Kategorie: Außenpolitik

Trotz alledem: Weiter gegen Aufrüstung und Waffenexporte

Beitrag von Florian Wilde

Wenn die Waffen sprechen, haben die Stimmen der Kriegsgegner es schwer. In der Stunde der Eskalation hilft es uns wenig, dass wir über Jahre all die Schritte bekämpft haben, die in die Eskalation führten: Die NATO-Osterweiterung wie die russische Expansionspolitik wie die Aufrüstung aller Seiten. Nun, wo wir den Schlamassel des Krieges nicht haben abwenden können, ist der Druck enorm, voll auf ihn einzusteigen und sich für Waffenlieferungen, Aufrüstung und NATO-Bündnistreue auszusprechen. Der Ruf nach Frieden, Entspannung, Diplomatie und Abrüstung wirkt erst einmal hohl, wenn die Panzer rollen – und doch bleibt er richtig.

So groß der Druck 1999 für eine Unterstützung des Kosovokrieges auch war und so schwer der Vorwurf auszuhalten war, wir würden uns so mitschuldig machen an den – angeblichen – Massakern an den Kosovaren: Es war richtig, den Krieg abzulehnen und auf den Sturz von Milosevic durch Massenproteste in Serbien zu setzen. So groß der Druck 2001 für eine Unterstützung des Afghanistan- und 2003 des Irakkrieges auch war und so schwer der Vorwurf aufzuhalten war, wir würden uns so mitschuldig machen am Al-Qaida-Terror: Es war richtig, die Kriege abzulehnen und auf den Sturz der Taliban und Saddam Husseins durch die Afghanen und Iraker selbst zu setzen. So groß der Druck 2011 für eine Unterstützung des Libyenkrieges auch war und so schwer der Vorwurf auch auszuhalten war, wir würden uns so mitschuldig machen am Terror Gaddafis gegen seine Bevölkerung: Es war richtig, den Krieg abzulehnen und auf einen Sturz des Regimes von unten zu setzen.

Die Geschichte hat uns nachträglich immer Recht gegeben. Die Kriege gebaren nur neue Schrecken. Selbst der vermeintlich erfolgreiche, völkerrechtswidrige, Angriffskrieg der NATO auf Serbien zur Herauslösung des Kosovo schuf die Vorlage zum jetzigen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine zur Herauslösung des Donbass. Milosevic wurde tatsächlich durch Massenproteste gestürzt, nicht durch die NATO-Bomben. Saddam Hussein hätte die Massenproteste des Arabischen Frühlings nicht überlebt. Die Taliban säßen ohne den NATO-Krieg heute kaum noch in Kabul am Ruder. Und selbst wenn Gaddafi die Aufstände niedergeschlagen hätte – es hätte wohl weniger Schrecken für die Menschen in Libyen bedeutet als die Hölle auf Erden, in die der NATO-Krieg ihr Land verwandeln sollte.

Heute ist der Druck auf die linken Kriegsgegner:innen gewaltig, alle unsere Grundsätze über Bord zu werfen und sich hinter der eigenen Regierung, ihrer Aufrüstung ihren Waffenexporten und der NATO zu versammeln.

Und doch bleibt es falsch.

Insbesondere Deutschland, dass wie kein anderes Land die Schrecken des Krieges über die Menschheit gebracht hat, darf nie wieder Kriegspartei werden und auch weiterhin keine Waffen in Kriegsgebiete liefern.

Für deutsches Kapital und die Bundesregierung eröffnet der Ukrainekrieg eine ungeahnte Möglichkeit, alle Fesseln abzustreifen, die dem deutschen Imperialismus nach dem Zweiten Weltkrieg auferlegt wurden, und die schon seit Jahren immer weiter hochgerüstete Bundeswehr endgültig in eine kriegsfähige Armee umzuwandeln. Diesen Zweck dient das gigantische 100-Milliarden-Aufrüstungsprogramm der Bundesregierung, die künftige Erhöhung der Militärausgaben auf über 2 Prozent des BIP oder die geplante Anschaffung von Kriegsdrohnen.

Dieser Aufrüstungspolitik müssen Linke in den Arm fallen.

Natürlich hat die Ukraine ein Recht auf Selbstverteidigung gegen den russischen imperialistischen Überfall, und sie würde auch ohne deutsche Beteiligung mehr als genug Waffen aus dem Westen geliefert bekommen. Aus ihr aber das Schlachtfeld eines großen Stellvertreterkrieges zu machen, wird das Leid der Menschen dort nicht lindern, aber die Menschheit insgesamt der Gefahr eines Atomkrieges dramatisch näherbringen.

Sozialistische Kriegsgegner:innen kämpfen für eine Welt des Friedens und wissen, dass es eine solche nur durch den Sturz aller herrschenden Klassen und die internationalistische Überwindung der Nationalstaaten „von unten“ geben kann. Diese Perspektive mag momentan noch unendlich weit weg und unrealistisch erscheinen. Aber noch viel unrealistischer ist die herrschende Perspektive, die die vom Klimawandel existenziell bedrohte Menschheit in eine Spirale aus Krieg und Aufrüstung stürzen will und direkt in eine nukleare Konfrontation zu münden droht, die die Menschheit sogar noch vor der Klimakatastrophe auslöschen könnte.

Diverse russische Regime brachen im 20. Jahrhundert durch Massenproteste in Folge imperialer Kriege zusammen. Auf den russisch-japanischen Krieg folgte 1905 die erste russische Revolution. Auf den Ersten Weltkrieg folgte 1917 mit der Februar- und Oktoberrevolution der Sturz des Zaren und dann des Kapitalismus selbst. Der Unmut über den Afghanistankrieg leitete in den 1980ern unmittelbar in den Zusammenbruch der Sowjetunion über.

Es ist ein keineswegs unwahrscheinliches Szenario, dass nun der Ukrainekrieg zum Sturz des Putinismus durch Massenproteste von unten führen und demokratische Bewegungen in anderen Ländern inspirieren wird. Zentral ist dafür die Unterstützung der linken und Anti-Kriegs-Opposition in Russland und allen kriegführenden Staaten.

Dies muss die Perspektive sozialistischer Kriegsgegner:innen sein und bleiben. Trotz alledem.

(Zuerst veröffentlicht bei der Freiheitsliebe)

Warum Sanktionen den Diktator Putin nicht stoppen werden

Beitrag von Yaak Pabst

10 Punkte zur Debatte oder warum es gerade jetzt wichtig ist, dass DIE LINKE bei ihrem konsequenten Friedenskurs bleibt.

1. Die Forderungen nach Sanktionen gegen Russland von manchen Linken aus der Ukraine sind angesichts ihrer Ohnmacht verständlich, bleiben aber falsch. Sanktionen treffen immer die Zivilbevölkerung. Sie sind damit Wasser auf Putins nationalistische Propaganda-Mühlen und helfen ihm, die Bevölkerung hinter sich zu sammeln. Zudem: Sanktionen sind nur die Vorstufe für eine weitere Eskalation, an deren Ende auch der Einsatz von militärischen Mitteln stehen kann. Sie entsprechen in diesem Kontext der imperialistischen Logik. Für Deutschland gilt: Sanktionen sind der Türöffner bei der Linken für Burgfrieden-Politik. Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, dass DIE LINKE bei ihrem konsequenten Friedenskurs bleibt und die verschiedenen Facetten des westlichen und speziell des deutschen Imperialismus in diesem Konflikt – Sanktionen, Waffenlieferungen und Aufrüstung – ablehnt. 

2. Wer die von der EU und anderen westlichen Institutionen beschlossenen Sanktionen mit Boykottbewegung, wie der palästinensischen BDS-Bewegung oder der Anti-Apartheids-Bewegung in der 1980er Jahre in Verbindung bringt macht einen Fehler, denn die aktuelle Sanktionen haben damit gar nichts zu tun und sie führen auch nicht dorthin. Die beschlossenen Sanktionen (Kontensperrung / Wirtschaftssanktionen) sind das Mittel eines imperialistischen Blockes, um einen anderen imperialistischen Konkurrenten in seiner Entwicklung zu hemmen. Solche Sanktionen treffen die unbeteiligte Zivilbevölkerung, weil sie darauf ausgerichtet sind einen möglichst effektiven wirtschaftlichen Schaden für das gesamte betroffene Land durchzusetzen (sonst wären sie im Sinne des westlichen Blockes Makulatur). Die Auswirkungen solcher Sanktionen auf die Bevölkerung lassen sich im Irak 1990–2003, in Afghanistan seit 1999 oder auch in Syrien von 2011 bis heute sehr gut studieren. Bei solchen Sanktionen geht es nicht um eine Konfrontation von Unterdrückten gegen ihre Unterdrücker, wie im Falle der BDS oder der Anti-Apartheids-Bewegung. 

