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Für eine radikale Friedensbewegung – auf der Straße und im Parlament!

Beitrag von Ko-Kreis, BAG Bewegungslinke

Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine macht viele Menschen zurecht fassungslos. Tagtäglich finden Angriffe gegen Wohnviertel, zivile Infrastruktur und auch Krankenhäuser statt. Familien wurden auseinander gerissen. Millionen Menschen sind auf der Flucht, Tausende sind bereits gestorben. Die Verantwortung dafür trägt die russische Regierung.

Der Krieg ist das Ergebnis einer Weltordnung, die durch geopolitische Konflikte zwischen imperialistischen Mächten strukturiert ist, in der Staaten sich Einflusssphären sichern und eine Vormachtstellung bewahren. Erstmals seit 1989 ist eine militärische Konfrontation zwischen Atommächten eine denkbare Option. Wir brauchen deshalb nicht nur unmittelbare Antworten auf die Frage, wie der Krieg so schnell wie möglich beendet werden kann, sondern auch langfristige Ideen, wie wir in einer Welt ohne Kriege leben können und niemand wegen Hunger oder Tod aus der Heimat fliehen muss. 

Angesichts der komplizierten Lage in der Ukraine ist Besserwisserei jedoch nicht angebracht. Fragen müssen auch in unseren Diskussionen erlaubt sein. In der aktuell aufgeheizten Stimmung ist Widersprüchlichkeit normal. Und Widerspruch gleichzeitig absolut notwendig.

1. Für ein sofortiges Ende des Krieges in der Ukraine!

Wir fordern einen sofortigen Stopp der Kämpfe und die Weiterführung diplomatischer Verhandlungen für eine unverzügliche Waffenruhe und Frieden in der Ukraine. Die russischen Truppen müssen schnellstmöglich abgezogen werden. Verhandlungen zwischen der russischen und ukrainischen Regierung werden jedoch nur kurzfristig helfen. Es bleiben einerseits inner-ukrainische Konflikte und andererseits der übergeordnete Konflikt zwischen Russland und der NATO. Zudem ist das Bedürfnis vieler benachbarter Staaten nach einer NATO-Mitgliedschaft größer geworden. 

Dass nun die NATO aber zu einem Friedensbündnis verklärt wird, ist bestenfalls geschichtsvergessen. Auch sie ist ein imperialer Akteur mit geopolitischen Interessen, für das insbesondere die USA, aber auch andere Mitgliedstaaten Kriegsverbrechen begangen haben. Wenn sich etwa Olaf Scholz und Annalena Baerbock dieser Tage mit Erdogan und anderen Vertreter:innen der türkischen Regierung treffen, um ihre Partnerschaft zu zelebrieren, während gleichzeitig die türkische Regierung kurdische Gebiete bombardieren lässt, zeigt das die Doppelmoral deutlich auf. Allein in Afghanistan, Irak und Libyen hat der sogenannte Westen Kriege mit mindestens einer Million Toten und mehreren Millionen Vertriebenen geführt. Die militärischen Interventionen haben die Lage dort nicht verbessert, sondern eher dramatisch verschlechtert. 

Viele Linke irrten in ihrer Haltung und Einschätzung zu Russland. Sie irrten aber nicht in ihrer grundsätzlichen Kritik an der NATO. Daher bleibt die Forderung nach einem Sicherheitsbündnis, das Frieden garantiert und somit auch ein Post-Putin-Russland einbezieht, aktuell – auch wenn die Vorzeichen dafür komplizierter geworden sind. Sicherheit darf nicht militaristisch gedacht werden, Vertrauensbildung wird in Zukunft wichtig sein.

Wir kämpfen für eine Welt jenseits der Spaltung in imperialistische Lager, stehen weder an der Seite Russlands, noch identifizieren wir uns mit der NATO und ihren angeblichen Werten. Wir kämpfen an der Seite der Menschen für Demokratie und Frieden und zeigen uns solidarisch mit den angegriffenen Ukrainer:innen und den widerständigen Menschen in Russland.

2. Friede den Hütten! Enteignet die Paläste!

Bislang treffen die Sanktionen gegen Russland vor allem breite Teile der russischen Bevölkerung und noch nicht genug und gezielt die russische Führung.

In Russland gibt es über 200.000 Millionäre. Viele von ihnen haben in ganz Europa ihr Geld auf Bankkonten liegen oder bspw. in Immobilien investiert. So parken die reichsten 0,01 Prozent der russischen Bevölkerung, die etwa 13 Prozent des gesamten russischen Kapitals besitzen, 80 Prozent davon im Ausland. Sie alle könnte man auf eine Sanktionsliste setzen und ihre Güter beschlagnahmen. Sie tragen die russische Wirtschaft und bilden dadurch das politische Hinterland von Putin, welches letztlich bröckeln würde. Hilfreich wäre daher die Einführung eines internationalen Finanzregisters, um Transparenz herzustellen und somit den Zugriff für Sanktionen zu erleichtern. Dass es das bislang nicht gibt, ist kein unbeabsichtigtes Versäumnis, sondern Ausdruck mangelnden politischen Willens, da eine solche Vorgehensweise auch westliche Wirtschaftseliten zwingen würde, ihr Vermögen offen zu legen. 

3. Waffen schaffen keinen Frieden!

Dass viele Menschen aus dem Selbstverteidigungsrecht der Ukraine und der Solidarität mit der ukrainischen Bevölkerung auch eine Zustimmung zu Waffenlieferungen ableiten, finden wir verständlich. Trotzdem halten wir Waffenlieferungen für falsch und andere Maßnahmen für erfolgsversprechender den Krieg zu beenden, als eine Region auch mittelfristig mit noch mehr Waffen auszurüsten, die noch mehr Menschen töten werden. Auch in anderen Kriegen auf der Welt liefert die deutsche Bundesregierung keine Waffen an die angegriffenen Staaten. Auch nicht, wenn diese das Recht hätten, sich besser zu verteidigen, – etwa aktuell im Jemen, wo der Krieg auf unendliche Armut und Hunger trifft. Die Waffen, die die deutsche Bundesregierung derweil an die Ukraine lieferte, sind ein Tropfen auf den heißen Stein und dienen nur dem eigenen Gewissen – sowie der Ablenkung davon, dass viel wirksamer eingegriffen werden könnte, wenn ernsthafte harte Sanktionen gegenüber Russlands Reichen vorgenommen würden.

4. Gegen Aufrüstung und Militarisierung

Während die Möglichkeiten gezielter Sanktionen nur halbherzig genutzt werden, wird umso vehementer für Aufrüstung getrommelt. Keine Zeit für Zweifel, keine Zeit für Nachdenklichkeit: In Rekordzeit werden Aufrüstungsprogramme und Waffenlieferungen durchgepeitscht. Krieg erlebt als Mittel der Politik ein Revival. Kritische Stimmen haben es in diesen Zeiten schwer durchzudringen, nur langsam verschaffen sich Rüstungsgegner:innen wieder Gehör. Die von Olaf Scholz angekündigten 100 Milliarden Sondervermögen für die Bundeswehr sind grotesk. So hat sich der Verteidigungshaushalt die vergangenen Jahre jährlich erhöht, ohne dass sich das positiv auf die Ausrüstung der Bundeswehr ausgewirkt hätte. Schon jetzt gibt der Westen jährlich eine Billion Dollar für seine Militärapparate aus, schon jetzt sind die Armeen der NATO-Mitgliedsländer der russischen Armee überlegen – beides hat die Invasion in die Ukraine nicht verhindert. Auch eine deutlich stärker aufgerüstete Bundeswehr würde nicht an der Seite der ukrainischen Armee ins Geschehen eingreifen. Nicht zuletzt hätte sie dem drohenden Einsatz von Atomwaffen nichts entgegenzusetzen. Und die Aufrüstung wird die Bundesrepublik auch nicht energieunabhängiger machen. Der Plan von interessierten politischen Kräften und der Rüstungslobby, die Ausgaben für Waffen und die Bundeswehr aufzustocken, lag schon lange vor Ausbruch des Kriegs in den Schubladen. Die aktuelle Angst der Bevölkerung wird jetzt genutzt, die Pläne als notwendige Reaktion auf den Krieg zu verkaufen. 

5. Asyl für Geflüchtete und Deserteure

Wir fordern das Recht auf Asyl für alle Geflüchteten an den europäischen Außengrenzen. Das UN-Flüchtlingskommissariat (UNHCR) geht davon aus, dass aufgrund des Ukraine-Kriegs mindestens 4,5 Millionen Menschen aus ihrer Heimat vertrieben werden. Sie müssen jetzt unbürokratisch und schnell aufgenommen werden, aber auch Perspektiven über die erste schnelle Hilfsbereitschaft hinaus bekommen. Es darf dabei keine Unterschiede im Umgang mit Geflüchteten geben, denken wir etwa an die Tausenden Geflüchteten an der polnisch-belarussischen Grenze, die brutal abgewiesen wurden – oder die Geflüchteten in den griechischen Lagern auf Lesbos. Die Aufnahmebereitschaft der europäischen Staaten für die ukrainischen Geflüchteten zeigt die ganze Heuchelei beim Gerede um die sog. westliche Wertegemeinschaft. Während innerhalb von wenigen Tagen richtigerweise hunderttausende ukrainische Geflüchtete in Europa aufgenommen wurden, scheiterten die europäischen Staaten zuvor daran, wenige tausend Geflüchtete aus dem Nahen Osten oder Zentralafrika, die vor dem Krieg in ihrer Heimat flohen, aufzunehmen – wegen angeblich fehlender Kapazitäten.

Als Linke verteidigen wir das Recht auf Asyl universell. Wir fordern das Recht auf Asyl auch für Deserteure der russischen und der ukrainischen Armee. Niemand darf zum Krieg gezwungen werden. Wir müssen uns als Partei vor Ort für die ankommenden Geflüchteten einsetzen, bei der Ankunft, Wohnungssuche oder Sprachkursen. Wir müssen Solidarität praktisch werden lassen! 

