Schlagwort: Bewegungslinke

Bewegungslinke-Reader zur Strategiekonferenz

Im Vorfeld der Strategiekonferenz haben in den vergangenen Monaten Neu- und Basismitglieder, Ehrenund Hauptamtliche, Kreisverbände, Strömungen und Bundesarbeitsgemeinschaften fast 300 Beiträge eingereicht. Die Konferenz selbst hat mehr Anmeldungen, als die Räumlichkeiten zulassen. Wir freuen uns über die große Beteiligung und das breite Interesse, denn wir halten es für wichtig, zentrale politische und für die Partei DIE LINKE richtungsweisende Fragen unter Einbeziehung möglichst vieler zu diskutieren. In diesem Reader wollen wir euch aus Sicht der Bewegungslinken einen kurzen Überblick über die Debatte geben und einige Beträge vorstellen, die, wie wir finden, besonders spannend sind – einige kommen aus unseren eigenen Reihen, andere finden wir richtig und manche regen uns zum Widerspruch und zur kontroversen Diskussion an. Natürlich gibt es noch viele weitere gute Beiträge, wir können jedoch hier nur eine beschränkte Auswahl präsentieren.

Welche zentralen Diskussionsstränge sehen wir?

Bereits beim Überfliegen der Autorinnen zeichnet sich eine Veränderung der letzten Jahre innerhalb der Partei ab: Neben der Bewegungslinken gibt es weitere neue Zusammenschlüsse und Netzwerke wie die BAG Klimagerechtigkeit und LinksKanax. Beide haben sich mit mehreren Beiträgen aktiv in die Debatte eingebracht (zwei davon in diesem Reader). Auch aus feministischen Zusammenschlüssen wurden Beiträge eingereicht.
Diese Themenfelder finden sich auch in vielen anderen Beiträgen wieder. So sind ökologische Fragen, Beteiligung von Migrant*innen, Feminismus und außerparlamentarische Arbeit Felder, die zunehmend mehr Einzug in die Debatte erhalten haben. Klima sticht als Thema mit am klarsten hervor und zieht sich durch mehr als die Hälfte der Beiträge. Wir teilen die Auffassung vieler Schreibender, dass DIE LINKE die soziale und ökologische Frage zusammenbringen muss (siehe dazu in unserem Reader den Beitrag zu Klima als verbindende Klassenpolitik und den Beitrag der BAG Klimagerechtigkeit). DIE LINKE wird von vielen als die zentrale Akteurin hervorgehoben, die gebraucht wird, um die ökologischen und sozialen Forderungen tatsächlich zusammen zu denken und die Systemfrage zu stellen. Nicht nur in der Klimafrage, auch in damit verknüpften Bereichen wie Wirtschaft und Soziales wünschen sich viele eine LINKE, die laut und deutlich zu ihren Forderungen steht und eine klare Vision eines demokratischen Sozialismus vertritt. Darüber hinaus befassen sich zahlreiche Beiträge mit der Machtfrage. Dabei geht es nicht nur um Pro- und Kontra-Regierungsbeteiligung, sondern – anhand von konkreten Beispielen wie Bremen, Berlin und Thüringen darum, wie und unter welchen Bedingungen diese sinnvoll sein kann. Weiter wird das Verhältnis
von außerparlamentarischer Bewegung und Regierung als Grundlage zu Veränderung diskutiert. Wir freuen uns über viele Beiträge, die Stellvertreterinnenpolitik kritisieren und dafür plädieren die Arbeit an der Basis zu stärken und gemeinsam mit sozialen Bewegungen, Arbeiterinnen, Mieterinnen und Klimaaktivistinnen zu kämpfen. Viele Beiträge beziehen sich auf konkrete transformative Projekte wie Mieterinneninitiativen, Kampf um Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs und betriebliche Organisierung und plädieren für eine LINKE, die an der konkreten Lebenswelt der Menschen ansetzt. In diesem Kontext wird auch in einigen Beiträgen eine linke Volkspartei, Populismus oder eine neue/ verbindende Erzählung, die im Alltag ansetzt und linke Ideen greifbar macht vorgeschlagen. Auch schließen wir uns zahlreichen Beiträgen an, die für eine lebendigere Parteikultur plädieren, in die sich mehr Mitglieder aktiver einbringen und die basisdemokratische Strukturen innerhalb der Partei stärken wollen. Die Ideen, um die sich die Bewegungslinke gegründet hat – verbindende Klassenpolitik, DIE LINKE als organisierende Partei, die Stärkung der lokalen Partei- und außerparlamentarischen Arbeit gegenüber Parlamenten und Fraktionen – sind also ein wesentlicher Bezugspunkt der strategischen Debatte um die zukünftige Arbeit der LINKEN geworden. Das äußert sich nicht nur in vielen Beiträgen, die mit unseren Forderungen übereinstimmen, sondern zeigt sich auch deutlich im dazu geäußerten Widerspruch. Wir freuen uns auf weitere Diskussionen dazu, wie wir gemeinsam dazu beitragen können, die Kämpfe der Arbeiterinnenklasse von der Mieterinnenbewegung über die Arbeitskämpfe von Krankenpflegerinnen bis zur Klimabewegung zu verbinden und zu stärken.

