Schlagwort: Bewegungslinke

Organisierende Gewerkschaftsarbeit von Katharina Stierl

Ich bin seit 2011 ver.di Mitglied. Ich war von 2012-2016 in der Jugend Auszubildenden Vertretung. Ich habe hier eng mit dem Personalrat der Uniklinik zusammengearbeitet. Nach einer Personalratssitzung stand ich mal wieder länger mit dem Personalratsvorsitzenden und dem Stellvertreter in der Küche des Büros und wir diskutierten über die Verbesserungen der Ausbildung. Irgendwann kamen wir auch auf die Frage der Personalbemessung und auf die Frage der politischen Vertretung und der Beschäftigung der Politik mit der Pflege zu sprechen. Meine beiden Vorsitzenden, welche beide SPD-Mitglieder sind, wiesen mich auf die AfA (Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen in der SPD) – hin und luden mich direkt ein, mit zum nächsten Treffen zu kommen. Zu dem Zeitpunkt gab es noch keine offizielle Kampagne zum Thema Pflege oder Personalmangel und die einzige parteipolitische Vertretung der Beschäftigten im Krankenhaus, die ich durch meine Kollegen mitbekam, war die AfA als politische Interessenvertretung der Arbeiter*innen.

Das treffen fand natürlich im DGB-Gewerkschaftshaus statt und neben meinen Personalratsvorsitzenden traf ich dort dann auch Kollegen aus den ver.di Gremienstrukturen, welche sich über eine neue junge Kollegin freuten. Noch wussten sie nicht (und ehrlicherweise ich auch nicht), dass wir politisch nie zusammenfinden würden. Von der LINKEN habe ich in meinem Betrieb nur ein einziges Mal etwas mitbekommen, und das war am Frauen*tag, an dem rote Nelken verteilt wurden. Wenn das nun meine ersten Erlebnisse als Arbeiter*in waren und sich das in den letzten 4 Jahren nicht groß gewandelt hat, dann ist das ein Problem.

Linke Betriebsarbeit bis jetzt

Marx sagt, dass „die Menschen ihre Geschichte machen“. Wenn ich mir die Situation in den Betrieben so ansehe, sehe ich: sie haben die Geschichte gemacht und zwar mit der Sozialdemokratie, welche sich immer noch nicht als das große Geschenk für die Arbeiterinnen entpuppt hat, wie prophezeit. Die Sozialpartnerschaft und ihr stellvertreterischer Fokus dominieren die gewerkschaftspolitische Arbeit in Deutschland. Diese Politik geht davon aus, dass die Menschen nicht aktiviert werden wollen oder können. Es werden keine Arbeitskämpfe geführt, die partizipativ sind, sondern solche, die gerade das Minimum an Beteiligung erfordern, um ein Mindestmaß an Verbesserung oder auch nur Veränderung hervorzurufen. Die Pseudopartizipation führt unter anderem dazu, dass immer weniger Menschen sich überhaupt organisieren. Ver.di hat in den vergangenen Jahren die 2-Millionen-Marke unterschritten und kämpft schon seit Jahren, genau wie alle anderen Gewerkschaften auch, um den Erhalt seiner Mitglieder.

Warum ist das wichtig?

Wenn es heißt, dass „Menschen ihre Geschichte machen“, so ist die Frage: Wer sind diese Menschen in Deutschland? Ca. 39,2 Millionen Menschen sind erwerbstätig, davon ca. 4-5 Millionen in Gewerkschaften organisiert. Es handelt sich also um eine riesige Anzahl von Menschen. Der Konflikt am Arbeitsplatz ist einer der Kämpfe, bei dem viele dieser 39,2 Millionen Menschen auch Erfahrungen sammeln können. Hier müssen wir auch über das Kräfteverhältnis sprechen. Denn diese Menschen können gemeinsam Erfahrungen machen und können gemeinsam über eine andere Welt diskutieren. Doch haben diese überhaupt Macht?

Sprechen wir von Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit so sprechen wir oft und ziemlich schnell von Begriffen wie „Arbeiter*innenklasse“ und von dem Machtpotential der Beschäftigten. Ohne den Arbeiter keine Veränderung. Neue Arbeitskonzepte werden immer weiter zum Problem. Leiharbeit, Werkverträge, Entgrenzung der Arbeitszeiten und Anwerben von ausländischen Arbeitskräften führt zu einer Spaltung der Arbeiter*innenklasse, die wir verhindern müssen.

