Kategorie: Partei und Bewegungslinke

Neue Funktionsbeschreibung: Gewinnbar, weil es DIE LINKE und die Mehrheit will. 

Diskussionsbeitrag vom Ko-Kreis der Bewegungslinken

Wenn die Bundestagswahl für uns ein Blick in den Abgrund war, dann hat spätestens der russische Angriff auf die Ukraine jedem Mitglied gezeigt, dass sich DIE LINKE dringend verändern und erneuern muss. Mitten in Europa herrscht wieder Krieg und die einzige Friedenspartei wäre beinahe aus dem Deutschen Bundestag geflogen.

Klar ist: Es muss eine Vision für die Zukunft der LINKEN entwickelt werden oder es wird keine Zukunft geben. Nach den verheerenden Wahlniederlagen brauchen wir daher ausgehend vom Bundesparteitag eine Verständigung, wofür die LINKE geschlossen, entschlossen und unverrückbar steht. 

Doch warum gibt es uns in 2022? Was ist unser zentrales politisches Projekt in den nächsten Jahren, mit dem wir uns wieder zutrauen Wahlen zu gewinnen? Wofür laden wir Menschen ein bei uns mitzumachen? 

Strömungsübergreifend haben wir dazu aus verschiedenen Landesverbänden „Wendepunkte“ identifiziert, die bereits beim letzten Parteitag die Delegierten überzeugt und Eingang ins Wahlprogramm gefunden haben. Uns leitet dabei die Idee, die großen gesellschaftlichen Konfliktfelder in den Fokus der Parteiarbeit zu legen und an den Wendepunkten unserer Zeit die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse so zu verschieben, dass wir gewinnbare und motivierende Erfolge durchsetzen, obwohl diese nur DIE LINKE will.

Es geht uns um eine gelingende, gerechte Zukunft, in der wir die dramatischen Folgen der Klimakrise nicht den Einzelnen und nicht den Schwachen überlassen, sondern kollektiv handeln und in den Gewerkschaften und sozialen Bewegungen wirksamer werden. Die Welt brennt bereits – wir brauchen jetzt die Kraft für einen Salto vorwärts zur Umverteilung und Klimawende.

Zur Arbeit an den Wendepunkten braucht es kein neues Grundsatzprogramm, sondern einen Richtungsentscheid für die Praxis. Es kommt darauf an, was wir draußen tun, wenn in den kommenden Jahren alle großen Zukunftsfragen verhandelt werden, während wir in der Opposition sind.

Neben den Wendepunkten gelten die roten Haltelinien aus dem Erfurter Programm selbstverständlich weiter. An einer Regierung, die Kriege führt und Kampfeinsätze der Bundeswehr im Ausland zulässt, die Aufrüstung vorantreibt, Privatisierungen oder Sozialabbau betreibt, werden wir uns nicht beteiligen. Die Haltelinien verhindern, dass eine mögliche linke Regierungsbeteiligung zu Verschlechterungen führt. Aber sie alleine beantworten nicht mehr die drängenden Fragen der Zeit. Sie kitzeln nicht die Wünsche und Träume der Menschen, die sich einen Aufbruch und spürbare Veränderung wünschen. Sie spitzen nicht die schon existierenden Erwartungen zu.

Wir werben mit den Wendepunkten für eine neue und ehrliche Funktionsbeschreibung der LINKEN, die motivierend ist und die alle Mitglieder erklären und erzählen können. Die Grundlage für eine verbindliche Schwerpunksetzung ist und in den Jahren bis zur Bundestagswahl mit konkreten Schritten und Konzepten für die Praxis verbunden wird. Die uns in den nächsten Jahren für die Oppositionsrolle orientiert, wenn die Erwartungen von vielen SPD- und Grünen-Wähler:innen mit der Ampel in Widersprüche geraten. 

#Klimawende mit den Beschäftigten

Zusammen mit ver.di und Fridays For Future ist es möglich bis 2035 eine klimaneutrale Wirtschaft durchzusetzen, die sinnvolle und gut bezahlte Arbeit und eine funktionierende soziale Infrastruktur für alle schafft. Dazu braucht es als ersten mehrheitsfähigen Erfolg einen kostenlosen und hochwertigen ÖPNV für Alle. Die Mammutaufgabe der Transformation sichern wir über hohe Tarifforderungen und bessere Mindestlöhne sozial ab und formulieren in der Klimawende für jede:n Beschäftigte:n den Anspruch auf Schutz vor Inflation und Energiearmut sowie auf einen neuen Job und kostenlose Weiterbildung.

#Frieden und Abrüstung

Wir kämpfen für Abrüsten, statt Aufrüsten und investieren 100 Milliarden in Zukunft, nicht in Zerstörung. #DerAppel hat ein erstes kritisches Lager für eine neue Friedensbewegung formiert, mit dem wir ausgreifen und mehrheitlich sagen: Das 2 %-Ziel für den Rüstungsetat lehnen wir ab. DIE LINKE steht nicht im Lager Russlands oder der NATO, sondern an der Seite aller Menschen, die vor Kriegen desertieren oder fliehen und bei uns Schutz suchen.

#Mieten deckeln

Wohnen ist die soziale Frage des 21. Jahrhunderts. Der Volksentscheid „Deutsche Wohnen und Co enteignen“ hat gezeigt, dass an den Haustüren dazu Mehrheiten gewinnbar sind. Anstelle der Mietenexplosion werden wir mit einem bundesweiten Mietendeckel einen ersten mehrheitsfähigen Erfolg erstreiten, um Wohnen perspektivisch für Alle bezahlbar zu machen.

#Pflege und Entlastung im Gesundheitswesen

Wir nehmen nicht länger hin, dass die Pandemie auf dem Rücken von Pflegekräften, Ärzt:innen, Patient:innen und Angehörigen ausgetragen wird. Konzerninteressen haben in der Gesundheitsversorgung nichts zu suchen. Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen gehören wieder in öffentliche Hand. Als ersten mehrheitsfähigen Erfolg unterstützen wir die Tarifauseinandersetzungen für Entlastung und schaffen die Fallpauschalen bundesweit ab.

Die Strategie der Wendepunkte bietet der Partei einen orientierenden Rahmen, in dem alle Gremien, Gliederungen und Mitglieder wirksam handeln und gestalten können:

  1. Wendepunkte sind nicht einfach ausgedacht. Sie sind keine Marketing- oder PR-Strategie, sondern formulieren legitime Erwartungen und Ansprüche auf ein glückliches und gesundes Leben. 
  2. Wendepunkte sind große Schritte – wie der Mietendeckel, die Klimawende oder die Abschaffung der Fallpauschalen. Sie haben in Bewegungen und gesellschaftlichen Konflikten einen Ausdruck gefunden.
  3. Wendepunkte betonen unsere Alleinstellungsmerkmale und sind dennoch für große Teile der Gesellschaft anschlussfähig – sie sind gewinnbar, obwohl es nur DIE LINKE will.
  4. Wendepunkte sind parlamentarisch und außerparlamentarisch gleichermaßen gut zu bearbeiten und drücken eine offensive Haltung und Durchsetzungsperspektive aus. Sie sind Schwerpunkt, wenn wir im Kreisverband Aktionen planen und Kernaufgabe, wenn wir Ausschuss- und Parlamentsarbeit leisten.
  5. Wendepunkte sind integrierend und auf der Höhe der Zeit. Alle Spektren unserer Partei können sich mit ihnen identifizieren. Keine:r muss seine Grundüberzeugungen aufgeben oder im innerparteilichen Schützengraben verharren.
  6. Wendepunkte sind gewinnbar, wenn wir die Blockaden der letzten Jahre lösen und die Partei reformieren, um Ressourcen, Zeit und Know-How stärker an die Basis zu verlagern. Wir brauchen dazu weniger Saal und weniger Papier, und mehr Stadtteil und Power an den Haustüren.
  7. Wendepunkte sind realistisch durchzusetzen, wenn wir in den kommenden Jahren 100.000 Mitglieder sammeln, die zusammen mit uns an ihnen arbeiten. Sie lassen sich an keine Führungsperson oder Vorstand delegieren, sondern nur in der ersten Person erstreiten. 