Die Beiträge in diesem Reader

Diese Frage steht auch im Mittelpunkt unserer Beiträge zur Strategiedebatte. Einen Überblick über die Lage der Partei und aktuelle Debatten gibt Raul Zelik (Thesen zur Strategiedebatte). Thomas Goes, Katharina Dahme und Mizgin Ciftci (Die Krise als Chance) diskutieren, wie wir als sozialistische Bewegungspartei die extreme Rechte und die Neoliberalen schlagen können. Violetta Bock, Michael Heldt, Sascha Radl und Nora Schmid (Das parlamentarische Schwert ist stumpf) schreiben über die Grenzen des Parlamentarismus und seine Auswirkungen auf die Praxis der Partei. Nicole Gohlke, Niema Movassat und Michel Brandt machen Vorschläge, wie die Bundestagsfraktion sich in den Dienst einer organisierenden und verbindenden Partei stellen kann. Felix Pithan (Warum eine Mitgliederpartei als Miniaturparlament nicht funktioniert) zeigt auf, wie sich die Praxis der LINKEN vor Ort von parlamentarischen Mustern befreien muss, um attraktiver für (neue) Mitglieder zu werden und unseren Ansprüchen als organisierende und verbindende Partei gerecht zu werden. Zum Schluss wird es konkret: Katharina Stierl, Rhonda Koch, Stefan Krull, Luigi Pantisano und NamDuy Nguyen (Klimapolitik als verbindende Klassenpolitik) schlagen vor, die in diesem Jahr anstehende bundesweite Tarifauseinandersetzung im öffentlichen Nahverkehr zu nutzen, um Klima- und Arbeitskämpfe zusammenzubringen.

Über die Reihen der Bewegungslinken hinaus haben wir einen Beitrag der AG Betrieb und Gewerkschaft aufgenommen (Die Perspektive abhängig Beschäftigter stärken): DIE LINKE muss ihre Verankerung in der Klasse stärken und eine politische Kultur entwickeln, die sie attraktiver für Aktive in Betrieben und Gewerkschaften macht. Christine Buchholz und Tobias Pflüger schreiben zur Rolle der LINKEN als Friedenspartei, die BAG Klimagerechtigkeit (Klimagerechtigkeit oder Barbarei) will nicht mehr “ja, aber..” hören, wenn DIE LINKE nach Klimaschutz gefragt wird. Ein Autorinnenkollektiv aus der Initiative Linkskanax schreibt darüber, wie wir zu einer antirassistischen und migrantischen Klassenpartei werden können und ein feministisches Autorinnenkollektiv will mehr Befreiung wagen und stellt die Strukturen, politische Kultur und programmatische Ausrichtung der Partei auf den Prüfstand. Bernd Riexinger (Partei eines sozialen und ökologischen Systemwandels) betont die Rolle von Verankerung und Organisierung, plädiert für verbindende Klassenpolitik, Klimaschutz als soziale und Überlebensfrage und will die Eigentumsfrage in den Blick nehmen. Die Autorinnen des Kollektiv linXXnet (Potentiale der Partei für emanzipatorische Basisbewegungen nutzbar zu machen) plädieren für eine Partei, die emanzipatorische Veränderung nicht von oben durchdrückt, ihr aber Rahmen und Moderation bietet. Lucy Redler (meine Vision der LINKEN 2020) zeichnet ein lebendiges Bild einer aktivistischen, kämpferischen Mitgliederpartei. Katalin Gennburg und Niklas Stoll (Eine neue verbindende Erzählung) plädieren für einen Populismus der 99% anstelle des Klassenbegriffs – das sehen wir als Bewegungslinke anders, fanden den Text aber spannend zu lesen.

