Kategorie: Außenpolitik

Als einzige Kraft gegen die Aufrüstung

Beitrag von Janis Ehling

Nun, ein paar Tage nach dem Schock und zwei Demonstrationen gegen diesen Krieg später, bin ich auch nur unwesentlich schlauer, aber zumindest etwas gesammelt. In keiner Welt konnte ich mir diesen russischen Angriff auf die Ukraine vorstellen. Im schlimmsten Fall dachte ich an einen Angriff im Osten der Ukraine. Schlimm genug. Aber das, was wir jetzt erleben, kann ich bis heute kaum fassen. Die russische Armee rückt weiter von Norden, Süden und den Grenzübergängen im Nordosten in die Ukraine ein. Was dieser Angriff bezwecken soll, ist noch immer unbekannt. Will Putin tatsächlich seine panslawistischen Großrusslandträume wahr machen oder nur den Osten und Süden der Ukraine „erobern.“ Hat er darauf gehofft, dass die Ukraine schnell kapituliert? Wir wissen es nicht.

Klar ist nur, in der Ukraine herrscht Krieg. Im Kriegsgebiet der nächsten Tage wohnen über 20 Millionen Menschen. Die russische und ukrainische Armee versuchen noch Rücksicht zu nehmen auf die Zivilbevölkerung, aber das ändert sich in den letzten Stunden mehr und mehr. Die russische Armee setzt vermehrt Artillerie oder Bombardements in den Innenstädten ein. Die Gefechte beschränken sich meist noch auf die Straßen. Putin war sich seiner Sache offenbar noch nicht so sicher. Der Angriff auf die Ukraine dürfte in Russland auf weit weniger Zustimmung als andere Kriege treffen. In der Ukraine können alle Menschen russisch sprechen. Die Entmenschlichung fällt den Beteiligten – Gott sei Dank – noch schwer. Gegen Syrer, Tschetschenen und Georgier geht offenbar, was in der Ukraine (noch) nicht geht.

Seit dem russischen Angriff auf die Krim und den Osten der Ukraine 2014 hat der ukrainische Nationalismus aber massiv zugenommen. Auch die russischsprachigen Gebiete im Osten der Ukraine sind überwiegend von Ukrainern besiedelt. Russische Bevölkerungsmehrheiten gibt es nur hier und da in den Städten.

Die Ukraine und die Ukrainer haben ein Selbstverteidigungsrecht, dass die Menschen vor Ort ausüben – egal, was andere ihnen dazu sagen. Die ukrainische Luftabwehr ist noch nicht geschlagen, wenngleich einem Gutteil der ukrainischen Armee um die sogenannten „Volksrepubliken“ in den nächsten Tagen die Einkesselung droht, weil die „Südfront“ der ukrainischen Armee von Tag 1 an komplett kollabiert ist. Von der Krim ist die russische Armee über 150 Kilometer nach Norden und Osten vorgerückt. Anders sieht es in den großen Städten im Norden und Osten aus. Kiyew, Charkiw, Tschernichiw. Hier kommt es seit Tagen zu massiven Feuergefechten. Kiyew und Charkiw sind Millionenstädte. Viele Menschen harren hier in den U-Bahnen aus. Die Lebensmittelversorgung ist zusammengebrochen, Strom und Wasser sind aber noch da, aber unklar ist wie lange noch – um die Kraftwerke wird gekämpft. Alle drei Städte stehen davor umschlossen zu werden. Der Westen der Ukraine gilt als sicher, weil er bis auf die Flugplätze von russischen Bombardements verschont blieb. Dem ukrainischen Westen scheint der russische Angriff (noch) nicht zu gelten.

Hält sich die ukrainische Armee und scheitern die Verhandlungen, wird dieser Krieg so eskalieren wie jeder Krieg. Wie schon in Syrien ist es auch ein Krieg um Bilder. Die russischen Medien desinformieren scheinbar massiv. Noch vermeiden beide Seiten daher größtenteils die Einbeziehung der Wohnhäuser, Krankenhäuser und der zivilen Infrastruktur. Wie lange noch?

Ich weiß nicht, auf was ich hoffen soll. Natürlich sympathisiere ich mit dem Widerstand gegen die russische Armee und hoffe im Herzen, dass die Ukrainer diese Invasion zurückschlagen. Gleichzeitig wird mir speiübel, wenn ich darüber nachdenke, was das für die Bevölkerung bedeutet. Alle ukrainischen Männer wurden nun einberufen. Für Russland kämpfen teils 18-Jährige wie auf den Bildern zu sehen ist. Die Ukraine ist eines der bevölkerungsreichsten Länder Europas. Soll ich in den Millionenstädten Kiyew und Charkiw auf einen Häuserkampf hoffen? Sollen dafür Waffen geliefert werden?

Die EU und die USA haben die Ukraine zum Spielball ihrer Interessen gemacht. Russland ohnehin schon lange vorher. Kann „der Westen“ die Ukraine im Stich lassen? Er tut es jedenfalls nicht und schickt Waffen gegen den alten, neuen Feind. Und natürlich hat der Westen eine Mitschuld an dieser Eskalation. Statt Russland in den 00er Jahren näher an den Westen zu holen und zu integrieren, passierte viel zu oft das Gegenteil. Das der Westen zu lange versuchte, Russland zu integrieren und auf Diplomatie und gute Beziehungen setzte wie Friedrich Merz und Alexander Dobrindt am Sonntag in der Sondersitzung des Bundestages behaupteten, ist schlicht gelogen. Als LINKE hatten wir uns dafür immer eingesetzt, um eine militärische Konfrontation der NATO mit Russland zu vermeiden, wollten wir eine gemeinsame Sicherheitsarchitektur mit Russland, um Kriege wie diesen wirklich zu vermeiden. Mit diesem Krieg hat Putin das nun selber zunichte gemacht – vermutlich auf Jahrzehnte. Der Kalte Krieg ist zurück. Unsere Position war nicht falsch, aber die Wirklichkeit hatte sie längst überholt.