Es liegt an uns zu beweisen, dass wir an den Wendepunkten unseres Lebens neue Stärke gewinnen können. Wir sind davon überzeugt, dass DIE LINKE nach der kräftezehrenden Pandemie an den großen gesellschaftlichen Handlungssträngen Klima, Frieden, Mieten und Pflege den Kopf heben kann. 

Lasst uns dazu eine motivierende neue LINKE Funktionsbeschreibung entwickeln und zeigen, dass wir wieder gewinnen wollen und bis zur nächsten Bundestagswahl auch mit weniger Geld wieder viel mehr Menschen erreichen können.

Stellungnahme des Ko-Kreis der Bewegungslinken zum Bundesparteitag der LINKEN 

vom 24. bis 26. Juni 2022 in Erfurt

Zeigen, dass alles anders sein kann

Am Wochenende findet der Bundesparteitag der LINKEN statt, bei dem Richtungsentscheidungen sowohl inhaltlich als auch personell getroffen werden sollen, um die LINKE aus ihrer Existenzkrise zu führen. 

Krisen prägen nicht nur unsere Partei, sondern gegenwärtig auch unser Leben und unsere Gesellschaft. Wir erleben mit der aktuellen Inflation von 7,9 % eine Verarmung großer Teile der Bevölkerung. Jede:r Sechste in Deutschland verzichtet auf eine Mahlzeit am Tag, weil die Lebensmittel zu teuer geworden sind. Seit mehr als 20 Jahren wird in Europa wieder Krieg geführt. Kriege und weltweite Armut treiben etwa 100 Millionen Menschen zur Flucht. Ein Teil dieser Menschen versucht sich in Europa in Sicherheit zu bringen und verendet an den Außengrenzen Europas, weil die EU mit dem Massensterben im Mittelmeer andere Geflüchtete vor einer Flucht nach Europa abschrecken will. Statt sich der Klimakatastrophe zu stellen, erneuerbare Energien massiv zu subventionieren und eine Verkehrswende einzuleiten, investiert die Ampel 100 Milliarden in Bundeswehr und Aufrüstung. Unter Beteiligung von SPD und Grünen ging damit der jahrelange Traum der Rüstungsindustrie in Erfüllung.

Die kapitalistische Gesellschaft ist nicht zukunftsfähig. Sie raubt den Menschen, die sie ausbeutet, auf absehbare Zeit ihre Lebensgrundlage. Wir brauchen eine andere, eine sozialistische Gesellschaft, die allen Menschen und der Erde dient, in der das Chaos und die Zerstörung der kapitalistischen Marktwirtschaft ein Ende hat, in der wir nachhaltig und demokratisch planen und wirtschaften.  

Deswegen brauchen wir eine sozialistische Partei im Hier und Jetzt, die durch ihre Arbeit zeigt, dass wir uns nicht mit den bestehenden Verhältnissen zufrieden geben müssen. Eine Partei, die soziale Gerechtigkeit, Klimagerechtigkeit und radikale Demokratisierung in allen Bereichen der Gesellschaft erkämpfen will und erste Schritte dahin geht. Davon sind wir als LINKE derzeit weit entfernt.

Veränderung von unten 

Im Dezember 2019 hat sich die Bewegungslinke gegründet, mit dem Ziel, DIE LINKE zu erneuern. Dabei ging es uns immer um eine programmatische Weiterentwicklung der LINKEN, um eine Verbesserung ihres praktischen Gebrauchswertes genauso wie um eine andere Kultur. Wir wollen, dass Menschen, die in ihrem Alltag Erfahrungen von Ausgrenzung machen, in der LINKEN eine politische und solidarische Heimat finden. Wir wollten dazu beitragen, vor Ort eine Parteikultur zu etablieren, die Spaß macht, statt geprägt von Auseinandersetzungen um Einfluss zu sein. 

Aber die Partei ist zerrissen. Die parteiinternen Konflikte sind seit 2019 nicht geringer geworden. Bei manchen politischen Fragen sind die Positionen in der Partei so weit auseinander, dass es kaum gelingen kann, Brücken dazwischen zu bauen. Es besteht weitgehend Einigkeit in der Partei, dass Meinungskorridore entwickelt und kommuniziert werden müssen, in deren Rahmen Positionen bewegt werden können, die aber zugleich klare Grenzen für Positionen beschreiben, die daheim am Küchentisch vertreten werden können, aber nicht in Talkshows oder Bundestagsreden. Nur wie wird sichergestellt, dass sich Mandatsträger:innen der LINKEN künftig daran halten bzw. was passiert, wenn sie es nicht tun? So lange es darauf keine Antworten gibt, fühlt jedes Mitglied, dass gute programmatische Beschlüsse eines Bundesparteitags nichts wert sind. Wie stärken wir also die Demokratie in unserer eigenen Partei? 

Grundsätzlich sollten unterschiedliche Auffassungen in der LINKEN kein Grund dafür sein, persönlich nicht respektvoll und solidarisch miteinander umzugehen. Dass die Partei DIE LINKE unser gemeinsames politisches Zuhause ist, drückt aus, wieviel Einigkeit wir zu grundlegenden Fragen haben. Gleichwohl ringen seit geraumer Zeit zwei Blöcke um die politische Ausrichtung der Partei, die sich gegenseitig im Weg stehen, widersprechen, Beine stellen. Man darf diesen Konflikt nicht mit dem Wunsch nach Einheit zukleistern, weil die Partei so nicht handlungsfähig wird. Wir müssen diesen Konflikt beenden, indem politische Entscheidungen gefällt werden und Personal aufgestellt wird, das bereit ist, die beschlossene Linie zu vertreten. Es bedarf der Klarheit. 

Definiere Erneuerung

Wenn heute alle in der Partei von Erneuerung reden, dann meinen sie nicht dasselbe. Mitunter meinen sie das genaue Gegenteil voneinander. Die einen sagen Erneuerung und meinen ein „zurück zu den Brot-und-Butter-Themen“ soziale Gerechtigkeit und Frieden. Sie sind der Auffassung, dass die offensive Besetzung der Klimathemen den Grünen nützt, ergo der LINKEN schadet. Da, wo diese Auffassung mit der Herabsetzung anderer als Lifestyle-Linke begleitet wurde, war eine solidarische Auseinandersetzung unter Genoss:innen nicht mehr möglich. Aber diese Position wird nicht nur von Sahra Wagenknecht vertreten. In unterschiedlichen Abstufungen wird sie unter anderem von Kandidat:innen für den Parteivorsitz vertreten. Es wird also Zeit, die Diskussionen ums Personal als das zu begreifen, was sie sind: eine Entscheidung über die künftige programmatische Aufstellung der Partei. 