6. Solidarität mit der russischen Opposition

Wir sind solidarisch mit den Menschen, die in Russland für Frieden demonstrieren und aufgrund ihres Protests hohe Haftstrafen riskieren. Wir wollen dazu beitragen, Friedensbewegungen weltweit zu unterstützen und zu stärken. Dazu gehört u.a. auch, Gespräche mit Friedensbewegten zu suchen, statt etwa alle Gesprächsfäden nach Russland zu kappen. Wir verstehen das Bedürfnis danach, auch symbolische Zeichen zu setzen. Partnerprogramme auszusetzen, scheint uns aber keine geeignete Antwort auf die wachsenden Herausforderungen einer friedlichen Welt zu sein. Die russische Bevölkerung darf nicht mit Putins Angriffskrieg gemein gemacht werden. Antirussische Ressentiments bekämpfen wir daher in aller Entschiedenheit. 

7. Soziale Folgen weltweit abfedern

Die Ukraine ist das ärmste Land Europas. Ein Schuldenerlass würde dem Land auch eine Perspektive für die Zeit nach dem Krieg geben. Der Krieg hat aber aktuell auch für andere Länder dramatische Folgen: 29 Prozent der weltweiten Weizenexporte kommen aus Russland und der Ukraine, die Weizenpreise sind seit Kriegsbeginn um knapp ein Drittel gestiegen. Importierende Länder, die zuvor schon große Schwierigkeiten bei der Nahrungsmittelversorgung hatten, bekommen jetzt also noch größere Probleme. Wie so oft sind es die Ärmsten der Armen, die das am meisten zu spüren bekommen. Weizen darf jetzt unmittelbar nur für die Ernährung von Menschen bereitgestellt werden, andere Zwecke sind hintenan zu stellen. 

Gegen das Hungerleid der Einen scheinen die steigenden Benzin- und Energiekosten in Deutschland ein Luxusproblem zu sein. Aber auch hier, in einem reichen Land, trifft es insbesondere Menschen, die schon zuvor mit niedrigen Einkommen Sorgen vor dem Ende des Monats hatten. Für sie sind die auf allen Ebenen gleichzeitig stattfindenden Preissteigerungen existenziell. Das lässt sich mit Verweis auf den an der Tanke schäumenden SUV-Fahrer nicht abräumen. Für viele Pendler:innen gibt es noch keine Alternativen, weil der Nahverkehr eher ab- als ausgebaut wurde, die Ticketpreise sind zudem seit Jahren gestiegen und alles andere als erschwinglich. Wann wenn nicht jetzt wäre Zeit für eine komplette Umkehr: Statt Tankrabatte braucht es günstigeren oder gar kostenfreien Nahverkehr, die Mineralölkonzerne müssen bei ihrer Abzocke gestoppt werden.

8. Investitionen in Energiesouveränität statt Subventionen für abzockende Konzerne

Unsere Abhängigkeit von russischem oder US-amerikanischem Gas, Öl aus Saudi-Arabien u.a. ist spürbar geworden und die damit verbundenen Kriegsgefahren sind näher gerückt. In dieser Hinsicht wirft der Krieg einen Schatten voraus, auf das, was in den nächsten Jahrzehnten droht. Grundlegende Alternativen sind bisher kaum verankert und viele Menschen haben zurecht Angst davor, am Ende die Kosten aufgebürdet zu bekommen. 

Wir müssen zusammen mit der Klimabewegung nicht nur Widerstand gegen die Rückkehr zu fossilen Brennstoffen leisten, sondern die Chance für eine radikale Energiewende ergreifen, die sich von energieintensiven Wirtschaftszweigen abwendet und sozial abgesicherte Maßnahmen zur Reduktion des Energieverbrauchs im privaten Bereich erkämpft. Die 100 Milliarden Euro wären diesbezüglich besser investiert. Wir stehen vor der Herausforderung, konkrete Alternativen für einen Umbau der gesamten Weise des Wirtschaftens zu machen. Die Grünen denken Energiesouveränität letztlich als imperiales Projekt der EU und Deutschlands, das mit Standortpolitik für den Zugang zu Energie und Rohstoffen und mit Aufrüstung einhergeht. Beim notwendigen Umbau zu den Erneuerbaren Energien dürfen wir aber nicht vergessen, dass viele Technologien nicht ohne den umweltschädlichen Abbau von Erzen auskommen, die nur in wenigen Ländern verfügbar sind, wodurch neue rohstoffliche Abhängigkeiten und imperiale Konflikte entstehen. Es geht daher auch um eine wirkliche Mobilitätswende jenseits der Abhängigkeit vom Auto, um massive Energieeinsparung (was auch einen Umbau von Dienstleistungen und eine alternative Vision zur Digitalisierung beinhaltet), um demokratisch geplante regionale Produktion. Ohne eine globale Energiewende hat eine neue Friedensordnung keine Chance und umgekehrt werden die Profiteure des fossilen Kapitals – Konzerne wie autoritäre Regime – ihre Macht nicht einfach aufgeben. 

9. Breite Bündnisse und neue Friedensbewegung

Wir stellen uns nicht nur gegen Aufrüstung, wir werben vielmehr sogar für Abrüstung. Das tun wir bei den aktuellen Friedenskundgebungen, auch wenn diese Stimmen nicht überall gern gehört werden. Und es gibt mehr dieser Stimmen, als in den ersten Tagen nach Kriegsausbruch der Eindruck war. Wir suchen daher die Gespräche mit Bündnispartner:innen und werben auch bei den vielen Menschen, die momentan andere Antworten geben, aber noch nicht entschieden sind. Zweifel und Widersprüche gibt es derzeit nicht nur in den eigenen Reihen. Dabei geht es nicht nur darum, an welchen Stellen die jetzt für Aufrüstung eingeplanten Milliarden in Zukunft fehlen werden, sondern dass bereits die angebliche Notwendigkeit einer Aufrüstung falsch ist und der Teufelskreislauf der Militarisierung durchbrochen werden muss. Wir wollen die neue Friedensbewegung mit aufbauen und darin diese Position stärken. Wir wollen in diesen schwierigen Zeiten Pol der Hoffnung werden, für eine Welt ohne Kriege und Kapitalismus. 

Thesen zur inhaltlichen und praktischen Weiterentwicklung der Partei DIE LINKE

Beitrag von Bernd Riexinger vom 17.2.2022*

Wenn vor dem Hintergrund der Wahlniederlage bei den letzten Bundestagswahlen über Erneuerung oder gar Neuerfindung unserer Partei gesprochen wird, sollten wir nachfragen, was damit gemeint ist. Was soll erneuert oder neu erfunden werden? Ist damit gemeint, die Orientierung auf eine mitglieder- und bewegungsorientierte Partei weiter zu treiben, die erworbene Kampagnenfähigkeit weiter zu entwickeln oder Kampagnen zu reduzieren? Soll die programmatische und inhaltliche Erweiterung zu einer Partei der konsequenten und radikalen Klimagerechtigkeit fortgesetzt oder eher auf die Kernfelder Sozialstaat und Frieden konzentriert werden? Soll der Ansatz der verbindenden Klassenpolitik weiterentwickelt und umgesetzt werden oder suchen wir andere Orientierungspunkte?

Natürlich müssen die Ursachen für die Wahlniederlage im September herausgearbeitet, Fehler benannt und korrigiert werden. Es ist jedoch nichts Neues, dass je nach Standpunkt und eigener politischer Verortung das Wahlergebnis unterschiedlich interpretiert und bewertet wird. Das ist nicht überraschend und passiert bei jeder Wahl. So kann z.B. betont werden, dass wir bei den Arbeiter*innen verloren haben und die AfD in dieser Gruppe stärkste Partei geworden ist. Weil wir diese Gruppe vernachlässigt hätten und grüner wie die Grünen sein wollten. Es kann aber auch darauf verwiesen werden, dass rund 28 Prozent der Gewerkschafter*innen die Grünen gewählt haben und dies wohl kaum darin begründet ist, dass die Grünen sozialere Politik machen als wir. Insgesamt sind rund 1,4 Millionen Wähler*innen zu den Grünen und der SPD gewechselt und kaum welche zur AfD. Aus der Interpretation des Wahlergebnisses können also unterschiedliche Schlüsse gezogen werden, wie es weitergehen und welche Richtung die Partei einschlagen soll. Es gibt jedoch unabhängig vom Wahlergebnis gesellschaftliche Aufgaben und Herausforderungen, denen sich die Linke stellen muss. Dazu will ich einige Thesen zur Diskussion stellen.