3. Die Geschichte zeigt, dass die Herrschenden in den von Sanktionen betroffenen Ländern keinen Machtverlust durch diese Sanktionen fürchten müssen. Eines der eindringlichsten Beispiele ist Nordkorea. Das Regime sah sich seit seiner Gründung 1948 immer wieder mit scharfen Sanktionen und Wirtschaftsboykott von Seiten der USA und des Westens konfrontiert. Seit dem sind Hunderttausende Menschen im Land durch Hunger und medizinische Unterversorgung getötet worden, das Regime ist jedoch weiterhin unerschüttert an der Macht. Das hat einen einfachen Grund. Politiker:innen in den von Sanktionen betroffenen Ländern können die Situation nutzen, um die Reihen hinter sich zu schließen. Schuld an der miserablen Situation sind nicht sie, sondern eben das Ausland – der andere imperialistische Block. Schlächter Putin ist ein ziemlicher Meister in dieser Disziplin. Sanktionen schwächen unter solchen Bedingungen den Widerstand, anstatt ihn zu stärken. Auch die jetzigen vom westlichen imperialen Block beschlossenen Sanktionen werden Putin nicht stoppen. Putins Regime wurde nach der Krim Annektion schon mit EU-Sanktionen belegt. Doch statt sich gegen ihren Präsidenten Putin aufzulehnen, hat Russlands Bevölkerung bekannterweise selbigen 2018 mit einem Rekordergebnis erneut zum Präsidenten gewählt. Auch in anderen Ländern mit Diktatoren haben Sanktionen gar nichts bewirkt, außer der Zivilbevölkerung noch mehr Armut, Hunger und Tod zu bringen. Ob Haiti, Serbien, Gaza, Syrien – trotz Sanktionen blieben jene die eigentlich aus dem Amt gedrängt werden sollten fest im Sattel. 

4. Zu behaupten Sanktionen seien eine Alternative zum Krieg ist realitätsfern – Sanktionen sind die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln. Oder umgekehrt: Sie sind nur die Vorstufe für eine weitere Eskalation, an deren Ende auch der Einsatz von militärischen Mitteln stehen kann. Beispiel Irak: Ende 1990 beschlossen die Vereinten Nationen den Irak mit Sanktionen zu belegen. Dieser »Sanktions-Krieg« dauerte dreizehn Jahre lang (!) und war unfassbar brutal. Die Sanktionen gegen den Irak töteten mehr Menschen als die Atombombenabwürfe von Hiroshima und Nagasaki zusammen. Die Wirtschaft des Irak wurde systematisch angegriffen und den Menschen die Chance auf Entwicklung genommen – UNICEF beziffert die Zahl der toten Kinder mit mehr als einer halben Million. Der damalige Diktator Saddam Hussein herrschte in dieser Zeit ungehindert weiter. Im Irak folgte auf diese für die Menschen katastrophalen UN-Sanktionen der Angriffskrieg der USA und ihrer »Koalition der Willigen«. Die USA und ihre Verbündeten kämpften natürlich (wen wundert es) für »Frieden, Demokratie und Menschenrechte«. Niemand kam damals übrigens auf die Idee, Sanktionen für die USA zu fordern oder Sanktionen für die Oligarchen in den USA oder den Ländern, die der »Koalition der Willigen« beigetreten waren, wie beispielsweise England.

5. Die jetzt beschlossenen Sanktionen gegen Russland dienen nicht der ukrainischen Bevölkerung. Sie bringen den Menschen den Frieden nicht ein Schritt näher. Im Gegenteil: Kriege entspringen nicht der Irrationalität einzelner Politiker:innen, so dass Sanktionen daran irgendetwas ändern könnten. Imperialismus beschreibt nicht nur eine bestimmte gewaltsame Politik oder die Tatsache, dass Präsident:innen mächtiger Nationen, wie beispielsweise Russland, USA oder Deutschland, über kleinere Nationen bestimmen können. Militärische Gewalt folgt einer enormen Zuspitzung ökonomischer Konkurrenz. Die wirtschaftliche Konkurrenz schlägt in politisch-militärische um und insofern nimmt diese die Form eines globalen Systems von konkurrierenden kapitalistischen Staaten an. Sanktionen sind in diesem System ein integraler Bestandteil des Kräftemessens imperialistischer Staaten. Über 150 Mal hat der UN-Sicherheitsrat in den letzten zehn Jahren wirtschaftliche Restriktionen beschlossen. Darüber hinaus gibt es hunderte von Sanktionen die Staaten gegen andere Staaten einseitig ohne UN-Beschluss verhängen. Die verschiedenen Imperialismen haben die Ukraine zu ihrem Spielfeld für das Kräftemessen gemacht, die Sanktionen sind Teil dessen. Wer das nicht erkennt, begeht einen schweren Fehler. All dass passiert auf dem Rücken der Bevölkerung in der Ukraine. Der Schlüssel zur Niederlage Putins liegt im Widerstand der russischen Bevölkerung gegen den Krieg und großrussischen Chauvinismus, nicht in der Aufrüstung und Eskalation der Nato. Sanktionen sind Gift für diesen Widerstand. 

6. Es gibt keine »guten« Sanktionen. Manche Linke wollen »schlaue«, »gerechte« und »nachhaltige« Sanktionen. Sanktionen, die nur die reichen Oligarchen treffen. Sanktionen gar mit »Klassenperspektive«. »Was gibt es denn dagegen einzuwenden?«, fragen sie. Es ist ganz einfach: Solche »guten« Sanktionen gibt es nicht in der realen Welt. Im Kapitalismus lassen sich Sanktionen nicht »trennen« in »gute« Sanktionen, die nur die Reichen treffen und »schlechte« Sanktionen, die die Bevölkerung treffen. Beispiel Syrien: Seit 2011 sind dort auch auf Beschluss des Europäischen Rates EU-Sanktionen in Kraft. Sie umfassen ein Ölembargo, Beschränkungen von Investitionen, das Einfrieren der in der EU befindlichen Vermögenswerte der syrischen Zentralbank, sowie Ausfuhrbeschränkungen für Geräte und Technologien. Doch diese gezielten Sanktionen haben die durch den Krieg verursachten Leiden der syrischen Bevölkerung noch weiter verstärkt. Der UN-Sonderberichterstatter für die menschenrechtlichen Folgen von Sanktionen, Idriss Jazairy, meint: »Die Maßnahmen, die aus Sorge um die Menschenrechte angewendet worden sind, haben zur Verschärfung der humanitären Krise beigetragen«. Gerade die Sanktionen gegen die syrischen Zentralbank und andere Maßnahmen zur Abkopplung vom internationalen Zahlungsverkehr haben verheerende Folgen. Der Journalist Fabian Goldmann schreibt in seinem Artikel »Warum Sanktionen alles nur noch schlimmer machen«: »Untersuchungen des Welternährungsprogramms WFP und der Weltgesundheitsorganisation WHO machen die EU-Sanktionen mitverantwortlich für den Zusammenbruch von Lebensmittel- und Gesundheitsversorgung im Land. Vertreter internationaler humanitärer Organisationen in Syrien klagen, dass ihnen die EU-Sanktionen ihre Arbeit erschweren oder sogar unmöglich machen.«

Die Linke sollte sich von der Vorstellung, dass es intelligente oder gezielte Sanktionen geben könnte am besten ganz schnell verabschieden. Das ist eine Sackgasse. Stattdessen sollte sie über den imperialistischen Charakter von Sanktionen und die Heuchelei der Herrschenden gegenüber den Menschen in der Ukraine aufklären. 