Wir wünschen spannende Lektüre und freuen uns darauf, die Debatte mit euch fortzusetzen und unsere Ansätze gemeinsam in der Praxis zu erproben.

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Wie sich DIE LINKE 2020 aufstellen muss

Ich bin angefragt worden, um über die aktuelle politische Situation, die Rolle der Partei und die Aufgaben der Bewegungslinken zu sprechen, insbesondere im Hinblick auf Erfahrungen und Anforderungen migrantischer Genoss*innen.

Von Elif Eralp, aktiv im Netzwerk Links*Kanax

Die aktuelle politische Situation ist geprägt von einem enormem Rechtsruck in Gesellschaft und Politik, besser gesagt: Der schon immer vorhandene Rassismus hat jetzt eine laute Stimme und eine parlamentarische Repräsentation, stärkere Mobilisierungskraft und mehr Ressourcen.

Rassismus findet verstärkt statt und zwar nicht nur in Form von Alltagsrassismus, sondern auch in den Medien, in den Parlamenten, also im öffentlichen Diskurs. Das bereitet den Boden für ein vergiftetes Klima, für häufigere Übergriffe und rechten Terror: Täglich werden 26 antisemitisch und rassistisch motivierte Straftaten in Deutschland registriert. Aktuelles Beispiel ist mal wieder Neukölln, das schon länger von einer rechtsextremistischen Anschlagsserie betroffen ist.

Dabei geht Antisemitismus häufig Hand in Hand mit antimuslimischem Rassismus. Jüngstes Beispiel dafür ist Halle, wo es wenn schon nicht jüdische Menschen in der Synagoge, dann wenigstens vermeintliche Muslime treffen sollte.

Während noch vor ein paar Jahren die Sensibilität für Rassismus und auch für Sexismus und andere Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit im Mainstream zuzunehmen schien, gibt es jetzt ein Rollback. Die letzten Jahre waren geprägt von dem Bild des Wutbürgers, mit dem man reden müsse und weiterhin prägen die Talkshows Themen, die den Islam problematisieren, pauschalisierend von „gefährlichen arabischen Familienclans“ sprechen, die meinen, es herrsche eine Diktatur der politischen Korrektheit und der Satz „das wird man doch wohl noch sagen dürfen“ ist wieder en vogue.

In diesem Szenario hat DIE LINKE. leider ein Stück weit versagt, weil sie vor allem wegen einiger prominenter Genoss*innen nicht mit einer einheitlichen Stimme der Solidarität gesprochen hat. Ihre Aufgabe ist es, klare Kante gegen rechts zu zeigen und dem autoritären, rassistischen und sexistischen Gesellschaftsmodell der Rechten ein solidarisches und offenes entgegenzustellen. Verständnis zu suggerieren, ist da völlig fehl am Platz. Auch haben die aktuellen Umfragen bei den Thüringen-Wahlen gezeigt, dass die Wählerschaft der AfD sie aus Überzeugung wegen derer rechter Positionen wählt und eben nicht primär aus Protest. Es sind keine verwirrten Schäfchen, die man mal eben abholen und eingemeinden kann. Statt der LINKEN konnten sich wegen dieser Streitigkeiten öffentlich die Grünen als der Gegenpart zur AfD profilieren, obwohl sie in der Migrationsfrage programmatisch rechts von der LINKEN stehen.

Dieser Streit und die „Migrationskritik“ einiger aus der Partei hat unter den Genoss*innen mit Migrationsgeschichte für große Enttäuschung und auch für Wut gesorgt. Wir haben auf einmal das Gefühl gehabt, dass unsere Partei in Teilen über „die Migranten“ als Problem spricht, so als gäbe es uns nicht, als wären wir, die wir jeden Tag an ihrer Seite gekämpft haben, nicht da. Es gab auf einmal so etwas wie ein „wir“ und ein „ihr“. Und zu so einer Situation darf es nie mehr kommen. Auch dafür haben wir im Sommer das migrantische Netzwerk links*kanax in und um die Partei gegründet. Und ein Hintergrund der Gründung der Bewegungslinken liegt ebenfalls in dieser Auseinandersetzung.