Nach der Abweisung durch den Westen wandte Putin sich dann offen rechten Ideologen wie Alexander Dugin und der russisch-orthodoxen Kirche zu. Statt sich damit zu begnügen, der Präsident zu sein, der Russland nach dem Chaos der 90er wieder organisierte, stellt sich Putin nun offenbar in eine Reihe mit den Zaren. Als solcher muss er natürlich Eroberungen vorweisen. Für diese rechte Kehrtwende ist Putin allein verantwortlich. Diesen Wandel haben einige in meiner Partei unterschätzt. Mit den brutalen Konsequenzen dieses Nationalismus aber hat fast niemand gerechnet – auch ich nicht. Auch wenn die Anzeichen da waren in Georgien, Syrien und mit der Besetzung der Krim. Klar ist: Das Blut der Ukrainer und der jungen russischen Truppen klebt an den Händen Putins – daran ändert auch keine Vorgeschichte etwas.

Der Krieg scheint in Russland nicht besonders beliebt zu sein. Zwar gibt es augenblicklich große Friedensdemonstrationen aller Orten, aber das wird sich wahrscheinlich schnell geben. Die Sanktionen des Westens sind sehr hart und sie werden die russische Zivilbevölkerung voll treffen. Zwar behauptete Kanzler Scholz im Bundestag, die Sanktionen würden sich nur gegen die Putin-nahe Führung richten. Aber das ist nicht so. Die Sanktionen – bis in den Alltag – betreffen die ganze russische Bevölkerung und vermehrt kommt es wieder zu Anfeindungen gegenüber Russinnen und Russen. Auch hier werden sich die Sanktionen vielfältig bemerkbar machen. Ganz ehrlich, gegen unsere Parteilinie der letzten Jahre, halte ich Sanktionen gegen Putin, seine Oligarchen und die Fähigkeit der russischen Führung, Krieg zu führen, für richtig. Krieg als Mittel der Auseinandersetzung muss geächtet werden. Aber dann muss das auch für die saudische Führung gelten, die im Jemen einen grausamen Krieg führt, in dem tausende sterben und noch mehr verhungern. Und was ist mit denen, die Libyen in einen Failed state verwandelt haben, indem bis heute Bürgerkrieg herrscht? Ist das alles vergessen? Ich kann das nicht vergessen. Für mich gibt es keine Menschen zweiter Klasse.

Die jetzigen Sanktionen werden Russland nicht nur jetzt bestrafen. Sie sorgen dafür, dass sich die russische Wirtschaft und Politik dauerhaft Richtung China orientieren muss. Zahlungssysteme ändert man nicht über Nacht und Russland wird in Zukunft sicher keine Investitionen mehr in Europa tätigen oder dort seine Devisen einlagern. Das gleiche gilt umgekehrt. Ab jetzt herrscht wohl auf Jahrzehnte Kalter Krieg und die russische Bevölkerung wird sich wahrscheinlich an die Seite Putins stellen.

Und ganz ehrlich, ich habe sogar Sympathien für Waffenlieferungen an die Ukraine. Ich will nicht, dass Putin mit seinem Krieg irgendetwas gewinnt. Trotzdem habe ich mich nach einigem Nachdenken dafür entschieden, auch diese Waffenlieferungen abzulehnen, denn die Waffenlieferungen an die Ukraine befeuern das Muster des Kalten Krieges, andere für sich kämpfen und den Blutzoll tragen zu lassen. Eine direkte Einmischung aber hätte womöglich einen Weltkrieg zur Folge und das will ich noch weniger.

Putin hat sich mit diesem Angriff ins Abseits gestellt und gehört geächtet. Nur hätte ich mir diese Klarheit bei allen völkerrechtswidrigen Kriegen im Land gewünscht. Was der Westen in Afghanistan, Libyen und dem Irak darf, darf Russland natürlich nicht. Das ist kein „whataboutism“, sondern ein Denken gegen die Feindlogik. Ich finde es ehrlich gesagt erschreckend, wie jetzt weite Teile der sonst so aufgeklärten und toleranten Mitte nach Aufrüstung und „harten“ Maßnahmen rufen. Vom Studierendenprogramm mit russischen Studierenden bis zu russischen Partnerstädten wird jetzt alles eingestellt. Es sind ja jeweils „die anderen, der Feind.“ In Europa bricht eine politische Eiszeit aus und wir werden vermutlich wieder – meine Generation zum ersten Mal – mit beständiger Kriegsgefahr leben müssen. Auch die Option der Selbstauslöschung Europas durch einen Atomkrieg ist wieder eine Option. Ich kannte die Angst vor einem Atomkrieg bislang nur aus Filmen, Büchern und Gesprächen – seit letztem Donnerstag habe ich das erstmals gefühlt.

Und ganz nebenbei sind die Debatten gerade auch hier ziemlich verlogen. In den derzeitigen Nachrichten scheint völlig vergessen, dass die Bundeswehr 20 Jahre in Afghanistan Krieg führte bei dem hunderttausende starben. Dass NATO-Mitglied Türkei noch immer regelmäßig in Nordsyrien Bombenangriffe fliegen lässt (der letzte erst vor ein paar Tagen). Aber die Kriege waren offenbar weit genug weg und es betrifft ja nur die „Anderen“. Ich richte meinen Finger da nicht auf andere. Ich sehe das an mir selbst. Es berührt trotz meiner Überzeugungen weniger als dieser Krieg. Ich habe Verwandte aus der Ukraine und viele kennen jemanden aus der Ukraine. Dieser Krieg geht uns im wahrsten Sinne des Wortes nah.

Vorgestern hieß es auf der Berliner Großdemonstration – die Ukrainer kämpften auch für unsere Freiheit. Ich verstehe den Pathos, aber das war etwas zu viel. Die Demokratie in der Ukraine ist ebenfalls eine Oligarchenherrschaft. Mit Freiheit und Demokratie hat das alles wenig zu tun, sondern mit nationaler Selbstbestimmung. Ich bitte das nicht falsch zu verstehen, wenn die Ukrainer den russischen Angriff zurückschlagen, bin ich froh, dass sie Putins Großmachtfantasien in die Schranken gewiesen haben. Ich bin kein Pazifist und jedes Land hat ein Selbstverteidigungsrecht.

