Für eine radikale Friedensbewegung – auf der Straße und im Parlament!

Beitrag von Ko-Kreis, BAG Bewegungslinke

Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine macht viele Menschen zurecht fassungslos. Tagtäglich finden Angriffe gegen Wohnviertel, zivile Infrastruktur und auch Krankenhäuser statt. Familien wurden auseinander gerissen. Millionen Menschen sind auf der Flucht, Tausende sind bereits gestorben. Die Verantwortung dafür trägt die russische Regierung.

Der Krieg ist das Ergebnis einer Weltordnung, die durch geopolitische Konflikte zwischen imperialistischen Mächten strukturiert ist, in der Staaten sich Einflusssphären sichern und eine Vormachtstellung bewahren. Erstmals seit 1989 ist eine militärische Konfrontation zwischen Atommächten eine denkbare Option. Wir brauchen deshalb nicht nur unmittelbare Antworten auf die Frage, wie der Krieg so schnell wie möglich beendet werden kann, sondern auch langfristige Ideen, wie wir in einer Welt ohne Kriege leben können und niemand wegen Hunger oder Tod aus der Heimat fliehen muss. 

Angesichts der komplizierten Lage in der Ukraine ist Besserwisserei jedoch nicht angebracht. Fragen müssen auch in unseren Diskussionen erlaubt sein. In der aktuell aufgeheizten Stimmung ist Widersprüchlichkeit normal. Und Widerspruch gleichzeitig absolut notwendig.

1. Für ein sofortiges Ende des Krieges in der Ukraine!

Wir fordern einen sofortigen Stopp der Kämpfe und die Weiterführung diplomatischer Verhandlungen für eine unverzügliche Waffenruhe und Frieden in der Ukraine. Die russischen Truppen müssen schnellstmöglich abgezogen werden. Verhandlungen zwischen der russischen und ukrainischen Regierung werden jedoch nur kurzfristig helfen. Es bleiben einerseits inner-ukrainische Konflikte und andererseits der übergeordnete Konflikt zwischen Russland und der NATO. Zudem ist das Bedürfnis vieler benachbarter Staaten nach einer NATO-Mitgliedschaft größer geworden. 

Dass nun die NATO aber zu einem Friedensbündnis verklärt wird, ist bestenfalls geschichtsvergessen. Auch sie ist ein imperialer Akteur mit geopolitischen Interessen, für das insbesondere die USA, aber auch andere Mitgliedstaaten Kriegsverbrechen begangen haben. Wenn sich etwa Olaf Scholz und Annalena Baerbock dieser Tage mit Erdogan und anderen Vertreter:innen der türkischen Regierung treffen, um ihre Partnerschaft zu zelebrieren, während gleichzeitig die türkische Regierung kurdische Gebiete bombardieren lässt, zeigt das die Doppelmoral deutlich auf. Allein in Afghanistan, Irak und Libyen hat der sogenannte Westen Kriege mit mindestens einer Million Toten und mehreren Millionen Vertriebenen geführt. Die militärischen Interventionen haben die Lage dort nicht verbessert, sondern eher dramatisch verschlechtert. 

Viele Linke irrten in ihrer Haltung und Einschätzung zu Russland. Sie irrten aber nicht in ihrer grundsätzlichen Kritik an der NATO. Daher bleibt die Forderung nach einem Sicherheitsbündnis, das Frieden garantiert und somit auch ein Post-Putin-Russland einbezieht, aktuell – auch wenn die Vorzeichen dafür komplizierter geworden sind. Sicherheit darf nicht militaristisch gedacht werden, Vertrauensbildung wird in Zukunft wichtig sein.

Wir kämpfen für eine Welt jenseits der Spaltung in imperialistische Lager, stehen weder an der Seite Russlands, noch identifizieren wir uns mit der NATO und ihren angeblichen Werten. Wir kämpfen an der Seite der Menschen für Demokratie und Frieden und zeigen uns solidarisch mit den angegriffenen Ukrainer:innen und den widerständigen Menschen in Russland.

