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Gedanken zur LINKEN nach der Bundestagswahl 2021

von Katharina Dahme, Mitglied im Ko-Kreis der BAG Bewegungslinke

Die Wahlniederlage hat viele Ursachen. Es ist oft gesagt worden: Externe Gründe gehören auch dazu, die meisten sind jedoch hausgemacht. In dem Haus DIE LINKE wohnen viele und das Fundament ist stabiler als manche nach den 4,9 Prozent befürchten. Rissig ist es trotzdem, weil die Gemeinsamkeiten, die nun wieder viele einfordern, in Frage gestellt wurden und auch weiterhin nicht von allen akzeptiert werden. Und weil zu wenige – um im Haus-Bild zu bleiben – das eigene Zimmer aufräumen und Gewissheiten in Frage stellen wollen, weil es keine Fehlerkultur in unseren Reihen gibt. Ein paar halbwegs geordnete Gedanken:

1. Trotz Einbruch der LINKEN ist das Ergebnis der Bundestagswahl kein Rechtsruck, sondern eine Linksverschiebung, zumindest dem Wähler:innenwillen nach, unabhängig davon, was nachher auf dem Koalitionspapier steht. Die FDP profitiert von der Krise der CDU ebenso wie von ihren Social-Media-Skills und der Hoffnung einer Pandemie-gebeutelten jungen Generation auf ein Leben ohne Einschränkungen, bei dem der Klimawandel technologisch gelöst werden kann (Stichwort: Freiheit statt Verbote). Die SPD war vor wenigen Monaten angesichts des miserablen Rückhalts unter jungen Leuten schon fast tot und profitierte am meisten von taktischen Wähler:innen, aber eben auch von einer nach außen einigen Partei, die mit einer – im besten Sinne sozialdemokratischen – Kampagne und gesetztem Kanzlerkandidaten ihr Potenzial ausschöpfen konnte. Die Grünen sind zwar angesichts der zwischenzeitlichen Kanzlerin-Träume enttäuscht, haben aber von der Klimawahl-Stimmung massiv profitiert und ein gutes Ergebnis eingefahren.

2. Ob SPD und Grüne wegen der Ampel wirklich viele Wähler:innen enttäuschen, bleibt abzuwarten. Und auch hinter der ewig vorgetragenen Gewissheit (auch von mir selbst), dass die SPD eh nicht umsetzt, was sie plakatiert hat, ist ein Fragezeichen zu setzen: Ein Viertel der neuen Abgeordneten der SPD sind Jusos, die Olaf Scholz zusammen mit der Parteiführung gehörig unter Druck setzen können. Das, plus die Dynamik, dass Erfolg anzieht und sich die Gewinne bei den Wahlen auch mit Blick auf kommende Umfragen verfestigen dürften, sind klare Signale an uns, dass es nicht reichen wird, die bessere SPD zu sein. Das Entscheidenste aber ist: Die Chance, von einer Ampel-Koalition enttäuschte Wähler:innen (zurück) zu gewinnen, haben wir eh nur, wenn wir selbst wieder eine attraktive Alternative werden.

3. Unser Wahlkampf war nahezu komplett auf soziale Themen ausgerichtet. Wer öffentlich das Gegenteil behauptet, hat irgendeine Rechnung zu begleichen, die auf Kosten der Partei gehen muss. Die Themen und Forderungen waren solide, haben den Konsens nach vorne gestellt. Rückblickend kann man aber feststellen, dass unsere Kampagne nicht geeignet war, sich von der inhaltlich wie gestalterisch guten Kampagne der SPD abzusetzen. Ein expliziteres Plakat zur Klimagerechtigkeit oder das klarere Aufzeigen von Alternativen, die an die Eigentumsverhältnisse rangehen, wären schön gewesen – ob es aber auch zu besseren Ergebnissen geführt hätte, weiß ich nicht. Auch warum mehr Radikalität bei den Forderungen schwankende Wähler:innen überzeugt hätte, uns statt Grüne oder SPD zu wählen, leuchtet nicht direkt ein. (Was nicht heißt, dass es nicht trotzdem zum Teil richtig sein kann, wir sollten nur nicht so tun, als wäre das die Lösung unserer Probleme.)