Die Frage nach Erneuerung sollte aus unserer Sicht daher nicht vordergründig dem Bedürfnis nachgehen, Gesichter auszutauschen, sondern die Frage konkret beantworten: Was muss sich wie verändern und warum? Wenn das wiederum nur mit bestimmten Personen möglich ist, ist es natürlich auch richtig, über personelle Erneuerung zu sprechen. Aber wirkliche Erneuerung bedarf klarer Worte und Ehrlichkeit als Voraussetzung für die notwendigen politischen Entscheidungen, die wir an diesem Bundesparteitag treffen müssen.   

Erneuerung I: Partei first

Auf dem Weg zu einer aktualisierten Funktionsbeschreibung

Inhaltlich und strategisch wird es beim Bundesparteitag um eine Bekräftigung unserer sozialökologischen Ausrichtung, um eine Klärung unserer außenpolitischen Positionierung und um Vorschläge zum Parteiaufbau gehen, die zur Lösung der Krise der LINKEN zentral die Stärkung ihrer Mitglieder und Aktivitäten betonen.

Als Bewegungslinke haben wir zum Leitantrag L02 einen Änderungsantrag (L02.021.1) eingereicht. Wir argumentieren, dass es der LINKEN an einer Funktionsbeschreibung mangelt. Es fehlt – nach Innen und nach Außen – an einer klaren Kommunikation darüber, warum es die Partei die LINKE braucht. Wir denken, dass die LINKE dazu gesellschaftliche Konflikte identifizieren muss, in denen sie als sozialistische Kraft sichtbar werden kann, weil sie die überzeugendste Lösung bereithält. Die LINKE darf aber nicht nur die klügste Stimme, sondern muss auch die konsequente Partnerin sein. Das kann sie nur schaffen, wenn sie Vorschläge macht, wie Fortschritte in den einzelnen gesellschaftlichen Konflikten zusammen mit den Menschen erkämpft werden können. Wir nennen diese Konflikte – an denen die LINKE wachsen und an denen alle Menschen gewinnen können „Wendepunkte“: 

1. In Zeiten der Klimakrise muss die LINKE zusammen mit den Beschäftigten und der Klimabewegung Allianzen bauen, die für das Klima und die Menschen unmittelbare Erfolge bringen. Der Ausbau eines guten und kostenlosen Nahverkehrs wäre ein Einstieg. 

2. Im Kontext der sich zuspitzenden weltpolitischen Lage muss die LINKE die Friedensbewegung mit aufbauen und gegen die derzeitige Hochrüstung kämpfen. 

3. Die LINKE muss mit den Menschen, die gegen den eskalierenden Wohnungsmarkt kämpfen einen bundesweiten Mietendeckel erstreiten. 

4. Sie muss an der Seite der Pfleger:innen nach dem Vorbild von Berlin und NRW Teil der Entlastungsbewegung im Gesundheitswesen sein, die langfristig das Fallpauschalensystem abschaffen kann. 

Wir werben mit den Wendepunkten für eine ehrliche Funktionsbeschreibung der LINKEN, die motivierend ist und die alle Mitglieder erklären und erzählen können. Die Grundlage für eine verbindliche Schwerpunktsetzung ist und bis zur nächsten Bundestagswahl mit konkreten Schritten und Konzepten für die Praxis verbunden wird. Diese Wendepunkte können uns in den nächsten Jahren in der Oppositionsrolle orientieren, wenn Erwartungen von SPD- und Grünen-Wähler:innen in Widersprüche geraten. Sie geben uns und den Menschen zugleich ein Ausblick, was von einer wieder erstarkten LINKEN in Verantwortung zu erwarten wäre. 

Außenpolitische Klärung ist notwendig

Wir setzen uns dafür ein, unser außenpolitisches Profil als Friedenspartei zu schärfen und klarzumachen, dass wir jede Relativierung des Krieges Russlands gegen die Ukraine strikt zurückweisen. Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine macht viele Menschen zurecht fassungslos. Tagtäglich finden Angriffe gegen Wohnviertel, zivile Infrastruktur und auch Krankenhäuser statt. Familien wurden auseinander gerissen. Millionen Menschen sind auf der Flucht, Tausende sind bereits gestorben. Die Verantwortung dafür trägt die russische Regierung.

Der Krieg ist das Ergebnis einer Weltordnung, die durch geopolitische Konflikte zwischen imperialistischen Mächten strukturiert ist, in der Staaten sich Einflusssphären sichern und eine Vormachtstellung bewahren. Erstmals seit 1989 ist eine militärische Konfrontation zwischen Atommächten eine denkbare Option. Wir brauchen deshalb nicht nur unmittelbare Antworten auf die Frage, wie der Krieg so schnell wie möglich beendet werden kann, sondern auch langfristige Ideen, wie wir in einer Welt ohne Kriege leben können und niemand wegen Hunger oder Tod aus der Heimat fliehen muss. Wir bleiben bei unserer Haltung, dass Waffenlieferungen in Krisengebiete und Aufrüstung abgelehnt werden müssen. Die LINKE muss alles dafür geben, dass diplomatische Lösungen gefunden werden. 

Wir sind uns gleichwohl der Schwierigkeit bewusst, dass die Eskalation des Krieges keine einfachen Antworten finden kann und sollte. Auch innerhalb der Bewegungslinken sind wir uns daher nicht in jeder Forderung einig. Einige aus unseren Reihen unterstützen den Ersetzungsantrag L03.001.1, der im Unterschied zum Leitantrag eine deutlich kritischere Position gegenüber den Sanktionen seitens der Bundesregierung einfordert. Als Ko-Kreis der Bewegungslinken empfehlen wir dennoch den Leitantrag L03 des Vorstandes als Grundlage beizubehalten, auch weil wir viele von uns der Auffassung sind, dass stärkere Sanktionen eine notwendige Alternative zu Waffenlieferungen sind und eine Ablehnung von beidem nicht ausreichend überzeugt. Uns eint gleichzeitig der Wille, das friedenspolitische Profil der Partei zu schärfen, so dass wir womöglich bei einzelnen Änderungsanträgen eine Unterstützung empfehlen werden.

Für klassenpolitische Klimapolitik, die die Dringlichkeit ernst nimmt

Keine Partei, auch nicht die Grünen, haben eine überzeugende und vor allem adäquate Antwort auf die Klimakrise. Das Projekt eines Grünen Kapitalismus, wie es die Ampel forciert, wird die Klimakrise auf lange Sicht verschärfen. Die, die am wenigsten haben, werden für die Klimasünden der Reichen zahlen müssen. Wir kämpfen daher für Allianzen aus Gewerkschafts- und Klimabewegung, die die Kraft haben, sowohl kommende Klimafolgen gerecht zu verteilen und die sich zuspitzende Krise noch zu verhindern oder mindestens abzumildern. Wer heute von der Klimakrise schweigt, verschweigt nicht nur die entscheidende Menschheitsaufgabe dieser Epoche. Nicht übers Klima zu sprechen bedeutet auch, über die große soziale Ungerechtigkeit zu schweigen, die droht, wenn sich die Politik des grünen Kapitalismus weiter durchsetzen sollte. Der Leitantrag L01 zu diesem Thema stellt sich offensiv der Herausforderung der Klimakrise und legt dar, wie die Vielen anstelle der Reichen diese Transformation in ihrem Sinne gestalten können. 

