Russlands Angriffskrieg: Sanktionen sind die falsche Antwort

Beitrag von Sascha Radl

Das Südafrika der Apartheid gilt vielen als prominentestes Beispiel für erfolgreiche Sanktionen. Die Vereinten Nationen setzten in den 1960er Jahren erste Maßnahmen um, die unter anderem den Ausschluss südafrikanischer Sportler:innen von internationalen Veranstaltungen bedeuteten. Erst später, ab Mitte der 1980er, konnte die Antiapartheidsbewegung westliche Regierungen dazu drängen, wirtschaftlichen Sanktionen zuzustimmen. Zwar sah sich die weiße Bevölkerung Südafrikas zunehmend isoliert und war eher geneigt, Verhandlungen zuzustimmen. Aber dies ist nicht allein – nicht einmal hauptsächlich – den Sanktionen zu verdanken: Die südafrikanische Wirtschaft war hart durch Aufstände und Streiks getroffen; Investor:innen zogen sich zurück, unabhängig von Sanktionen. Ebenso schob die Angst vor gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Antiapartheidsbewegung den »Verhandlungsfrieden« an. Sanktionen flankierten den Prozess, waren aber nicht der wesentliche Grund für das Ende der Apartheid.  

2. August 1990: Auf Befehl Saddam Husseins überfiel das irakische Militär Kuwait. George Bush Senior sah die Chance gekommen, einen weiteren Baustein für die »neue Weltordnung« nach Ende des Kalten Krieges zu legen und sendete Truppen gegen Irak. Auf Druck der US-Regierung – und den Erfolg der Maßnahmen in Südafrika vor Augen – veranlassten die Vereinten Nationen massive Sanktionen: Ölverkäufe, die den weit größten Anteil der irakischen Exporte ausmachten, wurden blockiert. Gleiches galt für die meisten Importe, darunter essentielle Güter wie Wasserpumpen oder Kleidung; sogar Medikamente und Nahrungsmittel. Bis heute ist unklar, wie viele Menschen an den unmittelbaren Folgen starben – Schätzungen gehen von mehreren Hunderttausenden aus. Dadurch, und unterstützt von Bombardements, entwickelte sich Irak von einem Land mit vergleichsweise hohen sozialen Standards zu den Schlusslichtern der Region. Hussein, der eigentlich durch den verlustreichen Irak-Irankrieg in den 1980ern unbeliebt war, konnte sich bis zur nächsten US-Intervention 2003 an der Macht halten.

Was lief diesmal anders? In Südafrika forderte eine breite Massenbewegung Sanktionen gegen ein rassistisches Regime; im Irak wurden Sanktionen von oben beschlossen, ohne dass es eine ähnlich starke Bewegung gab. Damit verschob sich das Ziel. Es ging vielmehr darum, die Bevölkerung spüren zu lassen, dass »ihr« Diktator menschenverachtende Politik macht – und sie so auf die Straße zu treiben. Der Plan ging nicht auf. Die Zeit berichtete Ende der 1990er über die Lage im Irak und beobachtete: Für die meisten Iraker:innen »bedeutet Demokratie Wirtschaftssanktionen, Hunger und Verelendung. Mehr nicht. Wie soll unter solchen Vorzeichen eine Opposition gegen den Diktator entstehen?« Wenn Sanktionen ohne Massenbewegungen eine Wirkung erzielen, dann die, dass sie Menschen in die Arme von Diktatoren treiben. Plötzlich leidet die breite Bevölkerung unter den im Ausland beschlossenen Maßnahmen und »starke Männer« finden neues Vertrauen, weil sie sich gegen die folgenschwere Politik äußerer Mächte stellen. 

Der Fall Russland 

Die gegen Russland beschlossenen Sanktionen folgen nicht dem Modell Südafrika, sondern dem Modell Irak. Zwar sind bisher tausende Menschen auf die Straße gegangen, um gegen Putin und den Krieg zu demonstrieren – aber eine wirkliche Massenbewegung, die Maßnahmen aus dem Westen fordert, ist (noch) nicht entstanden. Die französische Regierung macht derweil klar, worum es bei den Sanktionen der EU und USA geht: »Wir werden Russland einen totalen Wirtschafts- und Finanzkrieg liefern. […] Wir führen den Zusammenbruch der russischen Wirtschaft herbei.« Diese Aussage ist eine Kriegserklärung. Nicht an Putin gerichtet, sondern an die Bevölkerung. 

