Schlagwort: Was bedeutet für uns emanzipatorische Klassenpolitik?

Jana Seppelt – Wer ist die Klasse heute?

Wer ist die Klasse heute?

Um zu beantworten, wer „die Klasse“ heute ist, lohnt ein Blick auf die Umstrukturierungen in Produktion und Verteilung zu sehen und andererseits auch, wer in den gewerkschaftlichen und betrieblichen Auseinandersetzungen sichtbar geworden ist in den letzten Jahren.

Bekannt sind vielen im Raum die Abnahme der zahlenmäßigen Bedeutung der klassischen industriellen Bereiche und die Zunahme der Bedeutung des Dienstleistungsgewerbes (rund 800.000 Menschen und bei den Zulieferern 1 Million, jedoch im Gesundheitswesen zwischenzeitlich über 6 Millionen Menschen, Anstieg der Beschäftigung auch in Logistik / Transport / Callcenter).

Bekannt ist auch der zahlenmäßige Anstieg der Auseinandersetzungen in den Dienstleistungsbereichen, in denen mittlerweile nicht mehr ganz so neue Gruppen aktiv werden: Erzieherinnen, Sozialarbeiterinnen (2009, 2015), Reinigungskräfte (2009), Einzelhandel, in den letzten Jahren Pflegekräfte natürlich aber auch abgeschlagene, outgesourcte Bereiche im Niedriglohnsektor wie Gate Gourmet, Bodenverkehrsdienste, Service-Töchter der Krankenhäuser mit einem Mix aus angelernt / umgelernt / ausgebildet und sehr differenzierten Belegschaften in der Frage der Herkunft. Wir sehen mit Amazon, Deliveroo, Hotels wie Wombats hier und auch anderswo auf der Welt viele junge Leute und viele MigrantInnen. In Städten wie Berlin, Hamburg aber auch anderswo sehen wir viele junge Menschen aus den europäischen Krisenländern, alte und neue MigrantInnen in Arbeitsverhältnissen der Gastronomie, Callcentern, Internethändlern, aber auch im unsicheren Wissenschaftsbereich oder beispielsweise der Pflege. Menschen arbeiten zunehmend arbeitsteilig. Wir sehen die Besetzung neuer Themen in Zeiten der Burn-Out-Gesellschaft: Personalbemessung, Arbeitszeit (IG Metall).

Im Blick auf die Art der Jobs, in denen die Menschen arbeiten, hat sich die Landschaft vervielfältigt (im negativen Sinn): Die Tarifbindung sinkt in beiden Bereichen (Metall 50%, Dienstleistung drunter, Unterschied Ost / West). Das Normalarbeitsverhältnis erodiert weiter, hohe Aufsplittung der Belegschaften (Stamm- / Randbelegschaften, Honorare, Werkverträge, Leiharbeit, Outsourcing / Privatisierung / Zwei- / Dreiklassenbelegschaften). Nicht zu vergessen, die nicht-mehr-in-Arbeit-kommenden, v.a. in den strukturschwachen Regionen.

Wir haben einen massiven Bedarf, Arbeit anders / neu zu regulieren (neues NAV), Leute zu qualifizieren (Bildung und Weiterbildung / Expansion anspruchsvoller Dienstleistungstätigkeiten) und die Lebensverlaufspolitik neu zu denken: Der Normallebensverlauf und das Normalarbeitsverhältnis sind kaum mehr die Regel, alternative Lebensverläufe müssen abgesichert und systematische Unterbrechungen für z. B. Weiterbildung, die Pflege Älterer oder Kinderbetreuung gefördert werden, was zu keinen Nachteilen bei staatlichen Leistungen führen darf. Hier stecken wir in den Kinderschuhen.

Subjekt der Veränderung ist die offensichtlich nicht homogene Klasse (Mann / Frau, alt / jung, Hand- / Kopfarbeit, Biodeutsch – migrantisch). Hier möchte ich bestärken, was Stephan Krull im Panel zu gewerkschaftlichen Kämpfen stark gemacht hat:

  • Die Unterschiede / Veränderungen führen auch zu unterschiedlichen Bedürfnissen und Anforderungen an die Arbeit in verschiedenen Lebensphasen, zwischen den Geschlechtern, in verschiedenen Tätigkeitsbereichen. Aber: es gibt gemeinsame, übereinstimmende Interessen: Gute angstfreie Arbeit, gerechte Verteilung aller Arbeit, gute Arbeitsbedingungen, gute Bezahlung. Bei aller Differenz: Konzentration auf die Gemeinsamkeiten, nicht auf die Unterschiede, Konzentration auf verbindende Forderungen! Und – das brauche ich hier nicht sagen – eine Konzentration auf inklusive Politik, Antirassismus, Rand- / Stammbelegschaften sollte selbstverständlich sein.
  • Widersprüche in der Gewerkschaftspolitik / in den Gewerkschaften, aber auch in der Politik zum Ausgangspunkt einer differenzierten Gewerkschaftsarbeit machen: deutliche (solidarische) Kritik an falschen Positionen (Standortpolitik statt Internationalismus) und falscher Strategie (keine Bündelung der Kräfte und der Aktionen / Legalismus) mit ein.
  • Ausbuchstabieren von SOLIDARITÄT als positiven Wert, Gute Arbeit, gute Pflege, Recht auf Wohnen, Recht auf Bewegungsfreiheit und das Recht auf Bildung in den Mittelpunkt stellen und etwas mutiger im Gegnerbezug werden.

Alex Wischnewski – Von welcher Klasse reden wir?

