kapitalistischen Staaten, die um die Aufteilung der Welt untereinander im Streit liegen. Dieser Streit ist vor allem ökonomischer Natur, droht aber in Phasen der Stagnation und der Krisen politisch-militärische Formen anzunehmen. 

Seit dem Zweiten Weltkrieg haben die militärischen Führungsmächte der NATO – die USA, Großbritannien und Frankreich – zusammen mehr als 80 Kriege und militärische Operationen in allen Erdteilen geführt bzw. durchgeführt. Allein seit 1999 waren es vonseiten der NATO oder einzelner Staaten des Bündnisses 13 Kriege oder Militäroperationen, zum Beispiel gegen Irak, Afghanistan, Libyen, Jemen, Jugoslawien/Serbien, Tschad, Somalia, Mali. Keiner der Kriege war ein Verteidigungskrieg. Die NATO dient weder dem Friedenserhalt noch dem Erhalt der Unabhängigkeit kleinerer, wirtschaftlich schwächerer Nationen, sondern der militärischen Sicherung der wirtschaftlichen Expansionsbestrebungen der führenden westlichen Industriestaaten. Die Konkurrenz zwischen kapitalistischen Nationalstaaten ist die Triebfeder der Kriege. Wirtschaftliche Konkurrenz zwischen nationalen Monopolen und Konzernen schlägt in militärische Konkurrenz zwischen Nationalstaaten um. 

Vorgeschichte – Zerfall und Wiedererstarken des von Russland beherrschten Imperiums

Die sowjetische Armee wurde 1989 zum Rückzug aus Afghanistan gezwungen. Der russische Imperialismus hatte eine schwere Niederlage erlitten. Gorbatschow verkündete, die russische Armee werde – anders als in der DDR (1953), in Ungarn (1956) und in der Tschechoslowakei (1968) – nicht mehr bei Aufständen in Osteuropa intervenieren. Es kam zu großen Aufständen in der Sowjetunion, bei denen Bergarbeiter in Sibirien und in der Ukraine eine zentrale Rolle spielten. Die Arbeiterbewegung verschmolz mit den nationalen Unabhängigkeitsbewegungen. Insgesamt 14 Staaten spalteten sich von der Sowjetunion ab, das unmittelbare geografische Herrschaftsgebiet Moskaus verringerte sich um ein Viertel. Der Zerfallsprozess setzte sich in den 1990er-Jahren fort und drohte das restliche Russland zu ergreifen. Mitte des Jahrzehnts wurde die russische Armee in Tschetschenien geschlagen und war gezwungen, sich zurückzuziehen. Versuche, den Einfluss Russlands aufrechtzuerhalten, etwa über die sogenannte Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS), blieben erfolglos. 

Die Wende erfolgte unter Putin. Im Zweiten Tschetschenienkrieg zwischen 1999 und 2009 gelang es der russischen Armee, die Kontrolle über Tschetschenien wiederzuerlangen. Die Vernichtung der Städte, Massenmorde an jungen Männern, Vergewaltigungen und Plünderungen waren Teil der russischen Kriegsstrategie. Im Jahr 2008 überfiel die russische Armee Georgien. Als Begründung diente auch dort der angebliche Schutz russischer Bürger*innen im Ausland. Von daher war es schon immer falsch, den russischen Imperialismus zu negieren oder kleinzureden. Er dient den kapitalistischen Interessen und Bedürfnissen der russischen Oligarchen. Für den russischen Kapitalismus spielt die Ukraine eine wichtige ökonomische und geopolitische Rolle. Die Industrieproduktion war bis 2013 eng mit dem russischen Markt verbunden, das Land ist ein wichtiges Empfänger- und Transitland für russische Rohstoffe. Zudem hatte die Ukraine eine herausragende geopolitische Bedeutung. 

EU, NATO und interimperialistische Konkurrenz

Die Länder Osteuropas wurden nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der Auflösung des Warschauer Pakts sehr schnell wirtschaftlich und politisch in den Westen integriert, erst mit Freihandels- und mit Assoziierungsabkommen, schließlich mit der Aufnahme in die EU. Die Mehrheit der Menschen in Osteuropa begrüßte diese Entwicklung und verband damit die Hoffnung auf eine Verbesserung ihrer Lebensumstände. Die NATO-Osterweiterung und die EU-Beitritte der osteuropäischen Staaten gingen Hand in Hand. Es kam zu einer schrittweisen Neuaufteilung von Macht- und Einflusssphären in Ost- und Südosteuropa. Der Westen führte einen Wirtschaftskrieg gegen die ehemalige Sowjetunion, die zunehmend auf eine Beteiligung an der internationalen Arbeitsteilung angewiesen war.

Die NATO hatten die USA und ihre westlichen Verbündeten gegründet, um die im Zweiten Weltkrieg gewonnenen Einflussgebiete militärisch abzusichern. Später ermöglichte diese feste «Front» den USA, in der Welt Kriege zu führen, ohne Entlastungsangriffen in Europa befürchten zu müssen. Die NATO, deren Existenz mit der Bedrohung durch den Ostblock begründet wurde, blieb nach dessen Zusammenbruch bestehen und nutzte die Schwäche ihres russischen Rivalen, um nach Osten in dessen früheren Einflussbereich vorzustoßen. Durch Abkommen wie die NATO-Russland-Grundakte aus dem Jahr 1997 sollte ein gegenseitiges Vertrauensverhältnis aufgebaut werden, um einen «gemeinsamen Raum der Sicherheit und Stabilität» zu schaffen. Übersetzt bedeutete dies die Anerkennung der Neuaufteilung Osteuropas durch Russland. Im Gegenzug versprach die NATO, keine weiteren einseitigen Schritte zu unternehmen, die den geostrategischen Interessen Russlands schaden würden.

Zu dieser Zusage gehörte auch die Vereinbarung, dass es in den neuen osteuropäischen NATO-Staaten zu keiner nennenswerten Stationierung von Truppen aus anderen NATO-Staaten oder von Atomraketen kommen sollte. Aber in der kapitalistischen Weltordnung lässt sich die zwischenstaatliche Konkurrenz nicht dauerhaft durch Verträge und Absichtserklärungen eindämmen. Während Moskau die Tatsache akzeptieren musste, dass die drei baltischen Staaten 2004 der NATO beitraten, kam es zu offenen Konflikten um wirtschaftliche und geopolitische Interessen in der Ukraine, die über ein enormes wirtschaftliches Potenzial verfügt und als nördlicher Anrainerstaat des Schwarzen Meers strategisch wichtig ist.

Im Jahr 2013 unterbreitete die EU der ukrainischen Regierung ein Assoziierungsabkommen, das den Abbruch der wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland vorsah. Dies führte zu einer Spaltung unter den auch in der Ukraine wirtschaftlich herrschenden Oligarchen, da die Industriekonzerne der Ostukraine (Eisenerz, Kohle, Stahl, Gas) traditionell eng mit Russland verflochten waren. Die Massenproteste auf dem Maidan waren vor allem durch die sozialen Verwerfungen, die die Herrschaft der verschiedenen Oligarchen hervorgebracht hatte, und die Hoffnung motiviert, durch die Annäherung an die EU die Lebensumstände in der Ukraine zu verbessern. Die Frage der EU-Assoziierung wurde schließlich zum dominierenden Thema und führte in den Bürgerkrieg. Nachdem der Westen jahrelang militärisch immer weiter nach Osten vorgedrungen war, nutzte er seine wirtschaftliche Stärke, um russisches Kapital auch aus der Ostukraine zu verdrängen. Moskau reagierte militärisch, annektierte im März 2014 die Halbinsel Krim und unterstützt seitdem Sezessionsbestrebungen im Osten des Landes.

Mit der Krim-Krise ist eine neue Phase der Eskalation eingetreten

Ein neues Wettrüsten war die Folge. Beide Seiten demonstrierten Stärke und provozierten sich gegenseitig mit einem Ausmaß an militärischer Aktivität, wie es sie seit den 1980er-Jahren nicht mehr gegeben hatte. Diesen Prozess haben Russland ebenso wie die NATO in großem Umfang vorangetrieben. Die russische Regierung hat ihre Waffensysteme modernisiert, Kampfdrohnen entwickelt und die Rüstungsexporte gesteigert. Und die NATO hat eine «schnelle Eingreiftruppe» aufgebaut, ihre Truppenstationierung an der Ostflanke sowie ihre Marinepräsenz verstärkt und hält regelmäßig Manöver an Russlands Westgrenze ab. Das festzustellen ist keine Rechtfertigung für Putins Angriffskrieg. Es zeigt, dass das Reden von «Verteidigung» als eine rein defensive Taktik nicht der materiellen Realität der Genese des Konflikts entspricht.