Doch nun mal pragmatisch: Was hab ich bisher als linke Gewerkschafterin von der LINKEN erlebt? Wie macht die Linke eigentlich Betriebsarbeit? Wie macht die Linke eigentlich Gewerkschaftsarbeit? Ich bin seit 2011 Gewerkschaftsmitglied. Linke Betriebsgruppen habe ich in meinem Betrieb, und auch den umliegenden Krankenhäusern, noch nicht erlebt. DIE LINKE schafft es, Streikunterstützung aufbauen, verteilen Rosen und Flyer. Es gibt kleine Pflänzchen und Versuche, neue Konzepte durchzusetzen. Aber ernsthafte Angebote gibt es bisher wenige. Zu wenige.

Was muss anders werden?

Wer hat es nicht schon gehört: „Die Arbeiterklasse ist nicht mehr der Mann im Blaumann!!“ Weiterhin ist sie männlich, weiß und überwiegend auch nicht bewegungsorientiert. Es herrscht weiterhin das Verständnis, durch vorgetäuschtes Mitmach-Prinzip die Menschen gewinnen zu können. Die SPD als Sozialpartner der Gewerkschaften und auch in den Betriebs- und Personalräten ist ein Problem, Linke sollten sich nicht versstecken. Sie sollten sich aktiv einbringen und Verbindungen zwischen den Berufen herstellen.

Organizing-Ansätze statt Mobilizing

Wenn es darum geht, möglichst viele Menschen mit einzubinden, sie ernstzunehmen, dann geht es auch darum, aus den verkrusteten und alten Strukturen rauszukommen und neue Wege zu gehen. Offener zu sein, neue Leute mit einzubinden. Verantwortung abzugeben und Mehrheiten zu gewinnen.

Es geht darum, nicht die per se schon in einer monetären Abhängigkeit hängenden Funktionäre zu empowern, sondern vor allem die Kolleg*innen im Betrieb. Gewerkschaften machen zum Teil seit Jahren Stellvertreterpolitik. Aber: Gewerkschaften sind wandelbar, sind beweglich. Die Erneuerung durch Streik-Konferenz der RLS bietet einen Ort, an dem Gewerkschaftler*innen zusammenkommen können, um gemeinsam zu diskutieren und sich auszutauschen.

Es muss auch für linke ein Selbstverständnis geben zu sagen: ich bin die Gewerkschaft, oder besser: wir sind die Gewerkschaft! Um gesellschaftliche Mehrheiten aufzubauen und um linke Mehrheiten in der Gewerkschaft zu gewinnen, müssen wir unsere Ansätze überdenken.

Fazit

Wie kann das gelingen und wie stelle ich mir linke Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit vor? Ich glaube wir müssen …

  1. Selbstbewusster
  2. Organisierter
  3. Verbindender

… arbeiten.
Selbstbewusster in dem Sinne, dass wir den Anspruch haben müssen, DIE LINKE mittelfristig wirklich als die Partei der gewerkschaftlichen Erneuerung aufzubauen. Das heißt, um Mehrheiten zu kämpfen, weiter auszugreifen als auf die üblichen Verdächtigen, neue Streiktaktiken auszuprobieren, die stärkere Streiks und höhere Forderungen aufstellen und sich nicht mit wenig zufrieden geben und damit auch den Konflikt innerhalb der Gewerkschaften suchen.

Zweitens sollten wir organisierter arbeiten in dem Sinne, dass wir unsere Kräfte sammeln und uns vernetzen wie bei der Streikkonferenz der Rosa Luxemburg Stiftung, wo wir konkrete Vorschläge diskutieren können, wie wir auch die Gewerkschaften verändern. Versuche und Ideen zu linken Betriebsgruppen werden wir diskutieren.

Bisher denkt DIE LINKE viel darüber nach, wie aus Kolleg*innen Wähler*innen werden. Wir müssen aber überlegen und dann auch tatsächlich organisieren, dass aus Kolleg*innen Genoss*innen werden. Die Betriebsgruppen könnten dann kämpferische Pole der Hoffnung als das Rückgrat unseres alternativen Gesellschaftsprojeks bilden.