Es gibt eben nicht das Kernthema soziale Gerechtigkeit und die anderen identitären Themen, die nicht so wichtig sind und es gibt nicht das eine klassische weiße, eher traditionelle Arbeitermilieu, das angesprochen werden muss. Es gehört alles zusammen, bedingt sich und muss zusammen behandelt werden.

Abgesehen von den neuen gesellschaftlichen Herausforderungen ist es eben auch diese Vergangenheit, die eine Erneuerung der Partei notwendig macht.

Neben dem beschriebenen Rechtsruck ist zugleich die Zeit des sogenannten Wohlfahrtsstaats vorbei. Ohne Systemkonkurrenz ist der Kapitalismus brutaler geworden.  Niedrige Löhne, illegalisierte Beschäftigung, zu hohe Mieten, Verdrängung und Armut sind Alltag für viele Menschen. Der Kapitalismus führt global zur Zerstörung der Umwelt und damit unserer Lebensgrundlagen und zu Kriegen.

Auf der einen Seite stehen diese Krise und die negativen Entwicklungen, aber auf der anderen Seite haben auch soziale Bewegungen Aufwind und machen Hoffnung. Fridays for Future hat es geschafft, die Klimafrage in den öffentlichen Fokus zu bringen. Unteilbar hat viele Gruppen und Menschen vereint, um Rassismus etwas entgegenzustellen. Die Mietenbewegung und Enteignungskampagnen stellen die Eigentumsfrage und machen Druck gegen Verdrängung und soziale Ungerechtigkeit. Das sind und müssen noch stärker Anknüpfungspunkte für uns sein – für DIE LINKE. und vor allem für die Bewegungslinke! Denn gesellschaftliche Veränderung wird nicht zuvörderst in den Parlamenten, sondern in der Gesellschaft selbst erkämpft. Überall da, wo Widerstand ist oder sein muss, muss auch DIE LINKE. sein, in den Betrieben, in den Universitäten, in den Stadtteilen, sie muss in lokalen Initiativen und Bündnissen mitarbeiten, in die Konflikte vor Ort gehen und sie mit radikalen Forderungen zuspitzen.

Ich möchte daher die Bedeutung der migrantischen Communities für DIE LINKE. und die Bewegungslinke betonen. Migrant*innen und BPOC sind am meisten betroffen von Armut, von mangelnden Bildungschancen, von Verdrängung und Wohnungsnot. Und selbst vom Klimawandel, nicht nur global betrachtet, auch hier in Berlin beispielsweise ist die Feinstaub- und Lärmbelastung in den überwiegend migrantischen Bezirken wie Neukölln und Kreuzberg am höchsten.

All diese Themen muss die Partei zusammenbringen, die Zusammenhänge von Kapitalismus, Klimawandel und Rassismus runterbrechen auf die Situation vor Ort und hier eine gemeinsame Organisierung und Mobilisierung vorantreiben. Diese Themen müssen diskursiv und in der Praxis zusammen angegangen werden.

Diskursiv könnte das geschehen zum Beispiel durch Kampagnen, die sich mit den Arbeitsbedingungen der vielen Migrant*innen, gerade der Illegalisierten, in Pflege und in Gastronomiebetrieben auseinandersetzen und sie sichtbar machen. Da geht es um Bleiberecht und um ausbeuterische Arbeitsverhältnisse.

Die Mieten- und gerade auch die Pflegekampagne der Partei bieten da auch gute Anknüpfungspunkte für.

Gutes Beispiel für eine gemeinsame Praxis, die verschiedene Kämpfe zusammenbringt, ist auch die Kreuzberger Initiative Kotti & Co, der es gelungen ist, Protest von primär migrantischen Mieter*innen gegen Mietsteigerungen gemeinsam mit linken Aktivist*innen auf die Straße zu bringen.

Ein guter Anknüpfungspunkt kann zum Beispiel auch das Bürgerbegehren „Schule in Not“ sein, in dem sich auch Neuköllner Genoss*innen für die Rekommunalisierung der Schulreinigung in Berlin einsetzen. Dabei geht es um die Verbesserung der Situation an Schulen und um die prekären Arbeitsbedingungen von den primär migrantischen Reinigungskräften. Auch das hat Potential, Begegnungsräume zu schaffen und ist, was ich unter „verbindender Klassenpolitik“ verstehe.