Die NATO ist kein defensives Verteidigungsbündnis – sie ist ein imperialistisches Bündnis

Wer jetzt fordert, nicht länger die NATO zu kritisieren, der geht der Rhetorik der NATO auf den Leim, die ihre imperialen Interessen als Verteidigung tarnt. Und er verkennt die Realität imperialistischer Kriege, die immer grausam ist – auch wenn Medien und bürgerliche Öffentlichkeit einige von ihnen wahrnehmen, andere nicht. Die NATO bombardierte 1999 Serbien. Der Kosovokrieg führte zu Tausenden Toten, einer Herauslösung des Kosovos und einer permanenten NATO-Besatzung auf dem Balkan. Dem Angriff auf Afghanistan 2001 folgte eine 20-jährige Besatzung unter Führung der NATO. Viele NATO-Staaten waren zudem an der US-geführten «Koalition der Willigen» 2003 im Krieg gegen den Irak beteiligt (so Großbritannien, Italien oder die Niederlande) ebenso wie viele ehemalige Ostblockstaaten (darunter nicht nur neue NATO-Mitglieder, sondern auch die Ukraine, Georgien, Albanien und Mazedonien) sowie einzelne Staaten des globalen Südens. Die Bilanz dieser Kriege ist verheerend, Hunderttausende Menschen wurden verletzt und getötet, Millionen vertrieben. 

Der Umbau der Bundeswehr zur Einsatzarmee und ein Aufrüstungsschub sind langfristige Projekte des politischen Establishments

Die von Olaf Scholz ausgerufene «Zeitenwende» reiht sich ein in das Vorhaben der herrschenden Klasse Deutschlands seit 1991, die Bundeswehr in eine weltweit einsetzbare Armee umzuwandeln. Dieser Prozess, angestoßen unter der Regierung Kohl, vollzog sich Schritt für Schritt über die 1990er-Jahre, wie wir in einem gemeinsam von der Linksfraktion und der Rosa-Luxemburg-Stiftung 2016 herausgegebenen Schwarzbuch, dem «Kritischen Handbuch zur Aufrüstung und Einsatzorientierung der Bundeswehr», detailliert nachgezeichnet haben. 

Der frühere Bundespräsident Horst Köhler bezahlte seine Aussage zur Verteidigung wirtschaftlicher Interessen mit militärischen Mitteln 2010 noch mit seinem Amt. Es war nicht opportun, offen darüber zu sprechen, was bereits 1992 in die «Verteidigungspolitischen Richtlinien» als vitales Sicherheitsinteresse Deutschlands zur Begründung von Auslandseinsätzen geschrieben worden war: «Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt.» 

Auf der Münchener Sicherheitskonferenz im Januar 2014 verkündeten der sozialdemokratische Außenminister Steinmeier, die konservative Verteidigungsministerin von der Leyen und Bundespräsident Gauck ein offensiveres Verständnis von der Rolle Deutschlands. «Deutschland ist zu groß, um Weltpolitik nur von der Außenlinie zu kommentieren», so Steinmeier. Von der Leyen ergänzte: «Wenn wir über die Mittel und Fähigkeiten verfügen, dann haben wir auch eine Verantwortung, uns zu engagieren.» Gauck forderte, die Bundesrepublik sollte sich «früher, entschiedener und substanzieller einbringen».

Die neue Doktrin, die von der Leyen als «Münchner Konsens» bezeichnete, wurde im Januar 2014 vorgestellt. Das war sowohl vor der Massenflucht aus Syrien nach Europa und bevor der IS als Gefahr definiert wurde. Auch die Krimkrise eskalierte erst ab dem 25. Februar 2014, also mehr als drei Wochen nach den Reden Gaucks, von der Leyens und Steinmeiers in München. Da der Anspruch, Deutschland solle zu einer «Gestaltungsmacht» werden, die öfter und entschiedener militärisch eingreifen soll, für die kriegskritische Öffentlichkeit zu offensiv klang, wurde er nicht mit eigenen Interessen, sondern mit der vermeintlichen «Verantwortung» begründet. Dieser Gedanke wurde unter anderem in einem im September 2013 erschienenen Papier der Stiftung Wissenschaft und Politik mit dem Titel «Neue Macht, Neue Verantwortung» entwickelt. Im Weißbuch 2016 wurde der Faden fortgesponnen und der Anspruch erhoben, «die globale Ordnung aktiv mitzugestalten».

Verteidigungsministerin von der Leyen forderte massive Aufrüstungsschritte ein. Diese umfassten die Beschaffung zusätzlichen Materials vor allem im Zusammenhang mit dem Konflikt mit Russland, Maßnahmen zur Modernisierung bereits vorhandenen, aber technisch veralteten Materials sowie Maßnahmen zur «qualitativen Erweiterung des Fähigkeitsspektrums der Bundeswehr» für die zukünftigen Auslandseinsätze. In diesem Zusammen forderte das Ministerium in einem Schreiben an die Abgeordneten des Verteidigungsausschusses: «Die Ausgaben für Verteidigung müssen über die nächsten Jahre schrittweise deutlich ansteigen und dann verstetigt werden.» Ziel sei es, den Anteil der Rüstungsinvestitionen von etwa 14 auf 20 Prozent der Gesamtausgaben für Verteidigung zu steigern. Der Bedarf allein für diesen Ausgabenbereich betrage 130 Milliarden Euro bis zum Jahr 2030. 

Angela Merkel bekräftigte wiederholt das Ziel, zwei Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) für den Verteidigungshaushalt bereitzustellen. Zwischen 2014 und 2021 wurde der Militärhaushalt um 50 Prozent erhöht.  

An Krieg gewöhnen – niemals

«Die nüchterne Demokratie und Distanz zum Kriegerischen sind nobel», schreibt Hedwig Richter in ihrem Artikel in der Zeit. Und weiter: «Doch beides gehört zusammen, es muss zusammengehören: die diverse, freie Welt des Friedens und die rohe militärische Verteidigung.» Glaubt Hedwig Richter wirklich, es gäbe eine militärische Antwort auf die aktuelle Eskalation? Mich erinnert ihre Aussage an etwas anderes. 1991 hat der damalige Generalinspekteur der Bundeswehr, Admiral Dieter Wellershoff, auf einer Kommandeurstagung vor 480 ranghohen Offizieren beklagt: «Nicht die Überwindung von Angst, sondern das Ausleben von Angst ist zur Nationaltugend erhoben worden. […] Es ist zu fragen, ob wir nicht den Gedanken an Krieg, Tod und Verwundung zu weit in den Hintergrund geschoben haben.»

Die Anti-Kriegs-Stimmung in der Bevölkerung und eine kritische Haltung gegenüber Auslandseinsätzen der Bundeswehr sind lange Zeit Hindernisse für die Militarisierung der deutschen Außenpolitik gewesen und haben unter anderem Hunderttausende gegen den zweiten Golfkrieg 1991 und den Irakkrieg mobilisiert. Beide Mobilisierungen haben SPD und Grüne unterstützt – anders als die gegen den Kosovo- und den Afghanistankrieg. Im Zusammenhang mit der Beteiligung der Marine an Patrouilleneinsätzen der NATO zur Durchsetzung eines Embargos gegen Serbien in der Adria während des beginnenden Bürgerkriegs im ehemaligen Jugoslawien bemerkte der Spiegel 1992, dass «weder die Bürger noch die Bundeswehr auf solche militärischen Ausflüge vorbereitet» seien. Darauf antwortete Verteidigungsminister Rühe: «Das ist ja meine These. Deswegen müssen wir Schritt für Schritt vorgehen. Es geht auch nicht nur darum, die Soldaten, sondern die ganze Gesellschaft auf diese neuen Aufgaben vorzubereiten.» Diese Taktik in Richtung Einsatzarmee wurde in den folgenden Jahren systematisch umgesetzt. 

Letztlich war es die rot-grüne Bundesregierung mit der Beteiligung am Kosovokrieg 1999 und später am Afghanistankrieg, die den Tabubruch vollzog. Dies verunsicherte Teile der Bevölkerung, die noch gegen vorherige Kriege auf die Straße gegangen waren, und erschwerte den Aufbau einer Anti-Kriegs-Bewegung. Die heutige, von weiten Teilen der Medien unkritisch begleitete angekündigte Aufrüstung folgt keinem friedenspolitischen Impuls und wird auch keinen Frieden sichern. Sie lässt vor allem die Rüstungsindustrie jubeln. Sie folgt den strategischen Linien, die alle Bundesregierungen seit 1990 verfolgt haben: Sie dient der Normalisierung des Militärischen. Und sie führt direkt in den Burgfrieden der ganz großen Koalition, die diese Normalisierung befürwortet. Es ist kein Zufall, dass es der sozialdemokratische Kanzler Scholz und die grüne Außenministerin Baerbock sind, die diese massive Aufrüstung durchsetzen.

Neue Friedensengel – alte Interessen

Die wahren Interessen hinter Kriegen werden durch Argumente verborgen, die das kriegerische Vorgehen legitimieren sollen. Deswegen gehören Kriegslügen zum Krieg. Der angebliche «Genozid» an der russischsprachigen Bevölkerung in der Ukraine, den Putin als Kriegsbegründung anführt, zählt genauso dazu wie die angeblichen Massenvernichtungswaffen des Irak, die die US-Regierung 2003 als Rechtfertigung für den Krieg anführte. Deswegen sollte man auch hellhörig werden, wenn sich auf einmal diejenigen als Friedensengel gerieren, die jahrelang dem ungehemmten Kurs der Aufrüstung, der Eskalation und den imperialen Ambitionen Deutschlands und der EU das Wort geredet haben. In anderen Worten: Wenn Markus Söder auf der Friedenskundgebung in München spricht, läuft etwas falsch. 