7. Aber können Sanktionen nicht doch gezielt eingesetzt und so eine unkontrollierbare Eskalationsspirale verhindert werden? Die Antwort lautet: Nein. Die Sanktionen in den letzten Jahrzehnten wurden meistens einseitig von der größten imperialistischen Macht den Vereinigten Staaten und ihren westlichen Verbündeten, darunter das Vereinigte Königreich, Kanada und die Europäische Union oder ihre einzelnen Mitgliedstaaten, verhängt. Allein gegen Russland verhängten die USA Sanktionen gegen »mindestens 735 Personen, Einrichtungen, Schiffe und Flugzeuge« im Zusammenhang mit der Besetzung der Krim durch Russland und gegen 68 Personen im Zusammenhang mit dem Vorwurf der Wahlbeeinflussung in den Vereinigten Staaten. Darüber hinaus wurden 54 Personen wegen ihrer Beteiligung an Menschenrechtsverletzungen und Korruption mit Hilfe des Magnitsky-Gesetzes von 2012 sanktioniert. Die USA, die EU und das Vereinigte Königreich haben gemeinsam auch russische Beamte oder Unternehmen im Zusammenhang mit den Vergiftungen des russischen Doppelagenten Sergej Skripal im Jahr 2018 und des Oppositionsaktivisten Alexej Nawalny im Jahr 2021 sowie wegen Verstößen gegen das Waffenembargo und anderer Aktivitäten russischer Söldner:innen in Libyen und anderswo sanktioniert. All diese gezielten Sanktionen änderten nichts, aber auch gar nichts, an der sich weiter drehenden Eskalationsspirale. 

8. Gezielte Sanktionen sind bereits längst Bestandteil des imperialistischen Kräftemessens – auch und gerade gegen mächtige oder einflussreiche Personen. Sie sind ein besonderer Wachstumsbereich, weil sich die Konkurrenz auf den Weltmärkten verschärft. Taktgeber sind auch hier die USA. Im Jahr 2016 dehnte die US-Regierung das ursprünglich auf Russland bezogene Magnitsky-Gesetz auf alle Staaten der Erde aus. Dies gab der US-Regierung die Befugnis, Sanktionen, Visabeschränkungen, das Einfrieren von Vermögenswerten oder andere Strafen nicht nur gegen Ländern, sondern gegen bestimmte Zielpersonen überall auf der Welt zu verhängen. Unter der Regierung von US-Präsident Joe Biden haben diese Arten von Sanktionen stark zugenommen. 2021 wurden 173 Ausweisungen im Rahmen des Magnitsky-Gesetzes ausgesprochen, im Vergleich zu 12 im Jahr 2020. Die USA sind damit nicht allein. Kanada, Großbritannien, die EU, Estland, Lettland, Litauen und seit kurzem auch Australien haben ebenfalls ihre eigenen Versionen des Magnitsky-Gesetzes verabschiedet. Und na klar: Das EU-Parlament verabschiedete im März 2019 eine Resolution, um die EU-Kommission und die 28 Mitgliedstaaten aufzufordern, ähnliche Gesetze wie den Magnitsky Act zu erlassen. Dementsprechend soll dies auch in Deutschland umgesetzt werden. Auch die Niederlande, Frankreich, Schweden und Dänemark prüfen entsprechende Versionen des Magnitski-Gesetzes. All das passiert, obwohl bekannt ist, dass die Verhängung von Sanktionen die politischen und geopolitischen Spannungen verschärfen. So haben beispielsweise die US-Sanktionen, Visabeschränkungen, Botschaftsschließungen und anderen Maßnahmen, die sich gegen chinesische Beamte und Einrichtungen richten, Vergeltungsmaßnahmen aus Peking ausgelöst. Die Trump Regierung wollte die chinesische Führung durch die Sanktionen zum Einlenken bei der Zollpolitik zwingen. Doch die Spannungen zwischen den USA und China verschärften sich dadurch nur noch weiter. Ein weiteres Beispiel ist der Iran, wo die zahlreichen Sanktionen der Trump-Administration gegen iranische Generäle, Behörden und Unternehmen im Laufe des Jahres 2019 zu einem gefährlichen Säbelrasseln führten.

9. Es gibt nicht ein bisschen Sanktionen. Die Linke sollte den Zusammenhang von Sanktionen gegen Russland und dem 100 Milliarden Euro Aufrüstungspaket für die Bundeswehr ziehen. Die Zustimmung der LINKEN zu Sanktionen, wären ein erster Dammbruch in Richtung Burgfrieden. Warum? Die Sanktionen gegen Russland sind verknüpft und Ausdruck mit Rivalitäten des westlichen Blocks zu seinen Konkurrenten. Dafür zentral: Den Grundstein für diesen Krieg legte eben auch die NATO und die EU mit ihrer aggressiven Außenpolitik – zum Beispiel mit der Osterweiterung der Nato aber eben auch mit Sanktionspolitik. Deutschland spielt in dieser Architektur eine ganz wesentliche Rolle. Auf der anderen Seite reiht sich der Überfall auf die Ukraine ein in eine Reihe blutiger Militärinterventionen unter Putins Oberbefehl. Russland unter Putin hat die tschetschenische Unabhängigkeitsbewegung niedergeschlagen, Krieg gegen Georgien geführt, die Krim annektiert, Syrien bombardiert, um die brutale Diktatur Baschar al-Assads zu retten und kürzlich die Massenproteste in Kasachstan niedergeschlagen. Putin trägt die volle Verantwortung für den jetzigen Ukraine-Krieg. Die Aufrüstungsrede von Bundeskanzler Scholz zeigt jedoch, dass die imperialistische Eskalation, die jetzt in der russischen Invasion der Ukraine gipfelt, sich immer weiterdrehen wird. Dafür trägt die Regierung Scholz eine Mitverantwortung. Die jetzigen Entwicklungen (Truppenverschiebungen / NATO-Alliierten Aufstockung / Sanktionen / Waffenlieferungen / größtes Aufrüstungsprogramm in der Geschichte der Bundesrepublik), bereitet einen möglichen zukünftigen Kriegseintritt Deutschlands gegen Russland vor. Linke sollten die Totalität dieses Prozesses erkennen. Viele qualitative Entwicklungen, führen ab einem bestimmt Punkt zu einer neuen Qualität. Wir stecken mitten in diesem Prozess. Unter diesen Bedingungen sind ein »bisschen« (symbolische) Waffenlieferungen und Sanktionen keine geringe Intervention. Ein bisschen schwanger gibt’s nicht! Die Herrschenden in Deutschland werben (noch) nicht für einen Kriegseintritt, sondern »nur« für einen Kalten Krieg der Abschreckung. Doch dieser Kalte Krieg ist der Weg in die Barbarei. Die Parole Karl Liebknechts aus dem ersten Weltkrieg finden viele Linke zu Recht auch heute noch aktuell. Sie lautete: »Der Hauptfeind steht im eigenen Land.« Doch diese Parole des Hauptfeindes bezieht sich nicht nur auf den unmittelbaren Kriegseintritt, sondern beschreibt die Haltung der Linken auch davor. In diesem Kontext steht auch die Ablehnung von Sanktionen und damit verbunden dem konsequenten Widerstand gegen das größte Aufrüstungsprogramm in der Geschichte der Bundesrepublik. 