  1. Die Klimakatastrophe kann nicht mit bisherigen Krisen im Kapitalismus gleichgesetzt werden. Erstmals in der Geschichte kann die Menschheit ihre eigenen Lebensgrundlagen zerstören. Es ist bekannt, dass wir gerade noch 15-20 Jahre Zeit haben, um überhaupt noch das 1,5 Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens zu erreichen. Die bisherigen großen Krisen des Kapitalismus wurden in aller Regel durch die Herausbildung einer neuen Formation „gelöst“, mit der die Produktivität und das Wachstum gesteigert wurden, ohne die profitorientierte Wirtschaftsweise zu ändern. Wachstum als eine wesentliche Auflösung der Widersprüche im Kapitalismus wird jedoch die Klimakatastrophe verschärfen. Schon jetzt ist erkennbar, dass die destruktiven Folgen profitorientierten Wachstums weitaus bedrohlicher sind als der versprochene Wohlstandsgewinn, von dem die Mehrheit der Weltbevölkerung ohnehin ausgeschlossen ist. Ohne dass unser Austauschverhältnis mit der Natur auf eine andere Grundlage gestellt wird, also ohne Veränderung der Wirtschafts- und Lebensweise, wird das Klima nicht zu retten sein. Sozialökologischer Systemwechsel oder System Change statt Climate Change sind nicht nur Schlagwörter sondern Voraussetzungen, um die Klimakatastrophe zu verhindern. Alle Parteien, außer die der radikalen Rechten, müssen sich dem Problem der Klimakrise stellen. Das tun sie auch, jedoch in den engen Grenzen der Gesetzmäßigkeiten kapitalistischer Akkumulation. Die Linke kann weitergehende Antworten geben und Perspektiven aufzeigen, weil sie konkrete sofort umsetzbare Forderungen mit Einstiegen in eine andere (sozialistische) ökologisch verträgliche und soziale Gesellschaft verbinden kann. Dass wir auf dem Feld der Ökologie und der Klimagerechtigkeit nur geringe Kompetenzwerte bei den Wähler*innen zugeordnet bekommen, sollte uns anspornen, unsere inhaltlichen Positionen zu schärfen und offensiver zu vertreten.  Sonst laufen wir Gefahr, auch bis zur nächsten Bundestagswahl nicht genügend Vertrauen zu schaffen, dass DIE LINKE überzeugende und glaubwürdige Antworten auf die größte Krise unserer Zeit geben kann. Es ist nicht riskant zu prognostizieren, dass es große Brüche von Teilen der Klimabewegung und den Umweltverbänden insbesondere mit den Grünen geben wird. Ihnen ist bewusst, dass die Klimapolitik der Ampelkoalition deutlich hinter den Herausforderungen einer klimagerechten Politik zurückbleibt. Teile der Bewegungen formulieren heute schon die Erwartung, dass die Linke die Grünen von links mit einer klareren, radikaleren und konsequenteren Klimaschutzpolitik unter Druck setzt. Dieser Erwartung wollen wir gerecht werden. Ich bin überzeugt, an der Klimafrage werden sich Teile der heutigen und künftigen jungen Generation politisieren. DIE LINKE hat die Chance, Bündnispartnerin und eine wichtige politische Option oder gar ihre politische Partei zu sein. 
  2. Das gegeneinander ausspielen von sozialen und klimapolitischen Fragen können wir getrost den bürgerlichen, konservativen und rechten Parteien überlassen. Auch Grüne und SPD, die die Klimaschutzziele mit Wachstum und Wohlstand und „sozialem“ Ausgleich verbinden wollen, werden weder die Gerechtigkeits- noch die Klimakrise befriedigend lösen können. Ohne Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums sind die nötigen Investitionen nicht zu finanzieren. Die Hoffnung auf ungebrochenes wirtschaftliches Wachstum wurde noch bei jeder größeren Krise durch die Wirklichkeit zerstört und ist angesichts der Dramatik der Erderwärmung auch nicht erstrebenswert. Der dringend benötigte Pfadwechsel, der gegen die Interessen von Konzernen und deren Profitlogik durchgesetzt werden und mit neuen Eigentumsformen und einer grundlegenden Demokratisierung von Wirtschaft und Gesellschaft verbunden werden müsste, ist von dieser Regierung bestimmt nicht zu erwarten. Für die Linke ist Klimagerechtigkeit im doppelten Sinne eine soziale und Klassenfrage. Das gilt im nationalen und noch viel mehr im internationalen Maßstab. „Der ökologische Fußabdruck des Konsums eines Vermögenden aus dem obersten Prozent der Weltbevölkerung übertrifft den eines Angehörigen der ärmsten 10 Prozent um durchschnittlich das 175-fache“(Dörre S. 84). „Während die reichsten zehn Prozent der erwachsenen Weltbevölkerung mit ihren luxuriösen Lebensstilen 2015 sage und schreibe 49 Prozent der klimaschädlichen Emissionen verursachten, war die untere Hälfte nur für zehn Prozent verantwortlich. Die einkommensstärksten zehn Prozent der Haushalte von 26 europäischen Ländern sind für 27 Prozent der Emissionen verantwortlich, während die untere Hälfte der Haushalte etwa 26 Prozent der klimaschädlichen Gase verursacht“ (Dörre ff). Von den Folgen der Klimakatastrophe sind aber heute schon die unteren Einkommensgruppen am stärksten betroffen. Die Austrocknung der Böden und Überschwemmungen treiben Millionen Menschen in die Flucht. Lebensmittel werden teurer, wenn die landwirtschaftlich bebaubaren Flächen sinken und die Erträge geringer werden. Vorboten konnten wir im trockenen Sommer 2020 bereits erfahren. Die Verteilungskonflikte werden weltweit zunehmen. Der Kampf z.B. um das Wasser hat in verschiedenen Weltregionen längst begonnen. Der Kampf gegen die Klimakrise ist zugleich ein Kampf gegen die weltweite Armut, ja sogar eine zentrale Voraussetzung dafür. Deshalb ist die soziale Frage sehr viel umfassender zu beantworten, als es die Abwälzung der Kosten für Klimaschutz auf die Mehrheit der Bevölkerung vermuten lässt. Klimapolitik ist deshalb fester Bestandteil der sozialen Gerechtigkeit und eine Klassenfrage. 
  3. DIE LINKE kann ihre konkreten Forderungen mit einem Zukunftsentwurf einer sozialen, solidarischen und klimagerechten Gesellschaft verbinden. Von konkreten Reformvorschlägen bis hin zu ökosozialistischen Vorstellungen liegen die Vorschläge dafür längst auf dem Tisch. Die Elemente, die zu einem Ganzen verbunden werden müssen, erweitern unser bisheriges Hauptfeld der sozialen Gerechtigkeit durch Klimagerechtigkeit. Dazu gehören:

    a. Aufbau einer sozialen Infrastruktur und funktionierenden Daseinsvorsorge (Infrastruktursozialismus). Der massive Ausbau öffentlicher und gemeinwohlorientierter Güter und Infrastruktur bildet den Kern eines neuen Wohlstandsbegriffes, der nicht auf den Konsum schnell verschleißbarer Ressourcen fressender Waren orientiert, sondern auf den (gebührenfreien) Zugang zu Bildung, Erziehung, Gesundheit, Mobilität, bezahlbares Wohnen, usw.

    b. Sinnvolle Arbeit und Löhne, die für ein gutes Leben reichen. Dazu gehört auch, soziale Berufe und Arbeit mit personennahen Dienstleistungen aufzuwerten. Arbeitszeitverkürzung und gerechte Verteilung der Arbeit erhöht nicht nur den Zeitwohlstand, sondern leistet auch einen Beitrag zur Geschlechtergerechtigkeit.

    c. Soziale Sicherheit für alle, indem wir den Sozialstaat erneuern, klare Rechtsansprüche auf gleichberechtigte Teilhabe definieren und alle Menschen wirksam gegen die Risiken von Krankheit und Erwerbslosigkeit schützen und einen guten Lebensstandard im Alter garantieren.

    d. Radikaler Klimaschutz, mit schnellerem Ausstieg aus der Kohle, dem Ausbau regenerativer Energien, ökologisch nachhaltiger Landwirtschaft, energetischer Gebäudesanierung und einer nachhaltigen ökologischen Verkehrswende. International streben wir eine neue Weltwirtschaftsordnung an, die verantwortlich und nachhaltig mit den Ressourcen umgeht, Fluchtursachen zurückdrängt und Klimagerechtigkeit herstellt.