Karl-Heinz Paqué, der Vorsitzende der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung, sagt auf deren Webseite deutlich, worum es geht: «In jedem Fall hängt die Glaubwürdigkeit der Wende maßgeblich davon ab, dass der neue Kurs auf Dauer erhalten bleibt. Der (bedingungslose) Pazifismus darf nicht wieder auferstehen. Dies zu gewährleisten ist in der Ampelkoalition eine zentrale Aufgabe der FDP – als jener Partei, die traditionell der Landesverteidigung im Rahmen der NATO und ihrer Finanzierung vorbehaltloser gegenübersteht als Grüne und SPD. Parlamentarisch sollte die CDU/CSU diesen neuen Kurs unterstützen, was sie in der historischen Debatte am vergangenen Sonntag tatsächlich getan hat. Die NATO-Partner in West und Ost danken es mit Applaus. Deren Erleichterung über die Botschaft der historischen Parlamentsdebatte war mit Händen zu greifen. Eine große Chance für das wertegebundene Militärbündnis des Westens!»

Die Arbeiterklasse, die Mehrheit der Bevölkerung, zahlt überall den Preis für imperialistische Politik. Auch in Deutschland werden Lohnabhängige und ihre Familien wieder einmal die Kosten für diese Politik der Militarisierung und des Kriegs tragen. 

«Nieder mit den Kriegshetzern diesseits und jenseits der Grenze!» (Karl Liebknecht)

Viele fordern von der LINKEN, ihre friedenspolitischen Positionen und ihre Haltung zur NATO zu überdenken. Ich habe begründet, warum ich davon nichts halte.  DIE LINKE darf zwei Fehler nicht machen: Zum einen war und ist es ein Fehler, die imperialistische Politik Russlands unter Putin zu verharmlosen und mit Kritik an seinem Militarismus, seinen Chauvinismus und der Repression von Opposition und Arbeiterklasse zu sparen. 

Das ist in der Vergangenheit immer wieder passiert und das haben ich und viele andere wiederholt kritisiert. Gerade ist mir eine Kontroverse um einen «Offenen Brief an Gorbatschow» zur Ausrichtung einer Weltfriedenskonferenz wieder in die Hände gekommen. Diesen offenen Brief, der als Antrag an den Bundesparteitag der LINKEN 2015 in Bielefeld gerichtet war, kritisierten mein leider im letzten Jahr verstorbener Genosse Klaus-Dieter Heiser und ich öffentlich, weil er die Kritik an Putin aussparte und nicht den Militarismus im eigenen Lager thematisierte. 

Als Liebknecht davon sprach, «der Hauptfeind steht im eigenen Land», meinte er, dass die Arbeiterklasse sich nicht hinter dem Nationalismus und den imperialistischen Interessen der eigenen herrschenden Klasse sammeln sollte. Das bedeutete nicht, dass sich die Friedenskräfte den Standpunkt des Gegners der eigenen herrschenden Klasse zu eigen machen sollten. Liebknecht forderte: «Nieder mit den Kriegshetzern diesseits und jenseits der Grenze!» Zum anderen war und ist es ein Fehler, unter dem Schock der Ereignisse, die friedenspolitischen Positionen der LINKEN aufzugeben. Nichts anderes ist 1914 angesichts des beginnenden Ersten Weltkriegs bei der SPD und 1999 beim Kosovokrieg bzw. 2001 nach den Terroranschlägen des 11. September mit der Zustimmung von SPD und Grünen zum Afghanistankrieg passiert. 

DIE LINKE begründet ihre Position oft pazifistisch. In einer Situation wie jetzt wird deutlich: Sie muss ihren Standpunkt antimilitaristisch und antiimperialistisch begründen. Auch wenn ihr der Wind ins Gesicht bläst. Das schließt die Frage nach der Gegenmacht zu den Triebkräften des Imperialismus mit ein. Ihre unmittelbare Aufgabe ist es, für eine Deeskalation in dieser brandgefährlichen Situation einzutreten und die drohende Aufrüstung zu bekämpfen. Das würde helfen, eine Friedensbewegung aufzubauen, die all diejenigen stärkt, die nicht der Aufrüstung und der Konfrontation das Wort reden wollen. 

Dieser Beitrag erschien zuerst auf rosalux.de

Zum Angriff auf die Ukraine

Gastbeitrag von Rolf Schümer

Zunächst das Wichtigste: Wir alle stimmen überein in der Überzeugung, dass wir für Frieden und Abrüstung eintreten, uns imperialistischen Kriegen und ihrer Vorbereitung entgegenstellen und so auch die russische Aggression auf das Schärfste verurteilen. Aber diese Grundhaltung allein reicht nicht aus, um in der aktuellen Situation klare Positionen zu beziehen.

Wie sieht die gesamte internationale Lage aus?
In einer Zeit knapper werdender Ressourcen durch fortgesetzten Raubbau und den zunehmenden Folgen von Umweltzerstörung und Klimawandel verschärfen sich die Widersprüche und die Konkurrenz zwischen imperialistischen Staaten, die die aggressivsten von ihnen auch mit kriegerischen Mitteln lösen wollen. Es war deutsche Imperialismus, der mehrfach diese Rolle spielte. Von 1945 bis 2014 waren es die USA. Heute heißt der gefährlichste und aggressivste Imperialist Russland, morgen kann es China sein.
Für viele von uns eine bittere Erkenntnis. Viele haben gehofft, sich gewünscht oder geglaubt, dass ein Land wie Russland, das mit Millionen Toten die Hauptlast bei der Zerschlagung des Hitlerfaschismus trug, niemals zu einem Aggressor werden würde.
Und noch etwas gehört zur bitteren Erkenntnis:
Russlands Politik hat nichts mehr mit einem antifaschistischen Kampf zu tun, im Gegenteil seine Führung unterstützt und finanziert Rechtspopulisten und Neonazis in vielen Ländern. Und in keinem anderen europäischen Land klafft die Schere zwischen Arm und Reich so weit auseinander, gibt es mehr soziale Ungerechtigkeit als in Russland. Auch die staatlichen Repressionen gegen Andersdenkende belegen den europäischen Spitzenplatz.
Die Durchsetzung imperialistischer und geostrategischer Interessen von den Herrschenden in kapitalistischen Ländern stimmen niemals mit den Interessen der Völker überein. Als Internationalisten treten wir imperialistischer Politik entgegen, ganz gleich, ob sie von Russland, China, den USA oder der EU betrieben wird. Es gilt der Satz von Karl Liebknecht: Der Hauptfeind steht im eigenen Land.
Wenn ein Volk, wie jetzt das der Ukraine, Opfer eines imperialistischen Überfalls wird, dann stehen wir solidarisch auf seiner Seite, dann muss das Blutvergießen so schnell wie möglich beendet, als erster Schritt ein umfassender Waffenstillstand vereinbart werden. Die Erzwingung eines Waffenstillstandes ist nur möglich, wenn der Aggressor seine Ziele nicht verwirklichen kann und daher muss er maximal geschwächt werden. Dem Waffenstillstand würden keine Friedensverhandlungen, sondern ein langwieriger Guerillakrieg folgen, wenn die Ukraine komplett besetzt wäre und nicht als souveräner Verhandlungspartner am Tisch sitzen kann. Um das zu verhindern, reichen Sanktionen nicht aus, die nur die russische Führung und die Oligarchen treffen. Viele Beispiele in der Geschichte zeigen, dass eine Bevölkerung, die zunehmend unter den Kriegslasten leidet, sich gegen die jeweilige Regierung stellt.

Lesen wir die aktuellen Stellungnahmen von linken Parteien und Organisationen aus Lateinamerika, so fällt auf, dass hier viel öfter auf die Mitverantwortung von USA und Nato an der entstandenen Lage hingewiesen wird als in Stellungnahmen der Linken in osteuropäischen Staaten. Das ist auch nicht verwunderlich. Während die einen mehrfach erleben mussten, wie sich die USA mit Organisieren von Militärputschen und offenen Interventionen gegen die Interessen der lateinamerikanischen Völker stellten, ihre Länder als den eigenen Hinterhof einstuften, fühlen sich in Osteuropa, auch wegen historischer Erfahrungen, die Menschen von russischem Großmachtstreben bedroht.