10. Die Regierung Scholz wird mit Aufrüstungsprogramm das militärische Wettrüsten weiter anheizen. In Zeiten von zunehmenden Kriegen, weltweiter Armut, Flüchtlingskatastrophe, Klimakrise, Niedriglöhnen und maroder Infrastruktur bei Schulen, Krankenhäusern oder fehlenden Wohnungen ist das fatal. Die Lohnabhängigen und ihre Familien werden den Preis für diese Politik der Militarisierung und des Krieges bezahlen. Der Widerstand ist der einzige Weg, die Herrschenden, egal in welchem imperialistischen Block sie agieren, in Bedrängnis zu bringen. Für die Linke in Deutschland muss die eigene Regierung im Vordergrund stehen. Alles was vom Aufbau dieses Widerstandes ablenkt und die Linke an die Herrschenden kettet, wie beispielsweise Sanktionen, sollte von der Linken abgelehnt werden. Es wird in der LINKEN einen harten Kampf, um die Haltung der friedenspolitischen Position geben müssen. Dies sollte uns nicht davon abhalten, jetzt Solidarität mit den Geflüchteten aus der Ukraine zu organisieren, auf die Straße zu gehen und eine Protestbewegung gegen Putins Krieg und die Aufrüstungspläne der Bundesregierung aufzubauen. Putin ist die Pest, aber die NATO / EU ist die Cholera. Wir sollten uns nicht zwischen zwei Krankheiten entscheiden. Das ist das Spiel der Herrschenden. Die Vielen haben nichts vom nationalistischen Getöse, von Krieg und Aufrüstung. »Die Dividenden steigen, und die Proletarier fallen«, hat eine schlaue Revolutionärin mal gesagt. Daran sollten wir uns in diesen Tagen erinnern. Statt Sanktionen zu fordern, sollten Linke aufklären: Über die häßliche Fratze des neuen Imperialismus in Ost und West; über die Heuchelei der eigenen Regierung in diesem Konflikt, darüber, dass die Welt Milliarden für Klimaschutz und Soziales nicht für Aufrüstung und Krieg braucht; über die Notwendigkeit einer Welt in der nicht die Profite, sondern die Bedürfnisse der Menschen im Zentrum stehen. Weder Washington noch Moskau, weder Brüssel noch Berlin, sondern Internationaler Sozialismus sollte die Parole der Linken sein.

Wo wir stehen

Beitrag von Jürgen Seitz

Der Krieg
Einen Krieg anzufangen ist ein Verbrechen. Ein Anklagepunkt in Nürnberg hieß „Angriffskrieg“.
In Falle der Nazis war das eindeutig, im Falle des jetzigen Krieges ist es das auch. Wie immer auch dieser Krieg ausgeht, ein zurück auf „vorher“ wird es nicht geben können. Ein Krieg ändert alles.
Es nützt nun nichts mehr, auf den unterlassenen Interessenausgleich mit Russland hinzuweisen, der in der Tat nicht gewünscht war von wichtigen Playern, vor allem außerhalb Deutschlands (und vor allem wollte die Ukraine kein Preisgeld sein). Nun ist der Krieg da.

Waffen
Wenn man sich verteidigen will, braucht man Waffen. In allen Kriegen behaupten beide Parteien, sich nur zu verteidigen, aber ein eigenes Urteil trauen wir uns doch wohl zu, diesmal!
Wenn also klar ist, wem das Messer an den Hals gesetzt wurde, wie kann man dann Waffenlieferungen ablehnen. Vertragt euch doch? Dabei muss man ehrlich sein, es geht um „tödliche Waffen“; „Defensivwaffen“ gibt es nicht. Das ist Propaganda von interessierter Seite.
Natürlich war es richtig seitens der Ampel, bis zum Kriegsausbruch eine Verhandlungsposition zu behalten. Auch wenn sich nun herausgestellt hat, dass es vergebliche Mühe war. Bis zum letzten Augenblick zu reden ist nicht falsch.

Die Strategie der Ukraine
Die Ukraine hat wie gesagt das Messer am Hals. Militärisch können sie Russland nicht besiegen, das wissen sie auch. Nicht nur in den Talkshows ist die Strategie klar zu erkennen, dass die Ukraine versucht, die NATO Stück für Stück in diesen Krieg hinein zu ziehen. Verständlich, aber nicht in „unserem“ Interesse, denn an der Wand ist das Menetekel des Atomkriegs klar zu sehen. Das kann der Ukraine egal sein. Die USA wollen das natürlich nicht, aber es scheint, dass einige deutsche Journalistinnen* das wollen. Auch sehen wir schon, wie einzelne osteuropäische Länder scheibchenweise auf diese Strategie eingehen (z.B. Lettland, Slowakei). In der deutschen Öffentlichkeit muss man diese Gefahr darstellen. Sie ist real.

Die Sanktionen
Nur Russland kann diesen Krieg beenden. (Außer er eskaliert). Dazu ist offensichtlich eine Machtverschiebung im Kreml die Voraussetzung. Es kann gut sein, sicher ist das nicht, dass Sanktionen in diese Richtung wirken. Deshalb sind Sanktionen richtig und die einzige vernünftige Möglichkeit (es sei denn, man wäre „pazifistischer Defätist“ und hält sich einfach raus. An diesem Punkt erinnere ich an Brechts „Die Gewehre der Frau Carrar“).

100 Milliarden für die Bundeswehr
Das ging schnell. Die Ampel suchte der Befreiungsschlag unter dem Druck der vom Krieg geschockten Bevölkerung, dem Druck der kalten Krieger/innen in den Medien, dem Druck von illoyalen Bundeswehroffizieren, und dem schon lange anhaltenden Druck der US-Waffenhändler. Dabei ist klar: Deutschland wird gar nicht angegriffen, und wenn doch, dann mit Atomwaffen. Wenn tatsächlich die Bundeswehr „blank“ dasteht bei 52 Mrd. Rüstungsetat, wo ist dann das Geld? Wie kann es sein, dass Russland laut transperancy international ein komplett korrupter Staat ist mit einem offiziellen Wehretat von 62 Mrd (durchaus in Wahrheit einiges mehr), aber eine für Deutschland, ja die ganze NATO so gefährliche Armee aufstellen konnte? Wo ist das deutsche Geld?
Die LINKE konnte diesem Coup auf keinen Fall zustimmen.

Die Flüchtlinge
Hundertausende werden kommen, erst mal. Erst mal werden die europäischen Regierungen sie auch mit offenen Armen aufnehmen (es sind ja keine Moslems). Niemand weiß aber zur Zeit, wie lange die Sache dauert. Ein zivilgesellschaftliches Engagement ist deshalb unverzichtbar, gerade für Linke.

Geschichtstheoretische Fragen
Sind die Ukrainer „ein Volk“? Nun, in Deutschland hat der Begriff „Volk“ ja eine geradezu mystische
Bedeutung – anders als „Folk“ im Englischen. Auch der Begriff „Völkerrecht“ ist in diesem Sinne missverständlich, handelt es sich doch international um „United Nations“, also Nationen. Eine Nation wird von den Bürgern eines Staates gebildet. Die Ukraine ist ein Staat, also auch eine Nation. In der Tat beschreibt das nichts anderes als die moderne Ordnung der Erde nach den Weltkriegen. Die ist aber trotzdem nicht in Stein gemeißelt (Südsudan, Kosovo).
Lenins Nationalitätenpolitik war die Geburtsstunde der Ukraine als Substaat der Sowjetunion. Im ersten Weltkrieg sind drei „Imperien“ untergegangen (Russland, Osmanisches Reich, Österreich-Ungarn) und im Ergebnis entstanden „nationale“ Nachfolgestaaten, (die im übrigen alles andere als ethnisch homogen waren). Lenin hatte es u.a. damit geschafft, den staatlichen Zerfallsprozess für Russland aufzuhalten, aber natürlich war auch der neue Substaat (ungeachtet des politischen Zentralismus in Moskau) keineswegs ethnisch homogen. (Was Lenin natürlich klar war, realistische Lösungen erforderten Kompromisse.) Wobei die Frage zu beantworten ist, was unter „ethnisch“ zu verstehen ist. M.E. geht es um Kultur, vor allem anderen um Sprache sowie Religion. Die verhängnisvolle Versuchung in fast allen „nationalen“ Nachfolgestaaten der untergegangenen Imperien war, eine erträumte ethnische Einheitlichkeit mit Gewalt durchsetzen zu wollen – etwas das wir zuletzt in Jugoslawien gesehen haben. Die Bolschewiki haben das weitgehend verhindert. Wir haben allerdings auch in der Ukraine nach der Unabhängigkeit politische Kräfte gesehen mit jener Agenda, und das ist es, auf das sich Putin bezieht, wenn er von „Faschisten“ spricht. Allerdings handelt es sich klar um eine Propagandalüge insofern, als die Ukrainer sich inzwischen sichtbar für den demokratischen Weg entschieden haben.
Eines muss man den Trotzkisten lassen: Sie haben den Zerfall der Sowjetunion richtig vorausgesagt. Auch, dass die kommunistische „Nomenklatura“ sich dann das Staateigentum unter den Nagel reißen würde. Es ist aber nicht zutreffend, den Oligarchen den Ukrainekrieg zuzuschreiben (weil sie ja nun mal Kapitalisten seien). Im kapitalistischen Sinne macht der Krieg keinen Sinn. Vielmehr sehen wir in Russland schon wieder (oder immer noch) einen hierarchischen Staatsapparat, der von einer Clique angeführt wird, und dessen Machtkern der Geheimdienst ist. Nur ohne Kommunismus. Aber mit Novitschok.