Bis zum Sonntag war ich mir mehr als unsicher über unsere Rolle als Partei in diesem Konflikt und eine Restunsicherheit habe ich, weil auch ich das Gefühl habe die Ukrainer nicht im Stich lassen zu können. Das sage ich ganz offen. Nur haben mir die Bundestagsreden von Scholz, Merz, Lindner und Baerbock klar gemacht, wo und wie wir gebraucht werden: als Partei, die Nein sagt zu Krieg, Aufrüsten und Freund-Feind-Denken.

Das Kanzler Scholz unabgesprochen 100 Milliarden für die Aufrüstung der Bundeswehr ausgeben will, damit Deutschland jetzt wieder eine Militärmacht „gemäß seiner Rolle in Europa“ werden soll, geht für mich einfach nicht. In den letzten Jahren war kein Cent da für die Pflegekräfte, die uns durch diese Pandemie brachten. Die Bundeswehr wurde in den letzten Jahren massiv aufgerüstet und hat fast den Etat der russischen Streitkräfte. Gleichzeitig war sie trotzdem fast eine Friedensarmee, weil sie schlicht kaum einsatzfähig war. Wer mit einem Etat von 50 Milliarden keine Flugzeuge in die Luft bekommt, nicht die richtigen Geräte bestellt und den Bundeswehrsoldaten keine Unterwäsche zu Truppenmanövern bringen kann, schafft das auch nicht mit einer Verdopplung des Geldes. Friedrich Merz ist der Zustand der Bundeswehr peinlich, aber wer stellte den Verteidigungsminister in den letzten 16 Jahren? Richtig, die CDU. Auch Inkompetenz hat Namen und Adressen. Aber um Schuldzuweisungen soll es hier nicht gehen. Finanzminister Christian Lindner sagte gestern morgen klar, wer diese Aufrüstung zahlen soll „die Bürgerinnen und Bürger.“ Statt Kredite aufzunehmen, müssten bei den Ausgaben „andere Prioritäten gesetzt werden“, so Lindner im besten Politikersprech. Was das heißt, können sich alle ausmalen: unter anderem für die Krankenhäuser und die Renten ist dann wieder kein Geld mehr da.

Ein neues Wettrüsten lehne ich ebenso ab wie jetzt alle Russinnen und Russen unter Verdacht zu stellen. Irgendwelche Hitler-Putin-Vergleiche verbieten sich übrigens für Deutsche. Deutschland hat im 2. Weltkrieg über 20 Millionen Menschen in der damaligen Sowjetunion umgebracht und hat dabei planmäßig versucht, riesige Landstriche von Warschau bis Moskau über Hunger und Mord zu entvölkern für einen „Lebensraum im Osten“. Deswegen bin ich im Umgang mit Russland vorsichtiger – aber nicht weil ich Putin für einen imperalistischen Kriegsverbrecher halte.

Es kann sein, dass es für uns als LINKE mit unseren Positionen für Frieden, gegen Nationalismus und Imperialismus, gegen die Blocklogik und gegen die Aufrüstung, jetzt wieder etwas einsamer wird. Wir werden harten Anfeindungen ausgesetzt sein. Aber genau da werden wir historisch gerade gebraucht – wie viele Generationen von Linken vor uns. Ich habe Verständnis für andere Positionen, weil es unterschiedliche Wege zu diesem Ziel gibt. Und ja, ich bin mir meiner Position auch nicht sicher, weil ich den Weg, der vor uns liegt, nicht kenne. Aber ich bin mir sicher, dass das jetzt unsere Aufgabe ist.

Krieg gegen die Ukraine: Intervention zur politischen Orientierung der Partei DIE LINKE

Beitrag von Bernd Riexinger

Der  Einmarsch des russischen Militärs in der Ukraine ist ein Akt der Aggression, der unsägliches Leid für die ukrainische Bevölkerung verursacht und durch nichts zu rechtfertigen ist. Das Blutvergießen trifft auch russische Soldaten und die Bevölkerung in Russland wird für die Kriegskosten bitter bezahlen müssen. Sowohl der Widerstand in der ukrainischen Bevölkerung als auch die ersten Anzeichen russischer Proteste gegen den Krieg verdienen deshalb unsere volle Solidarität.

Es ist gut, dass Partei und Fraktion den Angriffskrieg von Russland auf das schärfste verurteilten und einen sofortigen Waffenstillstand und den Rückzug der russischen Truppen forderten. Auch das demütige Eingeständnis, dass unsere Partei den Krieg durch Russland nicht für möglich gehalten hat, war richtig und wirkt glaubwürdig. Noch wenige Tage, bevor die ersten Bomben fielen, hatten einzelne Fraktionsmitglieder  zu einer Kundgebung unter dem Motto „Sicherheit für Russland heißt Sicherheit für Deutschland aufgerufen“ und die Warnungen vor einem Einmarsch ins Reich der Märchenerzähler verwiesen. Was für eine verheerende Fehleinschätzung. Die Auseinandersetzung über das Verhältnis zu Russland beschäftigt die Partei seit ihrer Gründung. Die Rolle der Roten Armee bei der Befreiung vor dem Faschismus, die 27 Millionen Todesopfer durch den faschistischen Krieg und Terror, Not und Entbehrung, die dem Volk der damaligen Sowjetunion aufgezwungen wurden weltweit in der Linken nicht vergessen. Gerade in Zeiten des kalten Krieges war das keine populäre Haltung. Teile der Partei bewegten sich außerdem in der Traditionslinie des sowjetisch geprägten „realen Sozialismus“, der bis heute ihre Haltung zu Russland prägt. Unabhängig von der berechtigten Kritik vieler Linker am Charakter dieses Systems, hat in Russland eine neoliberal geprägte Transformation zum Kapitalismus stattgefunden. Das Putin Regime verkörpert einen autoritären Oligarchenkapitalismus, der mit einem erstarkten Nationalismus einhergeht. Dieses System hat mit linken Vorstellungen nichts zu tun, im Gegenteil, es geht weit hinter Maßstäbe selbst bürgerlich liberaler Demokratien zurück. Unter Putin hat Russland wieder eine aktivere Rolle in der Weltpolitik eingenommen. Dabei geht es um knallharte Interessen, die auch militärisch durchgesetzt werden. Tommaso Di Francesco von il manifesto, der schon die Entscheidung von Putin, die Unabhängigkeit von Lugansk und Donesk anzuerkennen, als „Akt der Gewalt“ und als abenteuerlichen Vorboten eines neuen Krieges bewertete, bezeichnet Russland als „von seiner ideologischen und militärischen Expansion angetrieben“. 