Zuletzt müssen wir verbindender arbeiten, und zwar in dem Sinne, dass wir gewerkschaftliche Konflikte nicht isoliert betrachten und ebenso wenig isoliert führen – betriebliche Kämpfe sind gesellschaftliche Kämpfe. Die US-amerikanische Organizerin Jane McAlevey nennt das Whole Worker Organizing. Das heißt, dass wir Beschäftigte nicht nur als Beschäftigte betrachten, sondern auch Menschen in einem sozialen Netzwerk. Die Auseinandersetzung in der Pflege geht weiter, der Kampf um unseren Planeten hat grade erst das nächste Kapitel aufgeschlagen. LINKE Gewerkschaftspolitik kann hier der Schlüssel zum Siegestor sein.

Im kommenden Jahr stehen verschiedene Tarifrunden wie z.B. im Handel, in der Metallindustrie, im Nahverkehr und weiterhin in den Krankenhäusern an. Es wird viele Möglichkeiten geben, sich einzubringen und neue Konzepte direkt auszuprobieren.

Ich glaube, dass wir mit der Bewegungslinken einen guten Anfang gemacht haben, um an diesen Aufgaben zu arbeiten. Ich glaube aber auch, dass es noch viel Hirnmasse, Kreativität und Mut brauchen wird. Ich freu mich drauf mich mit Euch auf den Weg zu machen.

„Was will die Bewegungslinke?“ von Katharina Dahme

„Es war eine lange Durststrecke für Linke in Deutschland. Mehr als drei Jahre lang dominierte die gesellschaftliche Rechte den öffentlichen Diskurs. Die Themen Sicherheit und Geflüchtete waren omnipräsent, die AfD konnte die anderen Parteien vor sich hertreiben und die Grenzen des Sagbaren stetig verschieben. Im vergangenen Jahr zeichnete sich jedoch bereits eine Veränderung ab: Zahlreiche Bewegungen von Gegnern der neuen Polizeigesetze über Miet-, Klima- und Flüchtlingsaktivisten bis zur Seebrücke begehrten auf, Zehntausende gingen bundesweit auf die Straßen. Statt einem alleinigen Rechtsruck gab es nun vielmehr eine Polarisierung im Land, das linksradikale bis linksliberale Lager begann sich zu finden und zu organisieren.“ – das schrieb Sebastian Bähr vor einigen Wochen im „neuen Deutschland“. Die Enteigneten wehren sich, ein Lager der bewegungsorientierten Linken, der unteilbaren Solidarität hat sich herauskristallisiert.

Zwischen dieser Zustandsbeschreibung und heute liegt eine Europawahl, die das parteipolitische Spektrum ziemlich durcheinander gebracht hat. Die ehemaligen Volksparteien erodieren und die traditionelle langfristige Bindung an Parteien lässt nach und wird auch, so meine Vermutung, nicht wiederkommen. Die Grünen gewinnen von allen Parteien dazu: von den einen, weil sie einen modernisierten, grünen Kapitalismus anbieten und nicht polarisieren, also auch nicht wehtun. Von den anderen, weil sie vermeintlich am stärksten Haltung einnehmen gegen rechts und für Geflüchtete, gegen Nationalismus und für Europa, für Weltoffenheit. Nicht zuletzt aber, weil sie als glaubwürdige erste Adresse betrachtet werden für all jene, für die der Klimaschutz aktuell die dringendste Frage ist.

Was uns aber viel mehr umtreibt, ist die Frage, welche LINKE wir haben – und welche wir bräuchten, angesichts der gesellschaftlichen Herausforderungen, denen wir uns gegenübersehen.

In der LINKEN herrscht nach der Wahl Katerstimmung und Verunsicherung, bis hin zur Angst vor existenziellem Bedeutungsverlust. Und Angst ist bekanntlich kein guter Ratgeber. Wer das vergessen haben sollte, wird mit Blick auf die aktuellen inner-LINKEN Diskussionen schnell daran erinnert:

Da gibt es nun die Stimmen, die meinen, die ökologische Frage sei eine taktische Frage, deren Beantwortung man davon abhängig machen kann, ob sie der LINKEN oder den Grünen Wählerstimmen bringt. Hier droht uns eine Wiederholung der Milieudebatte unter neuen Vorzeichen, obwohl alle Auswertungen der Wahlen zeigen, dass Klimaschutz durch die Bank in allen Schichten und Berufsgruppen wahlentscheidend war.