    e. Ökologische Transformation der Industrie. Notwendig ist eine Konversion klimaschädlicher Industrien mit Beschäftigungs- und Einkommensgarantien, wie auch mit mehr Demokratie in der Wirtschaft.
    f. Umverteilung von Einkommen und Vermögen ist eine zentrale Voraussetzung zur Finanzierung und Realisierung dieser Ziele. Es geht um Verteilungsgerechtigkeit und um die Herausbildung neuer Eigentumsformen.
  4. Die Präzisierung dieser Elemente eines sozialökologischen Systemwechsels liegt auf dem Tisch und ist teilweise auch in das Wahlprogramm aufgenommen worden. Beim Jahresauftakt wurde, medial gut berichtet, der sozialökologische Umbau in den Mittelpunkt gestellt. Das ist gut so. Entscheidend sind nicht nur die einzelnen Forderungen, sondern die Einbettung in einen gesellschaftlichen Zukunftsentwurf. Auch hierzu wurden theoretische Vorarbeiten geleistet (z.B die Bücher von Raul Zelik, Klaus Dörre oder mein eigenes zum Linken Green New Deal). Der Koalitionsvertrag der neuen Ampelregierung ist nicht einfach eine Fortsetzung der Politik der GroKo. In der großen Linie handelt es sich um ein Modernisierungskonzept des Kapitalismus, um eine Forcierung des für die Ökonomie anstehenden Transformationsprozesses. Dazu ist staatliches Handeln erforderlich, Investitionen in die Infrastruktur (z.B. Ladesäulen bei der Elektromotorisierung, die Modernisierung und Digitalisierung staatlicher Strukturen, Investitionen in Bildung und Infrastruktur). Den Ausstieg aus der fossilen Ära des Kapitalismus bezeichnet Olaf Scholz als den „größten Umbauprozess der Industrie seit 100 Jahren“. Dabei geht es der Ampelregierung nicht um Einstiege in eine andere, nicht profitgetriebene Form des Wirtschaftens, sondern um eine neue Formation und neue Regulation des Kapitalismus oder linkstheoretisch gesprochen: um ein neues Akkumulationsregime. Große Teile der Wirtschaft haben den Koalitionsvertrag gelobt, Manager großer Konzerne fordern ein höheres Tempo bei der Transformation. Wir dürfen nicht unterschätzen, dass das Versprechen auf wirtschaftliche Stabilität durch technologischen „Fortschritt“, verbunden mit etwas mehr sozialem Ausgleich (vorausgesetzt der Transformationsprozess verläuft krisenfrei, was eher unwahrscheinlich ist) und Klimaschutz, ohne dass sich allzu viel ändert, bei großen Teilen der sogenannten Mitte auf Zustimmung stößt. Deshalb führt die Politik der Ampelkoalition nicht zu einer zwangsläufigen Revitalisierung der Linken. Trotzdem gibt es genügend Angriffsflächen. Unsere Kritik muss fundiert sein und mit nachvollziehbaren Alternativen verbunden werden. Sie muss auch einer kapitalismuskritischen Erzählung folgen und Einstiege in eine andere solidarische Formation der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Organisation eröffnen. Das Programm der Ampel ist weder ausreichend noch geeignet, die zentralen Krisen unserer Zeit, wie die Klimakatastrophe oder die seit langem anhaltende Gerechtigkeitskrise, wirklich zu lösen. Das weitere Setzen auf Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit, also auch die Fortsetzung des Deutschen Exportmodells, konterkariert die Klimaziele und zieht enge Grenzen für den sozialen Fortschritt. Die Konzerne und Kapitalverbände müssen sich keine Sorgen machen.
  5. Die Mobilitätswende ist ein Schlüsselkonflikt und kann ein zentrales Einstiegsprojekt für DIE LINKE in den sozialökologischen Systemwechsel sein (Schade, dass der Begriff „linker Green New Deal“ nicht populärer gemacht wurde. Die Grünen verwenden ihn nicht und international steht er für die politische Linke und könnte Leitmotiv für die europäische Linke werden). Die Stoßrichtung ist relativ klar. Städte und Kommunen der kurzen Wege. Also möglichst viele Einrichtungen des alltäglichen Lebens sollen zu Fuß erreichbar sein. Gut ausgebaute Fahrradwege. Güterverkehr auf die Schiene. Massiver Ausbau der Investitionen in den ÖPNV und die Bahn. Senken der Ticketpreise mit dem Ziel kostenfreier ÖPNV. Damit sichern wir nachhaltige Mobilität für alle zu sozialen Bedingungen. Ebenso können wir die Interessen der Beschäftigten im Verkehrsbereich, wie Busfahrer*innen und Straßenbahnfahrer*innen, nach höheren Löhnen und besseren Arbeitsbedingungen herausstellen und im Sinne verbindender Klassenpolitik Bündnisse vor Ort zwischen Beschäftigten und Klimabewegung schmieden. Nachhaltige Mobilitätswende heißt, die Zahl der PKWs und LKWs stark zu reduzieren, was nicht ohne Folgen für die Beschäftigung in der Automobil- und Zuliefererbranche bleiben wird. Die Arbeitsplätze und Zukunftsperspektiven der Beschäftigten können uns keinesfalls gleichgültig sein. Bereits jetzt geschehen massive Angriffe durch Standortschließungen, Standortverlagerungen, meist in osteuropäische Länder, und massiven Arbeitsplatzabbau. Die Elektromotorisierung wird alleine schon die Vernichtung von mindestens 200 000 Arbeitsplätzen zur Folge haben. Ein verengter Blickwinkel auf ein weiter so, nur mit einem Antriebswechsel auf Elektromotoren, ist weder klimagerecht noch wird es mittel- und längerfristig die Arbeitsplätze der Beschäftigten, geschweige denn für die junge Generation sichern. Deshalb verbinden wir Transformation mit Arbeitszeitverkürzung und Konversion. Mario Candeias und Stephan Krull haben eine hervorragende Studie vorgelegt, wie über eine alternative industrielle Produktion in einer nachhaltigen Mobilitätsindustrie hunderttausende neuer Arbeitsplätze geschaffen und Beschäftigungsverluste in der Autoindustrie mehr als kompensiert werden können. Erhalt und Schaffung neuer Arbeitsplätze und konsequenter Klimaschutz stehen auch hier nicht im Gegensatz zueinander, aber durchaus in Gegensatz zu den Strategien der Automobilkonzerne. Ein Modernisierungskorporatismus zwischen Gewerkschaften und der Automobilindustrie kann deshalb nicht unser Ansatz sein.
  6. Diesen Ansatz einer alternativen Transformation können wir gut mit der Perspektive einer grundlegenden Demokratisierung der Wirtschaft durch Wirtschafts- und Sozialräte verbinden. Ein sozialökologischer Systemwechsel scheitert schnell an den Grenzen ökonomischer Entscheidungs- und Machtstrukturen, wie auch an den bestehenden Eigentumsverhältnissen. Die IG Metall hat in ihrer Satzung das Ziel der Wirtschaftsdemokratie verankert und fordert aktuell die Einrichtung von Transformationsräten. In den nächsten Jahren werden hohe Milliardensummen an staatlichen Geldern für die Transformation mobilisiert werden. Warum nicht die politische Forderung nach regionalen Transformationsräten stark machen und damit den Blick auf den Einstieg in eine andere demokratische Wirtschaftsweise stellen? Es gibt gerade die Überlegung, ob wir nicht in einigen Industrieregionen dazu aufrufen und es auch organisieren, dass alternative Transformationsräte gebildet werden, die über die Verwendung der staatlichen Gelder, über die Richtung von Investitionen und der anstehenden Transformation diskutieren, alternative Konzepte erarbeiten und in die politische Auseinandersetzung einbringen. Neben Gewerkschafter*innen können z.B. Vertreter*innen der Klimaschutzbewegung und von Umweltverbänden, von anderen sozialen Bewegungen, Verkehrsinitiativen, der Wissenschaft, fortschrittliche Kommunalpolitiker*innen, Städte- und Raumplaner*innen in einem solchen Rat mitarbeiten. Die Initiatorenrolle könnte z.B. die Rosa-Luxemburg-Stiftung übernehmen. Ein solcher Ansatz könnte Impulse für die betriebliche Konversionsdebatte auslösen, die es bisher kaum gibt. Es wäre zugleich ein Gegenangebot zum angekündigten Transformationsdialog der Regierung.
  7. Wesentliches Element eines sozial-ökologischen Systemwechsels ist ein am Gemeinwohl ausgerichteter Infrastruktursozialismus. Der Aufbau einer nicht an Markt und Wettbewerb, sondern an den Interessen und Bedürfnissen der Mehrheit der Menschen ausgerichteten sozialen und öffentlichen Infrastruktur. Damit entstehen solidarische und klimaneutrale Kommunen. Der weitgehend gebührenfreie Zugang zu guter Bildung- und Erziehung, bezahlbarem Wohnen, wohnortnaher Gesundheitsversorgung, digitaler Kommunikationsinfrastruktur, Energie, Kultur, Sport und auch nachhaltige Mobilität sind wesentlicher Bestandteil eines neuen klimagerechten und sozialen Wohlstandsmodells und zugleich zentraler Baustein einer dezentralen ressourcenschonenden Ökonomie. Damit können zugleich Millionen sinnvoller und ordentlich bezahlter Arbeitsplätze entstehen. Gerade unsere Partei hat dazu bereits wichtige inhaltliche Positionen erarbeitet. An dieser Stelle geht es in erster Linie um die Verknüpfung mit einer gesellschaftlichen Perspektive, in der die Funktionsweise eines destruktiv und gefährlich gewordenen Kapitalismus überwunden wird.
  8. So wichtig es ist, dass DIE LINKE klare Linien für ihre Politik der nächsten Jahre zieht, die den Umbrüchen unserer Zeit gerecht werden, so wichtig ist es auch, dass sie sich in der Praxis niederschlagen und in den Betrieben und Gewerkschaften, in den Stadtteilen und Kommunen verankert werden. Deshalb ist es nur zu begrüßen, wenn die Kampagnen zur Pflege und zu bezahlbaren Mieten fortgesetzt und weiterentwickelt werden. Ebenso ein exemplarischer Aktionsschwerpunkt zur Klimakrise ins Leben gerufen wird, also Mobilitätswende. Der Bezugspunkt zu den Lohnabhängigen und besonders die Regulierung der Löhne und Arbeitsbedingungen von Millionen Beschäftigten in der Logistik, im Handel und der Paketzustellung ist so richtig wie dringend notwendig (zur Frage der Parteientwicklung verweise ich auf meinen Artikel zur Auswertung der Bundestagswahlen). Verbindende Klassenpolitik ist einerseits ein inhaltliches Selbstverständnis, anderseits das praktische Zusammenführen politischer Akteure, Gruppen, Initiativen und Bewegungen, um gemeinsame Interessen wirksam vertreten zu können. Es geht darum, ein Bündnis für den sozial-ökologischen Umbau und unteilbare Solidarität aufzubauen. 
  9. Die Partei hat sich in den letzten 10 Jahren erheblich erneuert. Die Mehrheit identifiziert sich mit dem Verständnis einer bewegungsorientierten Mitgliederpartei, die sich außerparlamentarisch in Betrieben, Gewerkschaften, Stadtteilen und Kommunen verankert  und sich inhaltlich und programmatisch weiterentwickelt hat. Große Teile der Mitglieder denken soziale Gerechtigkeit, Klimagerechtigkeit, Antirassismus, Feminismus, Kampf gegen rechts zusammen und vereinbaren diese Positionen mit einer sozialistischen Perspektive. Für sie ist auch klar, dass wir Friedenspartei sind und gegen Aufrüstung wie auch Auslandseinsätze stehen, wenn es auch in der Bewertung der Politik von Russland und China unterschiedliche Einschätzungen gibt. Deshalb geht es m.E. um eine Weiterentwicklung dieser Ansätze und nicht um eine Neuerfindung der Partei.

Dieser Beitrag entstand vor der Invasion russischer Truppen in die Ukraine. Daher spielt dieses Thema in dem Text keine Rolle, ist aber Inhalt eines zweiten Gastbeitrags von Bernd Riexinger: Krieg gegen die Ukraine: Intervention zur politischen Orientierung der Partei DIE LINKE.

Krieg gegen die Ukraine: Intervention zur politischen Orientierung der Partei DIE LINKE

Beitrag von Bernd Riexinger

Der  Einmarsch des russischen Militärs in der Ukraine ist ein Akt der Aggression, der unsägliches Leid für die ukrainische Bevölkerung verursacht und durch nichts zu rechtfertigen ist. Das Blutvergießen trifft auch russische Soldaten und die Bevölkerung in Russland wird für die Kriegskosten bitter bezahlen müssen. Sowohl der Widerstand in der ukrainischen Bevölkerung als auch die ersten Anzeichen russischer Proteste gegen den Krieg verdienen deshalb unsere volle Solidarität.

Es ist gut, dass Partei und Fraktion den Angriffskrieg von Russland auf das schärfste verurteilten und einen sofortigen Waffenstillstand und den Rückzug der russischen Truppen forderten. Auch das demütige Eingeständnis, dass unsere Partei den Krieg durch Russland nicht für möglich gehalten hat, war richtig und wirkt glaubwürdig. Noch wenige Tage, bevor die ersten Bomben fielen, hatten einzelne Fraktionsmitglieder  zu einer Kundgebung unter dem Motto „Sicherheit für Russland heißt Sicherheit für Deutschland aufgerufen“ und die Warnungen vor einem Einmarsch ins Reich der Märchenerzähler verwiesen. Was für eine verheerende Fehleinschätzung. Die Auseinandersetzung über das Verhältnis zu Russland beschäftigt die Partei seit ihrer Gründung. Die Rolle der Roten Armee bei der Befreiung vor dem Faschismus, die 27 Millionen Todesopfer durch den faschistischen Krieg und Terror, Not und Entbehrung, die dem Volk der damaligen Sowjetunion aufgezwungen wurden weltweit in der Linken nicht vergessen. Gerade in Zeiten des kalten Krieges war das keine populäre Haltung. Teile der Partei bewegten sich außerdem in der Traditionslinie des sowjetisch geprägten „realen Sozialismus“, der bis heute ihre Haltung zu Russland prägt. Unabhängig von der berechtigten Kritik vieler Linker am Charakter dieses Systems, hat in Russland eine neoliberal geprägte Transformation zum Kapitalismus stattgefunden. Das Putin Regime verkörpert einen autoritären Oligarchenkapitalismus, der mit einem erstarkten Nationalismus einhergeht. Dieses System hat mit linken Vorstellungen nichts zu tun, im Gegenteil, es geht weit hinter Maßstäbe selbst bürgerlich liberaler Demokratien zurück. Unter Putin hat Russland wieder eine aktivere Rolle in der Weltpolitik eingenommen. Dabei geht es um knallharte Interessen, die auch militärisch durchgesetzt werden. Tommaso Di Francesco von il manifesto, der schon die Entscheidung von Putin, die Unabhängigkeit von Lugansk und Donesk anzuerkennen, als „Akt der Gewalt“ und als abenteuerlichen Vorboten eines neuen Krieges bewertete, bezeichnet Russland als „von seiner ideologischen und militärischen Expansion angetrieben“. 