Neuwahl des Parteivorstandes

Im vergangenen Jahr hat Janine Wissler die Partei von einer Krise durch die nächste manövrieren müssen. Als andere von Bord gingen, hat sie das Ruder übernommen und Verantwortung bewiesen. Im Bundestagswahlkampf hat sie die Partei gut vertreten, ihre Wahlkampfauftritte waren sehr überzeugend. Trotzdem hat sie die Neuwahl des Parteivorstandes mit auf den Weg gebracht und stellt somit auch sich selbst zur Wahl. Wir werben dafür, dass ihr dieses Mandat erneut erteilt wird.

Manche meinen, sie hätte in der #linkemetoo-Debatte nicht gut reagiert. Wir teilen das nicht – soweit wir das beurteilen können, hat Janine auf politischer Ebene entsprechende Strukturen geschaffen, auf Landes- wie auf Bundesebene, hat aus ihrer persönlichen Beteiligung keinen Hehl gemacht und die Vertrauensgruppe informiert. Wir erwarten, dass in allen Landesverbänden und auf Kreisebene vergleichbare Strukturen geschaffen werden.

#linkemetoo hat etwas überfälliges ins Rollen gebracht. Die Schaffung entsprechender Strukturen und eine Sensibilisierung für sexistische Umgangsweisen und Fälle sexualisierter Gewalt sind aber gerade erst angestoßen und viel Weg ist noch zu gehen. Wir müssen aber aufpassen, dass wir keine Kultur in der Partei schaffen, bei der Fälle unterschiedlichster Schwere in einem Atemzug genannt oder Beschuldigte voreilig als „Täter:innen“ markiert werden. Im Interesse von Betroffenen und einer wirklichen Veränderung der Zustände müssen wir vielmehr eine Kultur schaffen, in der fehlerhaftes Verhalten nicht nur sanktioniert, sondern bei geringerer Schwere gemeinsames Besserwerden durch Bearbeitung ermöglicht wird. Das ist keine individuelle Aufgabe, sowie das Aufkommen von #linkemetoo keine Folge von individuellem Versagen ist, sondern Verantwortung der gesamten Partei. In diesem Sinne unterstützen wir ausdrücklich den Antrag P13 Den Grundkonsens erneuern. Für eine feministische LINKE.

Es ist auch unser aller Verantwortung, aber wiederum insbesondere unserer neuen Parteiführung, den Streit und die Vielstimmigkeit in der Partei zu beenden. Wir können nicht an einer Einheit festhalten, die mit dem Preis der Zerstrittenheit erkauft wird, weil alle machen, was sie wollen. Die Angst vor einer Spaltung ist aus nachvollziehbaren Gründen sehr groß. Die Angst davor, dass es nach dem Juni-Parteitag so weiter geht wie bisher, ist aber ebenfalls groß – zu recht, weil das nicht nur Kraft bei allen Beteiligten kostet und bindet, sondern die Partei handlungsunfähig hält. Das raubt vielen den Mut. Aber es ist die Partei, die sich entscheiden muss – der neu gewählte Parteivorstand muss diese Entscheidung umsetzen. 

Wir werben für eine starkes Votum für Janine Wissler an der Spitze der LINKEN und erwarten auch von Martin Schirdewan als möglichem Co-Vorsitzenden, dass er gemeinsam mit ihr die aus unserer Sicht notwendige Weiterentwicklung der LINKEN zu einer Partei der sozialen und Klimagerechtigkeit vorantreiben wird.

Wir werben ebenso für Janis Ehling als Bundesgeschäftsführer, dem wir aufgrund seiner politischen Geschichte einerseits zutrauen, Brücken zu bauen zwischen den verschiedenen Spektren und Generationen sowie Erfahrungshintergründen in der Partei. Er hat die Partei im Osten und Westen kennengelernt, war Geschäftsführer des SDS, den er nach der Gründung der LINKEN maßgeblich mit aufgebaut hat. Wir trauen ihm andererseits zu, unliebsame Entscheidungen zu treffen, wenn sie notwendig sind und den Konflikt nicht zu scheuen, wenn es für die Partei notwendig ist. Er verfährt nach dem Prinzip, das sich mehr Genoss:innen zu eigen machen sollten: Partei first, Strömungen second. Oder wie Benni Hoff in einem seiner Anträge warb: „Den zwanglosen Zwang des besseren Arguments zu schätzen, statt vermeintliche Geländegewinne im Kampf zwischen Strömungen oder um politischen Einfluss erzielen zu wollen.“

Wir werben für Harald Wolf als Bundesschatzmeister, der nicht nur aufgrund seiner strategischen Überlegungen eine Bereicherung für den Vorstand ist, sondern auch in stürmischen finanziellen Zeiten die notwendige Erfahrung mitbringt. Wir werden weiter darum ringen, dass die Beitragstabelle überarbeitet wird, ein Punkt, bei dem wir uns von ihm mehr Engagement erwarten.

Ausdrücklich unterstützen wir die Kandidatur von Jana Seppelt zur Wiederwahl als stellvertretende Parteivorsitzende. Jana steht für eine sozialistische Politik der Zukunft, die die Allianz aus Gewerkschaften und anderen sozialen Bewegungen vorantreibt. Als Landesfachbereichsleiterin von ver.di und hier insbesondere aktiv für die Pflegebewegung ist sie verankert und engagiert in der derzeit kämpferischsten Gewerkschaftsbewegung, die nicht nur Hoffnung auf wirkliche Veränderung in der Daseinsvorsorge gibt, sondern vormacht, wie die institutionelle Trennung von Politik und Ökonomie durchbrochen werden muss. Sie wäre im Falle einer Wiederwahl eines von den wenigen, wenn nicht das einzige Mitglied im GfPV, das nicht hauptamtlich bei der Partei beschäftigt ist.

Viel Sympathie haben wir zudem für die Kandidatur von Ates Gürpinar als stellvertretender Vorsitzender, zumal es sich nach aktuellem Stand um die einzige aussichtsreiche Kandidatur mit Migrationsbiografie für den geschäftsführenden Parteivorstand handelt.

Für den erweiterten Parteivorstand unterstützen wir die Kandidaturen von Lorenz Gösta Beutin (Schleswig-Holstein), Christine Buchholz (Berlin), Thomas Goes (Niedersachsen), Dana Lützkendorf (Berlin), Tupac Orellana (Rheinland-Pfalz), Ellen Ost (Thüringen), Luigi Pantisano (Baden-Württemberg), Maja Tegeler (Bremen), Sascha Wagner (Nordrhein-Westfalen) und Daphne Weber (Niedersachsen).

Wir erwarten von ihnen – wie natürlich von allen künftigen PV-Mitgliedern – einen respektvollen Umgang und somit einen Beitrag zum kulturvollen Streit in der Partei. Wir wünschen uns Kandidat:innen, die in ihren Landesverbänden oder thematischen Zusammenhängen verankert sind und somit eine relevante Gruppe in der Partei repräsentieren. Sie sollen die Partei gut kennen und ihre Rolle im Vorstand verantwortungsbewusst für die ganze Partei wahrnehmen.

Uns ist daran gelegen, dass es weiterhin eine starke Vertretung klassen- und bewegungsorientierter Politik im Parteivorstand gibt. Gleichwohl steht im Mittelpunkt der Vorstandswahl, dass ein Team zustande kommt, dass die verschiedenen Spektren und Ansichten der Partei repräsentiert und bereit ist, auf der Grundlage solidarischer Zusammenarbeit das Programm und die Beschlüsse der Partei zu vertreten und für seine Umsetzung einzutreten. Wir werden die Krise der LINKEN nicht als Bewegungslinke allein überwinden, sondern im Zusammenwirken mit anderen, die dazu bereit sind. In diesem Sinne werben wir zwar insbesondere für Kandidat:innen, die unsere Vorstellungen teilen, diskutieren aber auch die Unterstützung von Kandidat:innen, die nicht aus unseren Reihen sind.