Die Mitgliedschaft in der Nato als Schutz davor zu verstehen, ist in der aktuellen Lage ebenso verständlich wie verhängnisvoll. Niemand ist als Spielball geostrategischer Interessen auf Dauer sicher, weil sie mit Aufrüstung und Militarisierung künftige Kriegsgefahren beinhalten. Unsere Position zur Auflösung sämtlicher Militärbündnisse bleibt richtig, dauerhaften Frieden kann es nur in einer entmilitarisierten Welt geben. Auf dem Weg dahin können Schritte durchgesetzt werden, die uns diesem Ziel näher bringen. Zum Beispiel ein Verbot der Stationierung von Soldaten und Waffen außerhalb des eigenen Landes, was weltweit die Abschaffung aller Militärstützpunkte zur Folge hätte, egal von welchen Staat oder Bündnis sie betrieben werden.
Auch eine dauerhafte und friedliche Lösung des aktuellen Konfliktes sollte so aussehen, dass es für alle Seiten schwieriger wird, geostrategische Ziele in Europa durchzusetzen, indem nicht weniger, sondern mehr Staaten sich der Neutralität verpflichten. Dabei kann die Ukraine den Anfang machen. Wie sich das im Einzelnen gestaltet, ist Aufgabe und Inhalt der hoffentlich baldigen Friedensverhandlungen zwischen der Ukraine und Russland.
Die Ukraine hat eine bürgerlich-demokratische Regierung, der auch Rechtsextremisten angehören. Das ist leider so, aber das macht aus der Ukraine keinen faschistischen Staat. Den Einfluss von Nazis und Nationalisten zurückzudrängen, die rechtsradikalen Verbände wie das Asow-Bataillon aufzulösen, das muss das Ziel der Linkskräfte in der Ukraine sein, wenn wieder Frieden herrscht und dabei haben sie unsere uneingeschränkte Solidarität und Unterstützung.
In der aktuellen Lage, im Widerstand gegen den Aggressor, sind solche Forderungen schwer umzusetzen. So richtig wie es ist, das Vorhandensein solcher faschistischen Kräfte ist zu benennen und zu verurteilen, es darf aber nicht zur unkritischen Übernahme russischer Propaganda führen oder so wahrgenommen werden können. Auch in der aktuellen Lage den Schwerpunkt auf die Mitschuld der Nato zu legen, würden viele in der Friedensbewegung als Verharmlosung der russischen Aggression oder sogar als indirektes Partei ergreifen für Putin missverstehen und wir uns isolieren.
Es solidarisieren sich Millionen Menschen in der ganzen Welt mit dem Verteidigungskampf des ukrainischen Volkes. Die Bourgeoisie versucht daraus Kapital zu schlagen, indem sie diesen Kampf zu einer Auseinandersetzung zwischen „Freiheit und Demokratie“ auf der einen Seite und „Autokratie und Diktatur“ auf der anderen darstellt. So will sie die Zustimmung einer Bevölkerungsmehrheit für Militarisierung der EU und beschleunigte Aufrüstung erreichen. Es liegt auch uns, dass diese Rechnung nicht aufgeht. Denn in der Folge eines neuen Wettrüstens zwischen imperialistischen Staaten wächst nicht nur die weitere Vergeudung von Rohstoffen und Energie, sondern auch die Gefahr eines nuklearen Weltkrieges.
Alte und neue Kalte Krieger sprechen von einer „Zeitenwende“, die gar keine ist. Es handelt sich nur eine beschleunigte und offenere Fortsetzung der alten Politik als Teil des Nato-Bündnisses.
Und wer stärker an die Öffentlichkeit tritt, sind die Befürworter einer hochgerüsteten EU, die in der Lage wäre, Kriege zu führen, auch ohne Unterstützung durch die USA. Sie repräsentieren den aggressivsten Teil des europäischen Kapitals, das von einer eigenen Geostrategie und ihrer Durchsetzung träumt.

Was die Folgen der Sanktionen gegen Russland für die Bevölkerung Europas und anderer Kontinente betrifft, da fordern wir soziale Gerechtigkeit, es dürfen nicht die Ärmsten die Zeche zahlen, weder im eigenen Land noch anderswo. Wer viel hat, kann auch viel abgeben. Das gilt auch für die Auswirkungen von Importstopps von russischem Gas, Öl oder Kohle.
Wir fordern, die notwendigen Maßnahmen bei Klima- und Umweltschutz zu beschleunigen, dafür die 100 Milliarden zu verwenden anstatt für Aufrüstung.
Anstatt Kohlekraftwerke länger laufen lassen zu wollen oder Atomkraftwerke wieder in Betrieb nehmen zu wollen, müssen die erneuerbaren Energien schneller entwickelt werden.
Wenn trotzdem Energieeinsparungen erforderlich sind, was wahrscheinlich ist, dann sollten als erstes die Rüstungskonzerne ihre Produktion einstellen und dann die Betriebe, die nicht nachhaltig und ökologisch produzieren, solche, die Waren herstellen, die keine echten Bedürfnisse befriedigen oder auf der Ausbeutung von Menschen, Rohstoffen und Natur in anderen Kontinenten basieren.
Es wäre auch der Zeitpunkt für eine Verkehrswende, die die Zulassung von Kraftfahrzeugen für den Individualverkehr deutlich herunterfährt, den öffentlichen Nahverkehr zum Nulltarif ausbaut, nicht einen einzigen weiteren Autobahnkilometer realisiert.

Wir müssen zu denjenigen gehören, die eine wirkliche Zeitenwende definieren:
Zu einer dauerhaften und weltweiten Friedensordnung gehört ein Wirtschaftssystem, das unserem Planeten nur so viele Rohstoffe entnimmt, die Natur nur so weit belastet, wie die Erde selbst regenerieren kann. Ob wir das als Abschaffung der kapitalistischen Eigentumsverhältnisse so benennen oder nicht, es ergibt sich aus der Notwendigkeit, den Weg des Wachstumswahn zu verlassen und klimaneutrale und sozial gerechte Alternativen durchzusetzen. Der dafür zur Verfügung stehende Zeitraum ist klein. Die wichtigsten Kippelemente werden in den nächsten zehn Jahren überschritten. Auch das verlangt neue Überlegungen für unser Handeln. Die wichtigste Frage dabei lautet: Wie können wir beitragen, im Bündnis mit welchen Kräften, eine sogenannte kritische Masse in der Gesellschaft in diesem Zeitraum zu bilden, die in der Lage ist, „die gesellschaftlichen Verhältnisse zum Tanzen zu bringen“(Karl Marx).

Für viele der innerparteilichen Meinungsverschiedenheiten gibt es Ursachen, die sehr lange zurückliegen und es wird auch Zeit brauchen diese Differenzen zu überwinden, weil dazu viele geduldige Debatten nötig sind und nicht das Fordern den Ausschlusses des jeweils anderen oder seine öffentlichen Ausgrenzung.

Wir brauchen eine Taktik und Strategie, durch die wir nicht nur als sich in den grundsätzlichen Fragen einige Partei wahrgenommen werden. Dazu brauchen wir neue politische Projekte, die der politischen Landschaft und Auseinandersetzung im Land emanzipatorischen Auftrieb geben.

Nein zum Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine!

Nein zu dem größten Rüstungsprogramm in der Geschichte der Bundesrepublik! – Milliarden für Klimaschutz und Soziales nicht für Aufrüstung und Krieg!

Beitrag von Christine Buchholz, Karolin Guhlke (SDS Bundesvorstand), Achim Kessler, Ferat Ali Kocak (MdA Berlin), Ulrich Wilken (MdL Hessen)

Auf Befehl des russischen Präsidenten Wladimir Putin führt die russische Armee Krieg gegen die Ukraine. Moskau behauptet, eine Friedensmission durchzuführen. Das ist eine Lüge. Putin geht es darum, die russische Vorherrschaft über die Ukraine und die Region wiederherzustellen. Der Krieg um die Ukraine reiht sich ein in eine Serie russischer Militärinterventionen unter Putin und ist zugleich deren katastrophaler Höhepunkt. Dieser Angriffskrieg Russlands ist zu verurteilen. Wir fordern einen sofortigen Waffenstillstand und den Abzug der russischen Truppen aus der Ukraine.
 
Die alleinige Verantwortung für diesen Angriffskrieg liegt bei der russischen Regierung. Gleichzeitig gibt es eine Vorgeschichte. Seit 2014 ist die Ukraine zu einem Spielball der Auseinandersetzung zwischen der Nato und der EU auf der einen Seite und Russland auf der anderen Seite gemacht worden. Wir halten fest: Die Nato ist kein Verteidigungsbündnis demokratischer Werte; sie ist ein Militärbündnis, das weltweit den Kampf um Rohstoffe, Märkte und politische Macht der westlichen Mächte unter Führung der USA anheizt. Ob Moskau, Washington oder Berlin: Schluss mit dem Militarismus. Die Welt wird nicht friedlicher, wenn es ein neues Wettrüsten gibt. 
 
Im Kern handelt es sich um einen Konflikt zwischen dem mächtigsten imperialistischen Block auf der Welt, den Vereinigten Staaten mit seinen europäischen Verbündeten einerseits, und Russland, einer ökonomisch schwächeren aber militärisch starken, ebenso brutalen imperialistischen Macht, andererseits. Dieser Kampf um Einflusszonen bringt die Welt an den Rand eines Krieges, der die Menschheit auszulöschen droht. Deshalb ist Deeskalation das Gebot der Stunde. Die russischen Truppen müssen aus der Ukraine und die Nato-Kräfte von der russischen Grenze zurückgezogen werden. Menschen dürfen nicht zum Spielball der Großmächte gemacht werden – nicht in der Ukraine und nirgendwo. 
 
Wir kritisieren Forderungen nach Waffenlieferungen des Westens an die Ukraine. Diese Waffenlieferungen gießen Öl ins Feuer und heizen die Spirale des Wettrüstens weiter an.
 
Das Selbstbestimmungsrecht der Völker in der Ukraine wird in diesem Stellvertreterkrieg von allen Seiten instrumentalisiert. Lohnabhängige, Bauern, Studierende oder Arbeitslose und ihre Familien haben nichts von der Entfesselung des Nationalismus und Militarisierung in ihrem Land. Die acht Jahre dauernden Kämpfe in der Ostukraine haben bereits über 14.000 Menschen das Leben gekostet. Millionen Menschen sind auf humanitäre Hilfe angewiesen. Auch jetzt flüchten Millionen Menschen, um ihr Leben und das ihrer Familien zu schützen. Die ukrainische Bevölkerung braucht keine weiteren Armeen, weder die Russlands, noch der Nato! Wir fordern stattdessen den Erlass der 113 Milliarden US-Dollar Auslandsschulden der Ukraine sowie schnelle humanitäre Hilfe für die Menschen in der Ukraine. 