2. Friede den Hütten! Enteignet die Paläste!

Bislang treffen die Sanktionen gegen Russland vor allem breite Teile der russischen Bevölkerung und noch nicht genug und gezielt die russische Führung.

In Russland gibt es über 200.000 Millionäre. Viele von ihnen haben in ganz Europa ihr Geld auf Bankkonten liegen oder bspw. in Immobilien investiert. So parken die reichsten 0,01 Prozent der russischen Bevölkerung, die etwa 13 Prozent des gesamten russischen Kapitals besitzen, 80 Prozent davon im Ausland. Sie alle könnte man auf eine Sanktionsliste setzen und ihre Güter beschlagnahmen. Sie tragen die russische Wirtschaft und bilden dadurch das politische Hinterland von Putin, welches letztlich bröckeln würde. Hilfreich wäre daher die Einführung eines internationalen Finanzregisters, um Transparenz herzustellen und somit den Zugriff für Sanktionen zu erleichtern. Dass es das bislang nicht gibt, ist kein unbeabsichtigtes Versäumnis, sondern Ausdruck mangelnden politischen Willens, da eine solche Vorgehensweise auch westliche Wirtschaftseliten zwingen würde, ihr Vermögen offen zu legen. 

3. Waffen schaffen keinen Frieden!

Dass viele Menschen aus dem Selbstverteidigungsrecht der Ukraine und der Solidarität mit der ukrainischen Bevölkerung auch eine Zustimmung zu Waffenlieferungen ableiten, finden wir verständlich. Trotzdem halten wir Waffenlieferungen für falsch und andere Maßnahmen für erfolgsversprechender den Krieg zu beenden, als eine Region auch mittelfristig mit noch mehr Waffen auszurüsten, die noch mehr Menschen töten werden. Auch in anderen Kriegen auf der Welt liefert die deutsche Bundesregierung keine Waffen an die angegriffenen Staaten. Auch nicht, wenn diese das Recht hätten, sich besser zu verteidigen, – etwa aktuell im Jemen, wo der Krieg auf unendliche Armut und Hunger trifft. Die Waffen, die die deutsche Bundesregierung derweil an die Ukraine lieferte, sind ein Tropfen auf den heißen Stein und dienen nur dem eigenen Gewissen – sowie der Ablenkung davon, dass viel wirksamer eingegriffen werden könnte, wenn ernsthafte harte Sanktionen gegenüber Russlands Reichen vorgenommen würden.

4. Gegen Aufrüstung und Militarisierung

Während die Möglichkeiten gezielter Sanktionen nur halbherzig genutzt werden, wird umso vehementer für Aufrüstung getrommelt. Keine Zeit für Zweifel, keine Zeit für Nachdenklichkeit: In Rekordzeit werden Aufrüstungsprogramme und Waffenlieferungen durchgepeitscht. Krieg erlebt als Mittel der Politik ein Revival. Kritische Stimmen haben es in diesen Zeiten schwer durchzudringen, nur langsam verschaffen sich Rüstungsgegner:innen wieder Gehör. Die von Olaf Scholz angekündigten 100 Milliarden Sondervermögen für die Bundeswehr sind grotesk. So hat sich der Verteidigungshaushalt die vergangenen Jahre jährlich erhöht, ohne dass sich das positiv auf die Ausrüstung der Bundeswehr ausgewirkt hätte. Schon jetzt gibt der Westen jährlich eine Billion Dollar für seine Militärapparate aus, schon jetzt sind die Armeen der NATO-Mitgliedsländer der russischen Armee überlegen – beides hat die Invasion in die Ukraine nicht verhindert. Auch eine deutlich stärker aufgerüstete Bundeswehr würde nicht an der Seite der ukrainischen Armee ins Geschehen eingreifen. Nicht zuletzt hätte sie dem drohenden Einsatz von Atomwaffen nichts entgegenzusetzen. Und die Aufrüstung wird die Bundesrepublik auch nicht energieunabhängiger machen. Der Plan von interessierten politischen Kräften und der Rüstungslobby, die Ausgaben für Waffen und die Bundeswehr aufzustocken, lag schon lange vor Ausbruch des Kriegs in den Schubladen. Die aktuelle Angst der Bevölkerung wird jetzt genutzt, die Pläne als notwendige Reaktion auf den Krieg zu verkaufen. 