Als einzige Kraft gegen die Aufrüstung

Beitrag von Janis Ehling

Nun, ein paar Tage nach dem Schock und zwei Demonstrationen gegen diesen Krieg später, bin ich auch nur unwesentlich schlauer, aber zumindest etwas gesammelt. In keiner Welt konnte ich mir diesen russischen Angriff auf die Ukraine vorstellen. Im schlimmsten Fall dachte ich an einen Angriff im Osten der Ukraine. Schlimm genug. Aber das, was wir jetzt erleben, kann ich bis heute kaum fassen. Die russische Armee rückt weiter von Norden, Süden und den Grenzübergängen im Nordosten in die Ukraine ein. Was dieser Angriff bezwecken soll, ist noch immer unbekannt. Will Putin tatsächlich seine panslawistischen Großrusslandträume wahr machen oder nur den Osten und Süden der Ukraine „erobern.“ Hat er darauf gehofft, dass die Ukraine schnell kapituliert? Wir wissen es nicht.

Klar ist nur, in der Ukraine herrscht Krieg. Im Kriegsgebiet der nächsten Tage wohnen über 20 Millionen Menschen. Die russische und ukrainische Armee versuchen noch Rücksicht zu nehmen auf die Zivilbevölkerung, aber das ändert sich in den letzten Stunden mehr und mehr. Die russische Armee setzt vermehrt Artillerie oder Bombardements in den Innenstädten ein. Die Gefechte beschränken sich meist noch auf die Straßen. Putin war sich seiner Sache offenbar noch nicht so sicher. Der Angriff auf die Ukraine dürfte in Russland auf weit weniger Zustimmung als andere Kriege treffen. In der Ukraine können alle Menschen russisch sprechen. Die Entmenschlichung fällt den Beteiligten – Gott sei Dank – noch schwer. Gegen Syrer, Tschetschenen und Georgier geht offenbar, was in der Ukraine (noch) nicht geht.

Seit dem russischen Angriff auf die Krim und den Osten der Ukraine 2014 hat der ukrainische Nationalismus aber massiv zugenommen. Auch die russischsprachigen Gebiete im Osten der Ukraine sind überwiegend von Ukrainern besiedelt. Russische Bevölkerungsmehrheiten gibt es nur hier und da in den Städten.

Die Ukraine und die Ukrainer haben ein Selbstverteidigungsrecht, dass die Menschen vor Ort ausüben – egal, was andere ihnen dazu sagen. Die ukrainische Luftabwehr ist noch nicht geschlagen, wenngleich einem Gutteil der ukrainischen Armee um die sogenannten „Volksrepubliken“ in den nächsten Tagen die Einkesselung droht, weil die „Südfront“ der ukrainischen Armee von Tag 1 an komplett kollabiert ist. Von der Krim ist die russische Armee über 150 Kilometer nach Norden und Osten vorgerückt. Anders sieht es in den großen Städten im Norden und Osten aus. Kiyew, Charkiw, Tschernichiw. Hier kommt es seit Tagen zu massiven Feuergefechten. Kiyew und Charkiw sind Millionenstädte. Viele Menschen harren hier in den U-Bahnen aus. Die Lebensmittelversorgung ist zusammengebrochen, Strom und Wasser sind aber noch da, aber unklar ist wie lange noch – um die Kraftwerke wird gekämpft. Alle drei Städte stehen davor umschlossen zu werden. Der Westen der Ukraine gilt als sicher, weil er bis auf die Flugplätze von russischen Bombardements verschont blieb. Dem ukrainischen Westen scheint der russische Angriff (noch) nicht zu gelten.

Hält sich die ukrainische Armee und scheitern die Verhandlungen, wird dieser Krieg so eskalieren wie jeder Krieg. Wie schon in Syrien ist es auch ein Krieg um Bilder. Die russischen Medien desinformieren scheinbar massiv. Noch vermeiden beide Seiten daher größtenteils die Einbeziehung der Wohnhäuser, Krankenhäuser und der zivilen Infrastruktur. Wie lange noch?

Ich weiß nicht, auf was ich hoffen soll. Natürlich sympathisiere ich mit dem Widerstand gegen die russische Armee und hoffe im Herzen, dass die Ukrainer diese Invasion zurückschlagen. Gleichzeitig wird mir speiübel, wenn ich darüber nachdenke, was das für die Bevölkerung bedeutet. Alle ukrainischen Männer wurden nun einberufen. Für Russland kämpfen teils 18-Jährige wie auf den Bildern zu sehen ist. Die Ukraine ist eines der bevölkerungsreichsten Länder Europas. Soll ich in den Millionenstädten Kiyew und Charkiw auf einen Häuserkampf hoffen? Sollen dafür Waffen geliefert werden?

Die EU und die USA haben die Ukraine zum Spielball ihrer Interessen gemacht. Russland ohnehin schon lange vorher. Kann „der Westen“ die Ukraine im Stich lassen? Er tut es jedenfalls nicht und schickt Waffen gegen den alten, neuen Feind. Und natürlich hat der Westen eine Mitschuld an dieser Eskalation. Statt Russland in den 00er Jahren näher an den Westen zu holen und zu integrieren, passierte viel zu oft das Gegenteil. Das der Westen zu lange versuchte, Russland zu integrieren und auf Diplomatie und gute Beziehungen setzte wie Friedrich Merz und Alexander Dobrindt am Sonntag in der Sondersitzung des Bundestages behaupteten, ist schlicht gelogen. Als LINKE hatten wir uns dafür immer eingesetzt, um eine militärische Konfrontation der NATO mit Russland zu vermeiden, wollten wir eine gemeinsame Sicherheitsarchitektur mit Russland, um Kriege wie diesen wirklich zu vermeiden. Mit diesem Krieg hat Putin das nun selber zunichte gemacht – vermutlich auf Jahrzehnte. Der Kalte Krieg ist zurück. Unsere Position war nicht falsch, aber die Wirklichkeit hatte sie längst überholt.

Nach der Abweisung durch den Westen wandte Putin sich dann offen rechten Ideologen wie Alexander Dugin und der russisch-orthodoxen Kirche zu. Statt sich damit zu begnügen, der Präsident zu sein, der Russland nach dem Chaos der 90er wieder organisierte, stellt sich Putin nun offenbar in eine Reihe mit den Zaren. Als solcher muss er natürlich Eroberungen vorweisen. Für diese rechte Kehrtwende ist Putin allein verantwortlich. Diesen Wandel haben einige in meiner Partei unterschätzt. Mit den brutalen Konsequenzen dieses Nationalismus aber hat fast niemand gerechnet – auch ich nicht. Auch wenn die Anzeichen da waren in Georgien, Syrien und mit der Besetzung der Krim. Klar ist: Das Blut der Ukrainer und der jungen russischen Truppen klebt an den Händen Putins – daran ändert auch keine Vorgeschichte etwas.

Der Krieg scheint in Russland nicht besonders beliebt zu sein. Zwar gibt es augenblicklich große Friedensdemonstrationen aller Orten, aber das wird sich wahrscheinlich schnell geben. Die Sanktionen des Westens sind sehr hart und sie werden die russische Zivilbevölkerung voll treffen. Zwar behauptete Kanzler Scholz im Bundestag, die Sanktionen würden sich nur gegen die Putin-nahe Führung richten. Aber das ist nicht so. Die Sanktionen – bis in den Alltag – betreffen die ganze russische Bevölkerung und vermehrt kommt es wieder zu Anfeindungen gegenüber Russinnen und Russen. Auch hier werden sich die Sanktionen vielfältig bemerkbar machen. Ganz ehrlich, gegen unsere Parteilinie der letzten Jahre, halte ich Sanktionen gegen Putin, seine Oligarchen und die Fähigkeit der russischen Führung, Krieg zu führen, für richtig. Krieg als Mittel der Auseinandersetzung muss geächtet werden. Aber dann muss das auch für die saudische Führung gelten, die im Jemen einen grausamen Krieg führt, in dem tausende sterben und noch mehr verhungern. Und was ist mit denen, die Libyen in einen Failed state verwandelt haben, indem bis heute Bürgerkrieg herrscht? Ist das alles vergessen? Ich kann das nicht vergessen. Für mich gibt es keine Menschen zweiter Klasse.