DIE LINKE. und vor allem die Bewegungslinke müssen stärker Bündnisse mit antirassistischen Gruppen schließen und sich in diesen Gruppen, die vor allem von Menschen of Colour und Black People geprägt sind, engagieren. In Berlin allein und auch bundesweit gibt es zahlreiche davon. Und es gründen sich aktuell überall immer neue Gruppen, wie z.B. das BPoC Environmental and Climate Justice Kollektiv Berlin oder in Erfurt das Kanakistan-Kollektiv von „postmigrantischen Künstler*innen“. Da ist grad viel Bewegung.

Und es gibt auch Gruppen, die schon sehr lange politisch aktiv sind, mit denen sich DIE LINKE. viel stärker vernetzen müsste. Migrantische Vereine müssen aufgesucht und mit ihnen in den Dialog getreten werden. Aber die größte Herausforderung bleibt natürlich, die noch nicht aktiven Menschen zu gewinnen und gemeinsam für ihre und unser aller Interessen zu kämpfen.

Dafür muss in den Basisgruppen der Partei ein entsprechend offenes Klima herrschen, in dem sich neue Interessierte trauen mitzumachen und sich zu äußern. Sprachbarrieren in Sitzungen und Unterlagen müssen abgebaut werden, aber auch zum Teil Vorurteile. Neue Aktionsformate sind zu erdenken und zu erproben. Und für all das ist wichtig, dass in der Bewegungslinken von Anfang an viele Genoss*innen mit Migrationsgeschichte und of Colour mitmachen, dass sie in ihren Debatten, Podien und Publikationen präsent sind und eine Stimme haben. Natürlich ist auch wichtig, dass in der Partei auf allen Ebenen Genoss*innen of Colour entsprechend ihrem Bevölkerungsanteil vertreten sind.

Als links*kanax Netzwerk sind wir da auch noch am Anfang der Diskussion und hoffen mehr Anregungen für eine bessere migrantische Ansprache im weiteren Verlauf in die strategischen Debatten geben zu können.

Die Partei braucht aus vielerlei Gründen eine Erneuerung -wie wir uns hier einig sind- und Teil dieser Erneuerung muss eben auch sein, stärker die Erfahrungen migrantischer Genoss*innen in den Blick zu nehmen und mehr migrantische Communities für die Partei und vor allem für gesellschaftliche Veränderung nach links zu gewinnen.

Ich freue mich dabei zu sein und habe große Lust mich mit euch gemeinsam auf diesen Weg zu begeben!

neues Deutschland: Raus auf die Straße, rein in den Betrieb

Mitte Dezember wird auf einer Tagung in Berlin die »Bewegungslinke« als Arbeitsgemeinschaft der Linkspartei gegründet. Rhonda Koch und Raul Zelik erklären, warum.

Das Netzwerk Bewegungslinke soll eine Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) der Linkspartei werden. In der LINKEN gibt es bereits eine Menge Plattformen und Bundesarbeitsgemeinschaften. Warum noch eine weitere?

Raul Zelik: Für uns stellte sich die Frage, ob wir eine Strömung innerhalb der LINKEN sein wollen. Wir haben uns für die Form der BAG entschieden, weil wir offen sein wollen für Leute außerhalb der Partei – und weil sich Strömungen oft sehr schnell in Karrierenetzwerke verwandeln.

Hier könnt ihr das gesamte Interview lesen.

Was bedeutet verbindende Klassenpolitik? von Rhonda Koch

1. Verbindende Klassenpolitik meint nicht heute Klassenpolitik und morgen Kampf um Anerkennung. Es geht um den ganzen Menschen mit all seinen Geschichten und Erfahrungen von der Arbeit, aus dem Kiez und von der Chorgruppe. An meinem Körper, in meinem Kopf, in meinem Herzen findet Klasse und Politik, Identität und Soziales seinen Ausdruck: Brot und Rosen. In meiner persönlichen Erfahrung gehen Klasse und Geschlecht zusammen. D.h. ich bin nicht morgens Arbeiterin und nachmittags Mutter – sondern Arbeiterin, Mutter, Nachbarin – und vielleicht auch Feministin – immer zugleich. Warum ist das wichtig? Weil wir dadurch auf die Frage nach verbindender Klassenpolitik nochmal neu schauen können und sehen, dass das Auseinanderreißen von Identität auf der einen und Klasse auf der anderen Seite politische wie theoretische Fehler sind, die sich aus einer realen Trennung von Arbeiter*innenbewegung und sozialer Bewegung speist. Diese Fehler und Fallstricke gilt es zu vermeiden. Denn wenn im realen Leben Klasse und Identität im Menschen selbst zusammenfallen, muss es uns um den ganzen Menschen gehen. Dann müssen wir uns nicht Fragen, wie Feminismus und Klasse verbunden werden können, sondern müssen feministische oder antirassistische Klassenpolitik machen. Aber was heißt das nun konkret?