Andere, im Übrigen auch ein Teil der radikalen Linken, setzen ihre Hoffnungen auf Rot-rotgrüne Regierungskoalitionen, auch wenn zum Teil verklausulierter als „progressive Mehrheiten links von der CDU“ bezeichnet. Dahinter steckt mitunter auch die Einschätzung, dass nicht nur etwa starke Bewegungen die Voraussetzung für parlamentarische Mehrheiten sind, sondern andersrum Mitte-Links-Regierungen den Bewegungen Spielräume verschaffen könnten.

Noch andere sorgen sich vor allem um den Niedergang der SPD, oder verbreiten schon seit geraumer Zeit, DIE LINKE bringe es nicht und verbinden dies gar mit Werbung für andere Projekte.

Da ich mich in all dem nicht so richtig wiederfinde, könnte ich angesichts dieser Diskussionen verzweifeln, wenn es da nicht noch was anderes gäbe, was mich und andere überzeugt, uns in und bei der LINKEN zu engagieren. Wie sieht sie also aus, eine sozialistische Partei, wie ich sie mir wünsche und für die ich als Bewegungslinke in der LINKEN kämpfen will:

Erstens, streite für eine LINKE, die ein nützliches Werkzeug dabei ist, das Leben der Ausgebeuteten und Unterdrückten spürbar zu verbessern. Ich will eine Partei, die Menschen dazu ermutigt und darin unterstützt, sich gemeinsam mit anderen für ihre eigenen Interessen einzusetzen statt Stellvertreterpolitik zu machen. Die dabei auch in der Lage ist, kulturell und politisch Brücken zu bauen zwischen den verschiedenen Milieus. Zur Theorie der verbindenden Klassenpolitik gehört eine politische Praxis, in der wir voneinander und miteinander lernen, aus Erfolgen ebenso wie Misserfolgen. Im Austausch mit Bewegungen und auch in der Partei selbst.

Das heißt zweitens, in der Konsequenz, auch: Ich streite für eine LINKE, deren Parteileben nicht vor allem auf Wahlen und Parlamentsarbeit ausgerichtet ist. Und da der BL zwischen den Zeilen schonmal plumper Anti-Parlamentarismus vorgeworfen wird, will ich dem Vorwurf gerne gerecht werden, und zwei ganz einfache Prämissen für die Fraktionsarbeit vorschlagen:

Weniger Häppchen und „gepflegte Debatte“ mit US-Botschafter Grenell, Jens Spahn oder Wolfgang Joop, mehr Podien für alleinerziehende Mütter, die ihre Miete nicht mehr zahlen können oder für die Schüler*innen von FFF.

Weniger Selfies aus dem Bundestagsfahrstuhl, und wenn schon Fotos, dann mehr mit AktivistInnen bei Demonstrationen oder Streiks vorm Fabrikstor. Aber Parlamentarismus-Kritik ist ja in Wahrheit viel mehr als das und das Problem reicht deutlich weiter: Selbst die Parteiarbeit vor Ort ist oft geprägt von einer Parlamentarisierung von Unten, die wir auch als Sitzungs- und Gremiensozialismus bezeichnen. Da hilft es dann im Übrigen auch nicht, wenn sich diese Kultur mit einem antikapitalistischen Verbalradikalismus verbindet, der aber zahnlos bleibt, weil auch er zu selten in konkrete Initiativen mündet.

Drittens, streite ich für eine LINKE, die Partei in Bewegung ist und das nicht mit der Mobilisierung zu Demonstrationen verwechselt und schon gar nicht versucht, Bewegungen zu vereinnahmen oder zu instrumentalisieren.

Viertens, streite ich für eine LINKE, die Menschen dabei unterstützt, sich ganz unmittelbar für ihre eigenen Interessen einzusetzen, Konflikte mit Unternehmen und Staat als ihren Arbeitgebern auszufechten und dabei anfangen, sich als bewusster Teil einer gesellschaftlichen Gruppe mit gemeinsamen Interessen zu begreifen. Für uns liegt daher ein Schlüssel in betrieblichen Auseinandersetzungen, die sich im Widerspruch zu den weitgehend trägen Gewerkschaftsführungen immer häufiger verselbständigen und radikalisieren.