Wir stehen an der Seite der demokratischen Kräfte in der Ukraine, die sich für eine unabhängige Ukraine einsetzen, und der Anti-Kriegsbewegung in Russland, die gegen diesen Angriffskrieg kämpft. Wir erinnern daran, dass es eine Tradition des Antimilitarismus in Russland gibt: 1989 gab es nach dem über zehnjährigen Krieg der Roten Armee in Afghanistan – mit einer Millionen Toten unter der afghanischen Bevölkerung und über 50.000 Toten und vielen Verletzten unter den russischen Besatzungstruppen – in Moskau und vielen anderen russischen Städten Demonstrationen von betroffenen Müttern, deren Söhne in Afghanistan getötet oder verletzt wurden. 
 
Solidarität mit der Anti-Kriegsbewegung in Russland bedeutet hierzulande auch die Zurückweisung der Sanktionen des Westens, denn sie treffen nicht nur Putin und die Oligarchen, sondern auch die russische Bevölkerung. Dabei sind sie Wasser auf Putins Propaganda-Mühlen und helfen ihm, die Bevölkerung hinter sich zu sammeln. 
 
Wir verurteilen die von der Bundesregierung geplante massive Aufrüstung der Bundeswehr. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) will 100 Milliarden Euro für die Aufrüstung der Bundeswehr bereitstellen sowie die jährlichen Militärausgaben auf das Zwei-Prozent-Ziel der Nato erhöhen und Kampfdrohnen für die Bundeswehr beschaffen. Es ist das größte Aufrüstungsprogramm in der Geschichte der Bundesrepublik. In Zeiten weltweiter Armut, Klimakrise, Niedriglöhnen und maroder Infrastruktur in Schulen und Krankenhäusern oder fehlenden bezahlbaren Wohnungen ist das fatal. Die Lohnabhängigen und ihre Familien werden wieder einmal den Preis für diese Politik der Militarisierung und des Krieges bezahlen. Die Welt wird nicht friedlicher, wenn es ein neues Wettrüsten gibt. Gleichzeitig sind die CO2-Emissionen des Militärs enorm. Abrüstung muss Thema auch der Klimapolitik werden! 
 
Wir rufen auf, gemeinsam auf die Straße zu gehen und eine Protestbewegung gegen den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine und gegen die Pläne für ein neues Wettrüsten der Bundesregierung aufzubauen.
 
Wir fordern von der Bundesregierung: 
– Diplomatische Bemühungen für einen sofortigen Waffenstillstand, mit dem Ziel, dass Russland die Truppen abzieht. 
– Keine Erhöhung des Bundeswehretats: 100 Milliarden für Klimaschutz und Soziales – nicht für Aufrüstung und Krieg.
– Grenzen auf für Geflüchtete – Abschiebungen stoppen.
– Solidarische Aufnahme von Kriegsdienstverweigerern aus Russland und der Ukraine.
– Keine Waffenlieferungen von Deutschland an die Ukraine.
– Erlass der 113 Milliarden US-Dollar Auslandsschulden der Ukraine, sowie schnelle humanitäre Hilfe für die Menschen in der Ukraine. 
– Nein zu den Sanktionen der EU und Deutschlands gegen Russland.
– Keine Entsendung von Truppen der Bundeswehr im Rahmen der schnellen Eingreiftruppe der NATO.
– Keine Ausweitung der NATO.

„Die Waffen nieder“ reicht nicht: Wo linke Antworten auf den Krieg ansetzen können

Beitrag von Moritz Warnke

Wir erleben eine politische Zäsur in Deutschland, die die Handlungsbedingungen aller Akteure im kommenden Jahrzehnt maßgeblich prägen wird. Worin besteht die Zäsur? Nicht darin, dass es Krieg in Europa gibt. Den gab es bekanntlich bereits in den 1990er Jahren in Jugoslawien (bzw. seinen Nachfolgestaaten) und auch schon die letzten acht Jahre im Osten der Ukraine. Dennoch erleben wir ein 9/11-Moment, weil der politische Diskurs einer Großverschiebung unterliegt. Außenministerin Annalena Baerbock spricht im Bundestag von einer Wende der deutschen Außenpolitik „um 180 Grad“ und die Ampel-Koalition hat am Sonntag unter Führung von Olaf Scholz  beschlossen, dass das massive Aufrüstungsprogramm in Form des 2%-Ziels der NATO bereits dieses Jahr erfüllt und dafür eine Sonderkreditaufnahme in Höhe von 100 Milliarden Euro vorgenommen wird.

Es werden unangenehme Zeiten und plötzlich liegt für alle, die daran Zweifel hatten, auf der Hand, warum es eine politische Kraft im Bundestag braucht, die links von SPD und Grünen steht. Mit dem von der Ampel eingeschlagenen Kurs ändert sich die politische Konstellation im Land und auch für die Linke. Der allgemeine Wunsch nach Frieden, die Parole ‚Die Waffen nieder’ und die allgemeine Forderung zur Bekämpfung der Ursachen von Konflikten und Gewalt in der Welt können dabei konkrete Antworten auf den Konflikt nicht ersetzen. Möchte die Linke mit ihren Antworten überzeugen, kann sie nicht am konkreten Konflikt vorbeisprechen. Sie muss die Menschen davon überzeugen, dass der Umgang mit dem Konflikt bei der Linken besser aufgehoben wäre, wäre sie in der Position, das Handeln bestimmen zu können. Nach Lage der Dinge umfasst die Strategie der Bundesregierung in der aktuellen Krise Antworten in (mindestens) diesen vier Bereichen, auf die es von links konkrete Antworten braucht.

1. Aufrüstung

Zunächst muss man die Größenordnung des beschlossenen Aufrüstungsprogramms verstehen. Es geht um 100 Milliarden als Sondervermögen und die Bekräftigung des Versprechens, zukünftig dauerhaft 2 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung ins Militär zu stecken. Zum Vergleich: Die Corona-Sonderzahlung für Pflegekräfte hat ein Volumen von 1 Milliarde. Raul Zelik wies in einem Beitrag auf Twitter darauf hin, dass sich mit dieser Summe der Hunger auf der gesamten Welt bis 2030 abschaffen ließe und somit viel Leid verhindert werden könnte.

Das Aufrüstungsprogramm ist auch deshalb wenig überzeugend, weil es komplett wirkungslos gegenüber der gegenwärtigen oder vergleichbaren Situationen in Zukunft ist. Es ist eine Scheinlösung, an der vor allem Rüstungskonzerne verdienen. Der deutsche Militärhaushalt ist bereits jetzt der siebtgrößte der Welt. Dirk Hierschel, Chef-Ökonom bei ver.di, weist darauf hin, dass die Militärausgaben der NATO-Staaten jetzt schon mehr als 17 mal so hoch wie diejenigen Russlands sind. Und trotzdem hat dies Putin nicht von dem Angriff auf die Ukraine abgehalten.

Die finanzpolitische Konstruktion der Ampel für das Aufrüstungsprogramm ist einen näheren Blick wert. Es handelt sich bei den 100 Milliarden Sondervermögen einerseits und dem Einhalten des 2-Prozent-Ziels andererseits nicht wie zunächst von vielen angenommen, um zwei getrennte Vorgänge. Stattdessen wird das kreditfinanzierte Sondervermögen benutzt, um die Einhaltung des 2-Prozent-Ziels bereits ab diesem Jahr zu sichern. Die Summe von 100 Milliarden erklärt sich so: aktuell liegt der Bundeswehretat bei 50,3 Milliarden (seit 2014 bereits ein Aufwuchs um 55 Prozent, von 32,4 auf 50,3 Milliarden). Nimmt man das BIP 2021 als Grundlage (3.570,6 Milliarden Euro BIP) zur Berechnung des 2-Prozent-Ziels, dann hieße das, dass der Verteidigungshaushalt auf über 71,4 Milliarden anwachsen muss (dies entspräche einer Erhöhung um 41,9 Prozent zum aktuellen Niveau). Es entsteht also eine jährliche „Deckungslücke“ von rund 20 Mrd. Diese soll nun, wie Scholz laut Süddeutscher Zeitung am Dienstag den völlig überrumpelten Fraktionen im Bundestag erläuterte, aus dem kreditfinanzierten Sondervermögen in den nächsten fünf Jahren gedeckt werden. Warum fünf Jahre? Das ist der Zeitraum der allgemeinen Haushaltsplanung des Bundestags. Damit sichern Scholz und Lindner ab, dass das Aufrüstungsprogramm nicht zum finanzpolitischen Problem für die Ampel wird – denn die Finanzierung des 2-Prozent-Ziels passiert gewissermaßen außer der Reihe, über Kredite, die parallel zur Schuldenbremse ermöglicht werden. Die Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag müssen damit nicht zurückstehen, womit politischer Druck von der Koalition genommen wird. Doch wie wird eine solche Kreditaufnahme trotz Schuldenbremse möglich? Die Antwort ist: indem sie als gleichrangiges Ziel in die Verfassung aufgenommen werden soll. Deshalb muss auch die CDU ins Boot geholt werden. Da das Sondervermögen in fünf Jahren aufgebraucht sein wird, steht die nächste Bundesregierung ab 2027 vor dem Problem, das 2-Prozent-Ziel aus dem regulären Bundeshaushalt zu finanzieren. Damit dürfte einerseits ein wichtiges Thema für den Bundestagswahlkampf 2025 gesetzt sein, andererseits haben sich die Chancen für ein rot-rot-grünes Reformbündnis unter diesen Bedingungen deutlich reduziert. Denn auch wenn linke Ökonom*innen zurecht darauf hinweisen, dass dies kein Naturgesetz ist, so ist unter den gegebenen politischen Kräfteverhältnissen und Handlungsbedingungen (Schuldenbremse) damit zu rechnen, dass dieses Aufrüstungsprogramm langfristig (ab 2027) zu Einsparungen an anderer Stelle führen wird. 