Wenn wir uns fragen, was „emanzipatorische Klassenpolitik“ bedeutet, dann müssen wir uns doch als aller erstes fragen, von welcher Klasse wir eigentlich reden. Klar ist, dass wir an die Arbeiter_innen denken – aber wer ist das?

Wir haben inzwischen mitbekommen, dass sich die Zusammensetzung der Menschen, die einer Lohnarbeit nachgehen, grundlegend verändert hat. Allein die Frauenerwerbsquote ist heute so hoch wie noch nie. Gleichzeitig zeichnet sich an ihnen aber auch die Veränderung des Arbeitsmarktes ab. Rund 30 Prozent aller weiblichen Beschäftigten arbeiten im Niedriglohnsektor. 2/3 aller ausschließlich im Minijob Beschäftigten sind Frauen. Gerade in den Branchen, die wegen ihrer mangelnden Profitabilität zunehmend unter Druck geraten, arbeiten hauptsächlich Frauen: In der Kindertagesbetreuung sind es 95%, in der Pflege sind es 85%.

Diese Aufspaltung der Menschen in der Lohnarbeit ist kein Zufall, sondern direkte Folge des Patriarchats, von dem auch Teile der Lohnarbeitenden selbst profitieren. [Andere Herrschaftsverhältnisse kommen hinzu: die geschätzt an die halbe Millionen Pendelmigrantinnen aus Osteuropa, die in deutschen Privathaushalten die Löcher des Pflegesystems stopfen, zeugen davon.] Die widersprüchlichen Interessen dürfen wir nicht vom Tisch wischen, wenn wir wirklich verbindende Praxen suchen.

Wenn wir aber von Arbeiter_innen sprechen, dann müssen wir vor allem aber auch klären: um welche Arbeit geht es eigentlich?

Wir können dabei und müssen sogar auf die Einsichten, die uns ein sozialistischer Feminismus gebracht hat, zurückgreifen. Denn wir dürfen die Spaltungen und die Wertungen, die uns der Kapitalismus und seine Profitlogik diktieren, nicht in unserer eigenen politischen Praxis wiederholen, wenn diese darüber hinausweisen will.

Sozialistische Feministinnen haben schon vor Jahrzehnten formuliert: Der Arbeitsbegriff darf sich nicht auf Lohnarbeit alleine beschränken. Es ist die unentlohnte Sorge-Arbeit, die Frauen tagtäglich und meist unsichtbar leisten. Die Erziehung von Kindern, die Zubereitung von Essen, die Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen. Das ist die gesellschaftlich notwendige Arbeit, wenn wir das Leben wieder ins Zentrum stellen anstatt den Profit. Auch sie müssen deshalb selbstverständlicher Teil einer zu organisierenden Arbeiter_innenklasse sein.

Wenn wir uns darauf einigen können bleibt natürlich immernoch die Frage: wie organisieren wir uns und für was?

Gewerkschaften und DIE LINKE sind bereits an wichtigen Kämpfen dran. Beispiele sind etwa die Personalbemessung in der Krankenhauspflege, in der es nicht nur um gute Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten geht, sondern auch darum, was eigentlich für menschenwürdige Pflege notwendig ist. Oder die Auseinandersetzung der IG Metall um eine Arbeitszeitverkürzung für Sorgearbeiten. Und es gibt Kämpfe um den Ausbau einer sozialen Infrastruktur, wie etwa einer qualitativ hochwertigen und kostenlosen Kinderbetreuung.

Hier stecken zentrale Ansätze drin, aber es fehlt noch die feministische Rahmung: feministisch in dem Sinne, dass die geschlechtliche Arbeitsteilung angegriffen wird, aber auch der Wert von Arbeit am Menschen explizit aufgenommen. Feministisch in dem Sinne, dass der Zusammenhang der Produktions- und Reproduktionssphäre herausgestellt wird. Feministisch in dem Sinne, dass es uns nicht um „Vereinbarkeit“ von Arbeit und Familie gehen kann, sondern um Vereinbarkeit auch mit Spaß und Politik. Feministisch in dem Sinne also, dass wir Bedürfnisse ins Zentrum stellen und wirklich breit darüber diskutieren, welche Arbeiten für diese Bedürfnisse gesellschaftlich notwendig sind. Es geht also nicht so sehr darum, dass sich die Auseinandersetzungen nicht von selbst schon aufdrängen würden, sondern, dass wir sie oft nicht größer einordnen.

Wenn wir uns auch mit den Arbeiter_innen in Privathaushalten organisieren wollen, stellt sich das Problem der Vereinzelung noch einmal verschärft. Allein deshalb sollte die Partei DIE LINKE ein attraktiverer Ort für Frauen sein. Das bezieht sich einmal darauf, dass die inhaltlichen Forderungen mit dem Leben von Frauen zu tun haben und sie es deshalb attraktiv finden, sich einzubringen. Aber es bezieht sich auch auf ganz profane Fragen der Zeiten für Treffen und Ämter, von Kinderbetreuung und von Redeverhalten.

Darüber hinaus können wir an feministische Bewegungen und Debatten anknüpfen, die gerade in diesen Zeiten eines fortschreitenden Rechtsrucks vitaler erscheinen als lange und Mobilisierungen quer zu sonstigen Spaltungen möglich machen. Aktive des Frauen*kampftagsbündnisses in Berlin laden für den 9.Mai zu einem ersten Vernetzungstreffen für einen politischen Streik ein, der genau diese Punkte aufgreift. Ich würde mich freuen, viele einer sich formierenden Bewegungslinken dort zu treffen.