Wie sich DIE LINKE 2020 aufstellen muss

Ich bin angefragt worden, um über die aktuelle politische Situation, die Rolle der Partei und die Aufgaben der Bewegungslinken zu sprechen, insbesondere im Hinblick auf Erfahrungen und Anforderungen migrantischer Genoss*innen.

Von Elif Eralp, aktiv im Netzwerk Links*Kanax

Die aktuelle politische Situation ist geprägt von einem enormem Rechtsruck in Gesellschaft und Politik, besser gesagt: Der schon immer vorhandene Rassismus hat jetzt eine laute Stimme und eine parlamentarische Repräsentation, stärkere Mobilisierungskraft und mehr Ressourcen.

Rassismus findet verstärkt statt und zwar nicht nur in Form von Alltagsrassismus, sondern auch in den Medien, in den Parlamenten, also im öffentlichen Diskurs. Das bereitet den Boden für ein vergiftetes Klima, für häufigere Übergriffe und rechten Terror: Täglich werden 26 antisemitisch und rassistisch motivierte Straftaten in Deutschland registriert. Aktuelles Beispiel ist mal wieder Neukölln, das schon länger von einer rechtsextremistischen Anschlagsserie betroffen ist.

Dabei geht Antisemitismus häufig Hand in Hand mit antimuslimischem Rassismus. Jüngstes Beispiel dafür ist Halle, wo es wenn schon nicht jüdische Menschen in der Synagoge, dann wenigstens vermeintliche Muslime treffen sollte.

Während noch vor ein paar Jahren die Sensibilität für Rassismus und auch für Sexismus und andere Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit im Mainstream zuzunehmen schien, gibt es jetzt ein Rollback. Die letzten Jahre waren geprägt von dem Bild des Wutbürgers, mit dem man reden müsse und weiterhin prägen die Talkshows Themen, die den Islam problematisieren, pauschalisierend von „gefährlichen arabischen Familienclans“ sprechen, die meinen, es herrsche eine Diktatur der politischen Korrektheit und der Satz „das wird man doch wohl noch sagen dürfen“ ist wieder en vogue.

In diesem Szenario hat DIE LINKE. leider ein Stück weit versagt, weil sie vor allem wegen einiger prominenter Genoss*innen nicht mit einer einheitlichen Stimme der Solidarität gesprochen hat. Ihre Aufgabe ist es, klare Kante gegen rechts zu zeigen und dem autoritären, rassistischen und sexistischen Gesellschaftsmodell der Rechten ein solidarisches und offenes entgegenzustellen. Verständnis zu suggerieren, ist da völlig fehl am Platz. Auch haben die aktuellen Umfragen bei den Thüringen-Wahlen gezeigt, dass die Wählerschaft der AfD sie aus Überzeugung wegen derer rechter Positionen wählt und eben nicht primär aus Protest. Es sind keine verwirrten Schäfchen, die man mal eben abholen und eingemeinden kann. Statt der LINKEN konnten sich wegen dieser Streitigkeiten öffentlich die Grünen als der Gegenpart zur AfD profilieren, obwohl sie in der Migrationsfrage programmatisch rechts von der LINKEN stehen.

Dieser Streit und die „Migrationskritik“ einiger aus der Partei hat unter den Genoss*innen mit Migrationsgeschichte für große Enttäuschung und auch für Wut gesorgt. Wir haben auf einmal das Gefühl gehabt, dass unsere Partei in Teilen über „die Migranten“ als Problem spricht, so als gäbe es uns nicht, als wären wir, die wir jeden Tag an ihrer Seite gekämpft haben, nicht da. Es gab auf einmal so etwas wie ein „wir“ und ein „ihr“. Und zu so einer Situation darf es nie mehr kommen. Auch dafür haben wir im Sommer das migrantische Netzwerk links*kanax in und um die Partei gegründet. Und ein Hintergrund der Gründung der Bewegungslinken liegt ebenfalls in dieser Auseinandersetzung.

Es gibt eben nicht das Kernthema soziale Gerechtigkeit und die anderen identitären Themen, die nicht so wichtig sind und es gibt nicht das eine klassische weiße, eher traditionelle Arbeitermilieu, das angesprochen werden muss. Es gehört alles zusammen, bedingt sich und muss zusammen behandelt werden.

Abgesehen von den neuen gesellschaftlichen Herausforderungen ist es eben auch diese Vergangenheit, die eine Erneuerung der Partei notwendig macht.

Neben dem beschriebenen Rechtsruck ist zugleich die Zeit des sogenannten Wohlfahrtsstaats vorbei. Ohne Systemkonkurrenz ist der Kapitalismus brutaler geworden.  Niedrige Löhne, illegalisierte Beschäftigung, zu hohe Mieten, Verdrängung und Armut sind Alltag für viele Menschen. Der Kapitalismus führt global zur Zerstörung der Umwelt und damit unserer Lebensgrundlagen und zu Kriegen.