4. Viele Menschen verbinden uns mit dem Thema der sozialen Gerechtigkeit und finden uns sogar glaubwürdiger als die SPD. Auch ist vielen jungen FFF-Anhänger:innen bekannt, dass DIE LINKE das ambitioniertere Klimaprogramm hat als die Grünen. Uns wird aber die Durchsetzung nicht zugetraut. Zum Teil gibt es berechtigtes Misstrauen, dass wir mitregieren würden, wenn es rechnerisch möglich ist. Von verschenkten Stimmen war in unserem Wahlkampf manchmal die Rede. Stattdessen wolle man die Grünen in einer egal wie gearteten Koalition möglichst stark machen oder mit der Wahl der SPD den Laschet verhindern. Die von Teilen unserer Partei geführte Kommunikation #CDUrausausderRegierung half an der Stelle nicht, von der Wahl der LINKEN zu überzeugen. Nun finde ich es falsch, sich aus der Regierungsdebatte rauszuhalten, zumal die nicht von Parteiführungen angestoßen, sondern uns immer aufgedrückt wird, wenn es rechnerisch möglich ist. Deswegen: Ja, wir wollen den Politikwechsel, und zwar mit konkreten Forderungen und den Wendepunkten, wie im Wahlprogramm beschlossen, die Aussicht geben auf grundlegende Veränderungen. Das haben wir zu wenig rübergebracht. Stattdessen gaben wir das Bild eines Auswechselspieler am Rande des Spielfeldes ab, der wild mit der Hand wedelt um ins Spiel gebracht zu werden. Und um im Bild zu bleiben: Die Partei muss sich für eine eventuelle Regierungsbeteiligung kollektiv warmmachen, statt kalt erwischt zu werden, sonst droht ein verletzungsbedingter langer Ausfall. Und im Training gibt man alles, um zu überzeugen, und stellt nicht schon vorher in Aussicht, nur 50 Prozent abzurufen, weil sonst vielleicht der Mitspieler beleidigt ist und nicht mehr mitspielen will. (Genug der Fußballvergleiche, ich kann sowas eigentlich nicht leiden.) Im Wahlkampf muss die Partei die eigenen Stärken betonen und folgerichtig nicht nur CDU und FDP angreifen, sondern auch Unterschiede zu SPD und Grünen deutlich machen.

5. Ich hielte es trotzdem für falsch zu behaupten, dieses Vorgehen hätte uns am meisten geschadet oder Stimmen gekostet. Die Erfahrungen aus unseren Gesprächen am Infostand oder an Haustüren waren, dass uns mindestens ebenso viele (wenn nicht gar mehr) Menschen nicht glaubten, dass wir überhaupt bereit wären, Kompromisse einzugehen. Manche meinten, es wäre gut, nicht schon im Wahlkampf einzuknicken. Das stimmt zweifelsohne. Insbesondere bei jungen Menschen ist die Verzweiflung angesichts des Klimawandels jedoch groß und das Verständnis dem gegenüber gering, an der Haltung zu ihnen eher lebensfremden NATO-Fragen festzuhalten. Nicht selten werden unsere außenpolitischen Vorstellungen (und Abgeordnete, die sie damit in Verbindung bringen) als Grund genannt, uns nicht zu wählen. Nun darf es nicht darum gehen, allen Menschen nach dem Mund zu reden und die eigenen Vorstellungen über Bord zu werfen, wohl aber zu überlegen, welcher Teil der Kritik richtig sein könnte oder wo wir in der Vermittlung unserer Forderungen noch Luft nach oben haben.

6. DIE LINKE konnte weder in Bezug auf die sozialen Bewegungen der letzten Jahre profitieren, noch in Bezug auf die Corona-Pandemie und -Maßnahmen durchdringen. Das ist keine Naturgewalt, sondern Folge einer nicht einheitlichen Linie und Kommunikation. Es ist auch die Folge davon, dass manch Abgeordnete zwar laut und wahrnehmbar verbreiten, DIE LINKE erreiche Arbeiter:innen nicht mehr, selbst aber sehr leise und unsichtbar werden, wenn es konkret darum geht, Streikposten und Kundgebungen von Beschäftigten zu besuchen. Nicht wenige bekommen es nicht mal hin, in diesen Zeiträumen die Arbeit von Gewerkschafter:innen durch eigene Öffentlichkeitsarbeit zu unterstützen. Das muss Teil des politischen 1×1 einer/eines jeden Abgeordneten sein bzw. werden.