Und fünftens, streite ich aber auch für eine LINKE, die sich dessen bewusst ist, dass starke Gewerkschaften und Bewegungen alleine nicht ausreichen. Wir müssen auch bereit sein, die Machtfrage zu stellen und eine Vorstellung entwickeln, wie wir gemeinsam gewinnen wollen und können – gerade auch jenseits von Regierungsbeteiligungen, denen ich skeptisch gegenüberstehe.

Wir müssen uns aber offen dieser Zwickmühle stellen: dem unausweichlichen Dilemma zwischen den Hoffnungen in der Eroberung der Regierungsgewalt und den Befürchtungen des Scheiterns linker Regierungen im Kapitalismus. Wie organisieren wir Mehrheiten, ohne dabei unsere Seele zu verleugnen? Wie setzen wir ein Verständnis durch, dass Basisbewegungen die Herzkammern von Veränderung und der Schlüssel zur Verschiebung der Kräfteverhältnisse sind? Wir brauchen eine Diskussion darüber, wie wir im Bündnis mit Bewegungen und Initiativen die wirkliche Macht in Deutschland viel stärker herausfordern.

In den letzten Monaten habe ich in vielen Gesprächen mit Aktiven in und bei der Partei ähnliches gehört. Ich freue mich daher, dass wir diese Gespräche mit noch mehr Leuten vertiefen. Wir brauchen aber auch ernsthafte und verbindliche Verabredungen, wie das skizzierte Bild einer solchen LINKEN erreicht werden kann, wie wir mehr Menschen gewinnen, die Bewegungslinke aktiv mit aufzubauen und die so dazu beitragen, dass DIE LINKE gleichzeitig Bewegungspartei, wirkungsvolle Opposition und antikapitalistische Gestaltungskraft ist, die durch Reformkämpfe die Macht und das Selbstvertrauen der Vielen vergrößert. Eine politische Kraft, die um Hegemonie in der Gesellschaft kämpft, indem sie ihre Radikalität und Nützlichkeit im Alltag beweist.

Wird die Bewegungslinke eine Strömung?

Wir werden immer wieder mit der Frage konfrontiert, ob wir eine Strömung sind oder nicht, oder planen, eine zu werden. In einem 2018 veröffentlichten Diskussionspapier hatten wir dazu Folgendes festgehalten: „Wir sind keine klassische Parteiströmung wie andere, sondern eine übergreifende Erneuerungsbewegung der LINKEN für bewegungs- und klassenorientierte Politik.“ Dieser strömungsübergreifende Charakter war uns wichtig, weil wir in unseren Reihen auch Aktive haben, die in anderen Strömungen Mitglieder sind und bislang bleiben wollen. Streng genommen handelt es sich bei der Formulierung aber nicht um eine klare Absage an die Frage der Strömung. Und so gibt es auch in unseren Reihen nicht wenige, die verstärkt für eine solche Gründung argumentieren.

Vorab: Bislang sehen wir keinen zeitlichen Druck, diese Frage kurzfristig zu entscheiden. Auch wollen wir den für Juni geplanten Ratschlag nicht mit formellen Debatten überlagern, so dass dieses Thema dort eher am Rande eine Rolle spielen wird und wir es voraussichtlich erst im Herbst wieder aufgreifen werden.

Wir wollen aber unsere (kurze) Diskussion dazu im Ko-Kreis transparent machen, weil wir der Meinung sind, dass diejenigen, die sich für eine Mitarbeit bei der Bewegungslinken interessieren, wissen sollten, auf welcher Grundlage sie sich engagieren – und weil wir eure Meinung dazu wissen wollen.

Wenn wir Vor- und Nachteile diskutieren, wird schnell deutlich, welche negativen Erfahrungen der Partei- oder Strömungsarbeit wir bei der Bewegungslinken nicht wiederholen wollen. Daraus erwachsen automatisch Ansprüche an unsere Arbeit.

