Kategorie: Außenpolitik

Partei ergreifen für den Frieden, nicht den Krieg

Antisemitismus und antimuslimischem Rassismus in Deutschland entgegentreten

Die schrecklichen Nachrichten und Bilder aus Israel und Gaza sowie die akute Gefahr einer weiteren Eskalation der Gewalt sind nur schwer zu ertragen. Wir gedenken den Opfern des grausamen Terroranschlags der Hamas auf die israelische Zivilbevölkerung. Wir sind in Gedanken bei den Hinterbliebenen und hoffen, dass die Geiseln so schnell wie möglich freigelassen werden und nach Hause zurückkehren können. Es gibt keine Rechtfertigung für diesen Terror.

Wir gedenken auch den zivilen Opfern der israelischen Bombardements auf Gaza. Die Abriegelung des Gazastreifen von Strom, Wasser, Lebensmittel und Medikamente trifft die gesamte Bevölkerung und markiert den Beginn einer humanitären Katastrophe, die durch die Bodenoffensive noch verschärft wird. Frieden in Nahost, für die gesamte Region, scheint in weite Ferne zu rücken. 

Die Bundesregierung muss den Export von Waffen stoppen, sich für eine sofortige Waffenruhe und für die Beilegung des Konflikts durch friedliche Mittel einsetzen. Die Geiseln müssen freigelassen werden, die Blockade von Gaza beendet werden. Als Linke stellen wir die Forderung nach einer nachhaltigen Friedenslösung in den Vordergrund. Denn ohne eine Friedensperspektive für die Menschen in Israel und ohne eine Friedensperspektive für die Palästinenser:innen wird es kein Ende der Gewalt und der militärischen Auseinandersetzung geben. Sie alle haben das Recht, in Frieden und Sicherheit zu leben.

Auch in Deutschland. Hier leben viele Menschen mit israelischen und palästinensischen Familiengeschichten. Auch sie sind in Sorge und Trauer um ihre Angehörigen und bangen um das Leben ihrer Familien und Freund:innen. Gleichzeitig sind sie zunehmend Drohungen und Ressentiments ausgesetzt. Wohnungen von Jüdinnen und Juden werden markiert, es gibt Brandanschläge auf Synagogen. Wir verurteilen diese antisemitischen Angriffe und sind solidarisch mit den um Hilfe bittenden jüdischen Gemeinden. 

Wir wenden uns gegen die Instrumentalisierung des Konflikts für die Verbreitung antisemitischer und antimuslimischer Ressentiments. So wie Jüdinnen und Juden nicht für Bomben auf Gaza verantwortlich gemacht werden können, dürfen Palästinenser:innen nicht für den Terror der Hamas verantwortlich gemacht werden. Vorstöße, Migrant:innen aufgrund ihrer Position zum Nahostkonflikt abschieben zu lassen, sind schäbig und werden wir in aller Entschiedenheit zurückweisen. Wir kritisieren pauschale Demonstrationsverbote und Grundrechtseinschränkungen von Palästina-solidarischen Gruppen. 

Wir wissen um die emotional aufgeladene Diskussion in Bezug auf diesen Konflikt. Das ist verständlich, es geht um das Leben von Menschen. Gleichwohl möchten wir dafür werben, sich an der von Teilen der Politik und Medien geführten Stimmungsmache nicht zu beteiligen. Antisemitische Einstellungen sind kein importiertes Problem, sondern in der deutschen Bevölkerung ebenso verbreitet wie antimuslimischer Rassismus. In den sozialen Medien werden regelrechte Hetzjagden durchgeführt, bei denen Wortmeldungen seziert und interpretiert sowie Konsequenzen gefordert werden. Statt sich an Online-Tribunalen zu beteiligen, wollen wir für mehr Verständigung werben. Statt schnelle Beschuldigungen der einen oder anderen Seite zu verbreiten, werben wir für einen verantwortungsvollen Umgang mit Informationen zum Konfliktgeschehen. 

Die richtigen Worte zu finden, fällt uns und vielen anderen in diesen Zeiten schwer. Das Richtige tun, ist dabei klar: Wir stehen solidarisch an der Seite all jener demokratischen Kräfte, die sich für eine friedliche Lösung des Konflikts einsetzen. Wir setzen uns für eine Zukunft ein, in der alle Menschen in Frieden, Würde und Sicherheit zusammenleben können – sowohl in Israel und Gaza als auch hierzulande. 

Brüche und Krisen der gesellschaftlichen Entwicklungen

Grundsätze für das Verständnis und die Politik der Partei DIE LINKE

von Bernd Riexinger

Wir alle hoffen, dass es in diesem Jahr gelingt unserer Partei wieder zu größerer Bedeutung zu verhelfen. Das Ergebnis der Wahlen in Berlin ist unter den schwierigen Bedingungen ein Erfolg, auf dem aufgebaut werden kann. Es wird keine einfache Aufgabe sein, auch die weiteren Wahlen in diesem Jahr in Bremen, Bayern und Hessen erfolgreich zu bestehen. Dazu ist vor allem konsistente Politik zu den aktuell wichtigsten Politikfeldern eine wichtige Voraussetzung. Welche Fragen und Politikfelder das aus heutiger Sicht sind, habe ich im letzten Teil des Papiers ausgeführt.

Neben diesen tagespolitischen Aufgaben gibt es neue Herausforderungen und Fragen zu beantworten, die grundsätzlicher Natur sind. Dabei geht es um die mittel- und längerfristigen Positionen und Linien linker Politik. Krieg, wirtschaftliche Krise, Gerechtigkeitskrise und Klimakatastrophe zwingen uns zu politischer Sprechfähigkeit und schlüssigen Antworten. In einer linkspluralistischen Partei wird es immer unterschiedlichen Zugang zu diesen Fragen und deshalb auch unterschiedliche Positionen geben, die geklärt werden müssen. Ebenso gibt es unterschiedliche Positionen zum Selbstverständnis unserer Partei. Was wollen wir sein? Eine eher linkspopulistische/populäre Partei oder eine bewegungsorientierte Mitgliederpartei, die einen emanzipatorischen und verbindenden (im Sinne von verbindender Klassenpolitik) Ansatz erfolgt. Es ist kein Zufall, dass in der Beurteilung des Zustandes unserer Partei und den Lösungsvorschlägen zum Teile verschiedene und nicht selten konträre Positionen vertreten werden. Ich habe versucht einige Grundlagen herauszuarbeiten, die in den letzten Jahren für den Parteiaufbau entwickelt und in der Partei verankert wurden.

Unterschiedliche Positionen zum Krieg gegen die Ukraine

Unterschiedliche Positionen prägen das Verhältnis zum Krieg gegen die Ukraine. Man möchte eigentlich meinen, dass DIE LINKE als Friedenspartei an Vertrauen und Zustimmung gewinnt, wenn der Frieden innerhalb Europas gebrochen wird. Das ist bisher nicht der Fall. Ebenso wenig verzeichnet die klassische Friedensbewegung einen Aufschwung und kann bisher keine größeren Massen auf die Straße bringen. Zu vielstimmig sind die Positionen. Dass Russland die Ukraine mit einem völkerrechtswidrigen und verbrecherischen Krieg überzieht hat jahrelang vorhandene Gewissheiten ins Wanken gebracht. Wir erleben  Friedensgruppen Aufrufe, in denen der Krieg gegen die Ukraine nicht einmal erwähnt geschweige denn klar verurteilt wird. Wenn das geschieht häufig mit Relativierungen, dass das Vordringen der NATO an die russischen Grenzen und das Ignorieren der Sicherheitsinteressen von Russland ursächlich für die russische Reaktion sind. Dahinter steckt die etwas absurde Sorge, wenn Russland zu stark kritisiert wird, dann würde die Kritik an der imperialistischen Politik der USA verharmlost.

Auf der anderen Seite gibt es auch innerhalb unserer Partei Gruppen, die die entgegengesetzte Position vertreten. So gab es auf dem letzten Parteitag einen Antrag für begrenzte und gezielte Waffenlieferungen. Bodo Ramelow vertritt prominent diese Auffassung oder der ehemalige verteidigungspolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, Paul Schäfer. Er kritisiert die Linke wegen ihrer Position, die Lieferung von Waffen abzulehnen. Schäfer in den Blättern: „Solidarität mit  der Ukraine zu rufen, wie es die Linkspartei tut, und sich zugleich dem zu verweigern, was dafür getan werden muss, ist inkonsequent, moralisch fragwürdig und letztlich Ausdruck von Politikunfähigkeit.“

Schließlich gab und gibt es unterschiedliche Haltungen zur Frage der Sanktionen. Mit zum Teil unterschiedlichen Zugang. Die einen kritisieren, Sanktionen wären Quatsch, wenn sie die eigene Bevölkerung treffen aber nicht Russland. Dahinter steckt das Interesse, die Gaslieferungen aus Russland wieder in Gang zu bringen, um die Hauptursache der Gaspreisverteuerung zu beseitigen. Andere wollen sich auf keinen Fall mit wirtschaftlichen Sanktionen gemein machen, weil dahinter die Interessen des westlichen Bündnisses auf wirtschaftliche Schwächung von Russland stehen würden. Außerdem würde die Bevölkerung stärker an die Seite des Putin-Regimes gedrängt.

Schlussendlich steht noch die Frage der Abgrenzung nach rechts im Raum. Sahra Wagenknecht hat sich nicht zufällig geweigert, eine klare Abgrenzung nach rechts vorzunehmen.  Seit der Auseinandersetzung um die Flüchtlingspolitik ist die fehlende Abgrenzung nach rechts eine offene Flanke. Dahinter steckt die Vorstellung AfD Wähler*innen zurückzuholen (wohin auch immer, denn die Linke ist ja nicht mehr ihr Bezugspunkt). Um dieses Ziel zu erreichen wäre eine scharfe Kritik an rassistischen und nationalistischen Positionen nicht geeignet.

*Dazu mehr im Abschnitt „Kampf gegen Rechtsradikalismus und Rassismus

Welche Haltung nehmen wir ein

Krieg heißt Leid, Barbarei, Massenmord. Es ist ein schrecklicher Angriffskrieg den Putins Regime seit fast einem Jahr gegen die Ukraine führt. Dafür gibt es keine Rechtfertigung und keine Relativierung. Die Linke ist Friedenspartei. Deshalb verurteilen wir die vielen Kriege des US-Imperialismus, auch die der NATO. Wir kritisieren aber ebenso uneingeschränkt, wenn Russland Krieg führt. Wir lehnen Krieg als Mittel der Politik ohne Wenn und Aber ab und treten ein für Waffenstillstand, Verhandlungen, ja, auch für Vermittlung durch China, Indien oder von Lulas Brasilien.

Linke Politik unterscheidet nicht, welche imperialistische Politik schlimmer ist. Wir verharmlosen auch nicht die imperialistische Politik der USA oder schwächen unsere Kritik an der NATO ab, wenn wir den Krieg von Russland als verbrecherisch bezeichnen und einen sofortigen Rückzug russischer Truppen fordern. Die Linke identifiziert sich in aller Regel nicht mit Regierungsinteressen, weder der russischen noch der Ukrainischen. Schon August Thalheimer hat in den 20er Jahren analysiert, dass militärische Überfälle auf andere Länder nur den Nationalismus stärken. Damals ging es um die Frage, ob der Sozialismus militärisch exportiert werden kann. Thalheimer lehnte das grundsätzlich ab. Sowohl die russische als auch die ukrainische Führung vertreten einen überbordenden Nationalismus. Linke Politik muss auf der Seite der leidtragenden Bevölkerung stehen und auf Seite der Kräfte, die auf beiden Seite für eine Beendigung des Krieges eintreten. Im Krieg sind die unterschiedlichen Klasseninteressen nicht verschwunden, sie werden nur durch den Nationalismus verdeckt. Historisch vertrat die sozialistische Bewegung die Position, dass Arbeiter*innen verschiedener Länder nicht gegeneinander schießen. Kräfte, die diese Position hörbar vertreten gibt es bei beiden Kriegsparteien kaum. Auch wenn wir das Selbstverteidigungsrecht der Ukraine nicht in Zweifel ziehen, genau so wenig, wie die territoriale Integrität der Ukraine, identifizieren wir uns weder mit der Politik Selenskys noch mit der Interessenslage des Westens und der NATO.

Nach mehr als 12 Monate Krieg, mit einer hohen Zahl an Toten und Verletzten auf beiden Seiten und unerträglichem Leid für die ukrainische Bevölkerung zeigt sich, dass die Lieferung von immer mehr und immer schwereren Waffen nicht zu einer Beendigung des Krieges führt. Ohne Zweifel verlängern Waffenlieferungen den Krieg.  Für die Bevölkerung gibt es ohnehin nichts zu gewinnen. Sie wird am Ende die große Leidtragende sein. Das Land wird mehr und mehr zerstört. Deshalb ist es völlig richtig, wenn DIE LINKE weiterhin Waffenlieferungen ablehnt. Wir müssen aus der Logik des militaristischen Denkens ausbrechen, die sich fast alle Parteien und Medien zu Eigen machen und für einen sofortigen Waffenstillstand und die Aufnahme von Verhandlungen eintreten.

Die Logik der Befürworter, dass Putin erst verhandelt, wenn er sieht, dass die Ukraine nicht militärisch besiegt werden kann und deshalb alle Waffen geliefert werden müssen, welche die Ukraine benötigt, erhöht die Wahrscheinlichkeit eines noch jahrelang anhaltenden Krieges. Gesprochen wird dann von einem Abnutzungskrieg. Abnutzung heißt, dass noch mehr Menschen auf beiden Seiten sterben müssen. Den Berichten über militärische Erfolge darf auf beiden Seiten kein Glaube geschenkt werden. Falschinformationen sind Bestandteil der Kriegsführung. Die Ankündigungen von Selensky keine Verhandlungen mit Putin zu führen, weil er jeden Vertrag brechen wird, dient hauptsächlich der Aufrechterhaltung der Kampfmoral im eigenen Land. Verhandlungen wären nur nach einem Regimechange möglich. Die Absetzung von Putin ist jedoch nicht in Sicht, demnach würde es jahrelang keine Verhandlungen geben. Dabei wird ja verhandelt, über Gefangenenaustausche, über den Transport von Getreide. Was passiert, wenn die Ukraine nicht siegen wird, sondern Russland oder keine Seite?

Wer Verhandlungen will, muss die Frage beantworten, wie Russland unter Druck gesetzt werden kann Verhandlungen aufzunehmen. Am ehesten könnte das über China und Indien geschehen. Russland ist durch die westlichen Sanktionen wirtschaftlich mehr und mehr von Indien und besonders China abhängig. Beide haben kein Interesse an einer Fortsetzung des Krieges. Völlig unerklärlich ist, warum das Positionspapier von China fast schon verächtlich abgetan wurde. China hätte sich ja bei der UN-Vollversammlung enthalten und sei dadurch nicht unparteiisch lautet ein Argument. Aber gerade weil sich China enthalten hat ist es im Unterschied zur EU in der Lage zu vermitteln. Die Initiative von Peking verlangt die „Souveränität und Integrität aller Staaten“ zu garantieren. Außerdem erteilen die Chinesen allen atomaren Androhungen eine klare Absage. Deshalb wäre es ein großer Fehler die chinesische Initiative abzutun oder gar abzulehnen.

Das einzige was Peking Russland konkret anbietet, ist die Beendigung der Sanktionen. Die Sanktionen beginnen zu wirken, im Gegensatz zu vielen gegenteiligen Behauptungen. Gerade im militärisch industriellen Komplex schmälern sie die Fähigkeit Russlands komplexe Waffensysteme zu produzieren. Selbst im Energiesektor gehen die Einnahmen wegen aktuell sinkenden Energiepreisen zurück. Russland kann nicht so schnell Leitungen nach China und Indien legen, wie ihm die Märkte im Westen wegbrechen. Erhebliche Teile der traditionellen Friedensbewegung,  in unserer Partei z.B. Wagenknecht, lehnen Sanktionen ab. Sie wären Teil eines Wirtschaftskrieges und würden die ohnehin geplagte Bevölkerung in Russland treffen. Was bleibt sind dann nur noch Appelle an Putin doch bitteschön zu verhandeln oder wie bei Wagenknecht, Russland ein Angebot zu unterbreiten, mit dem Putin an den Verhandlungstisch kommt. Dabei spielt dann offensichtlich die Ukraine keine Rolle. In der Ukraine würde ja ohnehin ein Stellvertreterkrieg geführt. Eine solche Entmündigung des angegriffenen Landes kann keine linke Position sein.

Wirtschaftliche Sanktionen, wenn sie gegen den militärisch-industriellen Komplex gerichtet sind und gegen die Putin stützenden Oligarchen, sind als wirtschaftliches Druckmittel durchaus wirkungsvoll und deutlich besser, als Waffen zu liefern. Wer keine Waffen liefern will, jedoch Jegliche Sanktionen ablehnt wirkt nicht besonders glaubwürdig. Keinesfalls müssen wir deshalb mit dem derzeitigen Sanktionsregime einverstanden sein, das sich häufig gegen die Bevölkerung richtet und auch nicht wirkungsvoll genug ist.

Die auch in der Fraktion DIE LINKE von wenigen vertretene Position, die Sanktionen würden die eigene Bevölkerung und die Wirtschaft mehr treffen als Russland – deshalb sollten sie eingestellt werden, damit wir wieder Gas zu günstigen Preisen erhalten – ist in doppelter Hinsicht falsch. Einmal davon abgesehen, dass die Gaspreise auch ohne Aufhebung der Sanktionen gesunken sind und der prophezeite Energienotstand nicht eingetreten ist, muss die sozialökologische Transformation und damit der Umbau auf regenerative Energie beschleunigt werden. Das gilt nicht nur für den Westen sondern auch für Russland. Russlands fossiler Kapitalismus belastet die Klimabilanz und wird ökonomisch nach und nach seine Grundlage verlieren.

Angst vor der Ausweitung des Krieges

In seinem Essay in der Süddeutschen Zeitung vom 15.2.2023 plädiert Jürgen Habermas für ein öffentliches Nachdenken über den schwierigen Weg zu Verhandlungen. Habermas: „mir geht es um den vorbeugenden Charakter von rechtzeitigen Verhandlungen, die verhindern, dass ein langer Krieg noch mehr Menschenleben und Zerstörungen fordert und uns am Ende vor eine ausweglose Wahl stellt: entweder aktiv in den Krieg einzugreifen oder, um nicht den ersten Weltkrieg  unter nuklear bewaffneten Mächten auszulösen, die Ukraine ihrem Schicksal zu überlassen.“ Er kritisiert auch die Position, dass nur die Ukraine über die Möglichkeit entscheiden kann als inkonsistent und verantwortungslos. „Das Schlafwandeln am Rande des Abgrundes wird vor allem deshalb zu einer realen Gefahr, weil die westliche Allianz der Ukraine nicht nur den Rücken stärkt, sondern unermüdlich versichert, dass sie die ukrainische Regierung so „lange wie nötig“ unterstützt und dass die ukrainische Regierung allein über Zeitpunkt und Ziel möglicher Verhandlungen entscheiden kann. Diese Beteuerung soll den Gegner entmutigen, aber sie ist inkonsistent und verschleiert Differenzen, die auf der Hand liegen. Vor allem kann sie uns selbst über die Notwendigkeit täuschen, eigene Initiativen über Verhandlungen zu ergreifen“.