Bei einer überwiegenden Mehrheit der Mitglieder unserer Partei ist die Haltung zu Russland auf Grund der autoritären Entwicklung im Land und Russlands Außenpolitik (zu der seit einigen Jahren auch die Unterstützung rechts-autoritärer und nationalistischer Kräfte in verschiedenen Ländern gehört)  bereits seit längerer Zeit aus  differenziert und kritischer geworden. Wir sind Friedenspartei und nicht außenpolitische Interessensvertretung anderer Länder. Diese Haltung wurde oft als eine ‚Äquidistanz‘ kritisiert. Das ist eine Fehleinschätzung. Es ist keine Verharmlosung des US-Imperialismus, wenn Russland kritisiert wird. DIE LINKE wird jedoch unglaubwürdig, wenn sie an unterschiedliche imperiale Mächte unterschiedliche Maßstäbe bei Menschenrechten, Demokratie, sozialer Gleichheit und friedlicher Außenpolitik anlegt. Sie muss uneingeschränkt alle kriegerische und imperiale Politik kritisieren und bekämpfen. Schon um gegenüber den westlichen Politikern glaubwürdig zu sein, die mit völkerrechtswidrigen Kriegen der USA oder der NATO keine Probleme haben. Sie bedienen immer wieder die Erzählung, dass wir es mit dem ersten Krieg nach 1945 auf europäischen Boden zu tun hätten. Serbien, das 1999 unter tätiger Mithilfe der damaligen Rot-Grünen-Regierung, bombardiert wurde gehört jedoch genauso zu Europa wie die Ukraine.

Richtig war es, dass die LINKE-Bundestags Fraktion spätestens nach den Reden von Olaf Scholz und Friedrich Merz den Antrag der Ampelkoalition abgelehnt hat, der die Unterstützung der Ukraine in einer Art Hau-Ruck-Aktion mit einem massiven Aufrüstungsprogramm verband. Die Bundeswehr wird mit einem Sonderfond von 100 Mrd. Euro ausgestattet. Finanzielle Mittel werden innerhalb kürzester Zeit mobilisiert, denen sich diese und die Vorgängerregierung in sozialen Fragen, bei der Aufnahme von Geflüchteten oder bei der Entwicklungshilfe immer verweigert haben. Das Zwei-Prozent-Ziel der NATO soll übererfüllt werden und damit die Steigerung der Rüstungsausgaben auf über 70 Mrd. Euro.  Der Jubel der anderen Parteien bei dieser Ankündigung von Scholz im Bundestag ist befremdlich. Das gleiche gilt für die Genehmigung von Waffenexporten. Offensichtlich drohen gerade alle Dämme zu brechen. „Mit der historischen Entscheidung, tödliche Waffen zu liefern, und seiner Rede im Bundestag hat sich Olaf Scholz zum Kriegskanzler gewandelt“ schreibt Barbara Junge in der Taz, nicht ohne es als historische Ausnahmesituation zu bezeichnen. Gleichzeitig titelt die Taz: „Putin rüstet Deutschland auf“. Die Erzählung, dass bisher nicht aufgerüstet wurde und wir eine völlige Zäsur der deutschen Außenpolitik erleben ist nur zum Teil richtig. Die Mittel für die Bundeswehr wurden schon in den letzten Jahren gewaltig erhöht und das Zwei Prozent Ziel wurde auch seither nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Wahr ist auch, dass jetzt der letzte Widerstand in der SPD, z.B. gegen bewaffnete Drohnen gebrochen ist. Wie immer ringen die Grünen mit sich, um dann doch die gewaltige Aufrüstung mitzutragen. 

Auch wenn es schwer ist und derzeit eine Mehrheit der Bevölkerung die Maßnahmen der Bundesregierung unterstützt muss DIE LINKE Kurs halten und die Stimme der Vernunft gegen Aufrüstung und Militarisierung sein. Ein neuer Rüstungswettlauf erhöht nicht nur die Kriegsgefahr, er kostet auch Geld, das für andere Zwecke nicht mehr vorhanden ist. Außerdem ist die Kritik an der NATO nach wie vor berechtigt. Sie hat ihren Einflussbereich nach Osten erheblich ausgedehnt, sie ist kein Friedensbündnis, sie ist Teil des Problems, nicht der Lösung. Das darf jedoch nicht mit Rechtfertigung verwechselt werden. Auch der Hinweis auf berechtigte Sicherheitsinteressen von Russland rechtfertigt keinen verbrecherischen Krieg oder relativiert die Kritik an seinen Verursachern.