2. Klassenpolitik ist Praxis, weil Kollektivität – das Wissen und das Gefühl von Zusammengehörigkeit – nur durch praktische Erfahrung entstehen kann. Wenn ein so verstandenes Klassenbewusstsein unser Ziel ist, muss man sich klar machen, dass Identität (egal welcher Art) an sich noch nicht politisch sein muss, sondern erst politisch wird, wenn sie zur kollektiven Identität werden kann. Verbindende Klassenpolitik muss also darauf zielen, dass gemeinsame Identität und gemeinsames Interesse gemeinsam erfahren und gemeinsam artikuliert werden – und zwar untereinander und gegenüber der anderen Klasse. Es hilft also kein Fronttranspi mit der Aufschrift „Für antirassistische Klassenpolitik“, wenn sich hinter dem Transparent nur weiße Funktionäre tummeln. Das ist dann gut gemeinte Politik, aber keine verbindende Klassenpolitik, weil kein Ort geschaffen wurde, in dem die Klasse zu sich selbst gesprochen hat, sondern lediglich für sie gute Absichten formuliert wurden. Klassenpolitik entsteht nicht durch Zuruf sondern durch die Erfahrung von kollektiver Selbstermächtigung. Wir können uns noch lange die Köpfe heiß reden wie genau nun Klasse und Geschlecht zusammengehören, Klassenpolitik machen wir damit nicht.

3. Bei verbindender Klassenpolitik geht es einerseits darum, unterschiedliche Kämpfe miteinander zu verbinden. Andererseits steckt im Anspruch verbindendender Klassenpolitik auch die Herausforderung, unterschiedliche Lebensbereiche in Kämpfen zusammenzubringen und dabei andere, neue Wege zu finden, um das Verhältnis von Politik und Ökonomie, von Ausbeutung und Unterdrückung, von Lohnkampf und dem Kampf um politische Rechte zu vermitteln. Vielleicht hilft also ein anderer Blickwinkel. Einer der von den Lebensbereichen der Menschen ausgeht, um die Klasse zu verbinden. Nehmen wir das Verhältnis von Arbeit und Nachbarschaft: Wenn wir erstmal begriffen haben, dass Arbeiter*innen, auch nachbarschaftliche, stadtpolitische und andere Interessen haben, geht es im ersten Schritt nicht darum, die Arbeiterin mit der Klimaaktivistin zusammenzubringen. Die Frage ist: Wie und wo trifft Klimapolitik auf die Lebensbereiche und Interessen der Arbeiterin.

Ein Beispiel in der Perspektive klassenorientierter Klimapolitik: Unseren Akteur – die Klasse – finden wir: im Betrieb. Wir beginnen also nicht wie üblich bei der Politik, sondern versuchen aus der Logik des Betriebs heraus eine Kampagne zu entfalten. Dann ist zuerst die Frage: In welchen Betrieben besteht am ehesten ein Interesse an Klimapolitik? D.h. wir fragen uns, welche Arbeiter*innen aus ihrer Beschäftigung heraus am unmittelbarsten ein Interesse an klimapolitischen Verbesserungen haben.

Wir finden: eine Busfahrer*in, die ein Interesse daran hat, dass der ÖPNV besser bezahlt wird und mehr Leute einstellt werden. Die Busfahrer*in wohnt in Bielefeld, am viel befahrenen Stadtrand. Als Städterin hat sie ein Interesse am Ausbau von verkehrsberuhigten Zonen, die bringen weniger Lärm und weniger dreckige Luft. Sie ist also ebenso klimapolitisch zu gewinnen.

Diese Busfahrerin hat eine Nachbarin. Die arbeitet bei der Sparkasse in Bethel und schickt ihre Kinder morgens immer mit dem Bus zur Schule. „Klimakrise“ ist bei der Sparkasse sicherlich nicht das Top-Thema, aber wenn sie ihre Kinder morgens pünktlich zur Schule bekommen würde und nicht täglich im von tausenden PKWs verursachten Stadtverkehr stecken bliebe, hätte sie einiges an Lebensqualität gewonnen.