Ausgeblendet oder verharmlost wird von den Bellizisten, dass es sich bei Russland um eine Atommacht handelt und die Gefahr einer Ausdehnung des Krieges oder sogar der Einsatz von Atomwaffen steigt. Wenn Strack-Zimmermann, Hofreiter und andere sagen, dass Russland nur bluffen würde, ist das völlig verantwortungslos. Woher wollen sie das wissen? Einerseits zeichnen sie Putin als Monster, als gefährlichen und unberechenbaren Autokraten, andererseits würde er mit seiner Androhung, auch Atomwaffen einzusetzen, nur bluffen. Und wie kann ausgeschlossen werden, dass Atomwaffen nicht aus „Versehen“ abgeschossen werden? Der spanische linke Aktivist und Buchautor, Raul Sanchez Cedillo, sagt dazu in einem Interview mit Pablo Iglesias, indem er den Ukrainekrieg mit dem ersten Weltkrieg vergleicht: „der moralische Hochmut, mit dem beide Seiten den Krieg als zivilisatorischen Kreuzzug ausgeben, zugleich die Leichtfertigkeit bzw. das „Schlafwandlertum“, wie Christopher Clark es in Bezug auf den Ersten Weltkrieg nannte, mit dem unverhohlen militaristisch agiert und ein bedingungsloser Sieg propagiert wird. Ein anderer Aspekt, der eine weitreichende Ähnlichkeit mit der Phase des fanatischen Nationalismus und der „heiligen Einheit“ in Frankreich bzw. des „Burgfriedens“ in Deutschland ab dem Juli 1914 aufweist: Die Darstellung des Pazifismus als Agent der gegnerischen Seite.“

Laut mehreren Befragungsinstituten sind etwas über 30 Prozent gegen die Lieferung schwerer Waffen und gibt es eine absolute Mehrheit, die für die Aufnahme von Verhandlungen plädiert. Eine Mehrheit ist der Auffassung, dass die Bundesregierung zu wenig unternimmt um Verhandlungen voranzutreiben. DIE LINKE kann diesen Positionen eine wichtige Stimme im und außerhalb des Parlamentes verleihen.

Krieg gegen die Ukraine – ein grundlegender Paradigmenwechsel der deutschen und europäischen Außenpolitik

Der Krieg gegen die Ukraine verändert in einer bisher kaum vorstellbaren Geschwindigkeit die Haltung der politischen „Klasse“ zur Aufrüstung, zu Waffenlieferungen, zur Entspannungspolitik der vergangenen Jahrzehnte und zur Rolle der Bundeswehr. Der Paradigmenwechsel der Politik in Deutschland und Europa ist enorm. Nicht nur die Sprache ist militaristischer geworden, auch die Aufrüstung nimmt bedrohliche und beängstigende Dimensionen an. Schon wird lt. Generalsekretär Jens Stoltenberg von einigen NATO-Ländern gefordert, das 2 Prozent Ziel nicht mehr länger als anzustrebende Größe, sondern als Mindestgrenze festzulegen. Dabei wird allein das 100 Mrd. Paket für die Bundeswehr und größtes Aufrüstungspaket der Nachkriegsgeschichte die Haushalte der nächsten Jahre massiv belasten. Es ist keineswegs sicher, dass es nicht noch weitere Pakete geben wird. Der neue Verteidigungsminister, Boris Pistorius, fordert im Haushalt eine weitere Aufstockung für die Bundeswehr um 10 Mrd. einzuplanen. Schon jetzt beginnt die Debatte, ob diese Milliarden dann noch für die Kindergrundsicherung zur Verfügung stehen werden.

Die von Bundeskanzler Scholz gezogene Grenze, keine Kampfpanzer an die Ukraine zu liefern, ist spätestens mit der Marder-Lieferung überschritten. Noch wurde kein Marder überführt, mehrten sich die Stimmen nach Auslieferung von Leopard-Panzern. Nachdem auch hier Kanzler Scholz und die SPD „umgefallen“ sind, werden jetzt vom stellvertretenden Außenminister der Ukraine, A. Melnyk, Kampfjets und U-Boote gefordert. Der aktuelle Verteidigungsminister der Ukraine forderte gar völkerrechtswidrige Streubomben und Biowaffen. Diese Forderung wurde vom Westen zurückgewiesen.

Ansonsten gibt es kaum rote Linien, die nicht überschritten werden dürfen. Besonders Politiker*innen der Grünen und der FDP scheinen innerhalb der Ampelkoalition keine Grenzen mehr zu kennen. Die Ukraine muss diesen Krieg gewinnen lautet das Credo. Wer dem widerspricht wird schnell als Hilfstruppe für Putin abgestempelt. Die meisten Medien verstärken diesen Kurs. Wer Bedenken oder gar Kritik an Waffenlieferungen übt oder lediglich Anstrengungen für Friedensverhandlungen einfordert kommt entweder nicht zu Wort oder wird mit dem Totschlagargument konfrontiert, dass man das Geschäft Russlands besorge. Habermas kritisiert zurecht: „…..aber bei uns angetrieben durch den bellizistischen Tenor einer geballten veröffentlichten Meinung, in der das Zögern und die Reflexion der deutschen Bevölkerung nicht zu Wort kommen.“

Umso wichtiger wäre das Entstehen einer breiten Friedensbewegung. Notwendig wäre dafür eine Plattform zu schaffen, die keinen Zweifel an der Verurteilung Russlands lässt, mit Empathie Solidarität mit der leidgeplagten ukrainischen Bevölkerung zeigt, die territoriale Integrität der Ukraine nicht in Frage stellt, Aufrüstung und Waffenlieferungen kritisch und ablehnend gegenübersteht, Verhandlungen als ersten Schritt zur Beendigung des Krieges auf den Weg bringen will, eine Stimme der Vernunft ist und die zunehmende Militarisierung und Kreuzzugmentalität ablehnt. So oder so ähnlich könnte eine Plattform für ein breites Friedensbündnis unter Einschluss von Gewerkschaften, kirchlichen Friedensgruppen, Personen mit öffentlicher Reichweite und Antikriegsinitiativen aussehen. Die Linke kann und muss die Initiative dafür ergreifen. Auch vor Ort können solche Bündnisse dafür sorgen, dass weit über die traditionellen Kreise der Ostermarschbewegung hinaus mobilisiert werden kann. Einem Aufruf einer ähnlich gelagerten Initiative sind letztes Jahr im März rund 35 000 Menschen in Stuttgart gefolgt. Die klare Abgrenzung gegen rechts muss dabei eine Selbstverständlichkeit sein. Mit der AfD und ihrem Umfeld gibt es keine Gemeinsamkeiten.

Weltweite hegemoniale Verschiebungen und Krisen verschärfen die Kriegsgefahr

Der Krieg ist auch als Folge massiver weltweiter hegemonialen Verschiebungen und Teil einer neuen Blockbildung zu verstehen. Welche Konstellation sich dabei letztendlich herausbilden wird, ist schwer zu sagen. Russland hat bisher seine Kriegsziele nicht erreicht, nämlich in der Ukraine einen größeren Korridor gegenüber dem Westen und der NATO zu schaffen und dauerhaft zu verhindern, dass die Ukraine in die NATO aufgenommen wird. Der Krieg hat erst einmal die NATO gestärkt. Sie erweitert sich durch Finnland und Schweden. Eine neue Blockbildung zeichnet sich ab. Russland wird stärker an die Seite von China, die EU stärker an die Seite der USA gedrängt. Russland hat seine Einnahmen aus den fossilen Energien nicht genutzt eine Transformation und Modernisierung der eigenen Wirtschaft auf den Weg zu bringen. Es bleibt ein politisch autoritärer und ökonomisch fossiler Oligarchenkapitalismus und eine absteigende Macht, jedoch in Besitz eines großen Arsenals von Atomwaffen. Nicht so China, das einen bisher nie dagewesenen wirtschaftlichen Aufschwung verzeichnen und große Teile seiner modernen Sektoren transformieren kann. China tritt als neue Weltmacht auf den Plan, ohne jedoch die  USA, die weiterhin die größte Militärmacht bleibt, militärisch herausfordern zu können oder auch zu wollen. Chinas Außenpolitik ist nicht darauf ausgerichtet eine weltweit militärische hegemoniale Vormachtstellung zu erringen, sondern ihre auf weiteres Wachstum ausgerichtete Ökonomie abzusichern. China verfügt nur über einen einzigen  Militärstützpunkt in Übersee. Das Land rüstet jedoch ebenfalls auf. Die USA wiederum verlagert längst Teile seines Militärs Richtung China und betreibt ein enormes Aufrüstungsprogramm. Sie gibt ca. 3 Mal so viel für ihr Militär aus, als China.

Die USA hat jedoch ihre Stellung als alleinige Weltmacht verloren. Sie versucht Chinas wirtschaftlichen Aufstieg mittels wirtschaftlicher Sanktionen zu verhindern oder mindestens zu verzögern. Bisher mit wenig Erfolg. Die EU wird  an außenpolitischer Bedeutung verlieren, wenn sie enger an der Seite der USA operiert. Es handelt sich dabei mehr um ein Unterordnungsverhältnis als um ein gleichberechtigtes Bündnis. Von einer eigenständigen Außenpolitik Deutschlands oder Europas kann derzeit kaum die Rede sein. Sie erfolgt in enger Abstimmung mit den USA, die ersichtlich das Ziel verfolgt Russland dauerhaft militärisch zu schwächen.

Die Blockbildung gegen Russland und China wird mit der Erzählung verbunden, dass es um einen Kampf zwischen autoritär geführten Ländern und liberalen Demokratien geht. Diese Erzählung ist wenig glaubwürdig, befinden sich doch in der NATO mit der Türkei, Ungarn und Polen autoritär regierte Länder. Die Bündnispartner Saudi Arabien, Ägypten oder Katar können nicht gerade als liberale Demokratien bezeichnet werden. Insoweit ist die feministische- und menschenrechtsorientierte Außenpolitik von Annalena Baerbock mit einem erheblichen Schuss Heuchelei versehen. Indien und Brasilien als wichtige Schwellenländer haben die Wirtschaftssanktionen nicht mitgemacht und verfolgen eigene Interessen. Indien hat seine Importe von Öl und Gas aus Russland deutlich erhöht.

Ingar Solty hat dazu einen interessanten Artikel geschrieben (Auf dem Weg in eine neue Blockkonfrontation) indem er von einer mehrdimensionalen neuen Blockkonfrontation ausgeht, mit einer geschwächten EU. Der Professor für internationale Politik an der Universität der Bundeswehr, Carlo Masala spricht von einer Weltunordnung. „Die Ausstrahlung des liberaldemokratischen Westens mit dem von ihm maßgeblich geschaffenen internationalen System seit 1945 sinkt beständig. Es bleibt also bei einer Weltordnung, in der die disruptiven (zerstörerischen, BR) Tendenzen zunehmen werden und in der die auf- und absteigenden Mächte sich weiterhin nicht als Manager des internationalen Systems im 21. Jahrhundert verstehen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass der Kampf um die Vorherrschaft in den kommenden Jahren an Schärfe deutlich zunehmen wird“ (Masala in: Weltunordnung, die globalen Krisen und die Illusionen des Westens, S180). Mit anderen Worten: Die Gefahr von weiteren Kriegen und militärischen Auseinandersetzungen wird größer.

Die Charakterisierung des Krieges als Rückkehr des Imperialismus in Europa durch Olaf Scholz unterschlägt, dass nicht nur Russland imperialistische Interessen verfolgt. Die imperialistischen Interessen der USA und des Westens werden ausgeblendet. Das ist genauso falsch, wie die Aussage von Annalena Baerbock, dass wir „mit unseren Waffen Leben retten“.

Weil die verschiedenen Blöcke nicht in der Lage sind eine dauerhaft beständige Friedensordnung hervorzubringen, muss es der Linken weltweit genau darum gehen. Die Position, dass mit Putin nicht verhandelt werden kann, bedeutet im Umkehrschluss: Bevor es keinen Regimechange in Russland gibt, kann kein Waffenstillstandsabkommen und kein Friedensvertrag geschlossen werden. Das ist absurd. Auch wenn sich beide Seiten Vorteile auf dem Schlachtfeld erhoffen, muss es auf kurz oder lang (je früher desto besser) Verhandlungen für einen Friedensvertrag geben. Darüber hinaus wird die Frage beantwortet werden müssen, wie eine Sicherheitsarchitektur in Europa aussehen kann. Wenn Olaf Scholz die Einschätzung ablehnt, wonach ein neuer kalter Krieg heraufziehen würde, dessen Kern die Konfrontation zwischen den USA und China bildet und er stattdessen sagt, es gelte auch „mit Ländern zusammenzuarbeiten, die demokratische Institutionen zwar selbst nicht angenommen haben“, aber ein regelbasiertes System unterstützen, ist vielleicht noch nicht alle Einsicht verloren. Gerade Deutschland und Europa müssen ein großes Interesse an einer friedlichen Koexistenz mit Russland und China haben. Es ist zwar der denkbar ungünstigste Zeitpunkt ein kollektives Sicherheitssystem ohne NATO, vielleicht mit Stärkung der OSZE und/oder Demokratisierung einer handlungsfähigen UN zu popularisieren. Es wird aber ohne Zweifel eine wichtige Aufgabe linker Friedens- und Außenpolitiker sein, Grundzüge einer solchen Friedensordnung zu entwickeln. Nicht zuletzt hat unsere Partei wegen ihrer Außenpolitik (wenn wir den Umfragen Glauben schenken) erhebliche Stimmenanteile verloren hat. Hier gilt es Vertrauen zurückzugewinnen.

Außerdem können wir davon ausgehen, dass sowohl die konservativ/liberalen Parteien als auch Grüne und SPD bei den Europawahlen, die Stärkung der EU als dem liberalen demokratischen Block gegen die autoritär geführten Länder, wie Russland in das Zentrum des Wahlkampfes rücken. Dabei wird die Frage einer europäischen Armee, zumindest einer deutlich stärkeren militärischen Kooperation und gemeinsamen Außenpolitik deutlich mehr Gewicht erhalten, als in den vergangenen Wahlen. Wenn DIE LINKE hier nicht klar und sprechfähig ist, können wir leicht unter die Räder kommen.

Multiple Krisen des Kapitalismus

Der Krieg inmitten von Europa und die weltweit wachsenden Kriegsgefahren sind nicht die einzige Krise mit der wir es zu tun haben. Verschiedene Theoretiker der Linken reden und schreiben schon seit längerem von den multiplen Krisen oder einer ökonomisch-ökologischen Zangenkrise (Klaus Dörre) des Kapitalismus. Die ökonomischen und sozialen Krisen verschränken  sich mit der lebensbedrohenden Klimakrise, wachsenden militärischen Konflikten und Kriegsgefahren. Verschiedene soziale, ökologische und demokratische Bewegungen sind entstanden, die sich mit den bestehenden Verhältnissen nicht abfinden wollen. Die selbsternannte Fortschrittskoalition mit Kanzler Scholz konnte ihr Modell eines modernisierten Kapitalismus, das zugleich mit einer begrenzten Transformation, Wachstum und die Verbesserung der Weltmarktposition in Einklang bringen wollte, nicht so richtig voranbringen. Das Konzept der Abkoppelung von Wachstum vom zunehmenden Ressourcenverbrauch scheint schon jetzt gescheitert zu sein. Zu groß sind die Krisen mit denen sich die Ampel gleichzeitig auseinandersetzen muss. Die drohende Energiekrise konnte gerade noch abgewendet werden. Trotzdem sind die Preise für Gas doppelt so hoch, wie vor dem Ukraine-Krieg. Die Hoffnung über Wachstum den Verteilungskrisen aus dem Weg zu gehen, schmilzt gerade dahin wie der Schnee in der Sonne. Höhere Steuern für Konzerne und Superreiche sind durch das Veto der FDP auf absehbare Zeit ausgeschlossen. Den Finanzierungsproblemen aus dem Weg zu gehen, indem nach dem Vorbild des Sonderfonds für die Bundeswehr Schattenhaushalte gebildet werden ist kaum mehr möglich. Die FDP wird das nicht mitmachen. Die gestiegenen Zinsen erschweren eine weitere Verschuldung. So werden wichtige Projekte der Koalition wie die Kindergrundsicherung, Klimaschutz, usw. auf Sparflamme gehalten. Der Streit zwischen FDP und Grünen ist Ausdruck dieser Krisen und Widersprüche.

Soziale Krise ist ohne massive Umverteilung nicht zu lösen

Schon seit Jahrzehnten stecken wir einer sozialen Gerechtigkeitskrise. Die soziale Schere geht weiter auseinander, sowohl zwischen den Ländern des globalen Südens und den wirtschaftsstarken Ländern des Nordens, als auch zwischen den Klassen in den jeweiligen Ländern. Oxfam berichtete Mitte Januar, kurz vor Beginn des Weltwirtschaftsforums in Davos, dass Konzerne und Superreiche die großen Krisengewinner sind. Seit 2020 gingen zwei Drittel aller Vermögenszuwächse an das reichste 1 Prozent der Weltbevölkerung, während die anderen 99 Prozent mit dem Rest vorlieb nehmen müssen. Erstmals seit einem Vierteljahrhundert hätten extremer Reichtum und extreme Armut gleichermaßen zugenommen. Noch gravierender als im globalen Vergleich ist die soziale Kluft in Deutschland gewachsen. In der Bundesrepublik entfielen 81 Prozent der Vermögenszuwächse auf das reichste eine Prozent und nicht einmal 20 Prozent auf den Rest.

Die Zeit während der Coronapandemie konnte das Kapital nutzen, Gewinne und Reichtum der Aktionäre zu vergrößern. Die durch den Krieg gegen die Ukraine verschärfte Inflationsentwicklung führt bei Millionen Beschäftigten zu Reallohnverlusten und der Verschlechterungen ihrer Lebensbedingungen. Ca. 40 Prozent der Menschen in Deutschland besitzen keinerlei Reserven. Die Verdoppelung der Energiekosten stellt sie vor schwer lösbare Probleme. Die Verteilungskämpfe werden härter. Während die Gewerkschaften in den meisten Branchen sich nicht zutrauen auch nur den Inflationsausgleich durchzusetzen (wobei zu fragen wäre, ob die tatsächliche Kampfkraft ausgeschöpft wird) werden andererseits die staatlichen Ausgleichsmaßnahmen gerade für die unteren und mittleren Einkommensgruppen nicht ausreichen, um die gestiegenen Kosten zu bewältigen. Die aktuelle Tarifauseinandersetzung für die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes bekommt großes Gewicht und wird Aufschluss darüber geben, ob es in dieser direkt und indirekt über 4 Millionen Beschäftigten umfassenden Tarifauseinandersetzung gelingen kann, Lohnerhöhungen im Umfang der Inflationsrate durchzusetzen. Selbstverständlich unterstützt DIE LINKE die Beschäftigten, vor allem bei Aktionen und Streiks. Die Mobilisierung vor der dritten Verhandlungsrunde Ende März ist erfreulich gut.

Der Parteivorstand hat beschlossen eine Kampagne zur Umverteilung von Oben nach Unten auf den Weg zu bringen. Zusammen mit der Forderung nach einem massiven Klimaschutzprogramm und einer Aufwertung des Öffentlichen ist das der richtige Schritt. Die Partei hat ein Alleinstellungsmerkmal bei der Forderungen nach höherer Besteuerung der Superreichen und Reichen. Gleichzeitig gibt es spürbare Mängel im Bereich von Pflege, Erziehung, Bildung, ÖPNV, Bahn, usw. Im Zusammenhang mit der Forderung nach konkreten Verbesserung auf diesen Feldern kann die Kampagne erfolgreich werden. Der DGB will für eine Vermögenssteuere „trommeln“.