Die jetzigen Sanktionen werden Russland nicht nur jetzt bestrafen. Sie sorgen dafür, dass sich die russische Wirtschaft und Politik dauerhaft Richtung China orientieren muss. Zahlungssysteme ändert man nicht über Nacht und Russland wird in Zukunft sicher keine Investitionen mehr in Europa tätigen oder dort seine Devisen einlagern. Das gleiche gilt umgekehrt. Ab jetzt herrscht wohl auf Jahrzehnte Kalter Krieg und die russische Bevölkerung wird sich wahrscheinlich an die Seite Putins stellen.

Und ganz ehrlich, ich habe sogar Sympathien für Waffenlieferungen an die Ukraine. Ich will nicht, dass Putin mit seinem Krieg irgendetwas gewinnt. Trotzdem habe ich mich nach einigem Nachdenken dafür entschieden, auch diese Waffenlieferungen abzulehnen, denn die Waffenlieferungen an die Ukraine befeuern das Muster des Kalten Krieges, andere für sich kämpfen und den Blutzoll tragen zu lassen. Eine direkte Einmischung aber hätte womöglich einen Weltkrieg zur Folge und das will ich noch weniger.

Putin hat sich mit diesem Angriff ins Abseits gestellt und gehört geächtet. Nur hätte ich mir diese Klarheit bei allen völkerrechtswidrigen Kriegen im Land gewünscht. Was der Westen in Afghanistan, Libyen und dem Irak darf, darf Russland natürlich nicht. Das ist kein „whataboutism“, sondern ein Denken gegen die Feindlogik. Ich finde es ehrlich gesagt erschreckend, wie jetzt weite Teile der sonst so aufgeklärten und toleranten Mitte nach Aufrüstung und „harten“ Maßnahmen rufen. Vom Studierendenprogramm mit russischen Studierenden bis zu russischen Partnerstädten wird jetzt alles eingestellt. Es sind ja jeweils „die anderen, der Feind.“ In Europa bricht eine politische Eiszeit aus und wir werden vermutlich wieder – meine Generation zum ersten Mal – mit beständiger Kriegsgefahr leben müssen. Auch die Option der Selbstauslöschung Europas durch einen Atomkrieg ist wieder eine Option. Ich kannte die Angst vor einem Atomkrieg bislang nur aus Filmen, Büchern und Gesprächen – seit letztem Donnerstag habe ich das erstmals gefühlt.

Und ganz nebenbei sind die Debatten gerade auch hier ziemlich verlogen. In den derzeitigen Nachrichten scheint völlig vergessen, dass die Bundeswehr 20 Jahre in Afghanistan Krieg führte bei dem hunderttausende starben. Dass NATO-Mitglied Türkei noch immer regelmäßig in Nordsyrien Bombenangriffe fliegen lässt (der letzte erst vor ein paar Tagen). Aber die Kriege waren offenbar weit genug weg und es betrifft ja nur die „Anderen“. Ich richte meinen Finger da nicht auf andere. Ich sehe das an mir selbst. Es berührt trotz meiner Überzeugungen weniger als dieser Krieg. Ich habe Verwandte aus der Ukraine und viele kennen jemanden aus der Ukraine. Dieser Krieg geht uns im wahrsten Sinne des Wortes nah.

Vorgestern hieß es auf der Berliner Großdemonstration – die Ukrainer kämpften auch für unsere Freiheit. Ich verstehe den Pathos, aber das war etwas zu viel. Die Demokratie in der Ukraine ist ebenfalls eine Oligarchenherrschaft. Mit Freiheit und Demokratie hat das alles wenig zu tun, sondern mit nationaler Selbstbestimmung. Ich bitte das nicht falsch zu verstehen, wenn die Ukrainer den russischen Angriff zurückschlagen, bin ich froh, dass sie Putins Großmachtfantasien in die Schranken gewiesen haben. Ich bin kein Pazifist und jedes Land hat ein Selbstverteidigungsrecht.

Bis zum Sonntag war ich mir mehr als unsicher über unsere Rolle als Partei in diesem Konflikt und eine Restunsicherheit habe ich, weil auch ich das Gefühl habe die Ukrainer nicht im Stich lassen zu können. Das sage ich ganz offen. Nur haben mir die Bundestagsreden von Scholz, Merz, Lindner und Baerbock klar gemacht, wo und wie wir gebraucht werden: als Partei, die Nein sagt zu Krieg, Aufrüsten und Freund-Feind-Denken.

Das Kanzler Scholz unabgesprochen 100 Milliarden für die Aufrüstung der Bundeswehr ausgeben will, damit Deutschland jetzt wieder eine Militärmacht „gemäß seiner Rolle in Europa“ werden soll, geht für mich einfach nicht. In den letzten Jahren war kein Cent da für die Pflegekräfte, die uns durch diese Pandemie brachten. Die Bundeswehr wurde in den letzten Jahren massiv aufgerüstet und hat fast den Etat der russischen Streitkräfte. Gleichzeitig war sie trotzdem fast eine Friedensarmee, weil sie schlicht kaum einsatzfähig war. Wer mit einem Etat von 50 Milliarden keine Flugzeuge in die Luft bekommt, nicht die richtigen Geräte bestellt und den Bundeswehrsoldaten keine Unterwäsche zu Truppenmanövern bringen kann, schafft das auch nicht mit einer Verdopplung des Geldes. Friedrich Merz ist der Zustand der Bundeswehr peinlich, aber wer stellte den Verteidigungsminister in den letzten 16 Jahren? Richtig, die CDU. Auch Inkompetenz hat Namen und Adressen. Aber um Schuldzuweisungen soll es hier nicht gehen. Finanzminister Christian Lindner sagte gestern morgen klar, wer diese Aufrüstung zahlen soll „die Bürgerinnen und Bürger.“ Statt Kredite aufzunehmen, müssten bei den Ausgaben „andere Prioritäten gesetzt werden“, so Lindner im besten Politikersprech. Was das heißt, können sich alle ausmalen: unter anderem für die Krankenhäuser und die Renten ist dann wieder kein Geld mehr da.

Ein neues Wettrüsten lehne ich ebenso ab wie jetzt alle Russinnen und Russen unter Verdacht zu stellen. Irgendwelche Hitler-Putin-Vergleiche verbieten sich übrigens für Deutsche. Deutschland hat im 2. Weltkrieg über 20 Millionen Menschen in der damaligen Sowjetunion umgebracht und hat dabei planmäßig versucht, riesige Landstriche von Warschau bis Moskau über Hunger und Mord zu entvölkern für einen „Lebensraum im Osten“. Deswegen bin ich im Umgang mit Russland vorsichtiger – aber nicht weil ich Putin für einen imperalistischen Kriegsverbrecher halte.

Es kann sein, dass es für uns als LINKE mit unseren Positionen für Frieden, gegen Nationalismus und Imperialismus, gegen die Blocklogik und gegen die Aufrüstung, jetzt wieder etwas einsamer wird. Wir werden harten Anfeindungen ausgesetzt sein. Aber genau da werden wir historisch gerade gebraucht – wie viele Generationen von Linken vor uns. Ich habe Verständnis für andere Positionen, weil es unterschiedliche Wege zu diesem Ziel gibt. Und ja, ich bin mir meiner Position auch nicht sicher, weil ich den Weg, der vor uns liegt, nicht kenne. Aber ich bin mir sicher, dass das jetzt unsere Aufgabe ist.