5. Asyl für Geflüchtete und Deserteure

Wir fordern das Recht auf Asyl für alle Geflüchteten an den europäischen Außengrenzen. Das UN-Flüchtlingskommissariat (UNHCR) geht davon aus, dass aufgrund des Ukraine-Kriegs mindestens 4,5 Millionen Menschen aus ihrer Heimat vertrieben werden. Sie müssen jetzt unbürokratisch und schnell aufgenommen werden, aber auch Perspektiven über die erste schnelle Hilfsbereitschaft hinaus bekommen. Es darf dabei keine Unterschiede im Umgang mit Geflüchteten geben, denken wir etwa an die Tausenden Geflüchteten an der polnisch-belarussischen Grenze, die brutal abgewiesen wurden – oder die Geflüchteten in den griechischen Lagern auf Lesbos. Die Aufnahmebereitschaft der europäischen Staaten für die ukrainischen Geflüchteten zeigt die ganze Heuchelei beim Gerede um die sog. westliche Wertegemeinschaft. Während innerhalb von wenigen Tagen richtigerweise hunderttausende ukrainische Geflüchtete in Europa aufgenommen wurden, scheiterten die europäischen Staaten zuvor daran, wenige tausend Geflüchtete aus dem Nahen Osten oder Zentralafrika, die vor dem Krieg in ihrer Heimat flohen, aufzunehmen – wegen angeblich fehlender Kapazitäten.

Als Linke verteidigen wir das Recht auf Asyl universell. Wir fordern das Recht auf Asyl auch für Deserteure der russischen und der ukrainischen Armee. Niemand darf zum Krieg gezwungen werden. Wir müssen uns als Partei vor Ort für die ankommenden Geflüchteten einsetzen, bei der Ankunft, Wohnungssuche oder Sprachkursen. Wir müssen Solidarität praktisch werden lassen! 

6. Solidarität mit der russischen Opposition

Wir sind solidarisch mit den Menschen, die in Russland für Frieden demonstrieren und aufgrund ihres Protests hohe Haftstrafen riskieren. Wir wollen dazu beitragen, Friedensbewegungen weltweit zu unterstützen und zu stärken. Dazu gehört u.a. auch, Gespräche mit Friedensbewegten zu suchen, statt etwa alle Gesprächsfäden nach Russland zu kappen. Wir verstehen das Bedürfnis danach, auch symbolische Zeichen zu setzen. Partnerprogramme auszusetzen, scheint uns aber keine geeignete Antwort auf die wachsenden Herausforderungen einer friedlichen Welt zu sein. Die russische Bevölkerung darf nicht mit Putins Angriffskrieg gemein gemacht werden. Antirussische Ressentiments bekämpfen wir daher in aller Entschiedenheit. 

7. Soziale Folgen weltweit abfedern

Die Ukraine ist das ärmste Land Europas. Ein Schuldenerlass würde dem Land auch eine Perspektive für die Zeit nach dem Krieg geben. Der Krieg hat aber aktuell auch für andere Länder dramatische Folgen: 29 Prozent der weltweiten Weizenexporte kommen aus Russland und der Ukraine, die Weizenpreise sind seit Kriegsbeginn um knapp ein Drittel gestiegen. Importierende Länder, die zuvor schon große Schwierigkeiten bei der Nahrungsmittelversorgung hatten, bekommen jetzt also noch größere Probleme. Wie so oft sind es die Ärmsten der Armen, die das am meisten zu spüren bekommen. Weizen darf jetzt unmittelbar nur für die Ernährung von Menschen bereitgestellt werden, andere Zwecke sind hintenan zu stellen. 