Gefahr einer heraufziehenden Wirtschaftskrise

In den USA und den Ländern der europäischen Union wird die Inflation in erster Linie mit Zinserhöhungen bekämpft. Das ist in hohem Maße problematisch, denn die Energiepreise reagieren nicht auf Zinserhöhungen. Die Kosten für Hypotheken steigen ebenso wie die Baupreise. Die Bundesregierung gab dieser vor kurzem bekannt, dass sie das Ziel von 400 000 neu gebauten Wohnungen weit verfehlen wird. Private und staatliche Schulden verteuern sich, die Gewinne von Banken und Finanzkonzernen werden steigen. Die hohe Inflation entwertet die Löhne, führt zu sinkender Kaufkraft und weiterer Umverteilung. Die staatlichen Ausgleichsprogramme werden die gestiegenen Lebenshaltungskosten kaum ausgleichen. Die gestiegenen Energiekosten belasten die Bilanzen energieaufwendiger Industriesektoren. Dazu kommen noch Lieferengpässe, die den Produktionsprozess zumindest beeinträchtigen. 2022 konnte trotz dieser Bedingungen ein Wirtschaftswachstum von 1,9 Prozent erzielt werden, was jedoch die Einbußen während der Coronakrise kaum wettmachen dürfte. Bisher schlagen diese Entwicklungen nicht oder kaum auf den Arbeitsmarkt durch. Die Beschäftigung bleibt auf einem Höchststand. Es ist jedoch wahrscheinlich, dass wir es in den nächsten Jahren mit einem Krisenzyklus der wirtschaftlichen Entwicklung zu tun haben, mindestens jedoch mit einer Stagnationsphase. Auszugehen ist von einem Prozess wachsender Verteilungsungerechtigkeit und beschleunigt durch die Transformation und Digitalisierung von einem ökonomischen Konzentrations- und Zentralisierungsprozess. Die Elektromotorisierung der Automobilindustrie und damit des wichtigsten Industriebereiches führt absehbar zu Arbeitsplatzvernichtung, beginnend bei den Zulieferern. Beobachtet werden kann seit geraumer Zeit die zunehmende Verlagerung von Produktionsstandorten in osteuropäische Länder und in die Türkei. Der Markteintritt von chinesischen oder auch indischen Automobilfirmen wird durch die Elektromotorisierung erleichtert und führt zu einem verschärften internationalen Konkurrenzkampf. Für Deutschland wird für dieses Jahr eine geringe Wachstumsrate von 0,2 Prozent erwartet, nachdem zuvor von den meisten Wirtschaftsinstituten eine Rezession prognostiziert wurde.

DIE LINKE unterstützt Kämpfe der Belegschaften und der Gewerkschaften gegen Standortschließungen und Verlagerungen von Produktionsstätten. Das geschieht gerade massenhaft bei den Zulieferern, die die Transformation nicht finanzieren können oder einfach nur um die niedrigeren Lohnkosten für höhere Profite zu nutzen. Die IGM hat auf die dramatische Lage der Zulieferer aufmerksam gemacht.

Dabei vertreten wir bei der Transformation das Ziel eines umfassenden Umbaus zu einer emissionsfreien Wirtschaft. Mit Hilfe von Strukturpolitik und Konversion (z.B. die Produktion von nachhaltigen Verkehrsmitteln) soll z.B. die Automobilindustrie zu einer nachhaltigen Mobilitätsindustrie umgebaut werden. Das verbinden wir mit der Forderung nach Erweiterung der Mitbestimmung und einen Einstieg in die Wirtschaftsdemokratie. Die Dimension einer Transformation, die das Klima und die Arbeitsplätze schützt, ist so umfassend, dass sie ohne Änderung der Eigentumsformen – Genossenschaften, belegschaftseigene Betriebe, öffentliches Eigentum – nicht erfolgreich sein kann. Umfassende Arbeitszeitverkürzung ermöglicht höheren Zeitwohlstand und ein besseres Leben. Es wird Zeit, dass dazu eine gesellschaftliche Diskussion angestoßen wird. Die Arbeit in personenbezogenen Dienstleistungs- und sozialen Bereichen muss dringend aufgewertet und besser bezahlt werden.

Der Kapitalismus kann die Klimakatastrophe nicht verhindern

Die größte Krise und Herausforderung ist die Klimakatastrophe. Es gibt innerhalb unserer Partei nach wie vor Gruppen, die davor warnen grüner als die Grünen zu werden. Das Thema würde den Grünen zugeordnet und könne von uns deshalb nicht erfolgreich besetzt werden. Außerdem würden wir uns von den lohnabhängigen Klassen entfremden. Unabhängig von dieser strategischen Frage gibt es die Klimakrise; wir sind bereits mittendrin. Die Lösung der Klimakatastrophe ist eine objektive gesellschaftliche Aufgabe. Die Weichen, ob wir daran scheitern oder nicht werden in den nächsten 15 Jahren gestellt. Die Grünen, wie auch die Ampel können mit ihrem Ansatz die Krise nicht lösen. Gerade für die Lohnabhängigen zeigt sich die Klimakatastrophe als Gerechtigkeitskrise, die ihre Arbeits- und Lebensbedingungen in hohem Maße beeinflussen wird.

Trotz deutlichem Rückgang des Energieverbrauches hat Deutschland auch 2022 seine selbst gesteckten Klimaziele deutlich verfehlt. Deutschland emittierte 5 Millionen Tonnen Treibhausgas mehr als die Obergrenze vorsieht. Neuere Meldungen gehen davon aus, dass der sinkende Energieverbrauch dazu geführt hat, dass Deutschland innerhalb der Klimaziele geblieben  ist.

Unstrittig ist der hohe Emissionsausstoß durch die Reaktivierung von Kohlekraftwerken, Gebäude und der Verkehr. Das FDP geführte Verkehrsministerium blockiert die eigenen Klimaziele. Neue Autobahnen und Bundesstraßen sollen gebaut werden, während der Ausbau des Schienennetzes stagniert und den Kommunen und Ländern die nötigen Mittel für einen nachhaltigen Ausbau des ÖPNV und des Regionalverkehrs verweigert werden. Laut dem Expertenrat wird Deutschland auch seine Klimaziele bis 2030 deutlich verfehlen. Die heißen Sommer, bei denen sich Trockenheit und Starkregen abwechseln, die Überschwemmungen im Ahrtal, das Absinken der Grundwasserspiegel, machen erfahrbar, dass die Klimakatastrophe nicht erst in der fernen Zukunft kommt. Sie lässt uns bereits heute erahnen, was in nicht allzu ferner Zukunft in geballter Form auf uns zukommen wird. Der Bericht des Weltklimarates, dass wir bereits bis 2035 eine Erwärmung von 1,5 Prozent bekommen, wenn nicht massiv gegengesteuert wird.

Seit Beginn der Industrialisierung, also seit 200 Jahren, nimmt die Konzentration von Treibhausgasen stark zu. CO2 ist wesentlich für die Erderwärmung verantwortlich. Die Luft an der Erdoberfläche hat sich gegenüber der Zeit vor der Industrialisierung um den Mittelwert von 1 Grad erwärmt. In Deutschland liegt der Temperaturanstieg im zurückliegenden Jahrzehnt um 2 Grad höher als in den ersten Jahrzehnten der Aufzeichnungen. Das Abschmelzen der Gletscher und des arktischen Meereises führt zu einem Anstieg der Meeresspiegel. Die Lebensgrundlage von über 100 Millionen Menschen ist heute schon bedroht. Namhafte Klimaexperten gehen davon aus, dass das 1,5 Grad Ziel des Pariser Klimaschutzabkommens nicht mehr erreichbar ist. Selbst ein Anstieg um 2 Grad ist ohne radikale Änderung der Wirtschafts- und Lebensweise nicht möglich. Durch verschiedene Klimafolgen, wie z.B. das Auftauen der Permafrostböden, die Zerstörung der Artenvielfalt, Verlust des natürlichen Eisschutzes vor Sonneneinstrahlung durch das Abschmelzen der Polarkappen, dem Anstieg der Meeresspiegel und Beschädigung der Kohlenstoffaufnahme der Meere droht das Überschreiten der Kipppunkte und damit eine dominoartige Kettenreaktion. Irrreversible Schäden wären die Folge, die bis zur Gefährdung des Überlebens der Menschheit führen kann.

Die dem Kapitalismus innewohnende Externalisierung der sozialen Kosten auf die Gesellschaft und der ökologischen Kosten auf die Natur und das Klima kann, bei Aufrechterhaltung des kapitalistischen Systems, nicht überwunden werden. Die Illusion der Grünen und der Sozialdemokraten von grünem Wachstum, das vom zunehmenden Ressourcenverbrauch abgekoppelt werden kann, wird zerplatzen wie eine Seifenblase. Der Kapitalismus löst seine inneren Widersprüche durch Wachstum und Inwertsetzung noch nicht erschlossener Bereiche. Längst wird fast jeder weitere Fortschritt durch ein wachsendes Maß an Zerstörung und Destruktivität erkauft. Der Kapitalismus ist zugleich ein System gravierender Ungleichheit. Das trifft auch auf die Klimakatastrophe zu. Während eine Minderheit reicher und vermögender Menschen den größten ökologischen Fußabdruck hinterlässt, muss eine übergroße Mehrheit für die Folgen bezahlen. Nach Oxfam sind die reichsten 10 Prozent der Menschen für mehr als die Hälfte der CO2 Emissionen verantwortlich. Während das reichste eine Prozent allein 15 Prozent der Gase emittiert, verantwortet die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung lediglich 7 Prozent. In Deutschland waren 10 Prozent der Reichsten 2015 für mehr Emissionen verantwortlich als der Rest der Bevölkerung. Die einkommensschwächeren Teile der Bevölkerung wohnen meist in den verkehrsreichen Straßen, tragen die größte Last der gesundheitlichen Folgen, sterben früher und sind mit der Verteuerung der Lebensmittel am härtesten getroffen.

Zurecht schreibt die Schweizer Gruppe Denknetz: „Wer glaubt, bei der Klimaerhitzung gehe es „nur“ um eine Zunahme von Hitzewellen, Starkregen und steigende Meeresspiegel der täuscht sich. Die Krisendynamik ist ebenso durch Versorgungsengpässe, Verteilungskämpfe und globale Konflikte geprägt“ (Denknetz 12/November 2022). Noch gravierender trifft die Klimakatastrophe die Menschen im globalen Süden, obwohl sie den geringsten Anteil verursachen. Hie und da anzutreffende Debatten ob die Linke sich mehr den sozialen Fragen zuwenden muss und nicht den Anschein erwecken darf, Grüner als die Grünen zu werden sind vor diesem Hintergrund völlig aus der Zeit gefallen. Die Frage des Klimaschutzes ist eine zutiefst soziale Frage, sie durchzieht die gegensätzlichen Klasseninteressen wie ein roter Faden und die Beantwortung ist ein grundsätzliche, deren Beantwortung in der Überwindung des kapitalistischen Systems liegt.

Jede linke Partei steht vor der Aufgabe Auswege aus der Klimakatastrophe zu finden und die Kämpfe der Klimabewegung zu unterstützen. Die Aufgabe, die vor uns steht ist der grundsätzliche globale Umbau des bestehenden Wirtschafts- und dominierenden Lebensmodell, welche vor allem durch die Industrienationen der westlichen Welt geprägt sind.

Die Antwort der Rechten und warum der Kampf gegen die Klimakatastrophe mit dem Kampf gegen Rassismus und Antifeminismus zusammenhängt

Die rechtsradikalen und nationalistischen Kräfte und Parteien haben längst eine Antwort gefunden. Sie leugnen die menschengemachte Klimakatastrophe. Dabei geht es nicht um offensichtliche Dummheit oder Unwissenheit. Rechte, wie Trump, Bolsenaro oder Parteien wie die AfD wissen genau, dass es den menschengemachten Klimawandel gibt. Sie wissen jedoch vor allem, dass es nicht für alle reichen wird, wenn so weitergemacht wird.  Nach ihrer Ideologie muss es auch nicht für alle ein gutes Leben geben. Es muss für den Erhalt des Kapitalismus und ihrer überwiegend weißen Gefolgschaft in den reichen Ländern reichen. Deshalb rüsten sie auf, bauen Mauern und bewehrte Zäune mit Stacheldraht und sind bereit ihre Interessen mit Gewalt durchzusetzen. Die AfD verbindet das Leugnen des menschengemachten Klimawandels mit der Verteidigung „unseres“ Wohlstandes, der vor den grün-roten Klimaterroristen, den Geflüchteten und Migrant*innen und gegenüber den Ansprüchen der Menschen im globalen Süden geschützt werden muss. Die Autoren des sehr lesenswerten Buches „Klimarassismus – der Kampf der Rechten gegen die ökologische Wende“ zeigen an vielen Beispielen auf, wie die Rechten die materiellen und ökonomischen Interessen der herrschenden Klasse und ihrer Anhänger*innen mit offenem Rassismus, Antifeminismus und dem Hass auf „Minderheiten“ verbinden. Sie führen einen Kampf gegen die Rechte von Frauen und Minderheiten, Demokratie, soziale Gerechtigkeit und Klimaschutz. Sie führen zugleich einen Kulturkampf für die Wirtschafts- und Lebensweise der Interessengruppen, die meistens weiß, vermögend und männlich sind. Die Autoren des o.g. Buches schreiben dazu: „Und auch heute gilt die gesellschaftlich dominante Fixierung auf technologische statt auf soziale Wege zur Bearbeitung der Klimakrise als typisch männlich“.

Deshalb ist der Kampf gegen Rassismus, Antifeminismus und für Klimagerechtigkeit keine identitäre Marotte gut situierter städtischer Mittelschichten sondern unverzichtbarer Bestandteil im Kampf um Gerechtigkeit, Demokratie und Sozialismus. Im Unterschied zu den Rechten geht es uns um eine weltweite gleichberechtigte Lebensperspektive für alle Menschen. Es geht um nicht mehr und nicht weniger als den Um- und Neubau eines Wirtschafts- und Lebensmodells, das nicht mehr auf Ausbeutung, Unterdrückung, Ungleichheit und Übernutzung unserer natürlichen Lebensgrundlagen aufgebaut ist.

Dabei muss der Pro-Kopf Ausstoß an CO2 von 8,5 Tonnen drastisch reduziert werden. Das Umweltbundesamt spricht von 1 Tonne, die klimaverträglich wäre. Das ist nur möglich, wenn unser Wirtschafts- und Lebensmodell radikal verändert und eine Weltwirtschaftsordnung aufgebaut wird, die es ermöglicht, dass die Länder des globalen Südens die fossile Entwicklungsphase überspringen. Die Überwindung von sozialer Ungleichheit kann die Linke verbinden mit einem anderen Wohlstandsbegriff in einer Gesellschaft in der die (soziale) Infrastruktur am Gemeinwohl und nicht am Profit ausgerichtet wird. Dabei geht es um unveräußerliche Rechte auf gesellschaftliche Teilhabe auf der Grundlage guter Arbeit, auskömmlicher Löhne,  gerechte Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums und um die Demokratisierung der Wirtschaft. Die Verbindung von Arbeitsplätzen, industrieller Strukturpolitik, Klimaschutz und Wirtschaftsdemokratie könnte Leitlinie für linke Politik sein.

Jede gesellschaftliche Vision braucht Brücken auf dem Weg dahin oder konkreter, Einstiegsprojekte, die es ermöglichen wegweisende Veränderungen auf den Weg zu bringen. Die Mobilitätswende ist ein Schlüsselkonflikt und ein solch zentrales Einstiegsprojekt. Hier liegt das größte Versagen der Ampelregierung vor. Verkehrskonzepte der Zukunft umfassen Städte und Kommunen der kurzen Wege, ein gut ausgebautes Netz von Fußgänger- und Fahrradwegen, einen gut ausgebauten ÖPNV, der auch die „letzte“ Meile von der Endhaltestelle bis zur Wohnung abdeckt, bei günstigen Ticketpreisen, bis hin zum Nulltarif. Ziel muss der Aufbau nachhaltige Mobilität sein, ohne auf ein Auto angewiesen zu sein. Der Güterverkehr wird weitgehend auf die Schiene verlagert. Die Zahl des motorisierten Individualverkehrs wird mittelfristig halbiert. Die Automobilregionen werden zu Mobilitätsregionen umgebaut. Damit können bis zu 400 000 Arbeitsplätze im industriellen Bereich geschaffen werden (siehe Spurwechsel der RLS). In der zentralen und wichtigsten Industrie in Deutschland verfolgen wir das Ziel einer umfassenden sozialökologischen Transformation.

Gleichzeitig geht es dabei auch um die Verteilung der begrenzten Fläche. Die Städte unterliegen wegen dem großen Anteil versiegelter Fläche einer stärker steigenden Erwärmung. Werden sie nicht stärker begrünt und fließt nicht mehr Wasser in den Städten, steigen die gesundheitlichen Belastungen, bis hin zur höheren Sterblichkeit älterer und gesundheitlich belasteter Menschen. Ca. 60 Prozent der öffentlichen Fläche in den Städten wird durch die Autos beansprucht. Zentral wird daher sein, mehr und mehr autofreie Zonen zu schaffen, wie es viele Städte (leider fast alle in anderen Ländern, wie Kopenhagen, Amsterdam, Barcelona) längst auf den Weg gebracht haben.

Die Initiativen von Kreisverbänden und Basisgruppen unserer Partei für kostenfreie oder zumindest deutlich kostengünstigere Ticketpreise in Verbindung mit der Forderung nach höheren Investitionen für den Ausbau des ÖPNV ist ein richtiger Ansatz und sollte verstärkt werden. Nachdem die Klimabewegung Friday for Future ihre Aktionen auf eine nachhaltige Mobilitätswende ausrichtet, mit ver.di zusammen für bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne streikt, gibt es zahlreiche Bündnismöglichkeiten auf jeder Ebene.

Risse zwischen Klimaschutzbewegung, Umweltorganisationen und Grünen werden größer

Lützerath ist nicht nur zu einem Symbol des Kampfes gegen den unsinnigen weiteren Abraum von klimaschädlicher Kohle geworden, sondern auch für den sichtbaren Riss zwischen der Klimabewegung und den Grünen. Deren Versuch den Abraum zu beschließen und gleichzeitig dagegen zu protestieren hat nicht funktioniert. Bei den Aktivisten geht die Richtung eindeutig nach links, was in fast allen Reden auf der Kundgebung klar zum Ausdruck gekommen ist. Bei vielen Akteuren gibt es ein entwickeltes Bewusstsein für die Verbindung von sozialer- und Klimagerechtigkeit, ebenso über die dahinter stehenden dominierenden Konzerninteressen. Systemische Fragen fließen mehr und mehr in die Bewegung ein. Das bedeutet nicht, dass diese Entwicklung sofort unserer Partei zu Gute kommt. Schließlich will man/frau nicht die Enttäuschung mit den Grünen noch einmal erleben. Die Linke kann jedoch zu einem wichtigen Bezugspunkt werden. Das setzt voraus, dass entsprechend den Parteitagsbeschlüssen und dem Wahlprogramm gehandelt wird. Sich widersprechende Botschaften innerhalb der Fraktion sind dem nicht gerade dienlich. Die Klimakatastrophe ist so gegenwärtig und bedrohlich, dass sich Millionen Menschen der heutigen und künftigen jungen Generationen an deren Bewältigung politisieren werden. Es liegt an uns, die Partei zu sein, die das am besten auf den Punkt bringt und die besten Antworten hat. Das ist eine wichtige Voraussetzung um im besten Sinne des Wortes verbindende Partei zu sein oder zu werden.

Kampf gegen Rassismus und Rechtsradikalismus

Es gibt einen gefährlichen Gewöhnungsprozess an die Existenz einer rechtsradikalen Partei, die sich in ihrer Entwicklung deutlich radikalisiert und eine mehr oder weniger offene Verschränkung zu neonazistischen und gewaltbereiten Kräften (Reichsbürger usw.) aufweist. Zwar war das Bundestagswahlergebnis für die AfD ernüchternd, sie stieg jedoch seither in den Wahlumfragen auf stabil 13 bis 16 Prozent. In den ostdeutschen Bundesländern bewegt sie sich zwischen 20 und 28 Prozent und wäre damit in Sachsen und Thüringen stärkste Partei. In verschiedenen Ländern bilden rechtspopulistische und nationalistische Parteien die Regierung. Aktuell neben Polen, Ungarn und der Türkei, auch in Italien. Die Gefahr, dass Trump ein Comeback gelingt ist nicht gebannt. Die Rechten bieten sich in mehr und mehr Ländern als Vertreter eines autoritären Kapitalismus an. Der erste Angriff, sobald sie in der Regierung sind, gilt der Demokratie. Mit einer Mischung von Sündenbockpolitik gegenüber Migrant*innen, Geflüchteten und „Minderheiten“ und der Kampfansage gegen die politische „Elite, die nicht mehr das deutsche Volk vertreten würde, wird der Nationalismus gestärkt. Gleichzeitig wird ein massiver Kulturkampf für traditionelle“ Werte“ und für eine konservatives Familienbild geführt, gerichtet gegen jede Form von emanzipatorischer und feministischer Politik, freier sexueller Orientierung und anderer Lebensformen. Auch wenn die AfD aus heutiger Sicht kaum Aussicht auf Regierungsmacht besitzt und aktuell keine Partei bereit ist mit der AfD eine Koalition einzugehen, muss das nicht so bleiben. Gerade im Osten ist der Wall gegen eine Koalition mit der AfD nicht so stabil gebaut, dass er nicht bröckeln kann, wie wir es ja in Thüringen gesehen haben.