Eine linke Antwort in dieser Auseinandersetzung liegt auf der Hand: Erstens keine Aufrüstung und zweitens muss die Schuldenbremse fallen, nicht zuletzt um die notwendigen Klimainvestitionen (auch ohne Schattenhaushalte) zu ermöglichen.

2. Waffenlieferungen

Für einige wird es bei der Frage nach Waffenlieferungen bereits komplizierter. Aus guten Gründen war es bisher Teil der deutschen Außenpolitik, keine Waffen in Krisen- und Kriegsgebiete zu liefern. Die einzige Ausnahme war eine Waffenlieferung an die Peschmerga zur Bekämpfung des IS, um dessen brutales Abschlachten eines Teils der Bevölkerung verhindern zu können. Die jetzige Situation ist nicht vergleichbar. Gregor Gysi argumentiert in seinem öffentlichen Brief an Sahra Wagenknecht und weitere Abgeordnete, dass sich Waffenlieferungen aus Deutschland aufgrund unserer Geschichte verbieten, gegen Waffenlieferungen aus anderen Nationen könne man jedoch nichts einwenden, ohne das Selbstverteidigungsrecht der Ukraine in Frage zu stellen.

Das Problem, dass dem Land durch die Hochrüstung eine Perspektive wie Syrien droht, das nach über zehn Jahren Bürgerkrieg weitgehend zerstört ist, kann jedoch nicht einfach vom Tisch gewischt werden. Denn die Waffenlieferungen in die Ukraine, um die es geht, werden den Krieg vielleicht verlängern, aber sicher nicht die militärische Überlegenheit Russlands brechen. Je länger gekämpft wird, desto mehr Schaden wird in der Ukraine angerichtet, desto mehr Zivilist*innen werden ihr Leben verlieren, desto mehr wird Kiew am Ende wie Grozny aussehen. Jan van Aken argumentiert, die Waffenlieferung funktionierten eher auf einer symbolischen Ebene für die westliche Öffentlichkeit, als „Politik-Ersatz“, um sich „ein gutes Gewissen zu erkaufen, statt das zu tun, was der Moskauer Elite wirklich wehtun würde“. Effektiver wären ökonomische Sanktionen, die allerdings auch für die westlichen Ökonomien einen Preis hätten. Ein Teil der klassischen Friedensbewegung lehnt auch wirtschaftliche Sanktionen ab. Diese Position kann sich auf eine Reihe von ökonomisch-politischen Argumenten berufen. Bernd Riexinger argumentiert, warum er sie dennoch für zwingend notwendig hält, wenn die LINKE in der öffentlichen Debatte eine glaubwürdige Position einnehmen möchte.

3. Sanktionen

Von den bisher erlassenen Sanktionen sind vor allem diejenigen gegen die russische Nationalbank von Bedeutung, weil sie eine hohe Effektivität haben. Hierbei geht es um die Sperrung der Gold- und Devisenreserven. Insgesamt besitzt Russland eine gut gefüllte Schatztruhe in Form von rund 630 Milliarden Dollar Devisenreserven, etwa die Hälfte davon liegt im Ausland, beispielsweise bei der Bundesbank. Es dürfte Teil von Putins Kalkulation gewesen sein, dass er damit ökonomische Sanktionen „aussitzen“ kann. Die Reserven reichen aus, um die gesamten Importe Russlands über ein Jahr lang zu bezahlen. Die Sperrung dieser Reserven trifft den russischen Staat und die russische Wirtschaft entsprechend hart. Der Rubel ist bereits abgestürzt, die russische Notenbank musste ihren Leitzins auf einen Schlag auf 20 Prozent heraufsetzen und damit mehr als verdoppeln. Die langfristige Wirkung dieser Maßnahmen bleibt abzuwarten. Der Kurssturz bei russischen Staatsanleihen könnte laut Finanzexpert*innen für den russischen Staat auch eine günstige Gelegenheit sein, die ausgegebenen Anleihen zu den eingebrochenen Kursen in großem Stil zurückzukaufen und sich damit günstig zu entschulden – so wie es dem Kreml 1998 gelang. Sicher scheint bisher: Der Einbruch des Rubels wird die Inflation anheizen und die Situation der breiten Bevölkerung verschlechtern. Ob die damit zu erwartende steigende Unzufriedenheit sich gegen Putin richten wird, ist ungewiss. Festhalten lässt sich, dass die Sanktionen gegen die russische Nationalbank nach derzeitiger Lage effektiv, aber wenig zielgenau sind. 

Demgegenüber zu priorisieren wären Sanktionen, die Putins Machtbasis (die reichen Oligarchen des Landes) treffen, statt die russische Bevölkerung. Die Sanktionspolitik der EU packte gerade hier jedoch zunächst die Samthandschuhe aus. So sorgte Italiens Präsident Draghi dafür, dass bestimmte italienische Luxusgüter wie Produkte von Gucci von den Sanktionen ausgenommen werden, die belgische Regierung sorgte dafür, dass die Diamanten-Industrie nicht Teil der Sanktionen wird.

Thomas Piketty argumentiert, wie effektive Sanktionen aussehen könnten und was ihnen derzeit im Weg steht. Piketty schlägt vor, russische Vermögen im Westen von mehr als 10 Millionen Euro einzufrieren und mit einer harten Besteuerung von jährlich 20 Prozent zu belegen (damit würde man 0,02 Prozent der russischen Bevölkerung treffen). Die Aussicht auf den Totalverlust dieser Vermögen in wenigen Jahren würde, so seine Einschätzung, für genügend politischen Druck in Russland sorgen, um Putin zu einer Kurskorrektur zu zwingen. 

Auch der Ökonom Paul Krugman argumentiert in diese Richtung und schrieb in einem Kommentar in der New York Times: „Die fortgeschrittenen Demokratien haben eine weitere, mächtige Finanzwaffe gegen das Putin-Regime, wenn sie bereit sind, diese einzusetzen: Sie könnten sich den riesigen Übersee-Reichtum der russischen Oligarchen krallen, die Putin umgeben und ihm helfen, an der Macht zu bleiben“. Die Grundalge für diese Form von Sanktionen sind also die enormen Vermögen russischer Oligarchen in Europa, die in verschiedenen Formen vorliegen. Während Geldvermögen häufig auf Schweizer Konten liegen, wo sie sicher sein dürften, geht es auch um immobiles Vermögen wie etwa Luxusyachten, Luxusvillen in teuren Skigebieten oder Investments in Immobilien auf dem gesamten Kontinent. Und tatsächlich kommt etwas Bewegung in die Sache. So lässt sich im Focus lesen: „Am Wochenende kündigten die EU, Großbritannien, Kanada und die USA eine „transatlantische Task Force“ an, um Vermögenswerte reicher Russen ermitteln und einfrieren zu können. „Wir werden ihre Yachten, ihre Luxuswohnungen, ihr Geld (…) jagen“, sagte ein Vertreter der US-Regierung.“ Während Putins Yacht „Graceful“ offenbar in Erwartung solcher Sanktionen bereits Mitte Februar „Hals über Kopf“ die Werft in Hamburg verließ, wurde offenbar heute (3.3.2022) Morgen in Hamburg die Yacht des russischen Multi-Milliardärs Usmanow beschlagnahmt (Kaufpreis: 600 Millionen Dollar). Auf dem Mittelmeer werden mittlerweile auffällige Schiffsbewegungen gemeldet, weil offenbar aus ganz Europa Luxusyachten Leinen los machen und in Richtung Malediven oder in andere Häfen außerhalb der EU aufbrechen. Aus Angst vor entsprechenden Sanktionen erklärte auch Roman Abramowitsch inzwischen, seinen Fußballclub FC Chelsea samt Stadion verkaufen zu wollen. 