Krieg gegen die Ukraine: Intervention zur politischen Orientierung der Partei DIE LINKE

Beitrag von Bernd Riexinger

Der  Einmarsch des russischen Militärs in der Ukraine ist ein Akt der Aggression, der unsägliches Leid für die ukrainische Bevölkerung verursacht und durch nichts zu rechtfertigen ist. Das Blutvergießen trifft auch russische Soldaten und die Bevölkerung in Russland wird für die Kriegskosten bitter bezahlen müssen. Sowohl der Widerstand in der ukrainischen Bevölkerung als auch die ersten Anzeichen russischer Proteste gegen den Krieg verdienen deshalb unsere volle Solidarität.

Es ist gut, dass Partei und Fraktion den Angriffskrieg von Russland auf das schärfste verurteilten und einen sofortigen Waffenstillstand und den Rückzug der russischen Truppen forderten. Auch das demütige Eingeständnis, dass unsere Partei den Krieg durch Russland nicht für möglich gehalten hat, war richtig und wirkt glaubwürdig. Noch wenige Tage, bevor die ersten Bomben fielen, hatten einzelne Fraktionsmitglieder  zu einer Kundgebung unter dem Motto „Sicherheit für Russland heißt Sicherheit für Deutschland aufgerufen“ und die Warnungen vor einem Einmarsch ins Reich der Märchenerzähler verwiesen. Was für eine verheerende Fehleinschätzung. Die Auseinandersetzung über das Verhältnis zu Russland beschäftigt die Partei seit ihrer Gründung. Die Rolle der Roten Armee bei der Befreiung vor dem Faschismus, die 27 Millionen Todesopfer durch den faschistischen Krieg und Terror, Not und Entbehrung, die dem Volk der damaligen Sowjetunion aufgezwungen wurden weltweit in der Linken nicht vergessen. Gerade in Zeiten des kalten Krieges war das keine populäre Haltung. Teile der Partei bewegten sich außerdem in der Traditionslinie des sowjetisch geprägten „realen Sozialismus“, der bis heute ihre Haltung zu Russland prägt. Unabhängig von der berechtigten Kritik vieler Linker am Charakter dieses Systems, hat in Russland eine neoliberal geprägte Transformation zum Kapitalismus stattgefunden. Das Putin Regime verkörpert einen autoritären Oligarchenkapitalismus, der mit einem erstarkten Nationalismus einhergeht. Dieses System hat mit linken Vorstellungen nichts zu tun, im Gegenteil, es geht weit hinter Maßstäbe selbst bürgerlich liberaler Demokratien zurück. Unter Putin hat Russland wieder eine aktivere Rolle in der Weltpolitik eingenommen. Dabei geht es um knallharte Interessen, die auch militärisch durchgesetzt werden. Tommaso Di Francesco von il manifesto, der schon die Entscheidung von Putin, die Unabhängigkeit von Lugansk und Donesk anzuerkennen, als „Akt der Gewalt“ und als abenteuerlichen Vorboten eines neuen Krieges bewertete, bezeichnet Russland als „von seiner ideologischen und militärischen Expansion angetrieben“. 

Bei einer überwiegenden Mehrheit der Mitglieder unserer Partei ist die Haltung zu Russland auf Grund der autoritären Entwicklung im Land und Russlands Außenpolitik (zu der seit einigen Jahren auch die Unterstützung rechts-autoritärer und nationalistischer Kräfte in verschiedenen Ländern gehört)  bereits seit längerer Zeit aus  differenziert und kritischer geworden. Wir sind Friedenspartei und nicht außenpolitische Interessensvertretung anderer Länder. Diese Haltung wurde oft als eine ‚Äquidistanz‘ kritisiert. Das ist eine Fehleinschätzung. Es ist keine Verharmlosung des US-Imperialismus, wenn Russland kritisiert wird. DIE LINKE wird jedoch unglaubwürdig, wenn sie an unterschiedliche imperiale Mächte unterschiedliche Maßstäbe bei Menschenrechten, Demokratie, sozialer Gleichheit und friedlicher Außenpolitik anlegt. Sie muss uneingeschränkt alle kriegerische und imperiale Politik kritisieren und bekämpfen. Schon um gegenüber den westlichen Politikern glaubwürdig zu sein, die mit völkerrechtswidrigen Kriegen der USA oder der NATO keine Probleme haben. Sie bedienen immer wieder die Erzählung, dass wir es mit dem ersten Krieg nach 1945 auf europäischen Boden zu tun hätten. Serbien, das 1999 unter tätiger Mithilfe der damaligen Rot-Grünen-Regierung, bombardiert wurde gehört jedoch genauso zu Europa wie die Ukraine.

Richtig war es, dass die LINKE-Bundestags Fraktion spätestens nach den Reden von Olaf Scholz und Friedrich Merz den Antrag der Ampelkoalition abgelehnt hat, der die Unterstützung der Ukraine in einer Art Hau-Ruck-Aktion mit einem massiven Aufrüstungsprogramm verband. Die Bundeswehr wird mit einem Sonderfond von 100 Mrd. Euro ausgestattet. Finanzielle Mittel werden innerhalb kürzester Zeit mobilisiert, denen sich diese und die Vorgängerregierung in sozialen Fragen, bei der Aufnahme von Geflüchteten oder bei der Entwicklungshilfe immer verweigert haben. Das Zwei-Prozent-Ziel der NATO soll übererfüllt werden und damit die Steigerung der Rüstungsausgaben auf über 70 Mrd. Euro.  Der Jubel der anderen Parteien bei dieser Ankündigung von Scholz im Bundestag ist befremdlich. Das gleiche gilt für die Genehmigung von Waffenexporten. Offensichtlich drohen gerade alle Dämme zu brechen. „Mit der historischen Entscheidung, tödliche Waffen zu liefern, und seiner Rede im Bundestag hat sich Olaf Scholz zum Kriegskanzler gewandelt“ schreibt Barbara Junge in der Taz, nicht ohne es als historische Ausnahmesituation zu bezeichnen. Gleichzeitig titelt die Taz: „Putin rüstet Deutschland auf“. Die Erzählung, dass bisher nicht aufgerüstet wurde und wir eine völlige Zäsur der deutschen Außenpolitik erleben ist nur zum Teil richtig. Die Mittel für die Bundeswehr wurden schon in den letzten Jahren gewaltig erhöht und das Zwei Prozent Ziel wurde auch seither nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Wahr ist auch, dass jetzt der letzte Widerstand in der SPD, z.B. gegen bewaffnete Drohnen gebrochen ist. Wie immer ringen die Grünen mit sich, um dann doch die gewaltige Aufrüstung mitzutragen. 

Auch wenn es schwer ist und derzeit eine Mehrheit der Bevölkerung die Maßnahmen der Bundesregierung unterstützt muss DIE LINKE Kurs halten und die Stimme der Vernunft gegen Aufrüstung und Militarisierung sein. Ein neuer Rüstungswettlauf erhöht nicht nur die Kriegsgefahr, er kostet auch Geld, das für andere Zwecke nicht mehr vorhanden ist. Außerdem ist die Kritik an der NATO nach wie vor berechtigt. Sie hat ihren Einflussbereich nach Osten erheblich ausgedehnt, sie ist kein Friedensbündnis, sie ist Teil des Problems, nicht der Lösung. Das darf jedoch nicht mit Rechtfertigung verwechselt werden. Auch der Hinweis auf berechtigte Sicherheitsinteressen von Russland rechtfertigt keinen verbrecherischen Krieg oder relativiert die Kritik an seinen Verursachern.