Auch wenn unsere Partei derzeit schwächelt, muss sie den klaren Gegenpool zu rechtsradikalen und neonazistischen Parteien bilden. Die AfD versucht den Unmut oder zumindest das Unbehagen über die gestiegenen Lebenshaltungs- und Energiekosten für ihre Zwecke zu nutzen. Sie wirft der Bundesregierung vor, die Interessen des „Deutschen Volkes“ zu verraten.  Die Sanktionen gegen Russland würden die eigene Bevölkerung treffen und wären verantwortlich für die hohen Energiekosten. Die Regierung würde damit und mit der ideologiegetriebenen links-grünen Klimapolitik die Wirtschaft in Deutschland kaputt machen. Die AfD verharmlost und rechtfertigt den Angriffskrieg von Russland, zumindest lehnt sie alle Sanktionen ab mit dem Ziel wieder günstige Gaslieferungen zu erhalten. Das entledigt sie jeglicher Kritik an der Preispolitik der Energiekonzerne und verschleiert, dass sie keinerlei eigene Vorschläge zur Deckelung der Preise und zur Entlastung der Bevölkerung vorlegen kann. In der Frage der Transformation zu regenerativen Energieformen ist die AfD ohnehin blank und bei der Mobilitätswende geht es ihr alleinig darum, Benziner und Diesel als Antriebsformen zu retten. Sie ist eine durch und durch rückwärtsgewandte fossile Partei, zunehmend rassistisch, nationalistisch und rechtsradikal. Es ist gut, dass bei den meisten Protestaktionen gegen die Teuerung eine klare Abgrenzung gegen rechts erfolgt ist, wenn es davon leider auch Ausnahmen gab. Das muss weiterhin der Kurs sein. Wir verurteilen den Angriffskrieg gegen Russland und fordern gezielt Sanktionen gegen die Oligarchie und den industriell-militärischen Komplex. Wir stehen an der Seite der ukrainischen Bevölkerung, die unter diesem Krieg unsäglich leiden muss. Wir stehen für einen schnellen sozialökologischen Umbau und machen keine Standortspolitik für das Kapital. Und wir machen konkrete Vorschläge, wie Preise gedeckelt, die Menschen entlastet und die Energiekonzerne in die öffentliche Hand überführt werden können.

Derzeit erleben wir eine Widerkehr der unsäglichen Debatte um Geflüchtete. Hilferufe kommen aus den Kommunen, die mit der hohen Zahl Geflüchteter, besonders aus den ukrainischen Kriegsgebieten, überfordert sind. Reflexartig reagiert die Ampel mit der Ankündigung von mehr und beschleunigten Abschiebungen. Weil sie das nicht gegenüber den Geflüchteten aus der Ukraine richten können, zielen sie auf die der anderen Länder. Das Asylgesetz soll weiter ausgehöhlt werden, indem Asylsuchende bereits in den Grenzländern Asylanträge stellen sollen.  Heftiger Widerstand durch die Grünen ist bisher nicht publik geworden. Ähnlich wie 2015 versuchen die CDU und noch härter die AfD die missbräuchliche Verwendung von Feuerwerkskörpern an Silvester und gewaltige Auseinandersetzungen mit der Polizei mit migrationsfeindlichen Ressentiments zu bedienen. Das hat besonders für die CDU bei den Wahlen in Berlin ganz gut funktioniert. Die pauschale Kritik des CDU Vorsitzenden, Friedrich Merz. an migrantischen Vätern, sie würden ihre Söhne zu Paschas erziehen, mit der Ansage, bei der Integration würde einiges schief laufen (er meinte damit nicht gesellschaftlich oder das Bildungssystem, das Migrant*innen benachteiligt) hat eindeutig rassistische Züge. Die Ampel und noch stärker die CDU schütten damit wieder einmal Wasser auf die Mühlen der AfD, die sich in ihrer migrationsfeindlichen und rassistischen Haltung nur bestätigt sehen kann.

Im Gegensatz zu Wagenknecht und einem Teile ihrer Anhänger gibt es nicht nur soziale Gründe für das Erstarken der AfD. Die vorhandenen Abstiegsängste und sozialen Unsicherheiten verschränken sich mit bereits vorhandene Einstellungsmustern in den Köpfen ihrer Anhänger*innen, wie autoritäres Denken, traditionelles Familienbild, Rassismus und Nationalismus. Die rücksichtslose Verteidigung einer Wirtschafts- und Lebensform, die auf Ausbeutung von Mensch und Natur beruht wird mit nationalistischen, sozialdarwinistischen und nationalistischen Positionen verknüpft. Wir konnten in den USA beim Sturm auf das Kapitol beobachten, welche kruden Verbindungen möglich sind und welche Hassausbrüche und Gewaltakte diese Ideologie auslösen kann. Das war keine große Gruppe, jedoch konnte die rechte Bewegung um Donald Trump mit ihrer Amerika-first Kampagne fast die Hälfte der US-Bevölkerung hinter sich bringen und ist nach ihrer Wahlniederlage keinesfalls bezwungen.

Die Partei muss die rechte Gefahr ernst nehmen, sich weiterhin klar gegenüber rechten, rassistischen und nationalistischen Kräften, nicht nur abgrenzen, sondern sie aktiv bekämpfen. Antifaschismus und Antirassismus ist ein häufig genannter Grund warum besonders junge Menschen Mitglied in der Partei DIE LINKE werden oder bereits geworden sind. Das zu bestärken und zu fundieren ist eine dauerhafte Aufgabe. Dabei geht es nicht um einen einfachen Anti-Rassismus, sondern selbstverständlich um die Betrachtung der sozialen Zusammenhänge. Solidarität mit den Geflüchteten, wie auch mit den an den sozialen Rand gedrängten Menschen gehört dabei zusammen. Wir erleben gerade, wie weitgehend widerstandslos die EU beschließt, Stacheldraht und Mauern an den Außengrenzen zu errichten bzw. zu verstärken. Kanzler, Olaf Scholz, ist außerordentlich zufrieden mit der Einigung auf einen inhumanen Kurs der weiteren Abschottung.

Unsere Partei sollte außerdem einladend für in Deutschland lebende Migranten und Migrantinnen auftreten und die begonnen Organisierungsansätze fortsetzen (Links*Kanax). Auch wenn wegen des wachsenden Fachkräftemangels Arbeitskräfte aus anderen Ländern angeworben werden und sich die Behauptung, sie würden die Löhne drücken als empirisch falsch erwiesen hat, vermischen sich bei der rechten Propaganda migrationsfeindliche Positionen mit offenen Angriffen gegen die Geflüchteten. Die Instrumentalisierung der Berliner Vorfälle an Silvester durch AfD und CDU zeigen, wie schnell Stimmung von rechts gemacht werden kann.

Gleichzeitig heißt es wachsam gegenüber  dem Vormarsch von autoritären und nationalistischen Tendenzen zu sein. Wir können davon ausgehen, dass die Ampel versuchen wird die Kosten von Krieg und Aufrüstung dem lohnabhängigen Teil der Bevölkerung aufzubürden. Gerade Lindner will den Haushalt nicht mit weiteren sozialen Kosten belasten. Die Rechten haben keine großen Probleme mit der Aufrüstung der Bundeswehr. Im Gegenteil. Der Obmann der AfD im Verteidigungsausschuss, Lucassen, erklärte: „Unsere Bundeswehr wieder aufzubauen, wird unendlich viel Kraft und Geld kosten. 2 Prozent des BIP werden da kaum reichen. Leicht wird das nicht, aber wir werden es machen. Verlassen Sie sich darauf“.

Es gibt klare Grenzziehungen zur AfD, die immer wieder gezogen werden müssen. Gerade den Menschen in den sozialen Brennpunkten, z.B. mit dem Mittel der Haustürbesuche praktisch zu beweisen, dass die Linke im Gegenteil zur AfD ihre Interessen vertritt ist nicht nur in Wahlkämpfen anzuwenden, auch wenn sich der Erfolg von Haustürbesuchen   erwiesenermaßen bei Wahlen positiv auswirkt.

Verbindende Klassenpolitik und unser Verhältnis zu den Gewerkschaften

Der Begriff der verbindenden Klassenpolitik hat längst  Eingang in unsere Partei gefunden. In den letzten Monaten, besonders in Zusammenhang mit den unterschiedlichen Interpretationen der Wahlniederlage bei den Bundestagswahlen, wird am Konzept der verbindenden Klassenpolitik Kritik geäußert. Alban Werner bezeichnete den Begriff im Sozialismus als Buzzwort (Schlagwort) in einem Artikel unter der Überschrift „Eine Partei in schrittweiser Auflösung“  siehe auch Antwort von Bernd Riexinger in Sozialismus 2/2023). Jan Richter, Susanne Ferschl und Ulrike Eifler (ebenfalls in Sozialismus) bezeichneten das Konzept als beliebig. Eine nähere Begründung hatten sich die genannten Autoren erspart (s. auch die sehr gute Erwiderung von Thomas Goes in Links aktiv). Hinter dem Konzept der verbindenden Klassenpolitik steht der Ansatz einen stärkeren Bezug zu den Lohnabhängigen, ihren Interessen und Kämpfen herzustellen. Gleichzeitig wurde analysiert, dass die lohnabhängige Klasse, befeuert durch die Agenda 2010, stark gespalten und zersplittert ist, besonders in einerseits prekär und andererseits noch sozial und tariflich regulierter Beschäftigungsverhältnissen. Diese Spaltung hat die Gewerkschaften geschwächt und ihre Fähigkeit Tarifverträge für die Mehrheit der Beschäftigten abzuschließen eingeschränkt. Das Konzept der verbindenden Klassenpolitik fand darin seinen Ursprung. Es geht darum verbindende Interessen, Forderungen und Konzepte zu formulieren, die der Zersplitterung und Ausgrenzung entgegenwirken und gemeinsame Klasseninteressen herstellen können. Statt Abgrenzung nach Unten (Prekär Beschäftigte und prekär Lebende) und Außen (Geflüchtete, Migranten*innen) ist der Gegnerbezug zum Kapital entscheidend. Der Begriff der Solidarität ist vor diesem Hintergrund weiter zu entwickeln. Ausfluss dieses Verständnisses war (2017 Becker/Riexinger, Supplement der Zeitschrift Sozialismus) ein Vorschlag für ein neues Normalarbeitsverhältnis, also für eine umfassende Neuregulierung der Arbeitsbeziehungen. In Anlehnung an die Kommunistische Partei Italiens (KPI) in den 60er Jahren beschränkt sich das Konzept nicht nur auf das direkte Lohnarbeitsverhältnis in den Betrieben, sondern auch auf die reproduktiven Bereiche, wie Wohnen/Miete, Gesundheitsversorgung, Erziehung und Bildung usw. Die KPI und linke Gewerkschaften in Italien nannten das den zweiten Scheck. Damit wurde gleichzeitig die Idee der verbindenden Partei aufgegriffen, die die direkten Kämpfe um Löhne und Arbeitsbedingungen mit den sozialen Kämpfen und Bewegungen verknüpft. Es ist schon eine Frechheit,  den Begriff der verbindenden Klassenpolitik als nichtssagendes, „weil letztlich alles umfassendes Buzzword“ abzutun.

Wir tun gut dran dieses Konzept weiter zu verfolgen und praktisch auszufüllen. Indirekt geht es den Kritikern um die Orientierung auf ein Bündnis von Klimabewegung, Gewerkschaften und Linken, das sie, meist unausgesprochen, fragwürdig finden. Praktisch haben das Ver.di und Friday for Future bereits umgesetzt, indem sie auf der Basis gemeinsamer Interessen ein Bündnis zwischen Gewerkschaft und Klimabewegung geschlossen haben (dazu eine interessante Broschüre der RLS „Mein Pronomen ist Busfahrerin“). Sowohl beim Klimaschutz, wie auch bei den Kämpfen um bessere Löhne und Arbeitsbedingungen der Verkehrsbeschäftigten handelt es sich um Klassenauseinandersetzungen. Bündnisse mit der Mieter*innenbewegung, mit den Kämpfen der Beschäftigten im Gesundheitsbereich und der Pflege sind weitere Beispiele für diesen Ansatz, der weit über das gewinnen von Wähler*innenstimmen hinausgeht.

Beim Streik der Verkehrsbetriebe Anfang März wurde von den Arbeitgeberverbänden die Gewerkschaft ver.di heftig kritisiert, weil sie gemeinsam mit Friday for Future gestreikt hat und auf die Straße gegangen ist. Gerade linke Aktivisten hatten erheblichen Anteil daran, dass diese Bündnisse vor Ort gelebt wurden. Das ist in der Praxis gar nicht so einfach, weil es von Teilen der Betriebsräte und Vertrauensleuten Vorbehalte gibt. Es gibt jedoch viele positive Beispiele. So wurden z.B. in Stuttgart Aktivisten von FfF Zugang zu den Betriebshöfen ermöglicht. Am internationalen Frauentag streikten besonders die überwiegend weiblichen Belegschaften in der sozialen Arbeit und gingen mit vielen feministischen Frauengruppen und Bündnissen auf die Straße. Ich bin noch ganz beeindruckt von der Kundgebung und Demonstration in Stuttgart mit über 5000 Teilnehmer*innen. Das ist eine wichtige Öffnung von ver.di und teilweise anderen Gewerkschaften gegenüber den sozialen, feministischen und ökologischen Bewegungen. Diese Ansätze zu verfestigen und vor Ort stabile Bündnisstrukturen aufzubauen, ist eine wichtige Aufgabe unserer Partei. Hilfreich ist, wenn es regionale Gruppen der Bundesarbeitsgemeinschaft BAG(Betrieb und Gewerkschaft) gibt. Deshalb sollten die Kreisverbände deren Aufbau aktiv unterstützen.

Für kämpferische Gewerkschaften und offensive Wahrnehmung des politischen Mandates

Als Alternative zur verbindenden Klassenpolitik wird dann die stärkere Hinwendung oder auch Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften genannt. Das ist kein wirklicher Widerspruch. Natürlich sollen Mitglieder der Linken auch Mitglied der Gewerkschaften werden und sich dort für die Interessen der Lohnabhängigen stark machen. Gewerkschaften sind in besonderen Maße Bezugspunkt für Linke, gerade weil sie Interessen der Lohnabhängigen gegen das Kapital direkt in den Betrieben vertreten. Das bedeutet jedoch nicht, dass sie das tatsächlich immer tun oder die vorhandene Kampfkraft in ausreichendem Maße einsetzen, geschweige denn, dass sie selbst verbindende Klassenpolitik praktizieren. Es gibt in erheblichem Maße Co. Management, eine starke Orientierung an der Sozialdemokratie und u.a. deshalb eine starke Zurückhaltung gegen eine SPD geführte Regierung auf die Straße zu gehen. Gerade in der Ausübung des politischen Mandats gibt es viel Luft nach oben. Linke in den Gewerkschaften stehen für einen konfliktorientierten und kämpferischen Kurs, für ein immer wieder neu auszulotendes Kräfteverhältnis in der Praxis. Sie stehen für basisorientierte Politik und für die Demokratisierung von Arbeitskämpfen. Dazu gehört auch die Mobilisierung im politischen Raum. Es ist kaum vorstellbar, dass ohne eine politische Verschiebung der Kräfteverhältnisse nach links die Tarifbindung erweitert werden oder erfolgreich die Prekarisierung der Arbeit bekämpft werden können. Genauso wenig, wie die Forderungen nach mehr Personal und bessere Bezahlung in der Pflege, Bildung und Erziehung eingelöst oder auskömmliche Renten durchgesetzt werden können.

Wir erleben gerade in Frankreich, bei einem ähnlich schlechten Organisationsgrad, heftige Kämpfe um die Verlängerung des Renteneintrittsalters von 62 auf 64 Jahre, bei denen Millionen auf die Straße gehen. Etwas Ähnliches hat es in Deutschland bei der Verlängerung auf 67 Jahre nicht gegeben. Ich war verwundert, als Eifler, Ferschl und Richter im genannten Artikel kritisierten, dass auf Initiative der Grundsatzabteilung ins Wahlprogramm die Aussage reingenommen wurde, in Tarifauseinandersetzungen müsste mindestens der Ausgleich der Inflationsrate vereinbart werden, weil dieser Anspruch (der ja nicht einmal an die Gewerkschaften gerichtet war) von den Gewerkschaften nicht einzulösen wäre. Fast zeitgleich hatte die österreichische Bahngewerkschaft ein Angebot von 9 Prozent mit der Begründung abgelehnt, das würde die Inflation nicht ausreichend ausgleichen. Es geht hier nicht um einfache Vergleiche unterschiedlicher Bedingungen, aber es gibt offensichtlich Gewerkschaften, die um einen ausreichenden Inflationsausgleich kämpfen, auch in Deutschland. Aktuell z.B ver.di bei der Post. Auf den ersten Blick liegt der Abschluss oberhalb der Inflationsrate, bei den unteren und mittleren Tarifgruppen sogar deutlich. Beim Bund und den Kommunen geht es um das gleiche Ziel. Die Mobilisierung ist erfolgreich, ein Erzwingungsstreik wahrscheinlich geworden. Außerdem gelingt ver.di eine zeitgleiche Mobilisierung und Warnstreiks in verschiedenen Branchen, z.B. Post und öffentlicher Dienst. Erstmals gibt es eine gemeinsame Streikplanung von  ver.di und der EVG im Verkehrsbereich.

Die Formel, Inflationsrate- plus Produktivitätsausgleich plus Umverteilung bildeten Jahrzehnte lang die Grundlage für Tarifforderungen. Es ist kein Naturgesetz, welches den Gewerkschaften vorschreibt Reallohnverluste akzeptieren zu müssen. Vielmehr sollten Linke die Frage stellen, woher die Schwäche kommt, dass sie sich das vielerorts nicht mehr zuzutrauen. Der Rückgang auf inzwischen noch 5,7 Millionen DGB-Mitglieder hat nicht nur etwas mit Strukturwandel sondern auch mit gewerkschaftlicher Politik zu tun. Wir sehen gerade in England eine sektorenübergreifende Streikbewegung, bei der täglich tausende von neuen Gewerkschaftsmitglieder aufgenommen werden. Ver.di hat dem Vernehmen nach 65 000 Mitglieder (Stand Mitte März) während der laufenden Warnstreiks aufgenommen. Damit wird bestätigt, dass bei guter Mobilisierung Warnstreiks und Streiks den Organisationsgrad erhöhen, was dringend notwendig ist.

Es würde in Deutschland genügend Gründe geben mehr Arbeitskämpfe gegen Reallohnverluste und für bessere Arbeitsbedingungen zu organisieren und gegen die unzureichenden Maßnahmen der Regierung, gegen die Verteuerung der Energiepreise auf die Straße zu gehen. Es ist Ausdruck von Schwäche, dass das kaum passiert und falscher Rücksichtnahme auf eine SPD geführte Bundesregierung. Es geht hier nicht um Voluntarismus, aber um die Notwendigkeit solidarischer Kritik an der vorherrschenden Ausrichtung der meisten Gewerkschaften. Es geht um eine Politik, die die Gewerkschaften stärken und die Kräfteverhältnisse verbessern würde. Deshalb geht es nicht um eine einfache Zuwendung zu den Gewerkschaften, sondern um die Stärkung konfliktorientierter und kämpferischer Politik, wie auch um eine Repolitisierung der Gewerkschaften nach links.