Erneuerung II: Bundestagsfraktion second

Die Erneuerung der Partei wird am Ende nichts wert sein, wenn die Erneuerung nicht auch in der Bundestagsfraktion stattfindet. Nur mit einem gemeinsamen Aufbruch auf allen Ebenen können wir der LINKEN zu neuer Stärke verhelfen. In der Partei wurde mit der Entscheidung zu Neuwahlen des Parteivorstands ein entsprechender Schritt getan, während sich in der Bundestagsfraktion nach den Bundestagswahlen keine Veränderung an der Spitze ergeben hat. 

Auch neue Beschlüsse des Bundesparteitags sind nichts wert, wenn weiterhin prominente Mitglieder der Partei öffentlich abweichende Positionen vertreten oder – nicht vergleichbar, aber im Sinne des „mit einer Stimme Sprechens“ auch problematisch – die Fraktionsspitze regelmäßig neue Forderungen nach außen vertritt, die nicht Beschlusslage der Partei sind. Die existenzielle Krise der Partei macht dabei deutlich, dass wir kein weiteres Jahr bis zur regulären Neuwahl des Fraktionsvorstandes warten können, sondern sofort Personal an Partei- und Fraktionsspitze brauchen, das im Team und vertrauensvoll miteinander arbeiten kann und möchte sowie regelmäßig gemeinsame Kommunikationslinien abstimmt.

Daher haben wir einen Änderungsantrag (L02.245.1) an den Leitantrag 02 eingereicht, der einerseits eben die Rolle und Verantwortung der Bundestagsfraktion für den Parteiaufbau benennt, und die Mitglieder der Fraktion auffordert, im Zuge einer Neuwahl des Fraktionsvorstandes eine Führung zu wählen, die zu einer vertrauensvollen Zusammenarbeit mit der neu gewählten Parteiführung bereit ist.

Erneuerung III: Weitere Reformen, die die Partei und ihre Strukturen betreffen 

Es gibt eine Reihe von satzungsändernden Anträgen des Parteivorstandes, die die Arbeitsfähigkeit der Gliederungen auf unterschiedlicher Ebene betreffen und in der vorbereitenden Satzungskommission unumstritten war – womit der PV auch angesichts nötiger Zweidrittelmehrheiten um Zustimmung wirbt. Nach unserem Eindruck gibt es nur bei drei Anträgen relevanten Widerspruch aus der Partei, was wir hier transparent machen wollen.

Mit unseren Mitgliedern haben wir einen eingeschränkten Austausch zur Verkleinerung des Parteivorstandes durchgeführt und dabei viele Argumente dafür und dagegen gehört. Die Einwände lassen sich in etwa so zusammenfassen: Weniger Sichtbarkeit von Vielfalt der Partei im Führungsgremium, dabei insbesondere weitere Nachteile für kluge Genoss:innen mit weniger Redetalent; kleineres Gremium nicht automatisch schlagkräftiger, auch in der Bedeutung gegenüber einer dann größeren Fraktion; Strukturreformen müssen das Ergebnis einer Klärung politischer und strategischer Aufgaben sein, nicht andersrum. Wiederum wird von einem kleineren Gremium erhofft, dass es politisch handlungsfähiger wird, weil zu viele Leute weniger Verantwortungsbewusstsein bedeutet und mehr Austausch, ohne zu produktiven Verabredungen zu kommen. Ein kleineres Gremium könnte schnellere und verbindlichere Arbeitsabläufe mit sich bringen, die Mitglieder des Gremiums würden womöglich stärker darauf abgeklopft, ob sie relevante Teile der Partei repräsentieren.

Der Ko-Kreis hat bei Abwägung der Chancen und Risiken ein eindeutiges Votum für die Verkleinerung auf 26 Mitglieder gefasst (davon 10 Mitglieder im GfPV), welches der finale Änderungsantrag (S32.002.2 und S32.008.2) des Parteivorstandes an S32 ist. Viele unserer bisherigen Mitglieder im PV werben ebenfalls für diese Verkleinerung. Unabhängig davon gibt es Einigkeit darüber, dass die Mandatsträger:innenquote von 50% auch auf Mitarbeiter:innen von MdBs und MdLs ausgeweitet werden sollte und dass Arbeitsbedingungen geschaffen werden müssen, die ehrenamtliche PV-Mitglieder (also ohne Hauptamt in der Partei) stärken und respektieren.

Der Antrag S02 sieht eine höhere Hürde für die Einreichung von Anträgen vor. Die Empörung darüber ist zunächst nachvollziehbar, da es natürlich das demokratische Recht der Mitglieder sein soll, Anträge an den Parteitag zu stellen. Der Wunsch, die Hürden dafür jedoch nicht zu niedrig zu legen, ist aber ebenfalls nachvollziehbar und nicht undemokratisch, wenn man bedenkt, dass in der Regel eine sehr übersichtliche Zahl von Antragsteller:innen mit der Behandlung von Änderungsanträgen viel Zeit in Anspruch nimmt, die etwa bei der Diskussion und Beschlussfassung weiterer Anträge am Ende eines Parteitags fehlt. Die Änderung bedeutet nicht, dass kleinere Gliederungen keine Anträge mehr stellen können, sondern dass sie sich weitere Verbündete suchen müssen, um das Quorum der Mitglieder zu erreichen. Wir haben Verständnis für das Für und Wider und geben daher voraussichtlich keine Empfehlung ab.

Beim Antrag S05 geht es um die Zusammensetzung von Parteitagen. Demokratie kostet Geld, daher wird die Zahl der Delegierten nicht angefasst, wohl aber die Aufstockung durch Teilnehmer:innen mit beratender Stimme. Denn auch für die werden Kosten für Unterkunft notwendig. Vorgesehen ist, die Landesvorsitzenden bzw. Landessprecher:innen künftig zu berücksichtigen, jedoch beim Bundesausschuss, bei unserer EP-Fraktion und der Bundestagsfraktion nur die jeweiligen Vorstände. Eine negative Folge könnte sein, dass mehr Mandatsträger:innen dann künftig als Delegierte kandidieren und aufgrund ihrer Bekanntheit gegenüber einfachen Basismitgliedern im Vorteil sind. Auch hier sehen wir Für und Wider und geben keine Empfehlung ab.

Wir empfehlen, dass weitere Strukturreformen, etwa auch bezüglich der Rolle des Bundesausschuss, an eine Kommission übergeben werden, um mehr Zeit für die Diskussion und Erarbeitung von Vorschlägen zu haben.

Zu guter Letzt wollen wir noch kurz auf drei sonstige Anträge eingehen:

Aufgrund der Vielstimmigkeit der Partei haben einige Zusammenschlüsse schon länger auf eine Grundsatzdebatte gedrängt. Dazu liegt nun auch der Antrag P02 vor. In der Bewegungslinken haben wir die Notwendigkeit in dieser Allgemeinheit nicht gesehen und haben stets betont, dass die programmatischen Grundlagen nach wie vor weitgehend sehr gut sind und eher die öffentlichen Widersprüche das Problem darstellen. Wir empfehlen daher Ablehnung. Nichtsdestotrotz sind wir offen dafür, bestimmte Fragestellungen zu identifizieren und das Programm an diesen Stellen weiterzuentwickeln. Das betrifft beispielsweise den Bereich der Klimagerechtigkeit oder auch die Digitalisierung verschiedener Lebensbereiche, insbesondere der Arbeit. 