Zu den wichtigsten Maßnahmen zählt der Ausschluss einiger großer Banken aus dem Zahlungssystem SWIFT. Damit ist das Land vom internationalen Finanzsystem abgeschnitten und russische Unternehmen haben Schwierigkeiten, importierte Güter zu bezahlen. Der Handel droht zu kollabieren. Iran hat ähnliche Erfahrungen gemacht. Hinzu kommt die Blockade der Devisenreserven der russischen Zentralbank, die größtenteils im Ausland aufbewahrt werden. Zugriff auf die Reserven wäre wichtig, um die Abwertung des Rubels und grassierender Inflation zuvorzukommen. 

Zwar schaden die Maßnahmen auch »Putins Kriegskasse«, die Banken zur Abwicklung der russischen Öl- und Gasexporte – die wichtiger für die Finanzierung des Kriegs wären – sind aber von der Abkoppelung von SWIFT ausgenommen. Es sollen vor allem Aufstände entstehen, indem breite Teile der Bevölkerung von der Grundversorgung abgeschnitten werden. Das Leid der Bevölkerung wird also nicht einfach in Kauf genommen: it’s a feature. Wenn Bernd Riexinger schreibt, dass »die bisherige Haltung ›Sanktionen treffen die Bevölkerung, deshalb sind wir dagegen‹ […] sich nicht durchhalten [lässt], stimmt er dieser verheerenden Logik ausdrücklich zu. Doch genauso wie in Irak, Iran oder Nordkorea wird sie in Russland nicht aufgehen. Die Folgen sind den meisten linken Befürworter:innen implizit bewusst – wenn es um den »eigenen« Imperialismus geht: Niemand hat ernsthaft argumentiert, dass die Kriege in Irak und Afghanistan durch Sanktionen gegen die Bevölkerung in Nordamerika und Westeuropa gestoppt werden müssen. Natürlich hätte dies die Antikriegsbewegung nur geschwächt.

Linke Alternativen? 

So wichtig es ist, dass der Angriffskrieg auf die Ukraine ein Ende findet, sind die beschlossenen Sanktionen gegen Russland kein geeignetes Mittel. Sie werden den Spielraum der Opposition einengen und den Konflikt verhärten. Aber könnte es zielgerichtetere, linke Sanktionen geben? Lukas Oberndorfer denkt in seinem Beitrag für Mosaik darüber nach. 

Dazu gehört etwa die Forderung, die russischen Öl- und Gasexporte zu treffen und im gleichen Schritt die ökologische Transformation Europas voranzutreiben. Doch die Einnahmen aus den fossilen Exporten finanzieren nicht nur den Krieg, sondern auch die Gehälter des öffentlichen Diensts und den Wohlfahrtsstaat – und sind ein Rückgrat der russischen Wirtschaft. Eine ähnliche, fatale Wirkung wie die der bereits beschlossenen Sanktionen wäre also nicht auszuschließen. Ebenfalls prominent steht die Forderung, das Auslandsvermögen von Oligarchen zu beschlagnahmen. Wäre es ein Schritt nach vorne, wenn Oligarchen Putin stürzen würden? Oligarchen sind Kapitalisten, die besonders stark vom russischen Staat abhängig sind und der Regierung große Teile ihres Reichtums zu verdanken haben. Es ist unwahrscheinlich, dass sie ihre Geldquelle riskieren. Falls doch, würde sich die neue Regierung vielleicht eher dem westlichen Imperialismus unterwerfen, wäre aber kaum demokratischer als die alte. Echte Demokratie gibt es nur von unten. Und: Warum diskutieren wir eigentlich über russische Oligarchen, aber nicht über »unsere«? Sind diese weniger für Militarismus und Krieg verantwortlich?  

In Südafrika ging es um ein Regime, das auf der internationalen Bühne fest auf der Seite des Westens stand. Deutschland zählte zu den wichtigsten Finanziers. Margaret Thatcher, damalige Premierministerin Großbritanniens, nannte den African National Congress noch 1987 eine »terroristische Organisation«. Keine westliche Regierung hatte ein ernsthaftes Interesse an einem Sturz. Bei den Sanktionen gegen Russland geht es um Maßnahmen, die Teil eines imperialistischen Konflikts zwischen den NATO-Staaten einerseits und Russland andererseits sind. Sie sind ein Mittel im – erneut in den Worten der französischen Regierung – »totalen Wirtschafts- und Finanzkrieg«. Die Sanktionen zu unterstützen, hieße auf Seite des westlichen Imperialismus in den Konflikt einzutreten. »Weder Moskau, noch Washington oder Berlin« setzt dagegen, alle Kriegsakte abzulehnen. Die einzige Lösung besteht im (Wieder-)Aufbau der internationalen Antikriegsbewegung.