Mitglieder- und Bewegungspartei

Die Partei hat seit den Bundestagswahlen über 5000 Mitglieder verloren. Wie schnell das Zusammenwirken verschiedener Krisenfaktoren (schlechte Wahlergebnisse und innere Konflikte) zu Austritten aus der Partei führen, drückt aus, wie fragil die Bindung eines Teils der Mitglieder immer noch ist. Ein einziger Anlass, wie eine umstrittene Rede von Wagenknecht, führte zu 800 Austritten. Es ist verständlich, dass dieser Konflikt viele Mitglieder nervt, dass er sogleich Anlass für Austritte ist, macht die Partei nicht krisensicherer. Gerade in Krisen wäre es wichtig zu seiner Partei zu stehen und sie zu stützen. Politische Grundlagenbildung kann hier sicherlich helfen und sollte möglichst viele der neuen Mitglieder erfassen. Gleichzeitig gilt es den Charakter als Mitgliederpartei zu stärken. Im Unterschied zur populären Linken, die auf die öffentliche Wirkung bekannter Persönlichkeiten und deren zum Teil populistisches Auftreten setzt, betont die Bewegungslinke die Bedeutung der Mitglieder und deren Aktivitäten. Dass DIE LINKE erfolgreich Wahlkämpfe organisieren kann ist wichtig. Die andere Seite ist das Verständnis der Partei als außerparlamentarische Kraft zu stärken, die sich in der Gesellschaft verankert, aktiv in Gewerkschaften mitarbeitet, in fortschrittlichen Bewegungen aktiv ist und im außerparlamentarischen wie parlamentarischen Raum als Träger und Verstärker deren Forderungen und Positionen wirkt. Gesellschaftliche Veränderungen werden in aller Regel nicht ohne Bewegungen und soziale Kämpfe herbeigeführt. Die von Lauterbach angekündigte teilweise Abschaffung der Fallpauschalen wäre kaum ohne die Streiks in den Kliniken möglich gewesen. Fridays for Future hatte mit einer großen Mobilisierung erreicht, dass sich alle politischen Parteien, mit Ausnahme der AfD, mit der Klimakrise auseinandersetzen müssen. Die erfolgreiche Volksabstimmung zur Enteignung großer Immobilienkonzerne in Berlin braucht einen parlamentarischen Arm im Berliner Senat, um dem Mehrheitswillen zum Durchbruch zu verhelfen. Die Chancen dafür verbaut gerade die SPD, indem sie sich für Koalitionsverhandlungen mit der CDU entschieden hat.

Hundertausende von Hausbesuchen haben die Linke verankert und in vielen Fällen organisierende Stadtteilarbeit befördert. Um die organisierende Arbeit, die Verankerung in Gewerkschaften, die positiven Beziehungen zu sozialen und ökologischen Bewegungen herzustellen bzw. auszubauen braucht es aktive, selbstbewusste und gefestigte Mitglieder. Deren Bindung wird gefördert, wenn die Partei nach innen demokratisch ist und nach außen einladend auftritt. Der Charakter einer linkspluralistischen Partei ist das Ringen um gemeinsame Positionen unterschiedlicher Strömungen und Richtungen, auf der Basis eines gemeinsamen Programmes. Minderheiten können ihren Standpunkt jederzeit vertreten und um Mehrheiten kämpfen. Sie müssen jedoch die Mehrheitsbeschlüsse anerkennen und vertreten, sonst ist es weder möglich, konsistent die eigenen Positionen öffentlich zu verstärken, noch eine gemeinsame Praxis zu organisieren. Die u.a. von Teilen der SL verbreitete Aussage, der Parteivorstand würde nicht mehr die Basis widerspiegeln, eine Strömung, die Bewegungslinke, hätte durchgezogen und würde die Partei dominieren ist falsch. In zwei Parteitagen hintereinander hatten die Delegierten mit überzeugender Mehrheit Vertreter*innen der Bewegungslinken als stärkste Kraft und Vertreter*innen der Reformer*innen in den Parteivorstand gewählt. Keine Vertreter konnte das Lager um Wagenknecht stellen. Die sozialistische Linke hat ihre Kandidaten*innen zurückgezogen. Das ist ein eindeutiger Auftrag der gewählten Vertreter*innen der Basis, dass die BL zusammen mit eher linken Reformern das Zentrum der Partei stellt und dieser Verantwortung gerecht wird.

Die meisten Delegierten teilen das Selbstverständnis einer Mitglieder- und Bewegungspartei und haben sich u.a. deshalb die aktuelle Führung gewählt. Die Gründung einer neuen Partei ist noch lange nicht vom Tisch. Auf die Entscheidung derjenigen, die dieses Projekt verwirklichen wollen haben wir weitgehend keinen Einfluss. Umso wichtiger ist es, die Erzählung, welche Partei wir sind, stark zu machen und zu verdeutlichen, worin die Unterschiede zu einer linkspopulistischen/linkskonservativen „Parteigründung“ bestehen. Nach dem angekündigten Rückzug von Sahra Wagenknecht gilt es umso mehr das Selbstverständnis einer modernen sozialistischen Partei, die auf ihre eigenen Mitglieder setzt mit großem Selbstbewusstsein zu vertreten und in der Praxis zu leben. Wir laden alle Interessierten, die sich bisher daran gehindert sahen ein, uns bei diesem wichtigen Projekt zu unterstützen.

Unterstützung linker Intellektueller

Um aus der Krise herauszukommen braucht es intellektuelle Unterstützung. Intellektuelle, die die Partei kritisch und solidarisch unterstützen, wichtige politische Debatten anstoßen, an der Verbesserung von Programmatik und Kommunikation mitarbeiten und als Multiplikatoren für linke Politik wirken. Die gesellschaftliche Entwicklung bestätigt die linke Theorie der Mehrfachkrisen des Kapitalismus. Gerechtigkeitskrise, Wirtschaftskrise, Hegemoniekrise mit verstärkten Kriegsgefahren und die Klimakatastrophe verschränken und verstärken sich gegenseitig. Linke Intellektuelle können die Partei darin unterstützen grundlegende gesellschaftliche Alternativen zum Kapitalismus und Einstiege in Zukunftsentwürfe herauszuarbeiten.

Die Partei kann linken Intellektuellen anbieten kritische und solidarische Beiträge zu leisten, Debatten in der Partei und in der Gesellschaft anzustoßen, helfen die eigenen Positionen zu schärfen und einen Raum für politische Diskurse zu schaffen. Dazu bedarf es eines organisierten Diskussionszusammenhanges mit den uns wohlgesonnenen linken Intellektuellen. Auch gibt es im Umfeld der Rosa Luxemburg Stiftung nicht Wenige, die darauf warten von der Partei angesprochen zu werden.

Konsistente Politik

Der Weg um aus dem Umfragetief herauszukommen führt über konsistenten Politik, die über längere Zeit mit glaubwürdigen und begründeten Positionen, Forderungen und Lösungen vertreten wird. Hierfür hat die Parteispitze eine besondere Verantwortung die dazu notwendige politische Führung zu übernehmen. Nach wie vor leiden wir darunter, dass zu Krieg, Sanktionen, Klimagerechtigkeit, Mobilitätswende, besonders von Mitgliedern der Fraktion unterschiedliche, zum Teil gegensätzliche Positionen öffentlich vertreten werden. Das ist in einer pluralistischen Partei nicht zu verhindern. Mit dem schlechten Wahlergebnis ist erschwerend verbunden, dass die Fraktion nicht mehr die gesamte Partei widerspiegelt.

Bei der an uns interessierten Öffentlichkeit führt das jedoch zu erheblicher Verwirrung und bestärkt die Wahrnehmung einer zerstrittenen Partei. Nicht selten handelt es sich um Richtungsauseinandersetzungen, die in der Partei längst durch Beschlüsse geklärt sind. Deshalb liegt die Möglichkeit für eine konsistente Politik eher bei der Partei als in bei der Fraktion. Sie muss auf jeder Ebene immer wieder und kontinuierlich ihre Positionen öffentlich vertreten, selbstbewusst auftreten, ihre programmatische und inhaltliche Führungsrolle annehmen, verdeutlichen dass der Parteivorstand die Autorität besitzt die Positionen zu vertreten, die mehrheitlich vereinbart und beschlossen sind. Natürlich darf nichts unterlassen bleiben um auch die Fraktion einzubinden und die Misstöne einzuschränken, damit das gesamte Orchester nicht ständig aus dem Takt geworfen wird.

Dabei liegen die Themen für eine konsistente Politik auf der Straße:

  • DIE LINKE ist die einzige Partei, die Waffenlieferungen an die Ukraine ablehnt, die militaristische Sprache von Teilen der Grünen, CDU und FDP nicht übernommen hat und auf eine Verhandlungslösung im Ukrainekonflikt drängt. Es war klug Indien und China als Vermittler vorzuschlagen, die in der Lage wären Druck auf Russland auszuüben, ebenso wie die Vermittlungsangebote von Lula aufzugreifen.  Auch lehnt die Partei das größte Aufrüstungsprogramm in der Nachkriegsgeschichte ab. Wir erleben  aktuell eine Einstellungsverschiebung bei der Bevölkerung. Verschiedene Umfragen ermittelten, dass 35 Prozent der Befragten die Lieferung schwerer Waffen ablehnt, lediglich 30 Prozent sind dafür. Eine deutliche Mehrheit ist für die schnelle Aufnahme von Verhandlungen.
  • Die hohe Inflation, besonders die Verdoppelung und Verdreifachung der Energiepreise treibt Millionen Menschen in die Armut oder bringt sie an den Rand existenzieller Krisen. Die Entlastungspakete der Regierung tragen zwar zu einer teilweisen Entlastung bei, weisen aber eine nicht unerhebliche soziale Schieflage auf. Stärker entlastet wird die vergleichsweise gut ausgestattete Mittelschicht, während die einkommensschwachen- und die Schichten mit mittlerem Einkommen deutlich weniger entlastet werden. Der etwas voreilig ausgerufene heiße Herbst ist ausgeblieben, weil viele ihre Energierechnung noch gar nicht erhielten, die wenigsten ermessen können, was die Entlastungspakete der Bundesregierung bringen, die einkommensarmen Schichten viel Energie aufbringen müssen um über die Runden zu kommen und die Gewerkschaften als gewichtiger Akteur erst einmal ausgefallen sind. Die Position der Linken „Entlasten, Energiepreise deckeln und umverteilen“ kann im Laufe der Zeit, wenn mehr und mehr Menschen spüren, dass die Entlastungen nicht ausreichen, Resonanz finden. Außerdem kann die Linke Proteste und Aktivitäten auf den Weg bringen, die dem wachsenden Unmut Ausdruck verleihen. Das wird in vielen Orten und Städten auch gemacht.
  • Deutschland erreicht im letzten Jahr zum wiederholten Male die selbstgesteckten Klimaziele nicht. Verantwortlich ist die Reaktivierung von Kohle, der Verkehrssektor und Gebäude. Die Grünen verlieren an Glaubwürdigkeit. DIE LINKE kann hier offensiv ihr Konzept für eine sozialökologische Transformation in eine emissionsfreie Wirtschaft stark machen und ein Bezugspunkt für die Klimabewegung werden.
  • Die FDP propagierte auf ihrem Dreikönigstreffen in Stuttgart weiteres Wirtschaftswachstum und warnte vor Umverteilung. Um Unterschied zu vielen europäischen Ländern findet die Ampel nicht einmal die Kraft etwas so einfaches zu verabschieden wie eine Übergewinnsteuer. Inzwischen plädieren sogar bürgerliche Ökonomen für eine stärkere Belastung einkommensstarker und vermögender Bevölkerungsgruppen. Der Club Of Rome forderte, dass die reichsten 10 Prozent die Kosten der Klimakrise bezahlen müssen. Es gibt ein weit verbreitetes Bewusstsein, dass es nicht gerecht zugeht. Bei diesen Fragen hat die Partei ein Alleinstellungsmerkmal, welches sie von allen anderen Parteien unterscheidet.
  • Im Alltagsleben werden die Verwüstungen der neoliberalen Ära für mehr und mehr Menschen erfahrbar. Unpünktliche Bahnen, mangelhafter ÖPNV, Personalmangel und Unterfinanzierung bringen Kindertagesstätten, Krankenhäuser, Altenheime, Schulen und weitere Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge an den Rand des Zusammenbruchs. Die Bedeutung des Öffentlichen und der Gemeingüter bekommt größere Beachtung. DIE Linke kann deutlich machen, dass es für den gesellschaftlichen Wohlstand und Teilhabe entscheidend ist, in welchem Zustand die Daseinsvorsorge und die Gemeingüter sind und ihre klaren Positionen zum Ausbau und zur Finanzierung stärken. Hier geht es auch um Einstiege in ein anderes Wohlstandsmodell und die Stärkung öffentlichen oder genossenschaftlichen Eigentums. Das sind Schlüsselfragen beim sozialökologischen Umbau.
  • Sowohl während der Coronakrise, als auch in Zeiten der allgemeinen Verteuerung steigen die Mieten weiter. Die Partei hat schon vor Jahren eine Mietenkampagne auf den Weg gebracht. Die Forderungen nach einem bundesweiten Mietendeckel und dem vermehrten Bau von Sozialwohnungen in öffentlicher oder genossenschaftlicher Hand sind hoch aktuell im Kampf um bezahlbare Wohnungen. Dazu kommen noch die gewaltigen Kosten für die energetische Sanierung des Wohnungsbestandes, die in aller Regel auf die Mieter*innen abgewälzt werden.
  • Der nicht erwartete Erfolg beim 9-Euro-Ticket zeigt die enorme Nachfrage nach einem funktionierenden, gut ausgebauten und günstigen ÖPNV. Die Partei konnte sich auf diesem Feld durchaus profilieren. Die Mobilitätswende ist ein wesentlicher Baustein zum Erreichen der Klimaziele. Die Bundesregierung droht dabei zu scheitern. Die Linke verfügt über ein gutes Konzept für eine Mobilitätswende und für den Umbau der Automobilindustrie in eine Mobilitätsindustrie. Arbeitsplätze und Klima sollen gleichermaßen geschützt werden. Wir reden hier also über ein wichtiges Zukunftsprojekt, indem sich die Linke profilieren kann.

Es stimmt, dass wir schon mal bessere Zeiten für die Linke hatten. Das schlechte Abschneiden bei der Bundestagswahl hängt uns immer noch nach. Wir sind nicht weiter abgesunken, aber wir kleben gerade bei den 5 Prozent fest. Wenn man mal unten drinhängt dauert es einfach bis man wieder herauskommt. Aber es gibt uns und wir haben keinen Grund den Kopf in den Sand zu stecken oder zu verzweifeln. Gerade jetzt wollen wir uns zeigen, gerade jetzt machen wir deutlich für was wir stehen.

Für eine gesellschaftliche Alternative zum Kapitalismus, der mit seinen Dauer- und Mehrfachkrisen längst destruktiv geworden ist. Wir können uns dieses System nicht länger leisten, wenn unsere Kinder und Enkel eine Zukunft haben wollen. Für eine Gesellschaft für die es sich zu kämpfen lohnt. Dafür werden wir gebraucht.

Stuttgart, 20.3.2023

Konkrete Vorschläge, bitte! – Anmerkungen und Fragen zu Matthias Höhn und anderen

Beitrag von Thomas Goes

Matthias Höhn hat vor dem Parteitag im Juni (erneut) ein Papier vorgelegt[i], in dem er eine Neubesinnung in der Sicherheits- und Außenpolitik der Bundespartei fordert. Damit ist er nicht allein, auch Caren Lay, Paul Schäfer[ii], Wulf Gallert und Susanne Hennig-Wellsow haben sich zu Wort gemeldet. Gegen den Anspruch einer Neuverhandlung regt sich Unmut, und das verständlicherweise bei denen, die der Meinung sind, dass die augenblicklichen programmatischen Positionen völlig ausreichend sind. Ich denke, das wird uns nicht weiterhelfen. Wo Debatte eingefordert wird, muss man sie führen. Eine Partei, die sich lediglich in Feldschlachtordnung begegnen kann, hat ein vielleicht tödliches Problem.

Susanne Hennig-Wellsow hat in einem Interview nach dem saarländischen Wahldesaster wissen lassen, dass in naher Zukunft die außen- und sicherheitspolitischen Positionen neu bestimmt werden sollen. Sie hat ergänzt, dass diejenigen, deren Position sich nicht durchsetzt, sich dann fragen müssen, ob sie noch in der richtigen Partei sind. Das hat für einen Aufschrei der Entrüstung gesorgt. Ich denke, das ist übertrieben. Wir alle ringen um das Programm, und in einer demokratischen Partei ist das ein normaler Vorgang. Am Ende des Tages wägen wir alle das ständig ab: setzen sich unsere Vorstellungen nicht durch, sind wir am richtigen Ort? Die LINKE ist keine Kirche, sondern eine Bewegung, die die Wirklichkeit verändern will. Also lasst uns diskutieren. Ich bin ein außen- und sicherheitspolitischer Laie, dessen Arbeitsschwerpunkte woanders liegen. Gerade deshalb misch ich mich ein, denn es sollte eine Diskussion in der breiten Mitgliedschaft sein, nicht lediglich unter Expert:innen.

Theorie und Praxis

Ich möchte mit einer längeren Vorbemerkung beginnen. Im Beitrag von Matthias, aber auch bei anderen, etwa Caren Lay[iii] und Wulf Gallert[iv], fällt auf, dass nicht unterschieden wird zwischen Programmlage, Mehrheitshaltungen in der Partei und Positionen, die durch sehr sichtbare Vertreter:innen unserer Partei nach Außen getragen werden. Es geht in den Texten ein wenig durcheinander. Durch alle genannten Beiträge zieht sich beispielsweise die Kritik daran, die Außenpolitik an Staaten auszurichten, Bezugspunkt dürften nicht Diktaturen sein. Aber hat das etwas mit unserer Programmlage zu tun? Wenn ja, was genau? Oder ist es nicht eher so, dass bestimmte Vertreter:innen der Partei die Neigung haben, unser Programm auf eine besondere Art und Weise auszulegen? Ich hörte einmal einer Diskussion zwischen führenden Genoss:innen zu, bei der es um China ging. Für die einen ein positiver Bezugspunkt, für die die anderen ein abschreckendes Beispiel. Alle bezogen sich auf das Erfurter Programm. Oder: Finden sich wirklich in unserer programmatischen Selbstverständigung die Ursachen dafür, dass wir im Fall Russlands und der Ukraine danebenlagen? Zugespitzt: Ist es die NATO-Kritik, die blind machte für die Eskalation im Osten? Für den Kriegskurs der russischen Regierung? Ich habe meine Zweifel. Es dürfte eher an einer unzureichenden Imperialismusanalyse und einem Mangel an gemeinsamer lernender Verständigung in den Führungsgruppen unserer Partei darüber liegen, was eigentlich im imperialistischen Weltsystem passiert und wie wir uns dazu verhalten sollten. Kommt hinzu, dass in der Praxis unsere Positionen in der Öffentlichkeit von Leuten vertreten wurden (und zum Teil werden), die eher eine Parteiminderheit repräsentierten. Ich will – ohne Polemik – daran erinnern, dass etwa Diether Dehm, der ein besonders schillerndes außenpolitisches Weltbild vertritt, das mit dem von Matthias Höhn nur wenig gemein haben dürfte, einer der Architekten des „Hufeisenbündnisses“ in der Bundestagsfraktion gewesen ist. Sevim Dağdelen ist jedenfalls nicht zu einer einflussreichen sicherheits- und außenpolitischen Stimme der Fraktion geworden, weil es der Zufall so wollte. Und Sahra Wagenknecht wurde bis vor nicht allzu langer Zeit alles Außenpolitische erlaubt, weil sie das bekannteste Gesicht der Partei ist. Ich komme darauf am Ende zurück. Es wäre also ratsam, genauer zu unterscheiden, wo denn nun unsere Probleme liegen – in der Programmatik, in der auf dieser Basis immer wieder zu vollziehenden tagespolitischen Analyse, oder in der Praxis selbst? Zumindest ein Teil derjenigen, die sich heute eine Neuausrichtung wünschen, muss sich jedenfalls nach ihrer Verantwortung für das desaströse Bild fragen lassen, das unsere Bundestagsfraktion zum Teil abgegeben hat. Das gilt meines Wissens nach auch für Matthias Höhn. Wenn die Partei eine Zukunft haben will, dann muss diese „Der Gegner meines Gegners ist mein Freund Politik“ in der Partei aufhören, ganz sicherlich in der Bundestagsfraktion, und wir müssen dazu zurückkehren, dass Inhalte wichtiger sind als Machtbündnisse. Dazu gehört auch eine Diskussionskultur, die am Argument interessiert ist, Neugierde und die Bereitschaft, die eigene Meinung zu verändern.