Auf der einen Seite stehen diese Krise und die negativen Entwicklungen, aber auf der anderen Seite haben auch soziale Bewegungen Aufwind und machen Hoffnung. Fridays for Future hat es geschafft, die Klimafrage in den öffentlichen Fokus zu bringen. Unteilbar hat viele Gruppen und Menschen vereint, um Rassismus etwas entgegenzustellen. Die Mietenbewegung und Enteignungskampagnen stellen die Eigentumsfrage und machen Druck gegen Verdrängung und soziale Ungerechtigkeit. Das sind und müssen noch stärker Anknüpfungspunkte für uns sein – für DIE LINKE. und vor allem für die Bewegungslinke! Denn gesellschaftliche Veränderung wird nicht zuvörderst in den Parlamenten, sondern in der Gesellschaft selbst erkämpft. Überall da, wo Widerstand ist oder sein muss, muss auch DIE LINKE. sein, in den Betrieben, in den Universitäten, in den Stadtteilen, sie muss in lokalen Initiativen und Bündnissen mitarbeiten, in die Konflikte vor Ort gehen und sie mit radikalen Forderungen zuspitzen.

Ich möchte daher die Bedeutung der migrantischen Communities für DIE LINKE. und die Bewegungslinke betonen. Migrant*innen und BPOC sind am meisten betroffen von Armut, von mangelnden Bildungschancen, von Verdrängung und Wohnungsnot. Und selbst vom Klimawandel, nicht nur global betrachtet, auch hier in Berlin beispielsweise ist die Feinstaub- und Lärmbelastung in den überwiegend migrantischen Bezirken wie Neukölln und Kreuzberg am höchsten.

All diese Themen muss die Partei zusammenbringen, die Zusammenhänge von Kapitalismus, Klimawandel und Rassismus runterbrechen auf die Situation vor Ort und hier eine gemeinsame Organisierung und Mobilisierung vorantreiben. Diese Themen müssen diskursiv und in der Praxis zusammen angegangen werden.

Diskursiv könnte das geschehen zum Beispiel durch Kampagnen, die sich mit den Arbeitsbedingungen der vielen Migrant*innen, gerade der Illegalisierten, in Pflege und in Gastronomiebetrieben auseinandersetzen und sie sichtbar machen. Da geht es um Bleiberecht und um ausbeuterische Arbeitsverhältnisse.

Die Mieten- und gerade auch die Pflegekampagne der Partei bieten da auch gute Anknüpfungspunkte für.

Gutes Beispiel für eine gemeinsame Praxis, die verschiedene Kämpfe zusammenbringt, ist auch die Kreuzberger Initiative Kotti & Co, der es gelungen ist, Protest von primär migrantischen Mieter*innen gegen Mietsteigerungen gemeinsam mit linken Aktivist*innen auf die Straße zu bringen.

Ein guter Anknüpfungspunkt kann zum Beispiel auch das Bürgerbegehren „Schule in Not“ sein, in dem sich auch Neuköllner Genoss*innen für die Rekommunalisierung der Schulreinigung in Berlin einsetzen. Dabei geht es um die Verbesserung der Situation an Schulen und um die prekären Arbeitsbedingungen von den primär migrantischen Reinigungskräften. Auch das hat Potential, Begegnungsräume zu schaffen und ist, was ich unter „verbindender Klassenpolitik“ verstehe.

DIE LINKE. und vor allem die Bewegungslinke müssen stärker Bündnisse mit antirassistischen Gruppen schließen und sich in diesen Gruppen, die vor allem von Menschen of Colour und Black People geprägt sind, engagieren. In Berlin allein und auch bundesweit gibt es zahlreiche davon. Und es gründen sich aktuell überall immer neue Gruppen, wie z.B. das BPoC Environmental and Climate Justice Kollektiv Berlin oder in Erfurt das Kanakistan-Kollektiv von „postmigrantischen Künstler*innen“. Da ist grad viel Bewegung.

Und es gibt auch Gruppen, die schon sehr lange politisch aktiv sind, mit denen sich DIE LINKE. viel stärker vernetzen müsste. Migrantische Vereine müssen aufgesucht und mit ihnen in den Dialog getreten werden. Aber die größte Herausforderung bleibt natürlich, die noch nicht aktiven Menschen zu gewinnen und gemeinsam für ihre und unser aller Interessen zu kämpfen.

Dafür muss in den Basisgruppen der Partei ein entsprechend offenes Klima herrschen, in dem sich neue Interessierte trauen mitzumachen und sich zu äußern. Sprachbarrieren in Sitzungen und Unterlagen müssen abgebaut werden, aber auch zum Teil Vorurteile. Neue Aktionsformate sind zu erdenken und zu erproben. Und für all das ist wichtig, dass in der Bewegungslinken von Anfang an viele Genoss*innen mit Migrationsgeschichte und of Colour mitmachen, dass sie in ihren Debatten, Podien und Publikationen präsent sind und eine Stimme haben. Natürlich ist auch wichtig, dass in der Partei auf allen Ebenen Genoss*innen of Colour entsprechend ihrem Bevölkerungsanteil vertreten sind.

Als links*kanax Netzwerk sind wir da auch noch am Anfang der Diskussion und hoffen mehr Anregungen für eine bessere migrantische Ansprache im weiteren Verlauf in die strategischen Debatten geben zu können.

Die Partei braucht aus vielerlei Gründen eine Erneuerung -wie wir uns hier einig sind- und Teil dieser Erneuerung muss eben auch sein, stärker die Erfahrungen migrantischer Genoss*innen in den Blick zu nehmen und mehr migrantische Communities für die Partei und vor allem für gesellschaftliche Veränderung nach links zu gewinnen.

Ich freue mich dabei zu sein und habe große Lust mich mit euch gemeinsam auf diesen Weg zu begeben!