Und jetzt das: In der kleinen Innenstadt von Bielefeld hängen Plakate auf denen steht: „Busfahrer*innen sind Klimaretter*innen“. Und gleich darunter: Komm zum ersten Aktiven-Treffen vom „Bündnis kostenloser ÖPNV – besser für uns, besser fürs Klima“. Beim ersten Treffen trifft die Frau von der Sparkasse den Studi Arne, der seit Jahren im Hambi gegen die Abholzung kämpft und sich einen Keks freut, dass die Klimabewegung endlich auch den Weg in die Stadt und die breite Bevölkerung gefunden hat. Der erste Tagesordnungspunkt Treffens wird von der Busfahrerin eingeleitet: Bericht aus den Tarifverhandlungen. Steffi, Linkspartei-Aktive moderiert, grinst und denkt sich: „Walter wird sich ärgern, wenn ich ihm erzähle, dass heute Arbeiter*innen da waren, der war nämlich immer der Meinung dass Klimapolitik was für die Mittelschicht ist und mit Klassenpolitik nichts zu tun hat“.

4. Steffi ist ein Vorbild dafür, wie verbindende Klassenpolitik von Linkspartei-Aktiven unterstützt und vorangetrieben werden kann: Steffi zeigt, dass wir als Aktive nicht nur Podiumsmenschen, Sitzungsmenschen, Plakatehänger*innen und Mobi-Tisch-Betreuer*innen sind. Um es mit Antonio Gramsci zu sagen: Wir müssen wir unsere Aufgabe als Parteiaktive auch sehen in der „aktiven Einmischung ins praktische Leben, als Konstrukteur, Organisator, ›dauerhaft Überzeugender‹, weil nicht bloß Redner“.

5. Verbindende Klassenpolitik wird bei aller Planung und Systematik jedoch nur dann wirksam, wenn wir bereit sind in den Kämpfen selbst zu lernen. Um Panagiotis Sotiris zu paraphrasieren: Tatsächliche Kämpfe und tatsächliche Bewegungen tragen mehr strategische Phantasie als wir, werfen immer mehr Fragen und manchmal mehr Antworten auf als wir uns ausmalen konnten, verweisen immer auf neue Wege wie Erfahrungen und Empfindlichkeiten verbunden werden können. Und sie deuten auf Lösungen hin, die wir uns vom jetzigen Standpunkt aus nicht hätten herbei philosophieren können.

Wie Parlamentarisierung entgegenwirken? von Violetta Bock

Bewegungslinke heißt nicht Parlamentslinke, Bewegungslinke heißt nicht eine Sitzungslinke. Einer der Kernpunkte der Bewegungslinken ist: wenn wir die Gesellschaft verändern wollen, wenn wir die Kräfteverhältnisse so verändern wollen, dass der Kapitalismus überwunden wird, brauchen wir eine breite gesellschaftliche Front und dürfen nicht auf das Parlament setzen. Das gelingt aber nicht mit der Partei, wie wir sie jetzt haben. Denn die LINKE ist ja bereits mitten drin. In der Ankündigung hieß es „Wie Parlamentarisierung entgegen wirken?“. Das ist eigentlich der falsche Begriff. Denn DIE LINKE ist doch an zu vielen Orten bereits in erster Linie Wahlkampfmaschine, Ochsentour, fixiert auf Posten und Kandidaturen, Fraktionsvorsitzende die tun, was sie selbst und nicht was die Partei für richtig hält, Starren auf Prozente statt Proteste, bürokratisiert, etabliert und assoziiert mit Spitzenpolitikern. Und wenn wir ehrlich sind, sind doch auch auf Bundesparteitagen viel zu oft Hauptamtliche.

Es geht also um eine Entparlamentarisierung. Denn dennoch können wir auf die LINKE nicht verzichten. Sie ist Ressource für viele Bewegungen, sammelt Linke aus verschiedensten Richtungen, ist stabil in den Kernthemen Frieden und Soziales, ist erster – weil öffentlich wahrgenommener – Anlaufpunkt für Anpolitisierte, erstellt Studien, macht Anfragen, setzt Punkte mit Anträgen, ist eine Bühne etc. Von daher können wir auch auf das Parlament nicht verzichten. Die Kunst besteht darin, dass das Parlament nicht die Führung erhält. Denn Parlament ist Feindesland.