Bei einer überwiegenden Mehrheit der Mitglieder unserer Partei ist die Haltung zu Russland auf Grund der autoritären Entwicklung im Land und Russlands Außenpolitik (zu der seit einigen Jahren auch die Unterstützung rechts-autoritärer und nationalistischer Kräfte in verschiedenen Ländern gehört)  bereits seit längerer Zeit aus  differenziert und kritischer geworden. Wir sind Friedenspartei und nicht außenpolitische Interessensvertretung anderer Länder. Diese Haltung wurde oft als eine ‚Äquidistanz‘ kritisiert. Das ist eine Fehleinschätzung. Es ist keine Verharmlosung des US-Imperialismus, wenn Russland kritisiert wird. DIE LINKE wird jedoch unglaubwürdig, wenn sie an unterschiedliche imperiale Mächte unterschiedliche Maßstäbe bei Menschenrechten, Demokratie, sozialer Gleichheit und friedlicher Außenpolitik anlegt. Sie muss uneingeschränkt alle kriegerische und imperiale Politik kritisieren und bekämpfen. Schon um gegenüber den westlichen Politikern glaubwürdig zu sein, die mit völkerrechtswidrigen Kriegen der USA oder der NATO keine Probleme haben. Sie bedienen immer wieder die Erzählung, dass wir es mit dem ersten Krieg nach 1945 auf europäischen Boden zu tun hätten. Serbien, das 1999 unter tätiger Mithilfe der damaligen Rot-Grünen-Regierung, bombardiert wurde gehört jedoch genauso zu Europa wie die Ukraine.

Richtig war es, dass die LINKE-Bundestags Fraktion spätestens nach den Reden von Olaf Scholz und Friedrich Merz den Antrag der Ampelkoalition abgelehnt hat, der die Unterstützung der Ukraine in einer Art Hau-Ruck-Aktion mit einem massiven Aufrüstungsprogramm verband. Die Bundeswehr wird mit einem Sonderfond von 100 Mrd. Euro ausgestattet. Finanzielle Mittel werden innerhalb kürzester Zeit mobilisiert, denen sich diese und die Vorgängerregierung in sozialen Fragen, bei der Aufnahme von Geflüchteten oder bei der Entwicklungshilfe immer verweigert haben. Das Zwei-Prozent-Ziel der NATO soll übererfüllt werden und damit die Steigerung der Rüstungsausgaben auf über 70 Mrd. Euro.  Der Jubel der anderen Parteien bei dieser Ankündigung von Scholz im Bundestag ist befremdlich. Das gleiche gilt für die Genehmigung von Waffenexporten. Offensichtlich drohen gerade alle Dämme zu brechen. „Mit der historischen Entscheidung, tödliche Waffen zu liefern, und seiner Rede im Bundestag hat sich Olaf Scholz zum Kriegskanzler gewandelt“ schreibt Barbara Junge in der Taz, nicht ohne es als historische Ausnahmesituation zu bezeichnen. Gleichzeitig titelt die Taz: „Putin rüstet Deutschland auf“. Die Erzählung, dass bisher nicht aufgerüstet wurde und wir eine völlige Zäsur der deutschen Außenpolitik erleben ist nur zum Teil richtig. Die Mittel für die Bundeswehr wurden schon in den letzten Jahren gewaltig erhöht und das Zwei Prozent Ziel wurde auch seither nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Wahr ist auch, dass jetzt der letzte Widerstand in der SPD, z.B. gegen bewaffnete Drohnen gebrochen ist. Wie immer ringen die Grünen mit sich, um dann doch die gewaltige Aufrüstung mitzutragen. 

Auch wenn es schwer ist und derzeit eine Mehrheit der Bevölkerung die Maßnahmen der Bundesregierung unterstützt muss DIE LINKE Kurs halten und die Stimme der Vernunft gegen Aufrüstung und Militarisierung sein. Ein neuer Rüstungswettlauf erhöht nicht nur die Kriegsgefahr, er kostet auch Geld, das für andere Zwecke nicht mehr vorhanden ist. Außerdem ist die Kritik an der NATO nach wie vor berechtigt. Sie hat ihren Einflussbereich nach Osten erheblich ausgedehnt, sie ist kein Friedensbündnis, sie ist Teil des Problems, nicht der Lösung. Das darf jedoch nicht mit Rechtfertigung verwechselt werden. Auch der Hinweis auf berechtigte Sicherheitsinteressen von Russland rechtfertigt keinen verbrecherischen Krieg oder relativiert die Kritik an seinen Verursachern.

Gerade weil wir für Abrüstung, Verhandlungen, gegen Waffenexporte und Aufrüstung sind können wir nicht gleichzeitig gegen Sanktionen sein. Die bisherige Haltung „Sanktionen treffen die Bevölkerung, deshalb sind wir dagegen“ lässt sich nicht durchhalten. Deshalb ist es richtig, dass in unseren Antrag Sanktionen gegen Oligarchen und Kriegstreiber aufgenommen wurden. Wer könnte da ernsthaft etwas dagegen haben. Aber das wird nicht ausreichen. Die Ukraine wurde angegriffen und hat das Recht auf Selbstverteidigung. Waffenexporte an die Ukraine aber drohen das Blutvergießen zu verlängern; sie können sogar in eine direkte militärische Konfrontation mit Russland führen, uns in einen Krieg hineinziehen. Wer aber in dieser zugespitzten Situation eines Angriffskrieges auf Deeskalation setzt und Waffenexporte aus guten Gründen ablehnt, wird sofort mit der ebenso berechtigten Frage konfrontiert, wie denn Russland unter Druck gesetzt werden kann, einem Waffenstillstand zuzustimmen oder sogar den Krieg zu beenden. Wirtschaftliche Sanktionen sind der bessere Weg als der militärische. Natürlich werden die Sanktionen Putin unter Druck setzen. Auch wirtschaftliche Folgen, etwa infolge der Sanktionen gegen die russische Zentralbank, gehören da unvermeidlich dazu, da nur sie effektiven Druck erzeugen. Putins Wirtschaftspolitik hat es geschafft das Pro-Kopf-Einkommen Russlands unter das Niveau von Rumänien zu verringern. Der Lebensstandard der russischen Bevölkerung sinkt und wird durch den Krieg weiter sinken.

Es ist am Ende eine offene Frage und eine Frage der politischen Auseinandersetzungen in Russland, ob eine sich verschlechternde wirtschaftliche Lage auch zu wachsendem Protest gegen den Krieg führt; die Regierung Putins setzen sie allemal unter Zugzwang.

 Gezielte Sanktionen sind eine klare und letztlich die einzige derzeit politisch vermittelbare Alternative zu Waffenexporten. Sonst bleiben nur Appelle oder die Forderung Putin ein Angebot zu unterbreiten, das er nicht ablehnen kann. Was soll das sein? Friedensverhandlungen müssen schließlich zwischen der Ukraine und Russland stattfinden. Dazu ist ein Waffenstillstand dringend erforderlich. Das jedoch hat alleine Russland in der Hand, dessen kriegerischer Akt der Aggression nicht ohne Folgen bleiben darf. Wenn wir keine Aussagen treffen können, wie Druck auf Putin ausgeübt werden kann, wird es umso schwerer der Stimmung, „jetzt helfen nur noch Waffen“ und dem richtigen Appell, die ukrainische Bevölkerung nicht alleine zu lassen, etwas entgegen zu setzen.

DIE LINKE muss deshalb m.E. offen für gezielte Sanktionen mit Maß sein, die die russische Oligarchie treffen und zugleich einer unkontrollierbare Eskalationsspirale vorbeugen.

 Es ist übrigens auch nicht so, dass DIE LINKE vor unserer Parteigründung nicht für Sanktionen war. Natürlich haben wir die Boykottkampagne gegen das Apartheidsystem in Südafrika unterstützt und Hafenarbeiter, die südafrikanische Produkte nicht entladen haben. Dass Putin durch die eigene Bevölkerung gestoppt wird, wäre natürlich das Beste. Das wird jedoch nicht schnell geschehen und der Krieg ist längst in Gange. Dass Niko Popp in der Jungen Welt sagt, wenn die Linke auf Sanktionskurs geht, dann sei ihr Abmarsch in den Dienst des Imperialismus erfolgt ist eine bösartige Fehleinschätzung. Wir verbinden Sanktionen nicht mit Aufrüstung und Militarisierung, wie die meisten anderen Parteien, sondern mit dem Gegenteil: Mit Abrüstung und Friedenspolitik. 

Neben den bestehenden Sanktionen wäre z.B. die Beschlagnahmung eines relevanten Teils der Auslandsvermögen von russischen Oligarchen, wie sie mittlerweile auch anerkannte linke Ökonomen wie Paul Krugman oder Thomas Piketty auf unterschiedliche Weise ins Spiel bringen geeignet den linken Ansatz in dieser historischen Krise deutlich zu machen. Das oligarchische Vermögen könnte Faustpfand für den Abzug der russischen Truppen sein. 