Der Antrag P04 fordert die Bestimmung der Parteivorsitzenden durch eine Urwahl. Dieser Vorschlag ist nicht neu und wurde 2019 unter anderem von Fabio de Masi in die Debatte gebracht. Wir verstehen, dass viele Mitglieder diese Vorstellung aus unterschiedlichen Gründen interessant finden. Wir lehnen die Forderung mehrheitlich ab und verweisen auf unseren Text von damals, der das begründet: https://bewegungslinke.org/tag/urwahl/ – nicht zuletzt bedeutet eine solche Form der Wahl, dass die Partei alle zwei Jahre ein halbes Jahr mit dieser Frage beschäftigt sein würde.

Der Antrag P05 fordert die Partei auf, Vorschläge für eine Mandatszeitbegrenzung zu entwickeln und dem kommenden Parteitag zur Abstimmung vorzulegen. Wir begrüßen das bisherige Engagement einiger PV-Mitglieder zu diesem Thema und sind bereits gespannt auf Diskussionen mit mehr Konkretion und werden uns dabei einbringen.

Wenn die Nacht am tiefsten ist, ist der Tag am nächsten.

Viele Mitglieder sind angesichts der politischen Situation international, aber auch wegen der Umfragen hierzulande und der existenziellen Krise der LINKEN verzweifelt und wenig optimistisch. Die Lage ist nicht aussichtslos, aber zugegeben, schon recht düster. Wir erwarten von allen, die Verantwortung in dieser Partei innehaben und übernehmen werden, Respekt gegenüber der Arbeit anderer, insbesondere der Genoss:innen, die rein ehrenamtlich in dieser Partei engagiert sind, und Demut gegenüber der jahre- und jahrzehntelangen Aufbauarbeit, die viele bereits in diese Partei und ihre Vorgängerparteien investiert haben. Setzen wir DIE LINKE nicht leichtfertig aufs Spiel! 

Die Zukunft der LINKEN muss heute beginnen oder es wird keine Zukunft geben

Stellungnahme des Ko-Kreis der Bewegungslinken

Wenn die Bundestagswahl für uns ein Blick in den Abgrund war, dann haben spätestens der russische Angriff auf die Ukraine sowie die Berichte zu #linkemetoo und sexistischen Übergriffen jedem Mitglied gezeigt, dass sich DIE LINKE dringend verändern und erneuern muss. 

Klar ist: Es muss jetzt eine Vision für die Zukunft der Partei entwickelt werden oder es wird keine Zukunft geben. Nach den verheerenden Wahlniederlagen brauchen wir ausgehend vom Bundesparteitag eine Verständigung, wofür die LINKE geschlossen, entschlossen und unverrückbar steht und wie die vergiftete Kultur der letzten Jahre überwunden werden kann. 

Inhaltlich braucht es dazu eine klare Funktionsbeschreibung. Dazu haben wir aus verschiedenen Landesverbänden „Wendepunkte“ identifiziert. Sie betonen unsere Alleinstellungsmerkmale und sind dennoch für große Teile der Gesellschaft anschlussfähig – sie sind gewinnbar, obwohl es nur DIE LINKE will. Sie drücken eine Offensivhaltung aus und sind parlamentarisch wie außerparlamentarisch gut zu bearbeiten. Sie sind integrierend und auf der Höhe der Zeit. Alle Spektren und Strömungen unserer Partei können sich mit ihnen identifizieren.

Zur Arbeit an den Wendepunkten braucht es kein neues Grundsatzprogramm, sondern einen Richtungsentscheid für die Praxis. Es kommt darauf an, was wir draußen tun, wenn in den kommenden Jahren alle großen Zukunftsfragen verhandelt werden. Wir sind davon überzeugt, dass DIE LINKE nach der kräftezehrenden Pandemie wieder den Kopf heben kann – bei der Klimawende mit den Beschäftigten, bei Frieden und Abrüstung, beim Deckeln der Mieten und bei Pflege und Entlastung im Gesundheitswesen.

Wir werben mit den Wendepunkten für eine neue und ehrliche Funktionsbeschreibung der LINKEN, die motivierend ist und die alle Mitglieder erklären und erzählen können. Die Grundlage für eine verbindliche Schwerpunktsetzung ist und bis zur Bundestagswahl mit konkreten Schritten und Konzepten für die Praxis verbunden wird. In diesem Sinne werden wir uns zu den Leitanträgen beim Bundesparteitag einbringen.

Für die Zukunft der LINKEN braucht es zweitens Personen, die Verantwortung übernehmen: Wir begrüßen die Entscheidung des Parteivorstandes, neben wichtigen programmatischen Beschlüssen auf dem Juni-Parteitag auch den Parteivorstand neu zu wählen. Zugleich ist völlig klar, dass eine Neuwahl des Parteivorstandes nur dann neuen Schwung bringen kann, wenn auch in der Fraktion Verantwortung übernommen und eine Neuaufstellung ermöglicht wird. Es ist überlebenswichtig, dass Partei- und Fraktionsführung künftig gemeinsam statt gegeneinander agieren und abgestimmte Botschaften senden.

Wir empfehlen daher ein Votum des Bundesparteitags auch für die neue Fraktionsspitze und werden mit unseren Mitgliedern und Delegierten darüber beraten, ob die kursierende Idee einer zeitlich begrenzten Partei- und Fraktionsführung mit identischem Personal „aus einer Hand“ eine geeignete Konstellation bis zur nächsten Bundestagswahl sein kann, um DIE LINKE aus der Krise zu führen.

Für die Zukunft der LINKEN braucht es drittens wirksame Verfahren bei sexistischen Übergriffen: Uns schockieren die Berichte zu #linkemetoo und wir setzen uns dafür ein, dass diese Fälle schnell und unabhängig aufgeklärt werden. Sexismus in der Partei und eine (Un-)Kultur des Herabwürdigens waren und sind für uns Motivation für die Gründung und Arbeit der Bewegungslinken. 

Wir sind solidarisch mit allen Betroffenen von sexualisierter Gewalt, sexueller Belästigung oder auch sexistischen Anfeindungen. Dass die Partei nicht frei von diesen Formen der Unterdrückung ist, überrascht uns nicht. Gleichwohl ist es richtig, von ihr einen entsprechenden Umgang zu erwarten. Wir begrüßen daher die Beschlüsse des Parteivorstands, erwarten aber auch von den Gliederungen auf Landes- und Kreisebene, die eigenen Strukturen selbstkritisch zu überprüfen und Vorkehrungen zu schaffen, um weiteren Fällen präventiv entgegenzutreten. 

Zu den Vorkommnissen gilt es ebenso festzuhalten, dass Beschuldigte noch keine Täter:innen sind und wir dem Anspruch unabhängiger Aufklärung nur dann gerecht werden können, wenn Vorwürfe, in den dafür vorgesehenen Kommissionen statt über die Medien (das schließt die Kommentierung von noch nicht geklärten Fällen über die Medien ein), von unabhängigen Stellen und frei von machtpolitischen Interessen überprüft werden. Persönlichkeitsrechte müssen dabei gewahrt werden. 