7. Die Krise der Partei löst man nicht, indem man auf die Herausforderungen unserer Zeit mit dem Personal von 2009 antwortet. Im Gegenteil: Es braucht nun integratives Personal, das für einen Neuanfang steht und das bereit ist, die Gemeinsamkeiten, die es in dieser Partei gibt, zu vertreten. Einzelne können in bestimmten Fragen anderer Meinung sein und auf Parteitagen um andere Mehrheiten ringen. Die öffentlichen Angriffe auf die Partei müssen aber enden – und von Fraktions- und Parteivorständen darf zurecht erwartet werden, dass sie entsprechend auf handelndes Personal einwirken. Genosse Sören Benn, mit dem ich sicher nicht in allem einer Meinung bin, hat es in seiner Wahlauswertung gut zusammengefasst, als er schrieb: „Wenn es einen Weg gibt, widerstreitende Positionen künftig so zu verhandeln, dass im Ergebnis nicht öffentlich aufeinander eingeschlagen wird, sollte dieser Weg endlich gegangen werden. Wenn es diesen Weg mit Sahra Wagenknecht und einigen anderen nicht gibt, bleibt zur Wiederherstellung eines konsistenten und wiedererkennbaren Politikentwurfes der Partei nur Unterwerfung oder Ablösung.“

8. Die Krise der Partei löst man auch nicht, indem man auf die Herausforderungen unserer Zeit mit einer Rückkehr zum Programm von 2009 reagiert. Insbesondere neben einer wieder erstarkten SPD wird es nicht ausreichen, sich auf das Thema soziale Gerechtigkeit zu reduzieren (man könnte meinen, unsere Wahlkampagne ist Beleg genug dafür gewesen). Das ist auch nicht originell, sondern rückwärtsgewandt und DIE LINKE würde bei Verfolgen einer solchen Strategie weiter geschwächt. Die vielen Mitglieder der Partei, insbesondere die neuen und jüngeren, die immer öfter für die aktive Basis vor Ort stehen, ist da viel weiter, wenn sie DIE LINKE als Partei für soziale UND Klimagerechtigkeit definiert. Ganz aktuell hat Klaus Dörre eindrücklich für eine solche Ausrichtung geworben: „Weltweit fällt die Klimaungerechtigkeit noch weit drastischer aus. Um es ganz deutlich zu sagen: Nur die zumeist erzwungene Tatsache, dass die unteren Klassen ihren Gürtel wegen sinkender Einkommen enger schnallen müssen, ermöglicht den Oberklassen ihre verschwenderischen Lebensstile. Deshalb ist der Kampf gegen Klimawandel und ökologische Zerstörung stets auch einer zugunsten der Armen und Benachteiligten. Dies allerdings nicht in einem Sinne, der soziale Gerechtigkeit zu einer Vorbedingung von Nachhaltigkeit machen würde, ohne die zerstörerische Wirkung ökologischer Destruktivkräfte wirklich ernst zu nehmen. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Klimawandel und Ressourcenverschwendung müssen bekämpft werden, um die Lage der Ärmsten nicht noch unerträglicher zu machen.“