Wer von euch hat denn ein Mandat? Oder arbeitet für eine Abgeordnete oder einen Abgeordneten?

Ich mach das auch. Ich bin seit drei Jahren im Kommunalparlament für die Kasseler LINKE. Also die fast unterste Ebene. Aber in der LINKEN gibt es ja viele, die ein kommunales Mandat inne haben. Kommt jemand zur Partei, ist das neben Wahlkampfstand, Vorstand ja auch oft das nächste Angebot, um aktiv zu werden. Ich war zum Zeitpunkt der Wahl noch nicht in der LINKEN, vielleicht muss ich das dazu sagen. Mir war klar, wie ein Parlament wirken kann, nicht nur auf einen selbst, sondern auch auf das Umfeld. In meinem Stadtteil glaubten sie, ich krieg jetzt 8000 Euro und könnte alles für sie regeln. Da war es wichtig immer wieder zu sagen: nein, damit ändert sich nichts, ich kann gar nichts für dich lösen, wir müssen uns immer noch gemeinsam organisieren. Und ich hab den Leuten im Stadtteil und in der Nahverkehrsinitiative auch gesagt, dass sie auch mit dafür sorgen müssen, dass ich am Boden bleibe. Denn so klein das Kommunale ist, es ist krass was für eine Parallelwelt dort schon herrscht. Und die Sachzwänge sind enorm 😉 Verschuldung, alles Grundsätzliche wird auf oberen Ebenen entschieden, blablabla. Das ist ein unheimlicher Sog, und wie viel stärker muss er erst auf anderen Ebenen sein.

Es gilt also diesen Sog zu stoppen. Und weil das ja nichts unbekanntes ist, wurden in der Geschichte der Arbeiterbewegung Maßnahmen entwickelt, in anderen europäischen Ländern werden sie zum Teil angewendet: Rotationsprinzip, zeitliche Begrenzung des Mandats, Rückführung oder Teilrückführung des Lohns usw.

Ich habe mit mir angefangen, weil das wie natürlich viele Fragen aufwirft, es Konsequenzen hat und einem doch eingebläut wird: Das geht nicht anders, wir müssen uns doch professionalisieren, um mithalten zu können, zwei Legislaturen sind viel zu wenig, die Leute erwarten auch, dass man sich mit allem beschäftigt um Skandale aufzudecken etc.

Und klar, inzwischen kann ich Bebauungspläne und den Anteil der Dachbegrünung lesen – wirklich nicht unwichtig – aber dadurch konnte ich noch niemanden vom Sozialismus überzeugen. Um sich nicht im Detail zu verlieren braucht es kollektive Strukturen. Es reicht nicht einfach die richtigen Leute reinzuschicken, die Gefahr ist zu groß, dass wir sie darin verlieren oder ihnen die Führung überlassen. Wir müssen Strukturen schaffen, die dem Parlamentarismus entgegen wirken und können heute anfangen damit zu experimentieren.

Ich finde die Erdung im Stadtteil wichtig, einen Kreis an Leuten um sich, und hierbei übrigens auch Hälfte Parteimitglieder, Hälfte nicht Parteimitglieder, um nicht in die Parlamentsfalle zu tappen oder drin sitzen zu bleiben. Wenn Mieter*innen zu mir kommen und von einem Eigentümerwechsel sprechen, schreibe ich ihnen nicht als erstes einen Antrag sondern sage deutlich, ich werde es nicht für sie lösen, ihr müsst Druck aufbauen, dürft nicht auf Umarmungstaktiken rein fallen, und wir helfen ihnen dabei sich zu organisieren und stehen beratend zur Seite, verleihen ihren Anliegen im Parlament eine Stimme.

Und mit weitere Maßnahmen sollten wir einfach experimentieren, um eine sozialistische Kultur zu prägen. Und das wird nicht über einen Antrag beim Parteitag gelingen. Denn es erfordert einen grundlegenden Wandel der Partei. Und auch dafür brauchen wir das Wechselspiel mit den Bewegungen. Denn sonst ist die Gefahr groß, dass die Kontrolle durch die Partei zu einer bürokratischen Führung wird statt einer demokratischen durch soziale Bewegungen.