Wir weisen die Darstellung, in der Partei stünde sexualisierte Gewalt an der Tagesordnung, zurück. Sehr wohl sind aber Herabstufungen aufgrund des Geschlechts weit verbreitet, sodass dafür überall vor Ort sensibilisiert und um einen bewussten und respektvollen Umgang gerungen werden muss. Wir wollen dazu beitragen und im Sinne unserer Gründungserklärung eine Kultur schaffen, „die Lust aufs Mitmachen macht“ und in der sich Genossinnen auf allen Ebenen sicher und ermuntert fühlen, für die Linke im Land Verantwortung zu übernehmen.

Für die Zukunft der LINKEN braucht es viertens eine andere Parteikultur: Wir werben für einen Kulturwandel, der nicht nur den persönlichen Umgang einschließt, sondern auch die Diskussionsatmosphäre. Diese hat sich in den vergangenen Jahren stetig verschlechtert und auch Mitglieder der Bewegungslinken waren nicht immer vorbildlich unterwegs. Wenn wir unter Genoss:innen aber das Interesse am Gegenüber und ihren/seinen Argumenten verlieren, werden wir nicht klüger, sondern dümmer. Wir lernen nicht im Diskussionsprozess, wir lernen nicht von anderen. 

Wir arbeiten deshalb an einer Kultur, in der Fehler gemacht werden können, um besser zu werden. Wir streiten für eine Partei, in der Erfahrungen ausgewertet werden, anstatt Schuldige zu suchen. Angesichts des Krieges in der Ukraine ist es doch beispielsweise nachvollziehbar, dass viele Menschen, auch Mitglieder der LINKEN, über Waffenlieferungen nachdenken, um die Ukrainer:innen nicht ihrem Schicksal zu überlassen. 

Als Bewegungslinke finden wir diese Schlussfolgerung falsch, aber werben dafür, einander mit geduldigen Argumenten zu überzeugen, statt Genoss:innen pauschal als Kriegstreiber:innen zu bezeichnen. Andersrum ist es ebenso daneben, denjenigen, die gegen Waffenlieferungen und teils auch gegen Sanktionen sind, zu unterstellen, sie seien damit für die Kapitulation der Ukrainer:innen oder gar putinfreundlich.

In einer Diskussionsatmosphäre, die so vergiftet ist, begegnen wir uns längst nicht mehr als Genoss:innen und schon gar nicht mehr auf Augenhöhe. Dies ist aber unabdingbar, wenn die einzige linke Partei in diesem Land eine Zukunft haben soll. Dafür gilt es beim kommenden Parteitag die Weichen zu stellen.

Regieren und die LINKE – wo bleibt der Internationalismus?

von Nabil Sourani

Sollte die LINKE regieren? Diese Frage ist falsch gestellt. Für die Bewegungslinke muss im Vordergrund stehen, wie das kapitalistische System abgeschafft werden kann; wie alle Bereiche des Lebens – allen voran Staat und Wirtschaft – demokratisiert und eine globale ökosozialistische Gesellschaft aufgebaut werden kann. Dafür braucht es viele Analysen und Diskussionen: Darüber, was oder wer unsere Macht ist; wie sie sich organisieren lässt; was für eine Partei das voraussetzt; wer ihre Gegner:innen sind; was der Staat ist; was mit Ökosozialismus gemeint ist. Zwar hat die Bewegungslinke einige dieser Punkte bereits andiskutiert, was allerdings völlig fehlt, ist die Einsicht, dass Anti-Kapitalismus nur international funktionieren kann.  

Historische Lehren 

Bisherige Versuche, den Kapitalismus zu überwinden, scheiterten häufig an imperialistischer Einmischung. Da wäre die Russische Revolution von 1917: Während die Rätedemokratie begann, den bürgerlichen Staat zu ersetzen, formierte sich die Konterrevolution. Sie wurde wesentlich von westlichen Mächten unterstützt. Was war der einzige Weg, damit die Revolution noch hätte gelingen können? Das Anfachen der Arbeiter:innenbewegung in den Kernstaaten, insbesondere aber in Deutschland, und der internationale Übergang in den Sozialismus. Lenin meinte noch 1917: »Und die russischen Räte […] stehen in ihren Schritten zum Sozialismus nicht allein. Wären wir allein, so würden wir diese Aufgabe nicht friedlich und bis zuletzt bewältigen, denn diese Aufgabe ist ihrem Wesen nach international.« (https://sites.google.com/site/sozialistischeklassiker2punkt0/lenin/lenin-1917/wladimir-i-lenin-die-russische-revolution-und-der-buergerkrieg)

Internationalismus wurde von den Bolschewiki als Voraussetzung gesehen, um den friedlichen und demokratischen Übergang zu gewährleisten. Die Strategie ging nicht auf. Zwar gewannen die Revolutionär:innen den Krieg, infolge der Verwerfungen und der nationalen Isolation ihrer Revolution setzte sich aber der bürokratische Apparat um Stalin durch und gab die Parole vom »Sozialismus in einem Land« raus. Das Ergebnis: Ein autoritärer Staatskapitalismus, der alles andere war als ein Weg in eine freie Gesellschaft. Revolutionär:innen auf der ganzen Welt haben später ähnliche Erfahrungen gemacht. Sichtbar wurde das insbesondere in Lateinamerika – einer Region, die von den USA noch immer als ihr »Hinterhof« betrachtet wird.

Auf Basis der historischen Erfahrungen lässt sich also feststellen: Jeder Versuch, eine postkapitalistische Gesellschaft aufzubauen, muss international gedacht sein. Mit nationaler Isolation droht nicht nur das Ende der Demokratisierung, sondern es treten auch ganz reale wirtschaftliche und geopolitische Probleme hervor. Stellen wir uns etwa einen Sozialismusversuch allein in der Bundesrepublik vor: »Wie könnte ein isoliertes Deutschland Nahrungsmittel aus kapitalistischen Ländern importieren? Woher kommen Rohmaterialien für die industrielle Produktion? Und: wie würde sich Deutschland in einem Staatensystem gegen imperialistische Mächte durchsetzen können?« (https://rossana-online.de/2021/05/die-linke-und-das-regieren-es-ist-eine-falle/).

Wir sind nicht nur bei einem Sozialismusversuch in Deutschland und Europa auf internationale Unterstützung angewiesen, sondern antikapitalistische Bewegungen in anderen Weltregionen, insbesondere im globalen Süden, müssen sich ebenfalls auf uns verlassen können.

Mit Unterstützung ist nicht der Schulterschluss mit Diktatoren à la Pol Pot, Hồ Chí Minh oder Stalin wie in den 60ern und 70er-Jahren gemeint. Keine imperialistische Macht darf sich woanders einmischen können: Egal ob die USA, Deutschland, Russland oder China. Nur so sind Menschen imstande, sich gegen Diktaturen und Kapitalismus erfolgreich wehren zu können. Einmischung von außen spielt den Herrschenden in die Hände; zum Beispiel indem sie große Teile der Bevölkerung hinter dem Diktator gegen das Ausland zusammenschweißt oder weil – viel schlichter – die Diktatoren unmittelbar finanziell und militärisch unterstützt werden. Ohne Putins Russland wäre Bashar al-Assad längst Geschichte. Ebenso wäre Saddam Hussein im Irak ohne Bush Senior lange vor dem Einmarsch der US-Truppen gestürzt worden.