Gerade weil wir für Abrüstung, Verhandlungen, gegen Waffenexporte und Aufrüstung sind können wir nicht gleichzeitig gegen Sanktionen sein. Die bisherige Haltung „Sanktionen treffen die Bevölkerung, deshalb sind wir dagegen“ lässt sich nicht durchhalten. Deshalb ist es richtig, dass in unseren Antrag Sanktionen gegen Oligarchen und Kriegstreiber aufgenommen wurden. Wer könnte da ernsthaft etwas dagegen haben. Aber das wird nicht ausreichen. Die Ukraine wurde angegriffen und hat das Recht auf Selbstverteidigung. Waffenexporte an die Ukraine aber drohen das Blutvergießen zu verlängern; sie können sogar in eine direkte militärische Konfrontation mit Russland führen, uns in einen Krieg hineinziehen. Wer aber in dieser zugespitzten Situation eines Angriffskrieges auf Deeskalation setzt und Waffenexporte aus guten Gründen ablehnt, wird sofort mit der ebenso berechtigten Frage konfrontiert, wie denn Russland unter Druck gesetzt werden kann, einem Waffenstillstand zuzustimmen oder sogar den Krieg zu beenden. Wirtschaftliche Sanktionen sind der bessere Weg als der militärische. Natürlich werden die Sanktionen Putin unter Druck setzen. Auch wirtschaftliche Folgen, etwa infolge der Sanktionen gegen die russische Zentralbank, gehören da unvermeidlich dazu, da nur sie effektiven Druck erzeugen. Putins Wirtschaftspolitik hat es geschafft das Pro-Kopf-Einkommen Russlands unter das Niveau von Rumänien zu verringern. Der Lebensstandard der russischen Bevölkerung sinkt und wird durch den Krieg weiter sinken.

Es ist am Ende eine offene Frage und eine Frage der politischen Auseinandersetzungen in Russland, ob eine sich verschlechternde wirtschaftliche Lage auch zu wachsendem Protest gegen den Krieg führt; die Regierung Putins setzen sie allemal unter Zugzwang.

 Gezielte Sanktionen sind eine klare und letztlich die einzige derzeit politisch vermittelbare Alternative zu Waffenexporten. Sonst bleiben nur Appelle oder die Forderung Putin ein Angebot zu unterbreiten, das er nicht ablehnen kann. Was soll das sein? Friedensverhandlungen müssen schließlich zwischen der Ukraine und Russland stattfinden. Dazu ist ein Waffenstillstand dringend erforderlich. Das jedoch hat alleine Russland in der Hand, dessen kriegerischer Akt der Aggression nicht ohne Folgen bleiben darf. Wenn wir keine Aussagen treffen können, wie Druck auf Putin ausgeübt werden kann, wird es umso schwerer der Stimmung, „jetzt helfen nur noch Waffen“ und dem richtigen Appell, die ukrainische Bevölkerung nicht alleine zu lassen, etwas entgegen zu setzen.

DIE LINKE muss deshalb m.E. offen für gezielte Sanktionen mit Maß sein, die die russische Oligarchie treffen und zugleich einer unkontrollierbare Eskalationsspirale vorbeugen.

 Es ist übrigens auch nicht so, dass DIE LINKE vor unserer Parteigründung nicht für Sanktionen war. Natürlich haben wir die Boykottkampagne gegen das Apartheidsystem in Südafrika unterstützt und Hafenarbeiter, die südafrikanische Produkte nicht entladen haben. Dass Putin durch die eigene Bevölkerung gestoppt wird, wäre natürlich das Beste. Das wird jedoch nicht schnell geschehen und der Krieg ist längst in Gange. Dass Niko Popp in der Jungen Welt sagt, wenn die Linke auf Sanktionskurs geht, dann sei ihr Abmarsch in den Dienst des Imperialismus erfolgt ist eine bösartige Fehleinschätzung. Wir verbinden Sanktionen nicht mit Aufrüstung und Militarisierung, wie die meisten anderen Parteien, sondern mit dem Gegenteil: Mit Abrüstung und Friedenspolitik. 

Neben den bestehenden Sanktionen wäre z.B. die Beschlagnahmung eines relevanten Teils der Auslandsvermögen von russischen Oligarchen, wie sie mittlerweile auch anerkannte linke Ökonomen wie Paul Krugman oder Thomas Piketty auf unterschiedliche Weise ins Spiel bringen geeignet den linken Ansatz in dieser historischen Krise deutlich zu machen. Das oligarchische Vermögen könnte Faustpfand für den Abzug der russischen Truppen sein. 

Der Hinweis, dass die unteren Gruppen der Bevölkerung die damit hergehenden Energiepreissteigerungen bezahlen werden, kann nicht einfach übergangen werden. Hier ist es aber richtiger staatliche Unterstützung zu fordern, soziale Ausgleichsmaßnahmen, eine staatliche Preisregulierung gegen die Energiekonzerne und eine stärkere Belastung der Reichen. Es wäre eine Sackgasse wenn der Eindruck entsteht, dass Teile der LINKEN über Benzin- und Gaspreise diskutieren, während in der Ukraine Tausende von Menschen ihr Leben verlieren. Diesem Dilemma können wir entgehen, wenn wir deutlich machen, dass die immensen Milliardenbeträge für die Aufrüstung auf Kosten der sozialen Gerechtigkeit gehen werden. Die Milliarden für Aufrüstung sind für einen wirklichen europäischen sozial-ökologischen Umbau und einen Friedensplan besser aufgehoben als in Konfrontation und Milliarden für Rüstungskonzerne. Ohne eine andere sozial gerechte und klimagerechte europäische Wirtschaftsordnung kein Frieden in Europa und anderswo. Mit dieser Richtung kann die LINKE in der neuen, deutlich jüngeren Friedensbewegung wirken und deutlich machen: dauerhaftem Frieden stehen die Interessen der Oligarchen in Russland und Kiew, der EU und den USA entgegen. 