Gegen das Hungerleid der Einen scheinen die steigenden Benzin- und Energiekosten in Deutschland ein Luxusproblem zu sein. Aber auch hier, in einem reichen Land, trifft es insbesondere Menschen, die schon zuvor mit niedrigen Einkommen Sorgen vor dem Ende des Monats hatten. Für sie sind die auf allen Ebenen gleichzeitig stattfindenden Preissteigerungen existenziell. Das lässt sich mit Verweis auf den an der Tanke schäumenden SUV-Fahrer nicht abräumen. Für viele Pendler:innen gibt es noch keine Alternativen, weil der Nahverkehr eher ab- als ausgebaut wurde, die Ticketpreise sind zudem seit Jahren gestiegen und alles andere als erschwinglich. Wann wenn nicht jetzt wäre Zeit für eine komplette Umkehr: Statt Tankrabatte braucht es günstigeren oder gar kostenfreien Nahverkehr, die Mineralölkonzerne müssen bei ihrer Abzocke gestoppt werden.

8. Investitionen in Energiesouveränität statt Subventionen für abzockende Konzerne

Unsere Abhängigkeit von russischem oder US-amerikanischem Gas, Öl aus Saudi-Arabien u.a. ist spürbar geworden und die damit verbundenen Kriegsgefahren sind näher gerückt. In dieser Hinsicht wirft der Krieg einen Schatten voraus, auf das, was in den nächsten Jahrzehnten droht. Grundlegende Alternativen sind bisher kaum verankert und viele Menschen haben zurecht Angst davor, am Ende die Kosten aufgebürdet zu bekommen. 

Wir müssen zusammen mit der Klimabewegung nicht nur Widerstand gegen die Rückkehr zu fossilen Brennstoffen leisten, sondern die Chance für eine radikale Energiewende ergreifen, die sich von energieintensiven Wirtschaftszweigen abwendet und sozial abgesicherte Maßnahmen zur Reduktion des Energieverbrauchs im privaten Bereich erkämpft. Die 100 Milliarden Euro wären diesbezüglich besser investiert. Wir stehen vor der Herausforderung, konkrete Alternativen für einen Umbau der gesamten Weise des Wirtschaftens zu machen. Die Grünen denken Energiesouveränität letztlich als imperiales Projekt der EU und Deutschlands, das mit Standortpolitik für den Zugang zu Energie und Rohstoffen und mit Aufrüstung einhergeht. Beim notwendigen Umbau zu den Erneuerbaren Energien dürfen wir aber nicht vergessen, dass viele Technologien nicht ohne den umweltschädlichen Abbau von Erzen auskommen, die nur in wenigen Ländern verfügbar sind, wodurch neue rohstoffliche Abhängigkeiten und imperiale Konflikte entstehen. Es geht daher auch um eine wirkliche Mobilitätswende jenseits der Abhängigkeit vom Auto, um massive Energieeinsparung (was auch einen Umbau von Dienstleistungen und eine alternative Vision zur Digitalisierung beinhaltet), um demokratisch geplante regionale Produktion. Ohne eine globale Energiewende hat eine neue Friedensordnung keine Chance und umgekehrt werden die Profiteure des fossilen Kapitals – Konzerne wie autoritäre Regime – ihre Macht nicht einfach aufgeben. 

9. Breite Bündnisse und neue Friedensbewegung

Wir stellen uns nicht nur gegen Aufrüstung, wir werben vielmehr sogar für Abrüstung. Das tun wir bei den aktuellen Friedenskundgebungen, auch wenn diese Stimmen nicht überall gern gehört werden. Und es gibt mehr dieser Stimmen, als in den ersten Tagen nach Kriegsausbruch der Eindruck war. Wir suchen daher die Gespräche mit Bündnispartner:innen und werben auch bei den vielen Menschen, die momentan andere Antworten geben, aber noch nicht entschieden sind. Zweifel und Widersprüche gibt es derzeit nicht nur in den eigenen Reihen. Dabei geht es nicht nur darum, an welchen Stellen die jetzt für Aufrüstung eingeplanten Milliarden in Zukunft fehlen werden, sondern dass bereits die angebliche Notwendigkeit einer Aufrüstung falsch ist und der Teufelskreislauf der Militarisierung durchbrochen werden muss. Wir wollen die neue Friedensbewegung mit aufbauen und darin diese Position stärken. Wir wollen in diesen schwierigen Zeiten Pol der Hoffnung werden, für eine Welt ohne Kriege und Kapitalismus.