9. Weniger festgelegt, eher suchend – und doch relativ sicher bin ich, dass die Krise der LINKEN im Osten nicht gelöst wird, indem man wieder stärker das Profil der Partei des Ostens pflegt. Der selbstbewusste Ansatz von Aufbruch Ost, der die Zuschreiben der Ossis als Wendeopfer abzulösen versucht hat, ist mir sympathisch und in Verbindung mit häufiger werdenden betrieblichen Auseinandersetzungen sicherlich ein Fortschritt, auch weil er aus Objekten handelnde Akteure macht und das Gefühl vermittelt, dass es sich zu kämpfen lohnt. Unsere Kommunikation entspricht dem aber nicht oder mit unklarem Ausgang: „Nehmt den Wessis das Kommando!“ ist eine schöne Spitze im Kabarett-Programm, aber keine Ansage einer sozialistischen Partei, wie sie sich Eingriffe in Eigentumsverhältnisse eigentlich vorstellt. Vielleicht bin ich da auch zu engstirnig oder nicht locker genug, aber ich konstatiere als junge Frau mit Ost-Hintergrund und großer soziokultureller Identifikation, dass mich die Versuche meiner Partei in den Ost-Ländern bisher nie abgeholt und eher abgeschreckt haben. Mein Gefühl sagt mir (das ist zugegeben keine Wissenschaft), dass es für verlorene Wähler:innen nicht wahlentscheidend ist, deswegen zurückzukehren und dass jüngere das sogar mehrheitlich altbacken empfinden. Vielleicht liege ich aber falsch, das bringt mich zum nächsten Punkt:

10. Wir brauchen eine andere Diskussionskultur in der Partei, insbesondere eine Fehlerkultur, die uns – das wird nach diesem schlechten Wahlergebnis besonders deutlich – komplett abhanden gekommen zu sein scheint. Es wäre jetzt wichtig, über Kritik und Fehler zu reden, weil wir nur besser werden, wenn wir aus dem Wahlkampf etwas lernen. Stattdessen: Still ruht der See seit dem 26.09., und das nicht, weil die Kritik nicht existent wäre, sondern weil jede und jeder befürchten muss, dass aus Eingeständnissen von Fehlern politisches Kapital im innerparteilichen Machtkampf geschlagen wird. Oder anders formuliert: Da gibts eine ganze Reihe von Leuten, die jetzt den Bundesgeschäftsführer oder Parteivorsitzende abschießen wollen, aber bevor dann die Luft auch für die Fraktionsspitze dünner wird, verhält man sich lieber (erstmal!) ruhig, um die eigenen Posten nicht zu gefährden. Es droht also munter so weiterzugehen in der Fraktion, wie es aufgehört hat: mit dem Hufeisen. Auf der Strecke bleibt dabei die Partei.

11. Wir brauchen eine systematische Bearbeitung der strukturellen Schwächen der LINKEN – im Osten, wo wir von Wahl zu Wahl weiter einbrechen, und im Westen, wo wir in den letzten Jahren nur punktuell zulegten, zum Teil stagnierten, und jetzt erstmalig auch stark verloren haben. Parteiaufbau kann nicht nur das Werk unermüdlicher Aktiver vor Ort und von unten sein, sondern muss Chef:innensache in den Landesverbänden sein. Jede:r Abgeordnete muss sich auch daran messen lassen, wie sich Aktivitäten und Mitgliederzahlen im eigenen Kreisverband entwickeln, ob die Partei sichtbar und erlebbar ist, ob sie Anlaufpunkt für Bürger:innen und Bündnispartner ist, Hilfe zur Selbsthilfe gibt, usw.

12. Ich nehme in der Partei ein verzerrtes Bild wahr, was Bewegungsorientierung bedeutet (nicht nur bei denen, die dagegen wettern, mitunter auch bei Bewegungsorientierten selbst): Bewegungsorientierung heißt weder, dass die Partei Bewegung sein soll, noch setzt sie bedingungslose Folgschaft voraus. Bewegungsorientierung bedeutet, die Kämpfe unserer Zeit als Ausdruck von Auseinandersetzungen um Kräfteverhältnisse in der Gesellschaft ernst zu nehmen. Eine bewegungsorientierte Partei zu sein, ist Grundvoraussetzung, selbst Akteur im Ringen um Kräfteverhältnisse zu sein, es ist aber nicht alles. Selbstverständlich braucht es auch die Ansprache derjenigen, die sich nicht in Bewegungen organisieren oder repräsentiert sehen. Nur darf es nicht beim Appell bleiben. Abstrakte Debatten darüber, wen wir alles nicht mehr erreichen, schaden uns, wenn darauf keine konkreten Ideen folgen und die Erfahrungen, die beispielsweise bei Haustürgesprächen gemacht werden, nicht ausgewertet und ernst genommen werden. Insbesondere mit Blick auf die Verankerung in Betrieben und Gewerkschaften sind konkrete Ansätze gefragt.