Neue Friedensbewegung

Zurzeit gehen Hunderttausende gegen den Krieg auf die Straße. Es ist richtig, dass DIE LINKE mit dazu aufruft und sich zugleich klar auf die Seite der „neuen“ Friedensbewegung stellt. Das ist je nach örtlicher Lage gar nicht so einfach, denn es gibt Misstrauen gegen DIE LINKE, wegen ihrer vermeintlichen oder teilweise tatsächlichen Kritiklosigkeit gegenüber Russland. Wir werden eher als Teil der „alten“ Friedensbewegung betrachtet, die die Bindung an die junge Generation verloren und in ihren Aufrufen- oder Aufrufentwürfen für die Ostermärsche teilweise kein kritisches Wort an die Truppenaufmärsche an der ukrainischen Grenze verloren hat. Ob sie  wieder Zugang zu den Menschen bekommen wird, die derzeit auf die Straße gehen ist eine offene Frage und wird davon abhängig sein, ob sie glaubwürdig eine Korrektur ihres bisherigen Kurses vornimmt. Wir sollten uns s dafür nicht in Mithaftung nehmen lassen. Es ist völlig klar, dass sich ganz unterschiedliche Gruppen und Menschen mit zum Teil gegensätzlichen Vorstellungen auf den Straßen und Plätzen treffen. Da sind auch Forderungen nach Waffenlieferungen dabei oder Aufnahme der Ukraine in die NATO. Und natürlich, alles andere würde verwundern, versucht der herrschende Block sie zu vereinnahmen, Kritik an der NATO oder der Bundesregierung unter den Teppich zu kehren. DIE LINKE kann die klare Kritik an Russland verbinden mit der Kritik an Aufrüstung und Militarisierung, eine klare Stimme gegen einen erneuten Rüstungswettlauf sein. Auch die Gefahren der atomaren Bewaffnung können zu einem späteren Zeitpunkt wieder in den Vordergrund rücken. Putins Drohung, dessen Verhalten  irrational und gefährlich ist, macht deutlich welche Gefahren die Atombewaffnung darstellt, und dass ein Großteil davon auf die Länder in Europa gerichtet ist.

Viele der Hunderttausende, die jetzt auf die Straße gehen sind entsetzt über das Leid und Elend, das dieser Krieg verursacht. Sie sind zurecht empört über die Brutalität des Putin-Regimes und die Geringschätzung der Interessen der Menschen in der Ukraine. Sie wollen nicht tatenlos zusehen, wie wenige Flugstunden von uns entfernt ein blutiger Krieg geführt wird. Vielfach sind es die gleichen jungen Menschen, die auch gegen die bedrohliche Klimakatastrophe auf die Straße gehen. Das ist ermutigend. In welche politische Richtung das geht, wird nicht unwesentlich von unserer eigenen Haltung und Glaubwürdigkeit abhängen. Erste Umfragen zeigen, dass 25-30 Prozent der Bevölkerung den Aufrüstungsplänen kritisch gegenüber stehen. Bei den Anhänger*innen der Linken sind es 67 Prozent. Sie müssen in unserer Partei eine glaubwürdige Vertretung finden.

DIE LINKE auf die Straße: Für Frieden in der Ukraine!

Die Anerkennung der sog. Volksrepubliken und der Einmarsch Russlands in die Ukraine stellen eine neue Eskalationsstufe im Ukraine-Konflikt dar. Die Bezeichnung des russischen Einsatzes als „Friedensmission“ ist mehr als zynisch. 

Wir kritisieren den Einmarsch Russlands als Völkerrechtsbruch und fordern den russischen Staat zum Rückzug seiner Streitkräfte und zur Rückkehr zu diplomatischen Gesprächen auf. 

Klar ist aber auch: Wer vom Einmarsch Russlands in die Ukraine redet, darf auch von der NATO-Politik nicht schweigen, die dieser Zuspitzung voranging – ein Beispiel sind die Defender-Truppenübungen in Osteuropa. Die aktuelle Situation ist auch ein Ergebnis der Eskalationspolitik zwischen Russland und den NATO-Staaten. 

Als LINKE muss für uns klar sein, dass es weder dem russischen Staat um Friedenssicherung, noch den NATO-Staaten um Menschenrechte in der Ukraine geht. Das belegen sowohl die Kriegseinsätze der NATO in Jugoslawien, Afghanistan und Libyen als auch die russischen Kriegseinsätze in Tschetschenien, Syrien und Mali. Beide Mächte konkurrieren um ihre wirtschaftlichen Interessen und Einflusssphären in der Welt. 

Als LINKE stehen wir auf der Seite der Menschen, die unter dem Krieg leiden. Das betrifft sowohl die Bevölkerung im Donbass, in Lugansk und der restlichen Ukraine als auch die Bevölkerung in Russland. Wir fordern die Bundesregierung auf, Aufnahmekapazitäten zu schaffen, um Geflüchtete aus den betroffenen Regionen großzügig und ohne bürokratische Hindernisse aufnehmen zu können, falls es zu einer Fluchtbewegung kommt. Zudem muss sich die Bundesregierung statt für Sanktionen für eine Deeskalation in der Ukraine einsetzen. Deeskalation bedeutet u.a. 

  • ein sofortiger Abzug der russischen Streitkräfte aus der Ukraine, 
  • die Schaffung einer demilitarisierten Zone zwischen Russland und Osteuropa,
  • und ein koordinierter Abbau der Rüstungsausgaben, um die Gefahr einer militärischen Auseinandersetzung zu senken. 

Eine sichtbare und internationalistische Friedensbewegung ist nun dringender denn je. DIE LINKE als einzige Friedenspartei im Bundestag muss hierzulande die Menschen ermutigen, dass möglichst viele für Frieden in der Ukraine auf die Straße gehen. Nur mit unteilbarer Solidarität können wir den politischen Druck für eine diplomatische Lösung des Konflikts entwickeln. 

Regieren und die LINKE – wo bleibt der Internationalismus?

von Nabil Sourani

Sollte die LINKE regieren? Diese Frage ist falsch gestellt. Für die Bewegungslinke muss im Vordergrund stehen, wie das kapitalistische System abgeschafft werden kann; wie alle Bereiche des Lebens – allen voran Staat und Wirtschaft – demokratisiert und eine globale ökosozialistische Gesellschaft aufgebaut werden kann. Dafür braucht es viele Analysen und Diskussionen: Darüber, was oder wer unsere Macht ist; wie sie sich organisieren lässt; was für eine Partei das voraussetzt; wer ihre Gegner:innen sind; was der Staat ist; was mit Ökosozialismus gemeint ist. Zwar hat die Bewegungslinke einige dieser Punkte bereits andiskutiert, was allerdings völlig fehlt, ist die Einsicht, dass Anti-Kapitalismus nur international funktionieren kann.  