Der Hinweis, dass die unteren Gruppen der Bevölkerung die damit hergehenden Energiepreissteigerungen bezahlen werden, kann nicht einfach übergangen werden. Hier ist es aber richtiger staatliche Unterstützung zu fordern, soziale Ausgleichsmaßnahmen, eine staatliche Preisregulierung gegen die Energiekonzerne und eine stärkere Belastung der Reichen. Es wäre eine Sackgasse wenn der Eindruck entsteht, dass Teile der LINKEN über Benzin- und Gaspreise diskutieren, während in der Ukraine Tausende von Menschen ihr Leben verlieren. Diesem Dilemma können wir entgehen, wenn wir deutlich machen, dass die immensen Milliardenbeträge für die Aufrüstung auf Kosten der sozialen Gerechtigkeit gehen werden. Die Milliarden für Aufrüstung sind für einen wirklichen europäischen sozial-ökologischen Umbau und einen Friedensplan besser aufgehoben als in Konfrontation und Milliarden für Rüstungskonzerne. Ohne eine andere sozial gerechte und klimagerechte europäische Wirtschaftsordnung kein Frieden in Europa und anderswo. Mit dieser Richtung kann die LINKE in der neuen, deutlich jüngeren Friedensbewegung wirken und deutlich machen: dauerhaftem Frieden stehen die Interessen der Oligarchen in Russland und Kiew, der EU und den USA entgegen. 

Neue Friedensbewegung

Zurzeit gehen Hunderttausende gegen den Krieg auf die Straße. Es ist richtig, dass DIE LINKE mit dazu aufruft und sich zugleich klar auf die Seite der „neuen“ Friedensbewegung stellt. Das ist je nach örtlicher Lage gar nicht so einfach, denn es gibt Misstrauen gegen DIE LINKE, wegen ihrer vermeintlichen oder teilweise tatsächlichen Kritiklosigkeit gegenüber Russland. Wir werden eher als Teil der „alten“ Friedensbewegung betrachtet, die die Bindung an die junge Generation verloren und in ihren Aufrufen- oder Aufrufentwürfen für die Ostermärsche teilweise kein kritisches Wort an die Truppenaufmärsche an der ukrainischen Grenze verloren hat. Ob sie  wieder Zugang zu den Menschen bekommen wird, die derzeit auf die Straße gehen ist eine offene Frage und wird davon abhängig sein, ob sie glaubwürdig eine Korrektur ihres bisherigen Kurses vornimmt. Wir sollten uns s dafür nicht in Mithaftung nehmen lassen. Es ist völlig klar, dass sich ganz unterschiedliche Gruppen und Menschen mit zum Teil gegensätzlichen Vorstellungen auf den Straßen und Plätzen treffen. Da sind auch Forderungen nach Waffenlieferungen dabei oder Aufnahme der Ukraine in die NATO. Und natürlich, alles andere würde verwundern, versucht der herrschende Block sie zu vereinnahmen, Kritik an der NATO oder der Bundesregierung unter den Teppich zu kehren. DIE LINKE kann die klare Kritik an Russland verbinden mit der Kritik an Aufrüstung und Militarisierung, eine klare Stimme gegen einen erneuten Rüstungswettlauf sein. Auch die Gefahren der atomaren Bewaffnung können zu einem späteren Zeitpunkt wieder in den Vordergrund rücken. Putins Drohung, dessen Verhalten  irrational und gefährlich ist, macht deutlich welche Gefahren die Atombewaffnung darstellt, und dass ein Großteil davon auf die Länder in Europa gerichtet ist.

Viele der Hunderttausende, die jetzt auf die Straße gehen sind entsetzt über das Leid und Elend, das dieser Krieg verursacht. Sie sind zurecht empört über die Brutalität des Putin-Regimes und die Geringschätzung der Interessen der Menschen in der Ukraine. Sie wollen nicht tatenlos zusehen, wie wenige Flugstunden von uns entfernt ein blutiger Krieg geführt wird. Vielfach sind es die gleichen jungen Menschen, die auch gegen die bedrohliche Klimakatastrophe auf die Straße gehen. Das ist ermutigend. In welche politische Richtung das geht, wird nicht unwesentlich von unserer eigenen Haltung und Glaubwürdigkeit abhängen. Erste Umfragen zeigen, dass 25-30 Prozent der Bevölkerung den Aufrüstungsplänen kritisch gegenüber stehen. Bei den Anhänger*innen der Linken sind es 67 Prozent. Sie müssen in unserer Partei eine glaubwürdige Vertretung finden.

DIE LINKE auf die Straße: Für Frieden in der Ukraine!

Die Anerkennung der sog. Volksrepubliken und der Einmarsch Russlands in die Ukraine stellen eine neue Eskalationsstufe im Ukraine-Konflikt dar. Die Bezeichnung des russischen Einsatzes als „Friedensmission“ ist mehr als zynisch. 

Wir kritisieren den Einmarsch Russlands als Völkerrechtsbruch und fordern den russischen Staat zum Rückzug seiner Streitkräfte und zur Rückkehr zu diplomatischen Gesprächen auf. 

Klar ist aber auch: Wer vom Einmarsch Russlands in die Ukraine redet, darf auch von der NATO-Politik nicht schweigen, die dieser Zuspitzung voranging – ein Beispiel sind die Defender-Truppenübungen in Osteuropa. Die aktuelle Situation ist auch ein Ergebnis der Eskalationspolitik zwischen Russland und den NATO-Staaten. 

Als LINKE muss für uns klar sein, dass es weder dem russischen Staat um Friedenssicherung, noch den NATO-Staaten um Menschenrechte in der Ukraine geht. Das belegen sowohl die Kriegseinsätze der NATO in Jugoslawien, Afghanistan und Libyen als auch die russischen Kriegseinsätze in Tschetschenien, Syrien und Mali. Beide Mächte konkurrieren um ihre wirtschaftlichen Interessen und Einflusssphären in der Welt. 

Als LINKE stehen wir auf der Seite der Menschen, die unter dem Krieg leiden. Das betrifft sowohl die Bevölkerung im Donbass, in Lugansk und der restlichen Ukraine als auch die Bevölkerung in Russland. Wir fordern die Bundesregierung auf, Aufnahmekapazitäten zu schaffen, um Geflüchtete aus den betroffenen Regionen großzügig und ohne bürokratische Hindernisse aufnehmen zu können, falls es zu einer Fluchtbewegung kommt. Zudem muss sich die Bundesregierung statt für Sanktionen für eine Deeskalation in der Ukraine einsetzen. Deeskalation bedeutet u.a. 

  • ein sofortiger Abzug der russischen Streitkräfte aus der Ukraine, 
  • die Schaffung einer demilitarisierten Zone zwischen Russland und Osteuropa,
  • und ein koordinierter Abbau der Rüstungsausgaben, um die Gefahr einer militärischen Auseinandersetzung zu senken. 

Eine sichtbare und internationalistische Friedensbewegung ist nun dringender denn je. DIE LINKE als einzige Friedenspartei im Bundestag muss hierzulande die Menschen ermutigen, dass möglichst viele für Frieden in der Ukraine auf die Straße gehen. Nur mit unteilbarer Solidarität können wir den politischen Druck für eine diplomatische Lösung des Konflikts entwickeln. 

Was tun, um den Kompass neu auszurichten?

Beitrag von Thomas Goes

Die LINKE steckt in einer schweren Krise, die auf ungelöste Probleme und ungeklärte strategische Meinungsverschiedenheiten zurückzuführen ist. Es ist richtig, konkrete Kampagnen vorzuschlagen und zu einer intensiven Debatte einzuladen, wie Susanne Hennig-Wellsow und Janine Wissler es tun. Ohne die Krisenursachen zu bearbeiten, werden wir die Kurve aber nicht kriegen. 

Wir müssen uns mit den tieferen Ursachen unserer Krise auseinandersetzen. Dafür können wir aber nicht erstmal ein Jahr in uns gehen, um uns dann wieder zurück zum Dienst zu melden. Wir müssen sofort wirkungsvolle Oppositionsarbeit leisten. Denn ohne rebellische LINKE kann und wird es die notwendigen sozialen, ökologischen und demokratischen Wendepunkte in der deutschen Politik nicht geben.

Sofort wirksame soziale, ökologische und demokratische Opposition sein

Völlig verfehlt wäre es, wenn wir uns dabei auf einen einzelnen „Markenkern“ beschränken würden. SPD und Grüne dürften die Ansprüche eines Teils ihrer eigenen Wähler*innen und derjenigen, die von der LINKEN zu SPD oder Grünen wanderten, enttäuschen. Wir können in den nächsten vier Jahren an vier gesellschaftlichen Problemen ansetzen, um zu sammeln.

Erstens an der sozialen Krise: Die Ampel wird einige moderate Reformen durchführen. Einen wirklichen Zeitenwechsel wird es aber nicht geben (Händel 2021). Das grundlegende Verteilungsproblem, Armut, Rentenarmut, Unterbeschäftigung oder Prekarität, wird die Ampel nicht angehen. 

Zweitens an der ökologischen Krise: Die Ampel wird sich als ökologische Modernisierungskoalition profilieren, aber sie wird dafür zu wenig tun und das zu langsam. Sie wird auch zu wenig für die soziale Absicherung tun. Ganz sicher wird sich die Verteilungsfrage stellen: Wer zahlt was? 

Drittens an der demokratischen Krise: Es gibt einen Teil der Bevölkerung, der sich von „der Politik“ verlassen fühlt. Zuletzt ist es den Kräften rechtsaußen gelungen, sich als Vertretung der Ungehörten in Szene zu setzen – wir müssen das korrigieren. Ein zuspitzender Linkspopulismus ist notwendig, der die Rückeroberung und Ausweitung unserer Demokratie als Ziel ausgibt (vgl. Bussemer et al. 2021). 

Viertens können wir die Bedrohung der Repulik aufgreifen: Das nationalradikale politische Lager, das sich um die AfD gruppiert, wird die Klimaschutzpolitik und die versprochenen gesellschaftspolitischen Fortschritte der Ampelkoalition hart bekämpfen. Einen Showdown, bei dem Grüne und SPD als Garanten des Fortschritts, AfD & Co. als Bedrohung gelten, müssen wir verhindern. Das geht nur, wenn wir in dieser Auseinandersetzung nicht am Rand stehen, sondern den Kampf gegen die Rechte hoch gewichten.