All das zeigt, dass man versucht, die bisherigen Routinen des Lifestyles in Saus und Braus für die mit Putin assoziierten Oligarchen zu unterbrechen. Andererseits gibt man ihnen offenbar genügend Zeit, um zumindest ihre mobilen Vermögen in Sicherheit zu bringen. Aber es gibt noch einen wichtigen Grund, warum dies nicht ausreicht: Diese Sanktionsversuche drohen zur spektakulären „Show“ zu verkommen, wenn man über diese Lifestylegüter (Yachten, teure Autos, Luxusvillen) hinaus nicht versucht, auch an das tatsächlich wohl sehr viel bedeutsamere geschäftlich geparkte Vermögen heranzukommen. Hier geht es nicht zuletzt um Millionen und Milliarden, die auf dem gesamten Kontinent auf dem Immobilienmarkt investiert sind – häufig diskret über Briefkastenfirmen. In „Londongrad“ ist die (spekulative) Präsenz der Oligarchen auf dem Immobilienmarkt besonders ausgeprägt, aber auch in Kontinentaleuropa sind enorme Summen investiert und tragen ihren Teil zur Mietpreisspirale bei. Die Münchner Luxusimmobilie „Opern-Palais“ wird über eine Offshore-Konstruktion von russischem Geld finanziert, der russische Investor Monarch baut am Berliner Alexanderplatz aktuell eines der höchsten Hochhäuser der Stadt mit der Aussicht auf eine Millionenrendite. Das ist aber ganz sicher nur die Spitze des Eisbergs. Wie groß der Anteil von russischem Kapital in deutschem Betongold und dem Mietpreiswahnsinn in deutschen Metropolen tatsächlich ist, weiß niemand so genau. Denn dafür bräuchte es mehr Transparenz auf dem Immobilienmarkt auch gerade mit Blick auf Briefkastenfirmen. Dafür gibt es in Folge einer EU-Regel eigentlich seit 1.1.2020 das so genannte Transparenzregister, in dem die wirtschaftlich Berechtigten von Unternehmen hinterlegt sein müssen. Wie eine Studie der Rosa-Luxemburg-Stiftung zeigte, verfehlt das Transparenzregister bisher jedoch seine Funktion, weil es offenbar niemanden gibt, der wirksam auf eine Einhaltung dringt und die Korrektheit der Angaben durchsetzt. Notwendig wären hier etwa hohe Geldstrafen für Falschangaben und eine öffentliche Zugänglichkeit, da es in den letzten Jahren vor allem Journalist*innen waren, die durch ihre Recherchen Missstände aufgedeckt hatten. Ob die Bundesregierung die Strukturen zur Vermögensverschleierung und Geldwäsche so reformieren wird, dass man über die plakative Beschlagnahme von Luxusyachten hinauskommt, darf bezweifelt werden – auch wenn vereinzelte Stimmen innerhalb der Koalition, wie etwa die grüne Finanzexpertin Lisa Paus, sich redlich um Fortschritte in diesem Kontext bemühen.

Insgesamt gilt: Wer wirksame und zielgenaue Sanktionen durchsetzen möchte, braucht mehr Transparenz darüber, wer in Europa zu den Superreichen gehört und welche Vermögenswerte er oder sie besitzt. Dazu müsste das gesamte etablierte und „gut geölte“ System der Vermögensverschleierung, etwa durch Briefkasten- bzw. Offshore firmen aufgesprengt werden. Und genau hier liegt das Problem: Diese Transparenz wollen auch die nicht-russischen Superreichen nicht. Das ist skandalös, gehört auf die Tagesordnung der aktuellen Debatten und in jede Talkshow. Denn hier kann man die Leute nachhaltig treffen, auf die Putin hören wird, wenn ihnen die Kriegskosten, die sie selbst zahlen müssen, zu hoch werden. 

4. Energiepolitik

Die Energiepolitik erhält angesichts der Situation eine neue Bedeutung. Für die Bundesregierung gilt nun: „Energiepolitik ist Sicherheitspolitik“ (Habeck). Hintergrund: Die USA und EU zahlen jeden Tag 350 Millionen Dollar an Russland für importiertes Öl und 250 Millionen für importiertes Gas. Im Jahr 2020 kaufte die EU für 60 Milliarden Euro Erdöl, Gas und Kohle von Russland, wobei Deutschland der größte Abnehmer ist, wie von der FAZ vorgerechnet wird. Das sind 164 Millionen jeden Tag. Damit finanziert Putin den Krieg. Die Abhängigkeit von fossiler Energie führt zu politischen Problemen, was im Grunde genommen keine neue Sache ist, sondern man auch mit Blick auf Saudi-Arabien schon kennt. Die Bundesregierung hat diese Achillesferse mit Blick auf Russland erkannt. Ihr Lösungsversuch scheint aber eher von einem bunten Blumenstrauß von Lobbyinteressen geprägt zu sein. Es zeichnet sich ab, dass Energiepolitik eben nicht deckungsgleich mit Klimapolitik ist.

Statt dem russischen Erdgas, möchte man nun auf Fracking-Gas (LNG) aus den USA setzen, das ganz erhebliche Umweltprobleme mit sich bringt. Die Neuorientierung auf LNG-Gas wird zur Lösung der aktuellen Krise nicht viel beitragen, das LNG-Terminal in Stade etwa ist laut Betreiber auch frühestens 2026 fertig.

Außerdem möchte die Bundesregierung, dass Deutschland seinen Strom nun doch bereits 2035 zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien bezieht, was vorher als nicht realistisch eingestuft wurde. Gleichzeitig soll der bisher für 2030 angestrebte Kohleausstieg nach hinten geschoben werden. Es hat seine eigene Ironie, dass diese Option von Anna-Lena-Baerbock an dem Tag ins Spiel gebracht wird, an dem der IPCC seinen neuesten Bericht vorstellt und nochmal eindringlich auf die Gefahren des aktuellen Kurses (geschweige denn einer Verschlechterung) hinweist. Der Grünen Führung ist angesichts der Lage offenbar der Kompass abhandengekommen und es bleibt abzuwarten, wie sich die Partei in Gänze sortiert. Es könnte sein, dass sie bereits mit den jetzigen Beschlüssen in Widerspruch zu einem Teil ihrer gesellschaftlichen Basis geraten. Während Anna-Lena Baerbock eine Verlängerung des Kohle-Ausstiegs als „Preis für die Solidarität mit der Ukraine“ bezeichnet, fordert Luisa Neubauers: „eine Antwort auf den Krieg muss ein radikaler Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas sein.“ Auch die neue Grünen-Chefin Ricarda-Lang stellte sich gegen diese Pläne und stellte klar: „Wenn wir den Kohleausstieg 2030 aufgeben, geben wir das Pariser Klimaabkommen auf.“

Die Linke hat mit FFF einen wichtigen Bündnispartner, um dem lobbygetriebenen Aufwärmen von umweltschädlichen Technologien eine Absage zu erteilen und eine konsequente Priorisierung der erneuerbaren Energien einzufordern. Mit Blick auf die Kostenverteilung im Rahmen der aktuellen Energiekrise ist es notwendig, die Grundbedarfe für Verbraucher*innen zur Not auch mit staatlichen Preisdeckeln sicherzustellen (wie bereits in Frankreich umgesetzt und auch vom Sozialverband VdK oder der Linksfraktion für Deutschland gefordert und jüngst mit Blick auf den Gaspreis etwa vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung durchgerechnet). 

Insgesamt bietet die aktuelle Situation im Bereich der Klima-Transformation die Chance, einen konsequenten Umbau der Gesellschaft zu forcieren. Es dürfte schwer zu argumentieren sein, warum man die Abhängigkeit von russischem Gas reduzieren, jene von z.B. saudi-arabischen Öl (erinnert sei an den völkerrechtswidrigen Krieg im Jemen), aber beibehalten und nicht alle notwendigen Mittel in einen schnellen Ausbau des ÖPNV stecken sollte. Denn die Gigantomanie des aufrüstungspolitischen „Whatever-it-takes“ schafft gehörige Legitimationsprobleme für die vermeintliche Nicht-Finanzierbarkeit der notwendigen Umbaumaßnahmen, um die Pariser Klimaziele irgendwie noch einzuhalten. 

Den Kopf nicht verlieren

Putins Angriffskrieg führt zu einer Zeitenwende, viel spricht dafür, dass Europa gerade sein 9/11 erlebt. In dieser Situation wird es schwierig werden für linke Antworten, denn der Diskurskorridor des Sag- und Diskutierbaren wird kleiner werden. Ein Gefühl dafür gibt der in den letzten Tagen immer wieder in den ARD-Brennpunkten interviewte Professor der Bundeswehrhochschule, Carlo Masala, der bei Markus Lanz einen „mentalen Wandel“ einfordert (ab Minute 27:30). Eine der Aufgaben wird sein, überhaupt gesellschaftliche Debatten außerhalb der zugespitzten Konfliktdynamik möglich zu halten und sich nicht von der militärischen Logik auffressen zu lassen. Diese Herausforderung hat Elsa Koester skizziert. Es gibt wirklich keinen Grund für Optimismus. Zu hoffen bleibt, dass sich die Absage der herrschenden Eliten an eine vermeintliche Nicht-Finanzierbarkeit von Strukturveränderungen, die angesichts der gesellschaftlichen Krisen angemessen wären, durch das aktuelle Milliarden-Paket nachhaltig blamiert hat. 

Die Linke muss sich auf die neue Konstellation einstellen. Die sehr breit geteilte Ablehnung der Aufrüstung kann eine neue Einheit schaffen. Sie bietet die Chance für eine Neuerfindung der Linken für eine neue Zeit – ohne ‚Putin-Versteher’ und ohne einen durch Geopolitik verstellten Blick für konkrete Konflikte, aber mit einem funktionierenden Kompass für Klimaschutz und Menschenrechte, die Eigentumsfrage und mit einem konsequenten Kurs gegen Aufrüstung und für eine nachhaltige Friedenspolitik. Dafür entsteht im politischen Feld aktuell ein neuer Bedarf, der von keiner anderen im Bundestag vertretenen Partei gedeckt wird.