Historische Lehren 

Bisherige Versuche, den Kapitalismus zu überwinden, scheiterten häufig an imperialistischer Einmischung. Da wäre die Russische Revolution von 1917: Während die Rätedemokratie begann, den bürgerlichen Staat zu ersetzen, formierte sich die Konterrevolution. Sie wurde wesentlich von westlichen Mächten unterstützt. Was war der einzige Weg, damit die Revolution noch hätte gelingen können? Das Anfachen der Arbeiter:innenbewegung in den Kernstaaten, insbesondere aber in Deutschland, und der internationale Übergang in den Sozialismus. Lenin meinte noch 1917: »Und die russischen Räte […] stehen in ihren Schritten zum Sozialismus nicht allein. Wären wir allein, so würden wir diese Aufgabe nicht friedlich und bis zuletzt bewältigen, denn diese Aufgabe ist ihrem Wesen nach international.« (https://sites.google.com/site/sozialistischeklassiker2punkt0/lenin/lenin-1917/wladimir-i-lenin-die-russische-revolution-und-der-buergerkrieg)

Internationalismus wurde von den Bolschewiki als Voraussetzung gesehen, um den friedlichen und demokratischen Übergang zu gewährleisten. Die Strategie ging nicht auf. Zwar gewannen die Revolutionär:innen den Krieg, infolge der Verwerfungen und der nationalen Isolation ihrer Revolution setzte sich aber der bürokratische Apparat um Stalin durch und gab die Parole vom »Sozialismus in einem Land« raus. Das Ergebnis: Ein autoritärer Staatskapitalismus, der alles andere war als ein Weg in eine freie Gesellschaft. Revolutionär:innen auf der ganzen Welt haben später ähnliche Erfahrungen gemacht. Sichtbar wurde das insbesondere in Lateinamerika – einer Region, die von den USA noch immer als ihr »Hinterhof« betrachtet wird.

Auf Basis der historischen Erfahrungen lässt sich also feststellen: Jeder Versuch, eine postkapitalistische Gesellschaft aufzubauen, muss international gedacht sein. Mit nationaler Isolation droht nicht nur das Ende der Demokratisierung, sondern es treten auch ganz reale wirtschaftliche und geopolitische Probleme hervor. Stellen wir uns etwa einen Sozialismusversuch allein in der Bundesrepublik vor: »Wie könnte ein isoliertes Deutschland Nahrungsmittel aus kapitalistischen Ländern importieren? Woher kommen Rohmaterialien für die industrielle Produktion? Und: wie würde sich Deutschland in einem Staatensystem gegen imperialistische Mächte durchsetzen können?« (https://rossana-online.de/2021/05/die-linke-und-das-regieren-es-ist-eine-falle/).

Wir sind nicht nur bei einem Sozialismusversuch in Deutschland und Europa auf internationale Unterstützung angewiesen, sondern antikapitalistische Bewegungen in anderen Weltregionen, insbesondere im globalen Süden, müssen sich ebenfalls auf uns verlassen können.

Mit Unterstützung ist nicht der Schulterschluss mit Diktatoren à la Pol Pot, Hồ Chí Minh oder Stalin wie in den 60ern und 70er-Jahren gemeint. Keine imperialistische Macht darf sich woanders einmischen können: Egal ob die USA, Deutschland, Russland oder China. Nur so sind Menschen imstande, sich gegen Diktaturen und Kapitalismus erfolgreich wehren zu können. Einmischung von außen spielt den Herrschenden in die Hände; zum Beispiel indem sie große Teile der Bevölkerung hinter dem Diktator gegen das Ausland zusammenschweißt oder weil – viel schlichter – die Diktatoren unmittelbar finanziell und militärisch unterstützt werden. Ohne Putins Russland wäre Bashar al-Assad längst Geschichte. Ebenso wäre Saddam Hussein im Irak ohne Bush Senior lange vor dem Einmarsch der US-Truppen gestürzt worden.

Internationalismus ist also nicht nur eine moralische Frage: Internationalismus muss Grundbaustein jeder antikapitalistischen Strategie sein. Internationalismus ist Bedingung linker Macht. Dementsprechend muss auch jetziges Handeln darauf ausgerichtet sein.

Sind die Parteien bereit, internationalistisch zu regieren?  

In der bisherigen Diskussion in der Bewegungslinken findet Internationalismus kaum Platz. Zwar gab es Veranstaltungen zu antimuslimischem Rassismus und unorganisierten Austausch zur Palästinafrage, aber keine Antworten darauf, was sie für die Strategie zur Überwindung des Kapitalismus implizieren. So wird auch die Regierungsfrage ausschließlich national gedacht – doch selbst wenn dies anders wäre, würde die praktische Umsetzung von Internationalismus durch den Druck des Systems und der Regierungskoalition versperrt werden. 

Die im Bundestag vertretenen Parteien fordern geschlossen ein Ja zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr. Die LINKE würde auf massive Gegenwehr stoßen und nichts deutet darauf hin, dass die SPD oder die Grünen ihre jetzigen außenpolitischen Strategien überdenken; geschweige denn mit dem deutschen Imperialismus brechen. Die Integration der beiden Parteien in den Staat ist eine Geschichte der Distanzierung von linken Positionen – und einige der Leute, die für die Kriege in Jugoslawien und Afghanistan verantwortlich sind, sind noch immer einflussreich. Sie setzen sich nicht einfach durch weniger linke Strategien von der LINKEN ab, sondern durch grundsätzlich andere Einschätzungen von Kapitalismus und Imperialismus.