Fehler ja – aber welche Vorschläge?

Deshalb nun also zu dem Text, den Matthias Höhn vorgelegt hat. Er beginnt damit, dass wir uns mit Blick auf die Politik Russlands gegenüber der Ukraine geirrt haben. Das stimmt. Aber es fehlen konkrete Ausführungen dazu, was wir denn anders gemacht hätten als Partei, wenn wir uns nicht geirrt hätten. Also wenn wir angenommen hätten, die russische Regierung könnte in die Ukraine einmarschieren. Wenn man an der Stelle nicht genauer wird, ist es schwer zu diskutieren. Wäre die Zustimmung zur NATO-Osterweiterung das, was Matthias vorschwebt? Abgesehen von der Vermeidung absurder Stellungnahmen (wie der von Sevim Dağdelen wenige Tage vor dem Einmarsch[1]) fällt mir wenig ein, was man hätte vermeiden können als LINKE. Ich meine in der Substanz, natürlich hätte man sich kritischer mit der russischen Regierung auseinandersetzen können. Aber welche Vorschläge zur Konfliktvermeidung hätten wir gemacht? Diese Antwort fehlt bei Matthias Höhn. Bei Caren Lay habe ich gelesen, dass die Forderung nach einem neuen Sicherheitsbündnis unter Beteiligung Russlands, durch das die NATO ersetzt werden soll, sich erledigt hat. Ich denke, da ist kurzfristig etwas dran, denn nach dem Überfall auf die Ukraine ist das nicht nur auf der Straße im Bürgergespräch schwer vermittelbar – es fehlt angesichts der russischen Aggression auch der realpolitische Strohhalm, mit dem man arbeiten müsste. Aber ist die Forderung deshalb mittelfristig falsch? Ich will dran erinnern – und zwar jetzt mit einem realistischen Blick auf das, was in Sicherheitsbündnissen passiert, nicht gemessen an unseren normativen Erwartungen -, dass in der NATO Staaten beteiligt sind, die ebenfalls zum Typus „gelenkte autoritäre Fassadendemokratie“ gehören, etwa die Türkei. Auch wenn man sich vollkommen andere innenpolitische Verhältnisse in der Türkei wünscht: Um Kriege zu vermeiden, kann es auch dann sinnvoll sein, die Türkei in Bündnis- und Verhandlungssysteme einzubinden, wenn immer noch demokratische Grundsätze missachtet und Menschenrechte verletzt werden. Entscheidend wäre – und das passiert in Wirklichkeit so gut wie nicht -, diese Einbindung der Türkei auch als Anlass und Mittel zu nehmen, um Menschenrechte und demokratische Rechte zu stärken (das gilt u.a. auch für Ungarn oder Polen, wo nationalistische und rechtspopulistische Parteien regieren). Kurzfristig jedenfalls, nicht mittelfristig, stellt sich mit Blick auf Russland und die Ukraine die Frage, was wir denn vorschlagen, um aus der Gewaltspirale rauszukommen. Das führt uns unmittelbar zur Frage des Krieges, natürlich. Für mich ist das Selbstverteidigungsrecht der Ukraine unbestritten. Aber wenn wir über den Tag hinausdenken, was schlagen wir vor?

Wie konkret Demokratie und Menschenrechte stärken?

Es ist auch richtig, dass wir uns in unserer Außen- und Sicherheitspolitik nicht auf Diktaturen beziehen sollten, sondern – ich übersetze das mal in meine Sprache – auf Menschen vor Ort, auf die Stärkung von Demokratie, Freiheit und Menschenrechte. Das finde ich als Zielsetzung sehr richtig, deshalb stimme ich Matthias auch ausdrücklich in seiner Kritik an denen zu, die in der Logik von „Der Feind meines Feindes ist nicht so schlimm“ denken: „Wer glaubwürdig Menschenrechtsverletzungen in den Diktaturen des Nahen und Mittleren Ostens oder von Demokratien wie den Vereinigten Staaten in Guantanamo oder im Irak anprangern will, darf nicht mit zweierlei Maß messen und zu den Zuständen in China, Russland oder Venezuela schweigen. Wer den Völkerrechtsbruch der USA im Irak oder anderswo verurteilt, darf nicht wenige Jahre später die russische Annexion der Krim und die Besetzung des Donbas relativieren.“ Das ist einfach wahr. Ich finde auch richtig, dass Matthias in diesem Geiste die Energiepolitik der Bundesregierung und ihrem neuesten Türkeideal kritisiert. Gut. Aber was heißt das dann weiter? Immerhin ist es doch so, dass Menschenrechte und Demokratie auch von Staaten mit Füßen getreten werden, mit denen Deutschland Bündnisse pflegt. Also: Wie genau stärken wir sicherheits- und außenpolitisch nun Demokratie, Menschenrechte, fortschrittliche Bewegungen? Und was heißt das für unsere Vorstellungen von internationaler Bündnispolitik? Matthias wird da leider nicht sehr konkret. Ich will daran erinnern, wie Paul Schäfer einmal pointiert festgestellt hat, dass es ein Spannungsverhältnis gibt zwischen der Position, die nationale Souveränität von Staaten zu verteidigen, und der Orientierung an Menschenrechten[v] – zumindest dann, wenn man sagt, die Verletzung von Menschenrechten könnte ein Grund dafür sein, die nationale Souveränität aufzuheben, also militärisch zu intervenieren. Wolfgang Fritz Haug hat einmal geschrieben, in der Geschichte seien die Jüngeren älter. Und so fallen uns alle Beispiele ein, mit denen wir uns auf dieses Spannungsfeld beziehen können. Dass Vietnam den Massenmord der Roten Khmer am eigenen Volk durch Einmarsch beendet hat, war richtig. Dass die USA die Diktatur der Baath-Partei im Irak durch einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gestürzt hat, natürlich im Namen von Freiheit, Demokratie und Menschenrechten, war aber falsch. Meines Erachtens gibt es hier kein absolutes Richtig und Falsch. Aber: Dass Kriegserklärungen (militärische Interventionen sind immer Kriegserklärungen) kein zentraler Teil unserer Sicherheits- und Außenpolitik sein können, noch dazu im Rahmen der NATO, scheint mir klar zu sein. Überhaupt fällt in allen jüngeren Texten – Caren Lay ist da eine Ausnahme, wenngleich ihre Ausführungen dazu eher kurz sind – auf, dass die Vereinten Nationen kaum vorkommen. Noch mal die Frage: Wie also gedenken wir demokratische Bewegungen in anderen Ländern genau zu stärken?

Rückbau der Bundeswehr zur reinen Verteidigungsarmee

Matthias Höhn sagt, dass es angebracht ist, die Sicherheitsbedürfnisse der Menschen ernst zu nehmen und die Frage zu beantworten, wie denn die LINKE gedenkt Sicherheit zu garantieren oder zu gewährleisten. „Was die Linke nicht tun darf, ist, aus Angst, der Sicherheitsdiskurs könnte Wasser auf Mühlen der Rechten sein, ihn deren autoritären Antworten zu überlassen. Das Bedürfnis nach Sicherheit ernst zu nehmen, bedeutet schließlich nicht, im Einklang mit der Rechten nach mehr Überwachung, Gefängnissen, Abschiebungen und härteren Strafen zu rufen.“ Das hat Ingar Solty mit Blick auf die Debatten über innere Sicherheit geschrieben[vi]. Ich finde das auch richtig, wenn man es auf die äußere Sicherheit bezieht. Denn Angst und das Interesse daran sicher zu leben, sind verständlich. Aber auch da wird der Text merkwürdig still, weil fehlt, was das konkret bedeuten würde. Es wird zwar darüber gesprochen, dass die Bundeswehr eine Ausrüstung braucht, die sie verteidigungsfähig hält. Aber darum geht es in der Debatte um die NATO-Rüstungsziele nicht. Meines Erachtens müsste es heißen, die Bundeswehr zurückzubauen zur reinen Verteidigungsarmee. Ihr Umbau zu einer Berufsarmee hat vermutlich auch mit der Weiterentwicklung der hochmodernen Waffensysteme zu tun, aber ebene auch mit der neuen Rollenbestimmung der Bundeswehr als Truppe, die außerhalb der Bundesrepublik eingesetzt werden soll. Landesverteidigung statt Sicherung außenwirtschaftlicher und außenpolitischer Interessen in Afghanistan und anderswo. Warum nicht? Das setzt einen Bruch mit einer lang anhaltenden Strategie voraus, die auf die Normalisierung von Gewalt als Mittel der Außenpolitik hinausläuft, wie Ekkehart Krippendorf das zu Beginn der 2000er-Jahre bereits nannte. Man kann nicht über die Bundeswehr reden, und darüber schweigen. Sollte Matthias genau das mit „klarer Fokus auf die Landes- und Bündnisverteidigung, Schluss mit der Überdehnung ihrer Aufgaben und Fähigkeitsanforderungen“ meinen, wäre ich einverstanden. Und dann wäre es auch folgerichtig über Missmanagement, Berater*innenverträge und das Beschaffungswesen bei der Bundeswehr zu sprechen.

Kommen wir nun zu den Auslandseinsätzen, die Matthias Höhn eher im Nebensatz auf den Plan ruft, indem er sagt, die Bundeswehr hätte in Syrien eingesetzt werden sollen, um chemische Waffen zu vernichten. Aber warum? Warum hätte die Bundeswehr in Syrien eingesetzt werden sollen? Und wenn in Syrien: warum nicht im Jemen, warum nicht in Tschetschenien? Mir leuchtet das nicht ein – zumal die Strategie der Auslandseinsätze der Bundeswehr keine Erfolgsgeschichte ist, wenn man die offiziellen Ziele (in der Regel ja Schutz von Menschenrechten oder Demokratie) zu Grunde legt. Warum kommt der Text von Matthias ganz ohne eine entsprechende kritische Bilanz aus? Und warum sollten Auslandseinsätze der Bundeswehr Teil einer umfassenderen Sicherheitspolitik sein?

Umfassende Sicherheit geht nur durch Entspannungspolitik

Richtig finde ich die Überlegung von Matthias, Sicherheit umfassender zu diskutieren. „Sicherheitsdebatten müssen darum auch immer Debatten über ökonomische Dominanzen und Abhängigkeiten, faire Welthandelsbeziehungen, globale Ungerechtigkeiten und wirksame Klimapolitik sein und gehen weit über die Frage der Einsatzfähigkeit einzelner Armeen hinaus.“ Das ist ein Gedanke, den von ganz unterschiedlichen Teilen der Partei vertreten wird. Ich bin mir aber nicht sicher, ob wir alle dasselbe meinen. Wenn wir – als einzige Partei im Bundestag – nicht Militäreinsätze im Ausland als Mittel der Außenpolitik stärken wollen, dann müssen wir selbstverständlich darüber reden, wie Konflikte deeskaliert und Frieden gesichert werden kann. Auffällig ist jedenfalls, dass der Text gar nicht versucht realpolitisch durchzubuchstabieren, was „Entspannungspolitik der 2020er und 2030er Jahre“ sein müsste. Wenn Matthias mit der Bemerkung endet, dass offen ist angesichts des jetzigen Krieges, wann wieder vertrauensvolle Gespräche mit der russischen Regierung möglich sind, ist das eine richtige Frage. Aber das ändert nichts daran, dass es eine modernisierte Entspannungspolitik sein muss, die als Strategie den zentralen Eckpfeiler unserer Politik zu bilden hat.

Entspannungspolitik braucht man nicht unter Freunden. Caren Lay hat in ihrem Beitrag nebenbei bemerkt, dass eine auf Kooperation zielende Politik gegenüber Russland erst wieder möglich ist, wenn Putin gestürzt wurde. Das ist nachvollziehbar, es ist aus meiner Sicht realpolitisch aber falsch – jedenfalls überzeugt es mich nicht. Das sozialdemokratische Konzept der Entspannungspolitik setzt darauf, mit Leuten, mit denen man ganz grundlegend nicht übereinstimmt, in Aushandlungen zu treten. Ihre Interessen ernst zu nehmen und mit ihnen Vereinbarungen zu treffen, die das stärken, was uns wichtig ist. Völlig richtig betont Matthias Höhn zum Beispiel, dass Russland und China massiv aufgerüstet haben, Rüstungskontrolle völlig vernachlässigt ist. Durch Verhandlungen müssen wir wieder dahin kommen, dass abgerüstet wird. Verhandlungen sind unangenehm, weil etwas gegeben werden muss. Aber wie sonst sollten Abrüstungsverträge denn entstehen? Ich will zugestehen, dass es im Angesicht eines Krieges schwerfällt, das zu einer Strategie zu erheben. Und ich will eingestehen, dass die Möglichkeit einer solchen Politik davon abhängt, ob sich die gelenkte autoritäre Fassadendemokratie in Russland tatsächlich in Richtung eines totalitären Regimes entwickeln wird, wie einige behaupten. Das ist nüchtern zu analysieren. Ich will aber daran erinnern, dass Entspannungspolitik in den 1970er und 1980er-Jahren gegenüber der Sowjetunion betrieben wurde, nachdem diese Volksaufstände in Ungarn, der DDR und der Tschechoslowakei hatte niederschlagen lassen, während in Polen Solidarność unterdrückt und russische Truppen in Afghanistan einmarschiert sind. Entspannungspolitik braucht man gegenüber Diktaturen – und es ist verblüffend, dass wir darüber nicht ausführlich diskutieren. Bei Willy Brandt und Egon Bahr[vii]kann man nachlesen, dass Entspannungspolitik interessanterweise nicht die Zuneigung zum Verhandlungspartner voraussetzt, sondern den Willen zur Aushandlung. Jedenfalls dürfte außer Zweifel stehen, dass die deutsche Sozialdemokratie, und die beiden Genannten voran, mehrheitlich eine ablehnende Haltung gegenüber der DDR und der Sowjetunion eingenommen haben.

Entspannungspolitik als Mittel, um die Klimakatastrophe zu verhindern

Aber die Frage nach einer neuen Entspannungspolitik drängt sich auch gerade dann auf, wenn man ein umfassenderes Verständnis von Sicherheit zu Grunde legt. Denn ein umfassendes Sicherheitskonzept muss heute zwingend die Bewältigung der Klimakatastrophe gewährleisten. Wer den letzten Klimaratsbericht des Weltklimarates wenigstens zur Kenntnis genommen hat, ahnt, was an Verwerfungen auf uns zukommen wird. Und Matthias gelegentliche Bemerkungen zur Klimapolitik lassen mich annehmen, dass er das getan hat. Ganze Zonen der Erde, die stark besiedelt sind, werden vielleicht unbewohnbar. Eine Verschärfung der Lebensmittelkrisen droht. Kriege um Wasser und seltene Metalle, die für die ökologische Modernisierung des Kapitalismus (und das ist es, was die Eliten der Welt gerade betreiben – bis auf eine Fraktion der herrschenden Klasse, die durch Politiker wie Trump repräsentiert wird, die die Klimakrise einfach leugnen) gebraucht werden, sind wahrscheinlich. Es wird gar nicht möglich sein in einer humanistischen Perspektive voranzukommen (ich traue mich gar nicht von einer sozialistischen Perspektive zu schreiben), wenn es keinen Dialog mit Russland und China gibt. Es darf sich jeder fragen, ob China oder die USA Flugzeugträger für die Landesverteidigung brauchen. Wer im Horizont der Klimakrise nicht auf die Barbarei zugehen will, wird darüber nachdenken müssen, wie die Eskalation mit Russland und China vermieden werden kann. Ich weiß, dass die Forderung nach Entspannungspolitik unglaublich klingt, weil Russland gerade in die Ukraine einmarschiert ist. Aber dennoch: Welche Schritte müsste man gehen? Sobald man darüber nachdenkt, werden alle Fragen wichtig, die in der jüngsten Debatte aufgeworfen wurden. Zum Beispiel, wie sichergestellt werden kann, dass die sicherheitspolitischen Interessen der baltischen Staaten, aber auch der Ukraine, nicht schlicht übergangen werden.

Im Zusammenhang mit einem umfassenderen Sicherheitskonzept ist auch über die Aufrüstung zu sprechen, auch mit Blick auf die Herausforderung, die drohende Klimakatastrophe zu verhindern. Matthias Höhn ist in seinem Papier völlig unklar, wie wir es mit dieser Aufrüstungspolitik nun halten sollen. Er lobt, dass wir gegenhalten. Er sagt, angesichts der haushaltspolitischen Lage könnten militärische Mehrausgaben zu Lasten anderer wichtiger Investitionen gehen – um dann klarzumachen, dass Investitionen trotzdem nötig sind. Irgendwie nicht in der Höhe – aber was eigentlich genau? Hier bleibt es bei Andeutungen. Zunächst: Ich denke nicht, dass die weitere Aufrüstung der Bundeswehr oder der NATO-Staaten helfen werden, mehr Sicherheit zu schaffen. Ich müsste weit ausholen, um hier meine Sichtweise plausibel zu machen, hier nur kurz: Die NATO-Staaten sind Russland militärisch weit überlegen, im Fall eines Angriffs auf einen NATO-Staat greift der Bündnisfall. Trotzdem hat all das Russland nicht davon abgehalten, in die Ukraine einzumarschieren. Insofern wäre die weitere Aufrüstung also wirkungslos. In diesem Zusammenhang wurde darauf hingewiesen, die USA könnten in Zukunft – etwa, wenn ein neuer Präsident erneut Trump heißen könnte – ihre europäische Sicherheitsarchitektur auflösen. Mit anderen Worten: Europa als eigenen sicherheits- und außenpolitischen Brückenkopf aufgeben. Ich halte das für hochgradig spekulativ, und ich kann nicht sehen, was dafürspricht. Die Spannungen, die zwischen den USA und China existieren, sprechen nicht dafür – jedenfalls werden die USA die EU brauchen, um in den Weltneuordnungskonflikten zu bestehen. Zumindest ist diese Annahme plausibler als die Vorstellung, die USA werde sich mit einem isolationistischen Kurs in die Schlacht begeben.

Kommen wir wieder zum umfassenderen Sicherheitskonzept und der Aufrüstung zurück. Die Aufrüstung wird die Erderwärmung beschleunigen, weil die Produktion (und der Einsatz) von Waffen CO₂-intensiv ist. Außerdem wird das Geld überall für die dringend nötigen Klimanotstandsprogramme fehlen. Natürlich kann man sagen, dass theoretisch der angestrebte Beschluss über das Sondervermögen der Bundeswehr ja zeigt, dass das Geld dafür ja da ist. Und man kann sagen, die Schuldenbremse müsse weg. Es ist auch richtig, wie es aus der Gewerkschaftsbewegung und auch aus der Klimagerechtigkeitsbewegung getan wurde, ein Sondervermögen Klimaschutz zu fordern. Aber es ist fast unpolitisch anzunehmen, so ließen sich harte Verteilungskonflikte vermeiden. Denn wir wissen doch, dass wir auf absehbare Zeit keine politischen Mehrheiten im Bundestag für diese Forderungen haben. Die CDU/CSU und FDP müssten zustimmen. Wer die letzte Rede von Friedrich Merz gehört hat, in der er der Ampelkoalition die Bedingungen der Unionspart für ihre Zustimmung zur Festschreibung des Sondervermögens der Bundeswehr in das Grundgesetz diktieren wollte, weiß: dort steht die Wand. Die Aufrüstung wird die Klimakrise und soziale Probleme im Land verfestigen.

In was für einer Welt, in welcher Periode leben wir?