  1. Uns ist klar, dass handelndes Personal entscheidend für Politik ist und daher auch Wahlen zu Gremien und Listenaufstellungen von Bedeutung sind für die Entwicklung einer Partei. Wir wollen aber kein Akteur sein, der seine Dynamiken entlang von Parteitagen entwickelt. Bei allem Verständnis für grundlegende Programmatik darf nicht aus den Augen verloren werden, dass Kämpfe um gesellschaftliche Mehrheiten vor allem auf der Straße, im Kiez, auf der Arbeit geführt werden, nicht auf dem Papier und in stundenlangen Antragsdebatten um die beste Formulierung. Unsere Kritik an der Parlamentarisierung der Partei gilt insofern auch für uns selbst, als dass wir verhindern wollen, dass Selbstbeschäftigung gegenüber der Wirksamkeit nach außen überhandnimmt. 
  2. Wir wollen einen Raum schaffen, in dem eine solidarische Diskussionskultur auch bei strittigen Fragen herrscht, statt gegenseitig Bekenntnisse abzufordern oder sich der Selbstverständlichkeiten zu vergewissern. Uns eint die Erkenntnis, dass es nicht auf jede Frage schon überzeugende, alles klärende Antworten gibt, vielmehr wollen wir fragend und diskutierend voranschreiten. Dabei sollen sich alle einbringen können, die die Bewegungslinke mit uns aufbauen wollen, weil sie Ausrichtung und Ziele teilen. Wir wollen hingegen nicht der Ort für Schaufensterreden oder Belehrungen derjenigen sein, die unseren Zusammenhang nur für die Vergrößerung ihrer eigenen Reichweite nutzen.
  3. Uns ist bewusst, dass viele Fragen über die Ausrichtung und das Ziel der Bewegungslinken noch offen sind. Diese werden wir in den kommenden Wochen bei Regionaltreffen und auch auf dem Ratschlag diskutieren. Eine Strömung böte unseres Erachtens eine Chance der deutlicheren Abgrenzung im positiven Sinne einer Profilschärfung. Manche fänden gerade das womöglich schade, wir finden es wiederum notwendig, um unsere Motivation zu verdeutlichen. Für den ehrlichen Umgang mit Interessierten ist es unumgänglich.
  4. Zu guter Letzt spricht natürlich auch die mögliche finanzielle Unterstützung durch die Partei für die Konstituierung als Strömung oder Zusammenschluss (Delegiertenmandate sind uns hingegen egal, da wir davon ausgehen, dass unsere Aktiven auch in den Kreisverbänden gut verankert sind und darüber delegiert werden können). Um diese Entscheidung aber nicht davon abhängig zu machen, werden wir vorerst Spenden für unsere Arbeit, zum Beispiel für den Ratschlag, sammeln.

Kurzum: Der Anspruch, DIE LINKE zu erneuern, ist selbstverständlich auch Anspruch an einen wie auch immer gearteten neuen Zusammenschluss innerhalb der LINKEN, anders zu diskutieren und zu arbeiten – unabhängig davon, ob es dann eine „Strömung neuen Typs“ sein wird oder nicht. Wie wir dem gerecht werden können, wollen wir gemeinsam mit allen Aktiven weiter diskutieren.

Solidarität ist unteilbar. Gedanken zum Leipziger Parteitag der LINKEN

Die LINKE steht beim Leipziger Parteitag vor wichtigen Weichenstellungen. Neben den Wahlen zum Parteivorstand ist die inhaltliche Verständigung und die Bestimmung unserer politischen Positionen die zentrale Aufgabe. Der vorgelegte Leitantrag des Parteivorstandes ist dazu eine gute Grundlage, die von den Delegierten jetzt selbstbewusst beraten werden muss. Eine erneute Programmdebatte, wie dies von einigen gefordert wird, halten wir für wenig zielführend – denn die im Erfurter Programm formulierten Grundlagen sind aus unserer Sicht weiterhin aktuell und tragfähig. In Leipzig geht es unseres Erachtens um folgende inhaltliche Klärungen:

ERSTENS um eine klare Haltung in den Fragen von Flucht und Migration. Wir bekennen uns konsequent zu den im Parteiprogramm formulierten Grundlagen. Eine Migrationspolitik, die soziale und politische Rechte danach vergibt, ob Menschen für das Kapital als „nützlich“ oder „unnütz“ gelten, lehnen wir ab. Wir stemmen uns gegen alle Abschiebungen und wollen die rechtlichen Möglichkeiten für volle Bewegungsfreiheit und gleiche soziale und politische Teilhabe für alle in Deutschland lebenden Menschen erreichen. Zudem müssen wir dringend zu Vorschlägen für legale Einreisewege kommen.