Krisenursachen bekämpfen, nicht Genoss*innen

Wir müssen einen schmerzhaften, wenngleich solidarischen Klärungsprozess durchmachen, um einen wirklichen Neubeginn zu ermöglichen. Wird eine Krise nicht gelöst, verändert sie ihr Erscheinungsbild, sie kehrt wieder. Aus einer Mücke (z.B. einem Ausschussvorsitz) wird ein Elefant (eine große Auseinandersetzung, ein Stellvertreterkonflikt). Eine verschleppte Krise führt zu Niederlagenstimmung, zur Zersetzung der innerparteilichen Kultur. Wir haben drei Krisen in einer:

Eine Krise der strategischen Linie: Die von einer Mehrheit des Parteivorstands entwickelte Politik hat zur Herausbildung einer der Linie des Parteivorstands widersprechenden Minderheitenlinie geführt. Als „sozialkonservative Politik“ wird sie am schärfsten von Sahra Wagenknecht entworfen. Würde dieser Politikansatz führend in der LINKEN, so der Soziologe Klaus Dörre, wäre das das Ende der LINKEN in ihrer heutigen Form, dann „hätte die große Mehrheit der aktiven Parteimitglieder (…) keinen Platz (Dörre 2021).“ Selbstredend müssen in einer pluralistischen Partei Streitigkeiten einen Raum haben, aber die permanente öffentliche Kritik beschädigt die Partei nachhaltig. 

Wir haben zweitens eine Krise der Repräsentation bzw. sozialen Verankerung: Es ist uns nicht gelungen uns schnell genug in Westdeutschland organisch in der Gesellschaft zu verankern. Im Osten verlieren wir – schon aufgrund der demografischen Entwicklung, aber auch aufgrund wirtschaftlicher und sozialer Veränderungen – rasant an Rückhalt. An falschen Leitlinien des Parteivorstandes liegt das meiner Ansicht nach nicht, eher an ihrer noch geringen Umsetzung in konkrete Politik. Natürlich gibt es Kreisverbände, die dem Ideal einer „aktiven Mitgliederpartei“ recht nahekommen, die einladende Kampagnenarbeit macht, deren Mitglieder als Teil ihres Parteilebens in Bewegungen aktiv sind, die eigene kommunalpolitische Anliegen durch außerparlamentarische Initiativen ergänzt und die eine zuspitzende Öffentlichkeitsarbeit macht. Aber ganz sicher ist das nicht die Regel.

Wir müssen systematisch daran arbeiten, den isolierenden Ring zu sprengen, der unsere Partei umgibt, und der uns von denen trennt, für und mit denen wir politisch arbeiten wollen. Der Ring nährt sich aus verschiedenen Quellen, aus den Angriffen und Verleumdungen unserer Gegner, aus Vorurteilen, aus unseren eigenen Fehlern, teilweise aus einer Nicht-Erlebbarkeit unserer Partei, aus eigener Tatenlosigkeit, manchmal aus Sektierertum und Opportunismus, zuweilen durch unsere Zerstrittenheit: Dafür brauchen wir eine gemeinsame Auswertung dessen, was gut läuft und was schlecht läuft. Wir müssen uns dringend eingehender mit Leuchttürmen der Parteientwicklung und mit Gliederungen beschäftigen, in denen die Partei stagniert oder besonders an Rückhalt verliert. Was tun Kreis- oder Landesverbände, in denen ein aktives Mitgliederleben entsteht, ein Mitgliederplus entsteht und im mittellangen Blick zurück sich auch die Wahlergebnisse gut entwickelt haben? 

Wir brauchen außerdem dringend einen Ostratschlag, in dem in erster Linie ostdeutsche Genoss*innen mit dem Parteivorstand darüber beraten, wie eine Wende in der Mitgliederentwicklung, eine Wiederbelebung des Parteilebens möglich wäre. Und wir brauchen eine Task-Force NRW, die daran mitwirkt, den Landesverband im bevölkerungsstärksten Bundesland zu stabilisieren und aufzubauen.

Wir sollten mit konkreter Solidaritätsarbeit experimentieren, wie sie etwa von der belgischen Arbeiter*innenpartei (PTB) oder der KPÖ Graz vorgemacht wird. Menschen erleben ihren Alltag oft vereinzelt und in Wettbewerb zueinander, insbesondere die ärmeren Schichten sind damit beschäftigt, „über die Runden zu kommen“. Lohnend wäre es, die eigenen Erfahrungen der LINKEN mit konkreter Solidaritätsarbeit aufzubereiten – und zu überlegen, was von der „Kümmererpartei PDS“ gelernt werden kann. 

Drittens haben wir eine Krise der Führung und Vertretung unserer Partei. In einer demokratischen Partei sollten die Mitglieder darüber entscheiden, was die Partei tut, indem sie an der Willensbildung teilnehmen. Parteitage legen die Ausrichtung und Marschrichtung fest, die Parteiführung muss diese im Alltagsgeschäft umsetzen, die Parlamentsfraktionen sollten Sprachrohre sein. Aber zwischen der Mehrheit unserer Bundestagsfraktion und der Mehrheit des Parteivorstandes (und nachweislich: der Partei) ist ein tiefer Vertrauensbruch entstanden. Gemeinsame Politik wird nicht entwickelt. Einladungen und Aufforderungen des Parteivorstandes an die Fraktionsvorsitzenden, in einer gemeinsamen Klausur die politische und strategische Ausrichtung zu entwickeln, wurden nicht beantwortet. Kurz: Die Bundestagsfraktion ist zu wenig Sprachrohr der Partei, zu sehr ist sie sogar gelegentliche Opposition gegen sie. Wir müssen die Opposition der Bundestagsfraktion, ihre Verselbständigung gegenüber dem Parteivorstand beenden.

Das bedeutet, dass die Partei in den nächsten vier Jahren zweigleisig vorgehen muss. Wir müssen in der Partei beraten, welches Verhältnis wir zwischen Fraktionen und Vorständen wollen und auf der Grundlage dieser gemeinsamen Beratung in vier Jahren neue Wahllisten in den einzelnen Ländern aufstellen (Gleis 1). Im Rahmen des zu wahrenden innerparteilichen Pluralismus brauchen wir Kandidat*innen, die ihre eigene Meinung nicht herunterschlucken, aber bereit sind, Mehrheitsentscheidungen der Partei zu akzeptieren und zur Basis ihrer Parlamentsarbeit zu machen. In der Zwischenzeit darf der Streit in der Öffentlichkeit nicht weiter eskalieren. Da es aber kaum Bereitschaft der Fraktionsführung gibt, die eigene Politik im Rahmen der Parteivorstandsentscheidungen zu entwickeln, wird es kein Ende der öffentlichen Reibungen geben. In den kommenden vier Jahren den Streit zwischen Bundestagsfraktion und Parteiführung öffentlich weiterzuführen ist aber kein gangbarer Weg. Das würde das Bild einer handlungsunfähigen und zerstrittenen Partei in der Öffentlichkeit zementieren, ohne zu einer Auflösung der Frontstellung beizutragen. Daraus entstünde kein Rücken-, sondern Gegenwind für die Erneuerung unserer Partei. Sinnvoll ist es deshalb, die Zeit zu nutzen, um der Partei eine gemeinsame Handlungsperspektive zu geben, also ein verbindendes politisches Projekt zu entwickeln , das auch in Kampagnen übersetzt wird und das ich im Folgenden ausführlicher darstellen werde (Gleis 2). Dafür muss der Parteivorstand stärker als bisher Initiativen ergreifen und „Gesichter der Partei“ in der Öffentlichkeit ausbilden. Dazu gehört durchaus auch, dass Alleingänge aus der Bundestagsfraktion zurückgewiesen und parteiintern diskutiert werden.

Strategische Entscheidungen: für eine linkssozialistische Partei

Wenn wir als Partei in Zukunft eine Rolle spielen möchten, müssen wir unser Profil als linkssozialistische Kraft schärfen. Wir wollen eine Partei sein, die gesellschaftliche Opposition stärkt und den Widerstand organisiert; eine Partei, die den demokratischen Sozialismus anstrebt und die eigene Tagespolitik als Weg dorthin begreift. Eine Partei, die deshalb auch – im Dialog und im Bündnis mit Bewegungen, Gewerkschaften, Basisinitiativen – im Hier und Jetzt gestalten will. „Die LINKE könnte diese eindeutig sozialistische Partei sein, die einerseits die Krisen beschreiben und verstehen kann. Und die anderseits mit einer Idee der Veränderung und Transformation auch dazu imstande ist, Hoffnung zu wecken. Die Partei, die die Alltagssorgen begreift und dabei den Horizont nicht aus dem Blickfeld verliert.“ (Ypsilanti 2021
Das wird nicht gehen, wenn wir als Ziel ausgeben, „die Mehrheit der Lohnabhängigen“ zu gewinnen, deren „breitgeteilte Interessen“ wir vertreten. Das wäre vielleicht schön, ist aber unrealistisch, und es führt zu falschen Akzentsetzungen in der Kampagnen- und Öffentlichkeitsarbeit. Dasselbe gilt für die Idee, wir müssten insbesondere das untere Drittel der Gesellschaft ansprechen. Beide Vorschläge verkennen nicht, dass es immense ideologische und politische Unterschiede in allen Schichten der Arbeiter*innen- und Mittelklasse gibt. Im Gegenteil, Genoss*innen, die diese Vorschläge machen, sind häufig der Meinung, dass gerade die Sozialpolitik dazu in der Lage ist, die Leute über diese Unterschiede hinweg zusammenzubringen. Viele sehen jedoch andere Themen  als potenzielle Störgrößen, die Unterschiede verstärken. In besonders rückschrittlichen Versionen dieser Vorschläge wird dann auch harte Kante gegen fortschrittliche soziale Bewegungen gezeigt. Diese Strategie setzt voraus, dass nur die soziale Frage wahlentscheidend ist oder bestimmt, an welcher Partei sich Menschen orientieren, welche sie unterstützen. Dem ist aber nicht so. 

Eine soziale Koalition aus Deklassierten, Arbeitnehmer*innenmitte und Hochqualifizierten schaffen

Natürlich müssen wir die Interessen der unteren Klassen vertreten. Wissenschaftlich solide Untersuchungen legen nahe, dass es insbesondere drei Milieus innerhalb der Arbeiter*innen- und Mittelklasse sind, die für uns offen sind: Erstens, das Milieu der eher angelernten, oft prekär lebenden Arbeiter*innen. Hier dominiert das Begehren nach sozialem Schutz, außerdem ist das Gefühl politischer Ohnmacht verbreitet. Das zweite uns gegenüber prinzipiell aufgeschlossene Milieu ist das der fortschrittlichen Arbeitnehmermitte. Hierzu werden eher gut qualifizierte Arbeiter*innen und Angestellte gezählt. Den wissenschaftlichen Untersuchungen zufolge steht den Menschen in diesem Milieu der Sinn nach sozialer Gerechtigkeit, aber auch nach Mitbestimmung und Demokratie. Sie sind offen gegenüber Umweltschutz und Geschlechtergerechtigkeit. Offen für unsere Politik ist schließlich drittens das Milieu akademisch qualifizierter Lohnabhängiger, das zunehmend an Bedeutung gewinnt, weil die Zahl der Abiturient*innen und Studierenden enorm gestiegen ist. Hier ist die Übereinstimmung mit den linkssozialistischen Elementen unseres Programms besonders groß. 