Was mir schließlich völlig fehlt, ist der Versuch einer Zeitenbestimmung. Unter welchen Bedingungen wollen und müssen wir also Außen- und Sicherheitspolitik machen, welche Spannungen und Konflikte erleben wir und werden wir im imperialistischen Weltsystem erleben, mit welchen Konflikten? Ich habe dieses Feld oben verschiedentlich angeschnitten. Wenn es richtig ist, dass wir Demokratie, Menschenrechte und fortschrittliche Bewegungen unterstützen, nicht in erster Linie Staaten (wobei die nationale Souveränität von Staaten ein hohes Gut ist), was heißt das in einer Periode, in der schwere Konflikte zwischen der NATO-Führungsmacht USA und China drohen?

Theorie und Praxis 2

Eine abschließende Bemerkung, mit der ich auch an den Anfang zurückspringe. Möglicherweise wäre die Debatte um solche Fragen einfacher zu führen, würde zwischen Theorie und Praxis nicht ein Graben klaffen. In der Theorie fordern Matthias Höhn und viele andere den Bruch mit bestimmten sicherheits- und außenpolitischen Positionen, deren entschlossenste Vertreter:innen er und andere in der Bundestagsfraktion über Jahre in öffentlichkeitswirksame Sprecher:innenpositionen gebracht haben. Alle wissen das, die sich mit den internen Konflikten in der Fraktion und den dortigen Bündniskonstellationen ein wenig beschäftigen. Man kann dieses Bündnis unterschiedlich bewerten, zu einer Entpolitisierung der Debatte trägt es aber in jedem Fall bei.

[1] Siehe hier ihre Rede vom 18.02.2022 https://www.youtube.com/watch?v=eTg8wYqV1RI

[i] Eine neue Debatte über linke Sicherheitspolitik hat begonnen. https://www.links-bewegt.de/de/article/522.europäische-sicherheit-organisieren.html

[ii] Gedankenfragmente und Provokationen zum Ukraine-Krieg. https://www.paulschaefer.info/PDFs/Ukraine-Krieg-und-Folgen-Positionsbestimmung.pdf

[iii] Linke Außenpolitik braucht ein Update. https://www.rosalux.de/news/id/46154/linke-aussenpolitik-braucht-ein-update

[iv] Linke Außenpolitik braucht die Rückkehr zu Marx. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1160092.aussenpolitik-der-linkspartei-linke-aussenpolitik-braucht-die-rueckkehr-zu-marx.html

[v] Linke Außenpolitik – ein Debattenbeitrag. https://forum-ds.de/?p=3264

[vi] Ingar Solty 2016, Sicherheit: Ein heißes Eisen für die Linke? Angstfreiheit als Frage sozialer Infrastruktur. https://zeitschrift-luxemburg.de/artikel/sicherheit-ein-heisses-eisen-fuer-die-linke/

[vii] Siehe Egon Bahr: Ostwärts und nichts vergessen, 2015. Und: Willy Brandt: Erinnerungen, 1993.

Für eine radikale Friedensbewegung – auf der Straße und im Parlament!

Beitrag von Ko-Kreis, BAG Bewegungslinke

Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine macht viele Menschen zurecht fassungslos. Tagtäglich finden Angriffe gegen Wohnviertel, zivile Infrastruktur und auch Krankenhäuser statt. Familien wurden auseinander gerissen. Millionen Menschen sind auf der Flucht, Tausende sind bereits gestorben. Die Verantwortung dafür trägt die russische Regierung.

Der Krieg ist das Ergebnis einer Weltordnung, die durch geopolitische Konflikte zwischen imperialistischen Mächten strukturiert ist, in der Staaten sich Einflusssphären sichern und eine Vormachtstellung bewahren. Erstmals seit 1989 ist eine militärische Konfrontation zwischen Atommächten eine denkbare Option. Wir brauchen deshalb nicht nur unmittelbare Antworten auf die Frage, wie der Krieg so schnell wie möglich beendet werden kann, sondern auch langfristige Ideen, wie wir in einer Welt ohne Kriege leben können und niemand wegen Hunger oder Tod aus der Heimat fliehen muss. 

Angesichts der komplizierten Lage in der Ukraine ist Besserwisserei jedoch nicht angebracht. Fragen müssen auch in unseren Diskussionen erlaubt sein. In der aktuell aufgeheizten Stimmung ist Widersprüchlichkeit normal. Und Widerspruch gleichzeitig absolut notwendig.

1. Für ein sofortiges Ende des Krieges in der Ukraine!

Wir fordern einen sofortigen Stopp der Kämpfe und die Weiterführung diplomatischer Verhandlungen für eine unverzügliche Waffenruhe und Frieden in der Ukraine. Die russischen Truppen müssen schnellstmöglich abgezogen werden. Verhandlungen zwischen der russischen und ukrainischen Regierung werden jedoch nur kurzfristig helfen. Es bleiben einerseits inner-ukrainische Konflikte und andererseits der übergeordnete Konflikt zwischen Russland und der NATO. Zudem ist das Bedürfnis vieler benachbarter Staaten nach einer NATO-Mitgliedschaft größer geworden. 

Dass nun die NATO aber zu einem Friedensbündnis verklärt wird, ist bestenfalls geschichtsvergessen. Auch sie ist ein imperialer Akteur mit geopolitischen Interessen, für das insbesondere die USA, aber auch andere Mitgliedstaaten Kriegsverbrechen begangen haben. Wenn sich etwa Olaf Scholz und Annalena Baerbock dieser Tage mit Erdogan und anderen Vertreter:innen der türkischen Regierung treffen, um ihre Partnerschaft zu zelebrieren, während gleichzeitig die türkische Regierung kurdische Gebiete bombardieren lässt, zeigt das die Doppelmoral deutlich auf. Allein in Afghanistan, Irak und Libyen hat der sogenannte Westen Kriege mit mindestens einer Million Toten und mehreren Millionen Vertriebenen geführt. Die militärischen Interventionen haben die Lage dort nicht verbessert, sondern eher dramatisch verschlechtert. 

Viele Linke irrten in ihrer Haltung und Einschätzung zu Russland. Sie irrten aber nicht in ihrer grundsätzlichen Kritik an der NATO. Daher bleibt die Forderung nach einem Sicherheitsbündnis, das Frieden garantiert und somit auch ein Post-Putin-Russland einbezieht, aktuell – auch wenn die Vorzeichen dafür komplizierter geworden sind. Sicherheit darf nicht militaristisch gedacht werden, Vertrauensbildung wird in Zukunft wichtig sein.

Wir kämpfen für eine Welt jenseits der Spaltung in imperialistische Lager, stehen weder an der Seite Russlands, noch identifizieren wir uns mit der NATO und ihren angeblichen Werten. Wir kämpfen an der Seite der Menschen für Demokratie und Frieden und zeigen uns solidarisch mit den angegriffenen Ukrainer:innen und den widerständigen Menschen in Russland.

2. Friede den Hütten! Enteignet die Paläste!

Bislang treffen die Sanktionen gegen Russland vor allem breite Teile der russischen Bevölkerung und noch nicht genug und gezielt die russische Führung.

In Russland gibt es über 200.000 Millionäre. Viele von ihnen haben in ganz Europa ihr Geld auf Bankkonten liegen oder bspw. in Immobilien investiert. So parken die reichsten 0,01 Prozent der russischen Bevölkerung, die etwa 13 Prozent des gesamten russischen Kapitals besitzen, 80 Prozent davon im Ausland. Sie alle könnte man auf eine Sanktionsliste setzen und ihre Güter beschlagnahmen. Sie tragen die russische Wirtschaft und bilden dadurch das politische Hinterland von Putin, welches letztlich bröckeln würde. Hilfreich wäre daher die Einführung eines internationalen Finanzregisters, um Transparenz herzustellen und somit den Zugriff für Sanktionen zu erleichtern. Dass es das bislang nicht gibt, ist kein unbeabsichtigtes Versäumnis, sondern Ausdruck mangelnden politischen Willens, da eine solche Vorgehensweise auch westliche Wirtschaftseliten zwingen würde, ihr Vermögen offen zu legen. 

3. Waffen schaffen keinen Frieden!

Dass viele Menschen aus dem Selbstverteidigungsrecht der Ukraine und der Solidarität mit der ukrainischen Bevölkerung auch eine Zustimmung zu Waffenlieferungen ableiten, finden wir verständlich. Trotzdem halten wir Waffenlieferungen für falsch und andere Maßnahmen für erfolgsversprechender den Krieg zu beenden, als eine Region auch mittelfristig mit noch mehr Waffen auszurüsten, die noch mehr Menschen töten werden. Auch in anderen Kriegen auf der Welt liefert die deutsche Bundesregierung keine Waffen an die angegriffenen Staaten. Auch nicht, wenn diese das Recht hätten, sich besser zu verteidigen, – etwa aktuell im Jemen, wo der Krieg auf unendliche Armut und Hunger trifft. Die Waffen, die die deutsche Bundesregierung derweil an die Ukraine lieferte, sind ein Tropfen auf den heißen Stein und dienen nur dem eigenen Gewissen – sowie der Ablenkung davon, dass viel wirksamer eingegriffen werden könnte, wenn ernsthafte harte Sanktionen gegenüber Russlands Reichen vorgenommen würden.

4. Gegen Aufrüstung und Militarisierung

Während die Möglichkeiten gezielter Sanktionen nur halbherzig genutzt werden, wird umso vehementer für Aufrüstung getrommelt. Keine Zeit für Zweifel, keine Zeit für Nachdenklichkeit: In Rekordzeit werden Aufrüstungsprogramme und Waffenlieferungen durchgepeitscht. Krieg erlebt als Mittel der Politik ein Revival. Kritische Stimmen haben es in diesen Zeiten schwer durchzudringen, nur langsam verschaffen sich Rüstungsgegner:innen wieder Gehör. Die von Olaf Scholz angekündigten 100 Milliarden Sondervermögen für die Bundeswehr sind grotesk. So hat sich der Verteidigungshaushalt die vergangenen Jahre jährlich erhöht, ohne dass sich das positiv auf die Ausrüstung der Bundeswehr ausgewirkt hätte. Schon jetzt gibt der Westen jährlich eine Billion Dollar für seine Militärapparate aus, schon jetzt sind die Armeen der NATO-Mitgliedsländer der russischen Armee überlegen – beides hat die Invasion in die Ukraine nicht verhindert. Auch eine deutlich stärker aufgerüstete Bundeswehr würde nicht an der Seite der ukrainischen Armee ins Geschehen eingreifen. Nicht zuletzt hätte sie dem drohenden Einsatz von Atomwaffen nichts entgegenzusetzen. Und die Aufrüstung wird die Bundesrepublik auch nicht energieunabhängiger machen. Der Plan von interessierten politischen Kräften und der Rüstungslobby, die Ausgaben für Waffen und die Bundeswehr aufzustocken, lag schon lange vor Ausbruch des Kriegs in den Schubladen. Die aktuelle Angst der Bevölkerung wird jetzt genutzt, die Pläne als notwendige Reaktion auf den Krieg zu verkaufen. 

5. Asyl für Geflüchtete und Deserteure

Wir fordern das Recht auf Asyl für alle Geflüchteten an den europäischen Außengrenzen. Das UN-Flüchtlingskommissariat (UNHCR) geht davon aus, dass aufgrund des Ukraine-Kriegs mindestens 4,5 Millionen Menschen aus ihrer Heimat vertrieben werden. Sie müssen jetzt unbürokratisch und schnell aufgenommen werden, aber auch Perspektiven über die erste schnelle Hilfsbereitschaft hinaus bekommen. Es darf dabei keine Unterschiede im Umgang mit Geflüchteten geben, denken wir etwa an die Tausenden Geflüchteten an der polnisch-belarussischen Grenze, die brutal abgewiesen wurden – oder die Geflüchteten in den griechischen Lagern auf Lesbos. Die Aufnahmebereitschaft der europäischen Staaten für die ukrainischen Geflüchteten zeigt die ganze Heuchelei beim Gerede um die sog. westliche Wertegemeinschaft. Während innerhalb von wenigen Tagen richtigerweise hunderttausende ukrainische Geflüchtete in Europa aufgenommen wurden, scheiterten die europäischen Staaten zuvor daran, wenige tausend Geflüchtete aus dem Nahen Osten oder Zentralafrika, die vor dem Krieg in ihrer Heimat flohen, aufzunehmen – wegen angeblich fehlender Kapazitäten.

Als Linke verteidigen wir das Recht auf Asyl universell. Wir fordern das Recht auf Asyl auch für Deserteure der russischen und der ukrainischen Armee. Niemand darf zum Krieg gezwungen werden. Wir müssen uns als Partei vor Ort für die ankommenden Geflüchteten einsetzen, bei der Ankunft, Wohnungssuche oder Sprachkursen. Wir müssen Solidarität praktisch werden lassen! 

6. Solidarität mit der russischen Opposition

Wir sind solidarisch mit den Menschen, die in Russland für Frieden demonstrieren und aufgrund ihres Protests hohe Haftstrafen riskieren. Wir wollen dazu beitragen, Friedensbewegungen weltweit zu unterstützen und zu stärken. Dazu gehört u.a. auch, Gespräche mit Friedensbewegten zu suchen, statt etwa alle Gesprächsfäden nach Russland zu kappen. Wir verstehen das Bedürfnis danach, auch symbolische Zeichen zu setzen. Partnerprogramme auszusetzen, scheint uns aber keine geeignete Antwort auf die wachsenden Herausforderungen einer friedlichen Welt zu sein. Die russische Bevölkerung darf nicht mit Putins Angriffskrieg gemein gemacht werden. Antirussische Ressentiments bekämpfen wir daher in aller Entschiedenheit. 

7. Soziale Folgen weltweit abfedern

Die Ukraine ist das ärmste Land Europas. Ein Schuldenerlass würde dem Land auch eine Perspektive für die Zeit nach dem Krieg geben. Der Krieg hat aber aktuell auch für andere Länder dramatische Folgen: 29 Prozent der weltweiten Weizenexporte kommen aus Russland und der Ukraine, die Weizenpreise sind seit Kriegsbeginn um knapp ein Drittel gestiegen. Importierende Länder, die zuvor schon große Schwierigkeiten bei der Nahrungsmittelversorgung hatten, bekommen jetzt also noch größere Probleme. Wie so oft sind es die Ärmsten der Armen, die das am meisten zu spüren bekommen. Weizen darf jetzt unmittelbar nur für die Ernährung von Menschen bereitgestellt werden, andere Zwecke sind hintenan zu stellen. 

Gegen das Hungerleid der Einen scheinen die steigenden Benzin- und Energiekosten in Deutschland ein Luxusproblem zu sein. Aber auch hier, in einem reichen Land, trifft es insbesondere Menschen, die schon zuvor mit niedrigen Einkommen Sorgen vor dem Ende des Monats hatten. Für sie sind die auf allen Ebenen gleichzeitig stattfindenden Preissteigerungen existenziell. Das lässt sich mit Verweis auf den an der Tanke schäumenden SUV-Fahrer nicht abräumen. Für viele Pendler:innen gibt es noch keine Alternativen, weil der Nahverkehr eher ab- als ausgebaut wurde, die Ticketpreise sind zudem seit Jahren gestiegen und alles andere als erschwinglich. Wann wenn nicht jetzt wäre Zeit für eine komplette Umkehr: Statt Tankrabatte braucht es günstigeren oder gar kostenfreien Nahverkehr, die Mineralölkonzerne müssen bei ihrer Abzocke gestoppt werden.

8. Investitionen in Energiesouveränität statt Subventionen für abzockende Konzerne

Unsere Abhängigkeit von russischem oder US-amerikanischem Gas, Öl aus Saudi-Arabien u.a. ist spürbar geworden und die damit verbundenen Kriegsgefahren sind näher gerückt. In dieser Hinsicht wirft der Krieg einen Schatten voraus, auf das, was in den nächsten Jahrzehnten droht. Grundlegende Alternativen sind bisher kaum verankert und viele Menschen haben zurecht Angst davor, am Ende die Kosten aufgebürdet zu bekommen. 

Wir müssen zusammen mit der Klimabewegung nicht nur Widerstand gegen die Rückkehr zu fossilen Brennstoffen leisten, sondern die Chance für eine radikale Energiewende ergreifen, die sich von energieintensiven Wirtschaftszweigen abwendet und sozial abgesicherte Maßnahmen zur Reduktion des Energieverbrauchs im privaten Bereich erkämpft. Die 100 Milliarden Euro wären diesbezüglich besser investiert. Wir stehen vor der Herausforderung, konkrete Alternativen für einen Umbau der gesamten Weise des Wirtschaftens zu machen. Die Grünen denken Energiesouveränität letztlich als imperiales Projekt der EU und Deutschlands, das mit Standortpolitik für den Zugang zu Energie und Rohstoffen und mit Aufrüstung einhergeht. Beim notwendigen Umbau zu den Erneuerbaren Energien dürfen wir aber nicht vergessen, dass viele Technologien nicht ohne den umweltschädlichen Abbau von Erzen auskommen, die nur in wenigen Ländern verfügbar sind, wodurch neue rohstoffliche Abhängigkeiten und imperiale Konflikte entstehen. Es geht daher auch um eine wirkliche Mobilitätswende jenseits der Abhängigkeit vom Auto, um massive Energieeinsparung (was auch einen Umbau von Dienstleistungen und eine alternative Vision zur Digitalisierung beinhaltet), um demokratisch geplante regionale Produktion. Ohne eine globale Energiewende hat eine neue Friedensordnung keine Chance und umgekehrt werden die Profiteure des fossilen Kapitals – Konzerne wie autoritäre Regime – ihre Macht nicht einfach aufgeben. 

9. Breite Bündnisse und neue Friedensbewegung

Wir stellen uns nicht nur gegen Aufrüstung, wir werben vielmehr sogar für Abrüstung. Das tun wir bei den aktuellen Friedenskundgebungen, auch wenn diese Stimmen nicht überall gern gehört werden. Und es gibt mehr dieser Stimmen, als in den ersten Tagen nach Kriegsausbruch der Eindruck war. Wir suchen daher die Gespräche mit Bündnispartner:innen und werben auch bei den vielen Menschen, die momentan andere Antworten geben, aber noch nicht entschieden sind. Zweifel und Widersprüche gibt es derzeit nicht nur in den eigenen Reihen. Dabei geht es nicht nur darum, an welchen Stellen die jetzt für Aufrüstung eingeplanten Milliarden in Zukunft fehlen werden, sondern dass bereits die angebliche Notwendigkeit einer Aufrüstung falsch ist und der Teufelskreislauf der Militarisierung durchbrochen werden muss. Wir wollen die neue Friedensbewegung mit aufbauen und darin diese Position stärken. Wir wollen in diesen schwierigen Zeiten Pol der Hoffnung werden, für eine Welt ohne Kriege und Kapitalismus. 

Nein zum Krieg – Widersprüchlichkeiten und Bewegungsperspektiven

Beitrag von Daphne Weber, Mitglied im Parteivorstand

500.000 Menschen waren am 27.02. in Berlin auf der Straße, um gegen den völkerrechtswidrigen Krieg Russlands unter Putin gegen die Ukraine zu demonstrieren. Auf der Großdemonstration war die ganze Vielfalt zu sehen um einerseits „Nein zum Krieg“ zu sagen und gleichzeitig Forderungen nach Aufrüstung, Waffenlieferungen und weiterer Eskalation zu beklatschten. Parallel zu dieser Demo reichte die Ampel im Bündnis mit der CDU/CSU einen Entschließungsantrag über ein Aufrüstungspaket im Bundestag ein, das von der Rede von Olaf Scholz, in der er 100 Milliarden Sondervermögen für die Bundeswehr ankündigte, noch übertroffen wurde und damit das größte Aufrüstungspaket seit 1945 in Deutschland sein wird.

Über Jahre war das Thema Krieg und Frieden kaum ein Thema im deutschen Diskurs, auch, weil der Krieg so weit weg schien und weil er Menschen betraf, mit denen sich wenig bis nicht solidarisiert wurde. Schwarze Menschen, arabische Menschen, Muslime. Auch jetzt gibt es im europäischen Grenzregime Rassismus. Ukrainer*innen werden durchgelassen, afrikanischen Austauschstudent*innen in der Ukraine oder Menschen, die schon seit langem aus dem Nahen Osten kommend an der Grenze ausharren, die Weiterreise verwehrt.