ZWEITENS brauchen wir eine Verständigung zu unserer Strategie gegen den Rechtsruck. Der Rechtsruck gedeiht auf dem Nährboden der neoliberalen Prekarisierung der Lebensperspektiven, wenn rassistische Deutungsmuster der Krise sich durchsetzen. Hier haben die Medien von BILD bis SPIEGEL und Scharfmacher wie Horst Seehofer dem Aufstieg der AfD den Boden bereitet. Wir treten dem Rassismus gegen Geflüchtete und der Stigmatisierung von Muslimen entschieden entgegen und sagen den alten und neuen Nazis in und außerhalb der AfD den Kampf an. Es wäre eine Selbstaufgabe als linke Partei, wenn wir der rechten Diskursverschiebung und den vorhandenen Spaltungslinien in irgendeiner Form nachgeben und den aktiven Kampf gegen Rechts und gegen Rassismus nicht als zentrale Tagesaufgabe begreifen. Die Alternative der LINKEN heißt: Solidarität im gemeinsamen Kampf für soziale Gerechtigkeit.

DRITTENS begrüßen wir, dass sich die LINKE immer mehr als Partei in Bewegung begreift. Das ist ein großer Erfolg und Ausdruck einer lebendigen Mitgliederpartei. Unsere Kreisverbände sind inzwischen in gewerkschaftlichen und betrieblichen Auseinandersetzungen präsent und streiten für mehr Personal in der Pflege. Wir sind engagiert in der Flüchtlingssolidarität und verankert in den Kämpfen um Klimagerechtigkeit. Wir sind in feministischen und queeren Bewegungen verwurzelt und seit langem friedensbewegt. Wir sind eine laute Stimme bei den zuletzt wieder zunehmenden Protesten gegen steigende Mieten. Der Zustrom an neuen Mitgliedern hat gezeigt: Wir brauchen genau diese Partei in ihrer Vielfalt. Den Kurs der sich erneut zur Wahl stellenden Parteivorsitzenden zur Entwicklung der LINKEN als eine bewegungsorientierte und in die sozialen Auseinandersetzungen intervenierende Partei unterstützen wir daher ausdrücklich.

Wir empfehlen weiter auch die Annahme des Antrags „Abrüsten! – Deeskalation ist das Gebot der Stunde“. Unser friedenspolitisches Profil ist Kernanliegen linker Politik und Alleinstellungsmerkmal in der Parteienlandschaft. Der Eskalationspolitik durch die NATO treten wir entschieden entgegen. Für uns ist klar: Der Hauptfeind steht im eigenen Land. Eine Logik im Sinne „der Feind meines Feindes ist mein Freund“ lehnen wir ab, so muss zum Beispiel auch eine Kritik an der Politik der Regierung Russlands möglich sein. Unsere Solidarität ist unteilbar und internationalistisch. Sie gilt allen Menschen überall, die sich gegen Krieg, Repression und Ungerechtigkeit zur Wehr setzen.

Wir freuen uns auf spannende Debatten und hoffen, dass es der LINKEN gelingt, sich inhaltlich so aufzustellen, dass sie als Partei in Bewegung und im Sinne einer emanzipatorischen Klassenpolitik noch stärker wird.

Ihr könnt den Text als Flyer auch hier herunterladen.

taz: „Linke bleibt in Bewegung“

taz.de, 21.04.2018, Anna Lehmann 

„Solidarität ist unteilbar“, lautete die Überschrift über dem Treffen, zu dem Bundestagsabgeordnete der Linkspartei am Samstag in Berlin eingeladen hatten. Keine Überraschung bei einer Partei, die die internationale Solidarität auf jedem ihrer Parteitage besingt, sollte man meinen. Doch das Motto war auch eine subtile Kampfansage.

Kaum zur Debatte stand dagegen die in die Runde geworfene Frage, ob zu viel öffentlich vorgetragener Antirassismus der Linken auch schaden könne. Im Gegenteil, meinte der Bundestagsabgeordnete Niema Movassat: „Wir brauchen keine Aufweichung der flüchtlingspolitischen Positionen.“ Von nun an müssten die beiden bisherigen Säulen der Linken, „Frieden und soziale Gerechtigkeit“ um eine dritte erweitert werden: „den Antirassismus“. Er erhielt viel Zustimmung.

Im Oktober wollen sich die Bewegungslinken erneut treffen.