Internationalismus ist also nicht nur eine moralische Frage: Internationalismus muss Grundbaustein jeder antikapitalistischen Strategie sein. Internationalismus ist Bedingung linker Macht. Dementsprechend muss auch jetziges Handeln darauf ausgerichtet sein.

Sind die Parteien bereit, internationalistisch zu regieren?  

In der bisherigen Diskussion in der Bewegungslinken findet Internationalismus kaum Platz. Zwar gab es Veranstaltungen zu antimuslimischem Rassismus und unorganisierten Austausch zur Palästinafrage, aber keine Antworten darauf, was sie für die Strategie zur Überwindung des Kapitalismus implizieren. So wird auch die Regierungsfrage ausschließlich national gedacht – doch selbst wenn dies anders wäre, würde die praktische Umsetzung von Internationalismus durch den Druck des Systems und der Regierungskoalition versperrt werden. 

Die im Bundestag vertretenen Parteien fordern geschlossen ein Ja zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr. Die LINKE würde auf massive Gegenwehr stoßen und nichts deutet darauf hin, dass die SPD oder die Grünen ihre jetzigen außenpolitischen Strategien überdenken; geschweige denn mit dem deutschen Imperialismus brechen. Die Integration der beiden Parteien in den Staat ist eine Geschichte der Distanzierung von linken Positionen – und einige der Leute, die für die Kriege in Jugoslawien und Afghanistan verantwortlich sind, sind noch immer einflussreich. Sie setzen sich nicht einfach durch weniger linke Strategien von der LINKEN ab, sondern durch grundsätzlich andere Einschätzungen von Kapitalismus und Imperialismus.

Und: Nicht einmal die LINKE ist durchweg antimilitaristisch eingestellt. Dietmar Bartsch zieht Ausnahmen für Waffenexporte in Erwägung und Gregor Gysi möchte endlich das »Ja« zur NATO. Der Druck Richtung stabile Mehrheiten »links der Mitte« ist enorm. Er zwingt die LINKE zu Anpassungen. Wie wäre dann Internationalismus zu garantieren? Durch Beschlüsse und Haltelinien? In den Bundesländern, in denen die LINKE regiert, werden bereits Erfahrungen damit gemacht, was diese im Ernstfall bedeuten. Die Partei möchte: »Abschiebungen stoppen und Bleiberecht ausbauen, Seenotrettung sicherstellen«. In Berlin, Bremen oder Thüringen werden aber keine Abschiebungen gestoppt. Rote Haltelinien werden einfach überschritten. Wo ist der breite Aufschrei aus der LINKEN oder auch nur aus der Bewegungslinken? Das Fehlen lässt befürchten, dass es ihn genauso wenig geben wird, wenn eine Linksregierung auf Bundesebene den Bundeswehreinsatz in Mali weiterführt.

…und wo stehen die deutschen Staatsapparate?

Um herauszufinden, auf wessen Seite der Staat steht, braucht es nur einen Blick in den Nahen Osten und Nordafrika. 

Die Revolutionen von 2011, die Diktaturen hinwegfegten, verschlief die LINKE. Wird das Thema im Parteiumfeld angesprochen, werden die Umbrüche oft als erfolglos abgespeist – »Arabischer Winter« halt. Sicher, in einigen Staaten konnten sich Diktatoren vorerst behaupten. Doch dies gelang nur durch aktive Deckung imperialistischer Mächte, darunter Deutschland. Mit Material, Waffen und Ausbildung »Made in Germany« werden in Ägypten, Bahrain, Marokko, Tunesien oder Jemen revolutionäre Bestrebungen zerstört und »Ordnung« stabilisiert. Die Sicherheitssektoren der gesamten Region werden militärisch und polizeilich ausgebaut. Künftige Aufstände sollen zerschlagen werden und neu geschaffene Grenzregime – die, wie bereits geschrieben, die Regierungslinke in Deutschland nicht abbaut – lassen die Bevölkerung im Elend zurück. Gerahmt als »Sicherheitssektorreform« durch »Hilfe zur Selbsthilfe« können sich die Regime mit (neuer) Härte gegen die Menschen stellen. Im selben Atemzug sahnt das deutsche Kapital ab – und Siemens feiert in Ägypten den größten Auftrag seiner Geschichte. Statt auf Revolution stehen die Zeichen auf Konterrevolution. 

Um auf den Widerstand gegen ein internationalistisches Regierungsprogramm zurückzukommen: Wie bereits geschrieben, würde er aus der SPD und von den Grünen kommen; selbst aus Teilen der LINKEN – Menschen, die unter Abdelfattah el-Sisis Diktatur in Ägypten oder unter israelischer Besatzung leben, sind eben nicht wahlentscheidend. Dazu käme aber nahezu der gesamte deutsche Sicherheitsapparat, der sich aktiv gegen die Linksregierung stellen würde: Oder würden Geheimdienste und Polizei auf einmal zustimmen, wenn die Grenzen wirklich geöffnet werden? Wenn die deutsche Linksregierung plötzlich Gruppen unterstützt, die die weltweiten Stabilitätsanker – Diktaturen – stürzen wollen; wenn die thawra oder die revolución neu entfacht würde? Würde es die Waffenindustrie akzeptieren, Pleite zu gehen, weil sie keine Waffen mehr exportieren kann? Und fände es das Entwicklungsministerium einfach in Ordnung, keine freien Märkte mehr zu fördern?

Für eine Strategie von unten 

Die Regierungsstrategie geht davon aus, dass die genannten Staatsapparate einfach von innen heraus gesprengt werden können und der Widerstand dadurch gebrochen wird. Historisch gibt es aber keine Belege dafür, dass eine solche Strategie funktionieren kann – und theoretisch ist dies ebenso fraglich. (https://rossana-online.de/2021/05/die-linke-und-das-regieren-es-ist-eine-falle/) Erforderlich wäre stattdessen der Bruch mit dem Staat und die demokratische Selbstorganisation von unten. Antonio Gramsci schrieb: »[N]ach den revolutionären Erfahrungen Rußlands, Ungarns und Deutschlands der sozialistische Staat sich nicht in den Institutionen des kapitalistischen Staates verkörpern kann, sondern – verglichen mit ihnen, sogar verglichen mit der Geschichte des Proletariats – in einer grundlegend neuen Schöpfung.« (https://www.marxists.org/deutsch/archiv/gramsci/1919/07/staat.html). 

Regieren im Kapitalismus ist dagegen der Versuch, eine Abkürzung in den Ökosozialismus zu finden – diese gibt es aber nicht. Solange wir an dem Versuch festhalten, kann linken Bewegungen weltweit nicht der Rücken gestärkt werden und wir verlieren die Voraussetzungen für einen demokratischen Übergang. Die kommenden 10-15 Jahre werden nichts daran ändern, falls die LINKE weiterhin aufs Regieren schielt.

Dagegen mag eine revolutionäre, anti-staatliche Strategie von unten, wie sie von Gramsci befürwortet wird, mühsam und langsam erscheinen. Allerdings kann sich die Situation, in der wir uns befinden, schnell ändern, was unter anderem die Revolutionen in Tunesien und Ägypten bewiesen haben. Kaum jemand hätte sie Mitte der 2000er für möglich gehalten. Dies soll nicht heißen, dass wir einfach eine solche revolutionäre Situation abwarten können: Im Gegenteil, Bewegung und Partei müssen jetzt aufgebaut werden und internationale Solidarität muss jetzt mitgedacht werden – sonst wird es keinen demokratischen Wandel hin zu einer ökosozialistischen Gesellschaft geben.