Gehen wir zurück in den Sommer letzten Jahres.

Nach 20 Jahren Kriegsdesaster in Afghanistan stand im Sommer 2021 der deutsche Truppenabzug an. Die Truppen hingeschickt hatte damals eine rot-grüne Regierung, unter fortwährendem Protest der Linken gegen diesen Krieg. Im Sommer trieb eine Koalition ganz ähnlich derer, die jetzt das Aufrüstungspaket verabschiedet hat, die LINKE in die Enge, sie wolle ja den kriegsgebeutelten Afghan*innen nicht helfen. Dass statt Menschen Bier ausgeflogen wurde, Ortskräfte bewusst zurückgelassen wurden oder bei Subunternehmen angestellt waren, so dass man sie rechtlich sicher dort lassen konnte oder dass das vorherige Bundeswehr-Mandat weitreichendere Rettungsaktionen möglich gemacht hätte, folglich man gar kein neues brauchte, all das wurde in der erhitzten Stimmung des Wahlkampfes niedergeschrien, in dem es darum ging, möglichst kurzfristig viele Stimmen zu sammeln. Ein halbes Jahr später interessieren sich die Ampel-Parteien nicht mehr für die Menschen in Afghanistan, die dort immer noch unter den Umständen leiden. Wahlkampf vorbei, Kapitel abgehakt.

Aufrüstung, Waffenlieferungen, Sanktionen

Ähnlich wie im Sommer 2021 können wir jetzt beobachten, wie die Ausnahmesituation des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine für eine Politik missbraucht wird, in der es um etwas ganz anderes geht: Auf das Leid der Menschen in der Ukraine, den Schock der Menschen hierzulande antworten SPD, GRÜNE, FDP und CDU/CSU mit „deutscher Aufrüstung“ und nutzen die Krise für eine Politik, die ohne den Krieg nicht durchsetzbar wäre. In unmittelbarer Folge der Aufrüstungsankündigung steigen die Aktienkurse deutscher Rüstungskonzerne auf ein Rekordhoch. Sogar über eine Wiedereinsetzung der Wehrpflicht wird debattiert. Der AfD gefällt’s; endlich maskuline Härte statt verweichlichte queere „Snowflakes“, die keine „echten Männer“ mehr sein wollen. Während der Krieg mit aller Brutalität seit Tagen anhält, wird hierzulande bequem vom Sofa die ukrainische Mannschaft angefeuert, als ginge es um ein Sportmatch und nicht um deren Aussicht auf einen Häuserkampf gegen eine völlig überlegene Armee Russlands. Unter den russischen Soldaten an der Front sind etliche in den Jahren 2000, 2001, 2002 geboren, wie man zittrigen Geständnissen von Kriegsgefangenen entnehmen kann. Sie haben verdreckte Gesichter, manche blutüberströmt, starren mit müden Augen ins Leere, antworten aus aufgeplatzten Lippen. Auch auf der ukrainischen Seite: Männer ab 18 dürfen das Land nicht verlassen. Manche Familien fliehen ohne ihre Männer, manche entscheiden sich, wegen des Ausreiseverbots für ihre Männer, Väter, Brüder zu bleiben. Es ist ein wiederkehrendes Muster: Machthaber befehligen Kriege, die Armen schießen aufeinander… junge Männer, die vielleicht grade die Schule abgeschlossen haben, zum ersten Mal verliebt waren, hofften, dass sie nach Corona wieder zusammen feiern können oder vor der XBox mit Freunden gezockt haben.

Wer jetzt Waffenlieferungen fordert, muss sich bewusst sein, dass er diese ukrainischen Männer bewaffnet. Dass dies den Krieg verlängert, der vermutlich in einen blutigen Häuserkampf mündet unter heftigen Bombardierungen der russischen Armee aus der Luft. Dass es gut möglich ist, dass in einigen Tagen die Waffen ihre Besitzer gewechselt haben. Für den Weg einer Waffe kann niemand garantieren. Wie Expertinnen für die extreme Rechte recherchiert haben, gibt es zudem mittlerweile Chatgruppen, in denen Neonazis an die Front vermittelt werden zu offen faschistischen Batallionen, wie etwa zum Asow Regiment. Deutsche Waffen könnten dann auch in deren Hände gelangen, nach ihrer Rückkehr wären sie eine immense Gefahr für die innere Sicherheit. Wer bewaffnet wen? Kann für den Weg der Waffen garantiert werden? Mit welcher Perspektive werden Waffen geliefert? Wer Waffenlieferungen befürwortet, muss sich diese Fragen stellen.

Lehnt man Waffenlieferungen ab, wird man wahlweise als naiv oder als unsolidarischer Mensch hingestellt, der die Ukrainer*innen ihrem Schicksal überlassen möchte. Aber so einfach ist es nun eben nicht. Solidarität bedeutet nicht Militarisierung. Nötig ist das Drängen der Weltgemeinschaft auf eine Waffenruhe, um als allererstes das Blutvergießen zu stoppen. Das fordert die Ukraine. Danach muss verhandelt werden. Egal wie viele Stunden, Tage, Wochen, Monate. Alles ist besser als das Gemetzel. Alles.

Nötig ist eine Sanktionierung derer, die mit dem Tod ihre Geschäfte und Profite machen. Die Namen und Firmen russischer Waffenlieferanten sind bekannt. Vizekanzler Robert Habeck gab kürzlich erst zu, dass Deutschland vom Import russischen Gases abhängig sei (fast die Hälfte der Gasimporte) – eine Folge der jahrzehntelang verschleppten Energiewende. Es ist ein Dilemma: Habeck möchte den Gasimport nicht kappen, denn ein solcher Schritt würde vor allem die unteren Einkommensschichten in Deutschland hart treffen. Frieren muss nicht die Mittel- und Oberschicht, die können sich auch den zweifachen Preis leisten. Umso mehr muss die Suche nach Maßnahmen verfolgt werden, die die politische Elite und die Putin unterstützenden Kapitalfraktionen treffen.

An dieser Stelle lässt sich allerdings beobachten, wie sich eine völlig umgekehrte Bewegung vollzieht: Luxusgüter werden von der Sanktionsliste genommen, russisches Oligarchenvermögen im Ausland ist weiterhin flüssig statt eingefroren und kreative Forderungen, wie etwa Oligarcheneigentum an Wohnungen in Deutschland oder Yachten zu enteignen, werden als unrealistisch abgetan. Oligarchenvermögen zu sanktionieren würde Transparenz etwa in Form eines internationalen Finanzregisters, voraussetzen, wie es der Ökonom Thomas Piketty vorschlägt, was allerdings auch die westlichen Oligarchen und Superreichen nicht wollen. Das Großkapital ist eben transnational miteinander verwoben. Und die Ampel? Die würde nie etwas beschließen, was dem deutschen Kapital weh tut und bald ist ja auch wieder Wahlkampf, da will man es sich mit niemandem verscherzen.

So kommt es, dass sich die Verantwortlichen der Ampel ein reines Gewissen kaufen durch Aufrüstung und Waffenlieferungen und dafür mit Standing Ovations bejubelt werden. So lassen sich komplizierte Gedankenknoten beiseite schieben, es wird nicht mehr gefragt, wie eigentlich die Bemühungen der Ampel für einen Waffenstillstand aussehen, wer hier an wen liefert. Der Krieg findet ja woanders statt und in den Hintergrund tritt all das, was wirksamer, friedlicher und nachhaltiger wäre – und was sie nicht tun. Schießen müssen schließlich andere, sterben müssen andere. Der Krieg geht weiter.

Bewegungsperspektive

Neben der Friedensbewegung positionieren sich nun verschiedene Initiativen, wie etwa Fridays for Future, gegen den Krieg und gleichzeitig gegen die deutsche Aufrüstung. Die Friedensbewegung war geschwächt, aber jede Bewegung, die für das Leben eintritt, hat Berührungspunkte mit der Friedensfrage und in dieser Hinsicht kann es gelingen, aus dem zivilgesellschaftlichen Bewegungsspektrum heraus die Friedensbewegung zu verbreitern. Die traditionelle Friedensbewegung war über Jahre eher ein randständiges Phänomen – weil der Krieg weit weg schien – und wurde belächelt: ein paar alte Menschen, die scheinbar in der Logik des Kalten Krieges hängen geblieben waren, junge Menschen, die eine Verjüngung und Vitalisierung der Friedensbewegung forderten, wurden nicht für voll genommen. Andererseits haben manche Akteure der Friedensbewegung einige strategische Fehler gemacht, die der Verbreiterung der Bewegung nicht dienlich waren. Nicht selten wurden Leute, die Fragen gestellt haben, auch in Bezug auf Staaten wie Russland oder Syrien andere Einschätzungen hatten, eher beschimpft, anstatt sie gewinnen zu wollen. Nun werden wir von einer spontanen Mobilisierung, die durch die Drastik und unvermittelte Brutalität des Kriegs gelenkt wird, überrollt.

In dieser gesellschaftlichen Dynamik brauchen wir breite Bündnisse von Initiativen, Bewegungen und Gewerkschaften für einen sofortigen Waffenstillstand in der Ukraine, die Aufnahme von Geflüchteten, den Rückzug der russischen Truppen, für Frieden und Abrüstung. Diese Forderungen müssen an alle politischen Instanzen erhoben werden, in Deutschland und der EU.

Neben dem Fordern müssen wir uns selbst die Frage stellen, was wir konkret tun können, an den Orten, an denen wir leben und arbeiten – sowohl hinsichtlich des Kriegs in der Ukraine als auch gegen die deutsche Aufrüstung. In meiner Phantasie sieht die Tatkraft solcher zivilgesellschaftlicher Bündnisse ungefähr so aus: Umweltaktivistinnen von „Ende Gelände“ blockieren Eigentum russischer Oligarchen, Seebrücke-Aktivisten helfen Geflüchteten aus dem Kriegsgebiet, Fridays for Future ruft zu Friedensdemonstrationen auf, die Initiative „Rheinmetall Entwaffnen“ hält Dauermahnwachen vor deutschen Rüstungskonzernen, Journalistinnen recherchieren, wer vom Krieg profitiert und lassen den politischen Verantwortlichen keine Ruhe. Die Gewerkschaften rufen ihre Mitglieder auf, Rüstungskonzerne zu bestreiken, Hafenarbeiterinnen legen die Verschiffung von Waffentransporten lahm (es wird ja weiter munter exportiert auch in Autokratien). Tech-Aktivisten hacken Seiten, um Informationen mit der Bevölkerung in Russland zu teilen. Mit den mutigen Menschen, die in Russland auf die Straße gehen, um gegen den Krieg zu protestieren, solidarisieren wir uns, die Kontakte reißen nicht ab. Deutsche Wissenschaftler bilden Tandems mit russischen Wissenschaftlerinnen, um sie im Widerspruch zum Krieg zu stärken. Deutsche Bürgermeisterinnen halten den Kontakt zu russischen Bürgermeistern.

Einiges davon passiert bereits und liegt nicht im letzten Gehirnwinkel einer fernen Utopie.

Die Friedensbewegung in Russland ist ein wichtiger Schlüssel zur Beendigung dieses Kriegs und hat mit massiven Repressionen zu kämpfen. Sanktionen, die blind die russische Bevölkerung treffen, schwächen vermutlich diese aufbegehrenden Menschen, flächendeckende Kontaktabbrüche beispielsweise deutscher Unis zu russischen Unis sind das Gegenteil von Stärkung der russischen Friedensbewegung. Solche Kontaktabbrüche stärken eher Putin. Wer sich kaum noch Nahrungsmittel und Heizung leisten kann, weil sich alles verteuert, begehrt nicht eher auf, wie es manche Verelendungstheorie glauben macht. Ziel der Überlegungen muss sein, wie man aufbegehrende Menschen der russischen Zivilgesellschaft stützt und den Rückhalt Putins in der Bevölkerung schwächt. Fällt dann noch das russische Kapital, beispielsweise durch gezielte Sanktionierung, von ihm ab, besteht die Chance seine Machtbasis zu minimieren. Es gibt viele Beispiele, in denen allgemeine Wirtschaftssanktionen, die die gesamte Bevölkerung trafen, die Machthaber eher gestärkt haben, von Nordkorea bis Iran. Antikapitalistische Angriffe auf das Eigentum der russischen Elite und Putins Unterstützerbasis hingegen sind Forderungen, die die Friedensbewegung hier durchaus erheben kann.

DIE LINKE im Handgemenge

In der friedensbewegten und antikapitalistischen Praxis, die wir auf die Frage „Was tun?“ entwickeln, ist auch der Platz der Partei DIE LINKE, als derjenigen Partei, die immer gegen Krieg war, egal wo er stattfindet. So auch jetzt.

Diejenigen in der Partei, die stets Putin verharmlost haben, sollten in sich gehen und analysieren, weshalb sie so falsch gelegen haben. Wir sollten aber in einer solidarischen Fehlerkultur allen die Möglichkeit geben, Ansichten zu korrigieren, gerade jetzt in dieser aufgeheizten Stimmung. Diejenigen, die nun endlich den Zeitpunkt gekommen sehen, um Tabula Rasa zu machen und alles Friedensprogrammatische auf den Prüfstand stellen wollen, sollten das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Gerade jetzt ist nicht der Zeitpunkt, eine konsequente Friedenshaltung aufzugeben – sonst gibt es keine politische Partei, die als Stimme der Vernunft und Solidarität eine solche vertritt, in Öffentlichkeit und Parlamente trägt. Die Stimme der LINKEN in friedenspolitischen Belangen wird mehr denn je gebraucht. Diejenigen, die Fragen haben, sollten nicht niedergebrüllt werden. Das Programm nicht aufweichen zu wollen, ist zwar berechtigt, aber an sich noch kein Argument. Die Auseinandersetzung um unsere Friedens- und Sicherheitspolitik sollte mit Argumenten in der Sache geführt werden – in denen sich das konsequentere und schlüssigere durchsetzt. Die Friedensprogrammatik der LINKEN ist keine Sache des Dogmas, sondern eine Sache der Notwendigkeit.

Bei dieser Auseinandersetzung müssen wir uns von dem Anliegen leiten lassen, Antworten zu entwickeln, die nicht nur die nächste Meinungsumfrage oder Regierungsbeteiligung im Blick haben, sondern unsere Kernkompetenz als Friedenspartei weiterentwickeln.

Eine Friedensprogrammatik besteht aus mehreren Säulen: 1. Abrüstung, Stopp von Waffenexporten, Ächtung von Atomwaffen und Transformation der Rüstungsindustrie in zivile Produktion, 2. Solidarität mit geflüchteten Menschen, Hilfe statt Abschottung und brutaler Grenzregime, 3. Stärkung ziviler Konfliktlösung und Zusammenarbeit, statt Ausweitung der Nato und 4. gerechter Welthandel, der anderen Nationen und Menschen auf Augenhöhe begegnet.

Die Frage nach einer europäischen (und eigentlich Welt-) Sicherheitsarchitektur bleibt bestehen; ganz akut, weil der Krieg in der Ukraine beendet werden muss und auch dauerhaft, denn es wird ein Russland nach Putin geben. Der Angriffskrieg gegen die Ukraine steigert nun die Nachfrage der Staaten Osteuropas nach Nato-Mitgliedschaft, aber die bisherigen Probleme mit der Nato verschwinden dadurch ja nicht. Imperiale Konflikte schwelen weiter und dieser Krieg entbindet Linke nicht davon, zu benennen, dass die Nato keine weiße Weste hat, Kriege geführt, das Völkerrecht missachtet und auch nicht die Lösung für eine Welt des Friedens ist. Hier müssen wir weiter klar bleiben. Ein Konstrukt wie die Nato kann kein Bezugspunkt für Linke sein.

Der gerechte Welthandel ist besonders wichtig, um auch zukünftige Konflikte und Kriege zu verhindern, indem man ihren Nährboden austrocknet. Können Wirtschaftsinteressen nicht mehr anders durchgesetzt werden, wird es wahrscheinlicher, dass sie militärisch abgesichert werden. Die Ausbeutung vor allem des globalen Südens durch große Konzerne des globalen Nordens hat die Destabilisierung ganzer Länder, Verarmung und Fluchtbewegungen zur Folge. Auch Umweltverschmutzung und Klimawandel tragen zusätzlich dazu bei. Kriege kommen nicht aus heiterem Himmel auf, sie haben Nährböden, auf denen sie wachsen. Diese Nährböden sind neben Ideologien wie Großmachtstreben vor allem die Ausweitung geopolitischer und ökonomischer Macht – explizit dann, wenn man von den kapitalistischen Zentren in die Peripherie gedrängt wird oder von dort nie weggekommen ist. Und umgekehrt wollen kapitalistische Zentren ihre Vormachtstellungen halten, zur Not militärisch abgesichert.

Eine nachhaltige Friedensordnung beinhaltet deshalb, dass die territorialen Einheiten, Staaten oder Wirtschaftsblöcke, keinen Wirtschaftskrieg gegeneinander führen und das rücksichtslose Streben nach Profitmaximierung von Konzernen vernünftigen Prinzipien zur Einrichtung der Welt weicht.

Rosa Luxemburgs Ausruf „Sozialismus oder Barbarei“, auch wenn er vielfach zum Marketing-Claim degradiert, entsprechend verhunzt wurde und so viel seiner Ernsthaftigkeit verloren hat, bleibt aktuell. Konflikt- und Kriegsprävention beinhaltet mehr als die Abwesenheit von Panzern und Schüssen. Abrüstung und Frieden müssen Elemente der Klimabewegung werden und umgekehrt nachhaltige, sozial gerechte Umwelt- und Klimapolitik, Ausstieg aus den fossilen Energieträgern Elemente der Friedenspolitik. Im Vergleich zum Aufrüstungspaket sind die Investitionen der Ampel in humanitäre Hilfe verschwindend gering. Die mangelnde Bekämpfung der weltweiten Armut und Hilfe bei humanitären Katastrophen ist also vorrangig eine Frage des politischen Willens, die anständige Bezahlung von Krankenschwestern hierzulande, eine gute Gesundheitsversorgung, Investitionen in die sozial-ökologische Transformation ebenso. Das haben wir drastisch vor Augen geführt bekommen, darauf müssen wir pochen.

Das systematische Aushöhlen des Völkerrechts durch vergangene imperiale Kriege, in die sich der Krieg Russlands nun einreiht, und parallel dazu die Verrechtlichung globaler Ausbeutung und privatrechtliche Absicherung transnationaler Konzerninteressen – es müsste umgekehrt sein und von der globalen Zivilgesellschaft eingefordert werden: Völkerrecht und Menschenrecht, statt Absicherung von Kapital- und Profitinteressen. Die Kämpfe gegen Ausbeutung, gegen Krieg, für Menschenrechte, Demokratie, Frieden, eine intakte Umwelt und globale Gerechtigkeit, sie hängen zusammen und können nur international wirksam geführt und gewonnen werden.

Für linke politische Akteure und Parteien müsste dies eine weitere Stärkung der internationalen Zusammenarbeit zur Folge haben. Was bedeutet linke internationale Solidarität konkret, in der Praxis, abseits von Papieren und Zoom-Meetings? Diese Frage sollten wir uns offen stellen mit dem Begehren, Antworten zu entwickeln, die tragfähig, konsequent, radikal und relevant sind. Eins steht allerdings fest: Militarisierung ist keine Solidarität.

„Brüder, nicht schiessen!“, stand auf einem Schild inmitten einer Demonstration der Novemberrevolution 1918. Kriege werden von Menschen begonnen, meist von denen, die nicht kämpfen müssen. Menschen können Kriege beenden, wenn sie sich als Brüder und Schwestern begreifen. Statt die Kriegslogik mitzumachen haben wir als Linke und als LINKE die Aufgabe, eine Welt zu skizzieren, die vorstellbar ist, jenseits von Krieg, Kapitalismus und Klimakollaps – und uns gemeinsam mit anderen auf den Weg zu machen.