Und: Nicht einmal die LINKE ist durchweg antimilitaristisch eingestellt. Dietmar Bartsch zieht Ausnahmen für Waffenexporte in Erwägung und Gregor Gysi möchte endlich das »Ja« zur NATO. Der Druck Richtung stabile Mehrheiten »links der Mitte« ist enorm. Er zwingt die LINKE zu Anpassungen. Wie wäre dann Internationalismus zu garantieren? Durch Beschlüsse und Haltelinien? In den Bundesländern, in denen die LINKE regiert, werden bereits Erfahrungen damit gemacht, was diese im Ernstfall bedeuten. Die Partei möchte: »Abschiebungen stoppen und Bleiberecht ausbauen, Seenotrettung sicherstellen«. In Berlin, Bremen oder Thüringen werden aber keine Abschiebungen gestoppt. Rote Haltelinien werden einfach überschritten. Wo ist der breite Aufschrei aus der LINKEN oder auch nur aus der Bewegungslinken? Das Fehlen lässt befürchten, dass es ihn genauso wenig geben wird, wenn eine Linksregierung auf Bundesebene den Bundeswehreinsatz in Mali weiterführt.

…und wo stehen die deutschen Staatsapparate?

Um herauszufinden, auf wessen Seite der Staat steht, braucht es nur einen Blick in den Nahen Osten und Nordafrika. 

Die Revolutionen von 2011, die Diktaturen hinwegfegten, verschlief die LINKE. Wird das Thema im Parteiumfeld angesprochen, werden die Umbrüche oft als erfolglos abgespeist – »Arabischer Winter« halt. Sicher, in einigen Staaten konnten sich Diktatoren vorerst behaupten. Doch dies gelang nur durch aktive Deckung imperialistischer Mächte, darunter Deutschland. Mit Material, Waffen und Ausbildung »Made in Germany« werden in Ägypten, Bahrain, Marokko, Tunesien oder Jemen revolutionäre Bestrebungen zerstört und »Ordnung« stabilisiert. Die Sicherheitssektoren der gesamten Region werden militärisch und polizeilich ausgebaut. Künftige Aufstände sollen zerschlagen werden und neu geschaffene Grenzregime – die, wie bereits geschrieben, die Regierungslinke in Deutschland nicht abbaut – lassen die Bevölkerung im Elend zurück. Gerahmt als »Sicherheitssektorreform« durch »Hilfe zur Selbsthilfe« können sich die Regime mit (neuer) Härte gegen die Menschen stellen. Im selben Atemzug sahnt das deutsche Kapital ab – und Siemens feiert in Ägypten den größten Auftrag seiner Geschichte. Statt auf Revolution stehen die Zeichen auf Konterrevolution. 

Um auf den Widerstand gegen ein internationalistisches Regierungsprogramm zurückzukommen: Wie bereits geschrieben, würde er aus der SPD und von den Grünen kommen; selbst aus Teilen der LINKEN – Menschen, die unter Abdelfattah el-Sisis Diktatur in Ägypten oder unter israelischer Besatzung leben, sind eben nicht wahlentscheidend. Dazu käme aber nahezu der gesamte deutsche Sicherheitsapparat, der sich aktiv gegen die Linksregierung stellen würde: Oder würden Geheimdienste und Polizei auf einmal zustimmen, wenn die Grenzen wirklich geöffnet werden? Wenn die deutsche Linksregierung plötzlich Gruppen unterstützt, die die weltweiten Stabilitätsanker – Diktaturen – stürzen wollen; wenn die thawra oder die revolución neu entfacht würde? Würde es die Waffenindustrie akzeptieren, Pleite zu gehen, weil sie keine Waffen mehr exportieren kann? Und fände es das Entwicklungsministerium einfach in Ordnung, keine freien Märkte mehr zu fördern?

Für eine Strategie von unten 

Die Regierungsstrategie geht davon aus, dass die genannten Staatsapparate einfach von innen heraus gesprengt werden können und der Widerstand dadurch gebrochen wird. Historisch gibt es aber keine Belege dafür, dass eine solche Strategie funktionieren kann – und theoretisch ist dies ebenso fraglich. (https://rossana-online.de/2021/05/die-linke-und-das-regieren-es-ist-eine-falle/) Erforderlich wäre stattdessen der Bruch mit dem Staat und die demokratische Selbstorganisation von unten. Antonio Gramsci schrieb: »[N]ach den revolutionären Erfahrungen Rußlands, Ungarns und Deutschlands der sozialistische Staat sich nicht in den Institutionen des kapitalistischen Staates verkörpern kann, sondern – verglichen mit ihnen, sogar verglichen mit der Geschichte des Proletariats – in einer grundlegend neuen Schöpfung.« (https://www.marxists.org/deutsch/archiv/gramsci/1919/07/staat.html). 

Regieren im Kapitalismus ist dagegen der Versuch, eine Abkürzung in den Ökosozialismus zu finden – diese gibt es aber nicht. Solange wir an dem Versuch festhalten, kann linken Bewegungen weltweit nicht der Rücken gestärkt werden und wir verlieren die Voraussetzungen für einen demokratischen Übergang. Die kommenden 10-15 Jahre werden nichts daran ändern, falls die LINKE weiterhin aufs Regieren schielt.

Dagegen mag eine revolutionäre, anti-staatliche Strategie von unten, wie sie von Gramsci befürwortet wird, mühsam und langsam erscheinen. Allerdings kann sich die Situation, in der wir uns befinden, schnell ändern, was unter anderem die Revolutionen in Tunesien und Ägypten bewiesen haben. Kaum jemand hätte sie Mitte der 2000er für möglich gehalten. Dies soll nicht heißen, dass wir einfach eine solche revolutionäre Situation abwarten können: Im Gegenteil, Bewegung und Partei müssen jetzt aufgebaut werden und internationale Solidarität muss jetzt mitgedacht werden – sonst wird es keinen demokratischen Wandel hin zu einer ökosozialistischen Gesellschaft geben.