Um die Angelernten und Prekären konkurrieren wir insbesondere mit der AfD, um die fortschrittliche Arbeitnehmermitte vor allem mit der SPD (aber auch ein wenig mit den Grünen), um die fortschrittlichen Hochqualifizierten insbesondere mit den Grünen (aber auch mit der SPD). Wir sollten versuchen, alle diese drei Klassenmilieus für uns zu gewinnen, um ausreichend Anziehungskraft zu entwickeln. Dann ist es auch möglich, um Schwankende und Unentschiedene zu kämpfen.

Die Neugründung des Sozialstaats: Ein verbindendes Projekt

Gemeinsam ist allen drei Klassenmilieus ein Verlangen nach sozialer Gerechtigkeit und nach einem starken Sozialstaat. Aus diversen Studien wissen wir außerdem, dass das Gefühl, in der Bundesrepublik würden sich eher die Interessen von Reichen und Konzernen durchsetzen als die der gewöhnlichen Leute, weit verbreitet ist. Nur wenige glauben, dass unsere Demokratie reine Fassade sei, aber viele meinen, dass Unternehmen und Vermögende „den Ton angeben“.

Ein zentrales politisches Projekt, dass wir in das Zentrum unserer politischen Erzählung rücken, sollte deshalb die Neugründung unseres Sozialstaates sein – eines Sozialstaates, der Ungleichheit abbauen, Freiheit fördern und das Lebensglück maximieren soll. Da der Sozialstaat das Ergebnis von Klassenauseinandersetzungen ist, muss das Herzstück linker Sozialstaatspolitik deshalb sein, die Macht der abhängig Beschäftigten zu vergrößern, um die der Unternehmen zu verringern. Unser politisches Projekt darf dabei nicht nur ein „anti-neoliberales Zurück“ sein, sondern muss ein offensiver Vorschlag zur Neugründung des Sozialstaates sein. Diese Neugründung wäre auch ein Zwischenschritt auf dem demokratischen Weg zum Sozialismus und in unserer Öffentlichkeitsarbeit auf jeden Fall als „Bruch“ oder „Zäsur“ gegenüber dem Vorherigen anzulegen.

Um den Charakter des neuen Sozialstaates zu verdeutlichen sind drei Ergänzungen unserer „Sozialstaatserzählung“ wichtig:

Der Sozialstaat der Zukunft muss Klimaschutzstaat sein. In der heutigen Zeit, in der die Klimakatastrophe keine abstrakte Möglichkeit mehr ist, sondern greifbarer wird, muss die Neugründung des Sozialstaates mit stärkeren ökologischen Zielsetzungen verbunden werden. „Angesichts der Folgen des Klimawandels für „die da unten“ ist es ein soziales Thema per se.“ (Händel 2021) Der Sozialstaat muss einen Schutzschirm für die Beschäftigten schaffen und ein Motor für den Umbau der Wirtschaft sein – wer fordert, dass massiv in klimafreundliche Bereiche investiert wird, die den Menschen nützen wie etwa Pflege, Bildung oder Nahverkehr, fordert faktisch den staatlichen Ausbau einer Gemeinwohlökonomie.

Der Sozialstaat soll die Freiheit der Menschen fördern. Ich kann „frei von“ etwas, und „frei zu“ etwas sein. Der Sozialstaat soll beides leisten, die Freiheit von sozialen Nöten vergrößern, zudem aber die „Freiheit zu“ stärken. In diesem Sinne soll der Sozialstaat „Freiheitsgüter“[1] zur Verfügung stellen, die die Entfaltungsmöglichkeiten der Einzelnen fördern: Dabei kann es um die Freiheit der Bewegung gehen (indem wir Mobilität durch ausgebauten Nahverkehr und gute Straßen fördern), um Bildung (indem wir gleiche Entwicklungsmöglichkeiten durch ein gutes Schulsystem fördern) oder gute Renten. 

Der Sozialstaat kann die Macht der abhängig Beschäftigten stärken – oder die Macht der Unternehmer*innen. Wenn der Staat Leiharbeit und Befristungen fördert, macht er Beschäftigte verletzlicher. Er stärkt die Macht des Kapitals. Gelingt es uns, die Mitbestimmung zu stärken, dann stärkt das die Macht der Beschäftigten. Um Freiheit und Lebensglück für die Mehrheit und mehr Gleichheit zu erreichen, ist die Stärkung von Lohnabhängigenmacht gegen die Macht der Lobbys und Konzerne entscheidend. 

Der Kampf für eine solche Neugründung könnte nicht nur verschiedenen Teilen der Partei ein gemeinsames Projekt bieten, sondern auch die drei Klassenmilieus, die wir für uns gewinnen wollen, ansprechen und möglicherweise verbinden. Die Strategie, soziale, demokratische und ökologische Forderungen miteinander zu einer Kette zu verbinden, sollten wir deshalb konsequenter verfolgen als es in Wahlkämpfen bisher der Fall war. Denn Harald Wolf hat recht, wenn er bemerkt, dass unser erarbeitetes programmatisches Selbstverständnis eines Ökosozialismus „trotzdem nicht profibestimmend für die Partei und ihr öffentliches Erscheinungsbild“ (Wolf 2021, 2-6) waren.

Fähig werden, im Konflikt zu regieren

Die LINKE muss Widerstands- und Oppositionspartei sein, nicht allein, um Verschlechterungen zu verhindern, sondern auch, damit Lust und Energie für einen wirklichen politischen Aufbruch entstehen. Aber wir brauchen auch eine echte Machtoption, und das heißt: Wir müssen deutlich machen, dass wir dieses Land regieren wollen. Das Ziel einer linken Regierung, einer Regierung der Solidarität, muss Teil unserer Erneuerung sein.

Das gilt jedenfalls so lange kein neuer Sozialkahlschlag gemacht wird: Warum sollten uns Menschen wählen, wenn nicht zumindest die theoretische Möglichkeit besteht, dass ihre Anliegen auch in einer Regierung umgesetzt werden? Sie dürften dann eher beim Spatz in der Hand bleiben, also weiterhin SPD oder Grüne wählen. Oder sie werden weiterhin gar nicht zur Wahl gehen.

Die Bundestagswahl hat zwei Dinge sehr deutlich gezeigt. Eine zu starke Anbiederung an SPD und Grüne funktioniert nicht, weil die LINKE dann nicht mehr deutlich machen kann, weshalb uns Menschen, die Veränderung wollen, wählen sollten. Zu viel Harmonie lässt leicht den Eindruck entstehen, die Unterschiede seien nicht so groß. Aber genauso verkehrt ist die von anderen Teilen der Partei vertretene Haltung, die LINKE dürfe nicht regieren, müsse Oppositionspartei bleiben. Menschen, die einen Regierungswechsel wollen, wählen dann diejenigen, die den auch garantieren. Zwischen beiden Extremen, die beide dazu beitragen, die Wähler*innen von uns wegzumobilisieren, müssen wir einen realistischen Weg finden.

Im realistischen Szenario zeigen wir Regierungswillen und das auf offensive Art und Weise und nicht in der „Wenns-denn-sein-muss-„Version. Wir verbinden diesen Anspruch aber klar mit politischen Wendepunkten, durch die das Leben unserer Anhänger*innen wirklich verbessert würde. Nur wenn diese Wendepunkte in einer Regierung umsetzbar sind, sind wir bereit zu regieren. „Drunter machen wir es nicht“ (Gohlke/Müller/Seppelt 2021). Der Spagat besteht dabei darin, dass wir uns weder zum Steigbügelhalter für SPD und Grüne degradieren dürfen nach dem Motto „wenn SPD und Grüne ihr Programm umsetzen wollen, brauchen sie uns“, noch eine Regierungsbildung daran binden können, dass SPD und Grüne unser gesamtes Programm übernehmen. 

Regierungsfähig zu werden bedeutet vor allen Dingen, die Bedingungen dafür zu schaffen, auch gegen Angriffe und Gegenwehr zu bestehen. Dafür brauchen wir natürlich konkrete Reformprogramme, die wir umsetzen wollen, etwa im Sinne der oben beworbenen Idee einer Neugründung des Sozialstaates. 

Ebenso wichtig, wenn nicht wichtiger, ist aber die Fähigkeit der Partei, Konflikte zu organisieren und auch durchzustehen – sowohl als Partei in der Regierung, als auch gleichzeitig in den Parlamenten und in der Gesellschaft. 

Dafür braucht es eine Art „Plan to win“, einen eigenen Schlachtplan, der den erwartbaren Gegenwind der Rechten und Unternehmensverbände einkalkuliert. 

Wir brauchen ein entwickeltes Netzwerk zwischen der Partei, Teilen der Gewerkschaften und anderen sozialen Bewegungen, mit dessen Hilfe nicht nur gemeinsam für Reformen gekämpft werden kann, sondern durch das unsere Bündnispartner*innen auf die regierende LINKE auch Druck ausüben können. 

Und wir brauchen Personal, das nicht nur fachpolitisches Wissen, sondern auch strategische Kompetenzen und Konfliktfähigkeit erworben hat, um in einer Regierung ein rebellischer Garant sozialer und ökologischer Fortschritte zu sein.

Unsere Zukunft ist offen, unsere Probleme beinhalten auch Chancen. Um sie zu nutzen, müssen wir über die Schützengräben der Strömungen, die Animositäten der Netzwerke und die Beharrungskräfte der eingeschliffenen Gewohnheiten hinweg miteinander um unseren gemeinsamen Weg ringen. In diesem Sinne: „Bewegt euch, denn wir brauchen eure ganze Begeisterung. Organisiert euch, denn wir brauchen eure ganze Kraft.“ (Antonio Gramsci)

Dieser Artikel erschien zuerst in der Zeitschrift LuXemburg.