Gerade weil wir für Abrüstung, Verhandlungen, gegen Waffenexporte und Aufrüstung sind können wir nicht gleichzeitig gegen Sanktionen sein. Die bisherige Haltung „Sanktionen treffen die Bevölkerung, deshalb sind wir dagegen“ lässt sich nicht durchhalten. Deshalb ist es richtig, dass in unseren Antrag Sanktionen gegen Oligarchen und Kriegstreiber aufgenommen wurden. Wer könnte da ernsthaft etwas dagegen haben. Aber das wird nicht ausreichen. Die Ukraine wurde angegriffen und hat das Recht auf Selbstverteidigung. Waffenexporte an die Ukraine aber drohen das Blutvergießen zu verlängern; sie können sogar in eine direkte militärische Konfrontation mit Russland führen, uns in einen Krieg hineinziehen. Wer aber in dieser zugespitzten Situation eines Angriffskrieges auf Deeskalation setzt und Waffenexporte aus guten Gründen ablehnt, wird sofort mit der ebenso berechtigten Frage konfrontiert, wie denn Russland unter Druck gesetzt werden kann, einem Waffenstillstand zuzustimmen oder sogar den Krieg zu beenden. Wirtschaftliche Sanktionen sind der bessere Weg als der militärische. Natürlich werden die Sanktionen Putin unter Druck setzen. Auch wirtschaftliche Folgen, etwa infolge der Sanktionen gegen die russische Zentralbank, gehören da unvermeidlich dazu, da nur sie effektiven Druck erzeugen. Putins Wirtschaftspolitik hat es geschafft das Pro-Kopf-Einkommen Russlands unter das Niveau von Rumänien zu verringern. Der Lebensstandard der russischen Bevölkerung sinkt und wird durch den Krieg weiter sinken.

Es ist am Ende eine offene Frage und eine Frage der politischen Auseinandersetzungen in Russland, ob eine sich verschlechternde wirtschaftliche Lage auch zu wachsendem Protest gegen den Krieg führt; die Regierung Putins setzen sie allemal unter Zugzwang.

 Gezielte Sanktionen sind eine klare und letztlich die einzige derzeit politisch vermittelbare Alternative zu Waffenexporten. Sonst bleiben nur Appelle oder die Forderung Putin ein Angebot zu unterbreiten, das er nicht ablehnen kann. Was soll das sein? Friedensverhandlungen müssen schließlich zwischen der Ukraine und Russland stattfinden. Dazu ist ein Waffenstillstand dringend erforderlich. Das jedoch hat alleine Russland in der Hand, dessen kriegerischer Akt der Aggression nicht ohne Folgen bleiben darf. Wenn wir keine Aussagen treffen können, wie Druck auf Putin ausgeübt werden kann, wird es umso schwerer der Stimmung, „jetzt helfen nur noch Waffen“ und dem richtigen Appell, die ukrainische Bevölkerung nicht alleine zu lassen, etwas entgegen zu setzen.

DIE LINKE muss deshalb m.E. offen für gezielte Sanktionen mit Maß sein, die die russische Oligarchie treffen und zugleich einer unkontrollierbare Eskalationsspirale vorbeugen.

 Es ist übrigens auch nicht so, dass DIE LINKE vor unserer Parteigründung nicht für Sanktionen war. Natürlich haben wir die Boykottkampagne gegen das Apartheidsystem in Südafrika unterstützt und Hafenarbeiter, die südafrikanische Produkte nicht entladen haben. Dass Putin durch die eigene Bevölkerung gestoppt wird, wäre natürlich das Beste. Das wird jedoch nicht schnell geschehen und der Krieg ist längst in Gange. Dass Niko Popp in der Jungen Welt sagt, wenn die Linke auf Sanktionskurs geht, dann sei ihr Abmarsch in den Dienst des Imperialismus erfolgt ist eine bösartige Fehleinschätzung. Wir verbinden Sanktionen nicht mit Aufrüstung und Militarisierung, wie die meisten anderen Parteien, sondern mit dem Gegenteil: Mit Abrüstung und Friedenspolitik. 

Neben den bestehenden Sanktionen wäre z.B. die Beschlagnahmung eines relevanten Teils der Auslandsvermögen von russischen Oligarchen, wie sie mittlerweile auch anerkannte linke Ökonomen wie Paul Krugman oder Thomas Piketty auf unterschiedliche Weise ins Spiel bringen geeignet den linken Ansatz in dieser historischen Krise deutlich zu machen. Das oligarchische Vermögen könnte Faustpfand für den Abzug der russischen Truppen sein. 

Der Hinweis, dass die unteren Gruppen der Bevölkerung die damit hergehenden Energiepreissteigerungen bezahlen werden, kann nicht einfach übergangen werden. Hier ist es aber richtiger staatliche Unterstützung zu fordern, soziale Ausgleichsmaßnahmen, eine staatliche Preisregulierung gegen die Energiekonzerne und eine stärkere Belastung der Reichen. Es wäre eine Sackgasse wenn der Eindruck entsteht, dass Teile der LINKEN über Benzin- und Gaspreise diskutieren, während in der Ukraine Tausende von Menschen ihr Leben verlieren. Diesem Dilemma können wir entgehen, wenn wir deutlich machen, dass die immensen Milliardenbeträge für die Aufrüstung auf Kosten der sozialen Gerechtigkeit gehen werden. Die Milliarden für Aufrüstung sind für einen wirklichen europäischen sozial-ökologischen Umbau und einen Friedensplan besser aufgehoben als in Konfrontation und Milliarden für Rüstungskonzerne. Ohne eine andere sozial gerechte und klimagerechte europäische Wirtschaftsordnung kein Frieden in Europa und anderswo. Mit dieser Richtung kann die LINKE in der neuen, deutlich jüngeren Friedensbewegung wirken und deutlich machen: dauerhaftem Frieden stehen die Interessen der Oligarchen in Russland und Kiew, der EU und den USA entgegen. 

Neue Friedensbewegung

Zurzeit gehen Hunderttausende gegen den Krieg auf die Straße. Es ist richtig, dass DIE LINKE mit dazu aufruft und sich zugleich klar auf die Seite der „neuen“ Friedensbewegung stellt. Das ist je nach örtlicher Lage gar nicht so einfach, denn es gibt Misstrauen gegen DIE LINKE, wegen ihrer vermeintlichen oder teilweise tatsächlichen Kritiklosigkeit gegenüber Russland. Wir werden eher als Teil der „alten“ Friedensbewegung betrachtet, die die Bindung an die junge Generation verloren und in ihren Aufrufen- oder Aufrufentwürfen für die Ostermärsche teilweise kein kritisches Wort an die Truppenaufmärsche an der ukrainischen Grenze verloren hat. Ob sie  wieder Zugang zu den Menschen bekommen wird, die derzeit auf die Straße gehen ist eine offene Frage und wird davon abhängig sein, ob sie glaubwürdig eine Korrektur ihres bisherigen Kurses vornimmt. Wir sollten uns s dafür nicht in Mithaftung nehmen lassen. Es ist völlig klar, dass sich ganz unterschiedliche Gruppen und Menschen mit zum Teil gegensätzlichen Vorstellungen auf den Straßen und Plätzen treffen. Da sind auch Forderungen nach Waffenlieferungen dabei oder Aufnahme der Ukraine in die NATO. Und natürlich, alles andere würde verwundern, versucht der herrschende Block sie zu vereinnahmen, Kritik an der NATO oder der Bundesregierung unter den Teppich zu kehren. DIE LINKE kann die klare Kritik an Russland verbinden mit der Kritik an Aufrüstung und Militarisierung, eine klare Stimme gegen einen erneuten Rüstungswettlauf sein. Auch die Gefahren der atomaren Bewaffnung können zu einem späteren Zeitpunkt wieder in den Vordergrund rücken. Putins Drohung, dessen Verhalten  irrational und gefährlich ist, macht deutlich welche Gefahren die Atombewaffnung darstellt, und dass ein Großteil davon auf die Länder in Europa gerichtet ist.

Viele der Hunderttausende, die jetzt auf die Straße gehen sind entsetzt über das Leid und Elend, das dieser Krieg verursacht. Sie sind zurecht empört über die Brutalität des Putin-Regimes und die Geringschätzung der Interessen der Menschen in der Ukraine. Sie wollen nicht tatenlos zusehen, wie wenige Flugstunden von uns entfernt ein blutiger Krieg geführt wird. Vielfach sind es die gleichen jungen Menschen, die auch gegen die bedrohliche Klimakatastrophe auf die Straße gehen. Das ist ermutigend. In welche politische Richtung das geht, wird nicht unwesentlich von unserer eigenen Haltung und Glaubwürdigkeit abhängen. Erste Umfragen zeigen, dass 25-30 Prozent der Bevölkerung den Aufrüstungsplänen kritisch gegenüber stehen. Bei den Anhänger*innen der Linken sind es 67 Prozent. Sie müssen in unserer Partei eine glaubwürdige Vertretung finden.