Zuerst erschienen ist dieser Text in LuXemburg Online.

Für wichtige Anregungen in diesem Text danke ich Benjamin Opratko und Fabian Wisotzky.

Russlands Angriffskrieg: Sanktionen sind die falsche Antwort

Beitrag von Sascha Radl

Das Südafrika der Apartheid gilt vielen als prominentestes Beispiel für erfolgreiche Sanktionen. Die Vereinten Nationen setzten in den 1960er Jahren erste Maßnahmen um, die unter anderem den Ausschluss südafrikanischer Sportler:innen von internationalen Veranstaltungen bedeuteten. Erst später, ab Mitte der 1980er, konnte die Antiapartheidsbewegung westliche Regierungen dazu drängen, wirtschaftlichen Sanktionen zuzustimmen. Zwar sah sich die weiße Bevölkerung Südafrikas zunehmend isoliert und war eher geneigt, Verhandlungen zuzustimmen. Aber dies ist nicht allein – nicht einmal hauptsächlich – den Sanktionen zu verdanken: Die südafrikanische Wirtschaft war hart durch Aufstände und Streiks getroffen; Investor:innen zogen sich zurück, unabhängig von Sanktionen. Ebenso schob die Angst vor gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Antiapartheidsbewegung den »Verhandlungsfrieden« an. Sanktionen flankierten den Prozess, waren aber nicht der wesentliche Grund für das Ende der Apartheid.  

2. August 1990: Auf Befehl Saddam Husseins überfiel das irakische Militär Kuwait. George Bush Senior sah die Chance gekommen, einen weiteren Baustein für die »neue Weltordnung« nach Ende des Kalten Krieges zu legen und sendete Truppen gegen Irak. Auf Druck der US-Regierung – und den Erfolg der Maßnahmen in Südafrika vor Augen – veranlassten die Vereinten Nationen massive Sanktionen: Ölverkäufe, die den weit größten Anteil der irakischen Exporte ausmachten, wurden blockiert. Gleiches galt für die meisten Importe, darunter essentielle Güter wie Wasserpumpen oder Kleidung; sogar Medikamente und Nahrungsmittel. Bis heute ist unklar, wie viele Menschen an den unmittelbaren Folgen starben – Schätzungen gehen von mehreren Hunderttausenden aus. Dadurch, und unterstützt von Bombardements, entwickelte sich Irak von einem Land mit vergleichsweise hohen sozialen Standards zu den Schlusslichtern der Region. Hussein, der eigentlich durch den verlustreichen Irak-Irankrieg in den 1980ern unbeliebt war, konnte sich bis zur nächsten US-Intervention 2003 an der Macht halten.

Was lief diesmal anders? In Südafrika forderte eine breite Massenbewegung Sanktionen gegen ein rassistisches Regime; im Irak wurden Sanktionen von oben beschlossen, ohne dass es eine ähnlich starke Bewegung gab. Damit verschob sich das Ziel. Es ging vielmehr darum, die Bevölkerung spüren zu lassen, dass »ihr« Diktator menschenverachtende Politik macht – und sie so auf die Straße zu treiben. Der Plan ging nicht auf. Die Zeit berichtete Ende der 1990er über die Lage im Irak und beobachtete: Für die meisten Iraker:innen »bedeutet Demokratie Wirtschaftssanktionen, Hunger und Verelendung. Mehr nicht. Wie soll unter solchen Vorzeichen eine Opposition gegen den Diktator entstehen?« Wenn Sanktionen ohne Massenbewegungen eine Wirkung erzielen, dann die, dass sie Menschen in die Arme von Diktatoren treiben. Plötzlich leidet die breite Bevölkerung unter den im Ausland beschlossenen Maßnahmen und »starke Männer« finden neues Vertrauen, weil sie sich gegen die folgenschwere Politik äußerer Mächte stellen. 

Der Fall Russland 

Die gegen Russland beschlossenen Sanktionen folgen nicht dem Modell Südafrika, sondern dem Modell Irak. Zwar sind bisher tausende Menschen auf die Straße gegangen, um gegen Putin und den Krieg zu demonstrieren – aber eine wirkliche Massenbewegung, die Maßnahmen aus dem Westen fordert, ist (noch) nicht entstanden. Die französische Regierung macht derweil klar, worum es bei den Sanktionen der EU und USA geht: »Wir werden Russland einen totalen Wirtschafts- und Finanzkrieg liefern. […] Wir führen den Zusammenbruch der russischen Wirtschaft herbei.« Diese Aussage ist eine Kriegserklärung. Nicht an Putin gerichtet, sondern an die Bevölkerung. 

Zu den wichtigsten Maßnahmen zählt der Ausschluss einiger großer Banken aus dem Zahlungssystem SWIFT. Damit ist das Land vom internationalen Finanzsystem abgeschnitten und russische Unternehmen haben Schwierigkeiten, importierte Güter zu bezahlen. Der Handel droht zu kollabieren. Iran hat ähnliche Erfahrungen gemacht. Hinzu kommt die Blockade der Devisenreserven der russischen Zentralbank, die größtenteils im Ausland aufbewahrt werden. Zugriff auf die Reserven wäre wichtig, um die Abwertung des Rubels und grassierender Inflation zuvorzukommen. 

Zwar schaden die Maßnahmen auch »Putins Kriegskasse«, die Banken zur Abwicklung der russischen Öl- und Gasexporte – die wichtiger für die Finanzierung des Kriegs wären – sind aber von der Abkoppelung von SWIFT ausgenommen. Es sollen vor allem Aufstände entstehen, indem breite Teile der Bevölkerung von der Grundversorgung abgeschnitten werden. Das Leid der Bevölkerung wird also nicht einfach in Kauf genommen: it’s a feature. Wenn Bernd Riexinger schreibt, dass »die bisherige Haltung ›Sanktionen treffen die Bevölkerung, deshalb sind wir dagegen‹ […] sich nicht durchhalten [lässt], stimmt er dieser verheerenden Logik ausdrücklich zu. Doch genauso wie in Irak, Iran oder Nordkorea wird sie in Russland nicht aufgehen. Die Folgen sind den meisten linken Befürworter:innen implizit bewusst – wenn es um den »eigenen« Imperialismus geht: Niemand hat ernsthaft argumentiert, dass die Kriege in Irak und Afghanistan durch Sanktionen gegen die Bevölkerung in Nordamerika und Westeuropa gestoppt werden müssen. Natürlich hätte dies die Antikriegsbewegung nur geschwächt.

Linke Alternativen? 

So wichtig es ist, dass der Angriffskrieg auf die Ukraine ein Ende findet, sind die beschlossenen Sanktionen gegen Russland kein geeignetes Mittel. Sie werden den Spielraum der Opposition einengen und den Konflikt verhärten. Aber könnte es zielgerichtetere, linke Sanktionen geben? Lukas Oberndorfer denkt in seinem Beitrag für Mosaik darüber nach. 

Dazu gehört etwa die Forderung, die russischen Öl- und Gasexporte zu treffen und im gleichen Schritt die ökologische Transformation Europas voranzutreiben. Doch die Einnahmen aus den fossilen Exporten finanzieren nicht nur den Krieg, sondern auch die Gehälter des öffentlichen Diensts und den Wohlfahrtsstaat – und sind ein Rückgrat der russischen Wirtschaft. Eine ähnliche, fatale Wirkung wie die der bereits beschlossenen Sanktionen wäre also nicht auszuschließen. Ebenfalls prominent steht die Forderung, das Auslandsvermögen von Oligarchen zu beschlagnahmen. Wäre es ein Schritt nach vorne, wenn Oligarchen Putin stürzen würden? Oligarchen sind Kapitalisten, die besonders stark vom russischen Staat abhängig sind und der Regierung große Teile ihres Reichtums zu verdanken haben. Es ist unwahrscheinlich, dass sie ihre Geldquelle riskieren. Falls doch, würde sich die neue Regierung vielleicht eher dem westlichen Imperialismus unterwerfen, wäre aber kaum demokratischer als die alte. Echte Demokratie gibt es nur von unten. Und: Warum diskutieren wir eigentlich über russische Oligarchen, aber nicht über »unsere«? Sind diese weniger für Militarismus und Krieg verantwortlich?  

In Südafrika ging es um ein Regime, das auf der internationalen Bühne fest auf der Seite des Westens stand. Deutschland zählte zu den wichtigsten Finanziers. Margaret Thatcher, damalige Premierministerin Großbritanniens, nannte den African National Congress noch 1987 eine »terroristische Organisation«. Keine westliche Regierung hatte ein ernsthaftes Interesse an einem Sturz. Bei den Sanktionen gegen Russland geht es um Maßnahmen, die Teil eines imperialistischen Konflikts zwischen den NATO-Staaten einerseits und Russland andererseits sind. Sie sind ein Mittel im – erneut in den Worten der französischen Regierung – »totalen Wirtschafts- und Finanzkrieg«. Die Sanktionen zu unterstützen, hieße auf Seite des westlichen Imperialismus in den Konflikt einzutreten. »Weder Moskau, noch Washington oder Berlin« setzt dagegen, alle Kriegsakte abzulehnen. Die einzige Lösung besteht im (Wieder-)Aufbau der internationalen Antikriegsbewegung.