Schlagwort: Verparlamentarisierung

Wie Parlamentarisierung entgegenwirken? von Violetta Bock

Bewegungslinke heißt nicht Parlamentslinke, Bewegungslinke heißt nicht eine Sitzungslinke. Einer der Kernpunkte der Bewegungslinken ist: wenn wir die Gesellschaft verändern wollen, wenn wir die Kräfteverhältnisse so verändern wollen, dass der Kapitalismus überwunden wird, brauchen wir eine breite gesellschaftliche Front und dürfen nicht auf das Parlament setzen. Das gelingt aber nicht mit der Partei, wie wir sie jetzt haben. Denn die LINKE ist ja bereits mitten drin. In der Ankündigung hieß es „Wie Parlamentarisierung entgegen wirken?“. Das ist eigentlich der falsche Begriff. Denn DIE LINKE ist doch an zu vielen Orten bereits in erster Linie Wahlkampfmaschine, Ochsentour, fixiert auf Posten und Kandidaturen, Fraktionsvorsitzende die tun, was sie selbst und nicht was die Partei für richtig hält, Starren auf Prozente statt Proteste, bürokratisiert, etabliert und assoziiert mit Spitzenpolitikern. Und wenn wir ehrlich sind, sind doch auch auf Bundesparteitagen viel zu oft Hauptamtliche.

Es geht also um eine Entparlamentarisierung. Denn dennoch können wir auf die LINKE nicht verzichten. Sie ist Ressource für viele Bewegungen, sammelt Linke aus verschiedensten Richtungen, ist stabil in den Kernthemen Frieden und Soziales, ist erster – weil öffentlich wahrgenommener – Anlaufpunkt für Anpolitisierte, erstellt Studien, macht Anfragen, setzt Punkte mit Anträgen, ist eine Bühne etc. Von daher können wir auch auf das Parlament nicht verzichten. Die Kunst besteht darin, dass das Parlament nicht die Führung erhält. Denn Parlament ist Feindesland.

Wer von euch hat denn ein Mandat? Oder arbeitet für eine Abgeordnete oder einen Abgeordneten?

Ich mach das auch. Ich bin seit drei Jahren im Kommunalparlament für die Kasseler LINKE. Also die fast unterste Ebene. Aber in der LINKEN gibt es ja viele, die ein kommunales Mandat inne haben. Kommt jemand zur Partei, ist das neben Wahlkampfstand, Vorstand ja auch oft das nächste Angebot, um aktiv zu werden. Ich war zum Zeitpunkt der Wahl noch nicht in der LINKEN, vielleicht muss ich das dazu sagen. Mir war klar, wie ein Parlament wirken kann, nicht nur auf einen selbst, sondern auch auf das Umfeld. In meinem Stadtteil glaubten sie, ich krieg jetzt 8000 Euro und könnte alles für sie regeln. Da war es wichtig immer wieder zu sagen: nein, damit ändert sich nichts, ich kann gar nichts für dich lösen, wir müssen uns immer noch gemeinsam organisieren. Und ich hab den Leuten im Stadtteil und in der Nahverkehrsinitiative auch gesagt, dass sie auch mit dafür sorgen müssen, dass ich am Boden bleibe. Denn so klein das Kommunale ist, es ist krass was für eine Parallelwelt dort schon herrscht. Und die Sachzwänge sind enorm 😉 Verschuldung, alles Grundsätzliche wird auf oberen Ebenen entschieden, blablabla. Das ist ein unheimlicher Sog, und wie viel stärker muss er erst auf anderen Ebenen sein.

Es gilt also diesen Sog zu stoppen. Und weil das ja nichts unbekanntes ist, wurden in der Geschichte der Arbeiterbewegung Maßnahmen entwickelt, in anderen europäischen Ländern werden sie zum Teil angewendet: Rotationsprinzip, zeitliche Begrenzung des Mandats, Rückführung oder Teilrückführung des Lohns usw.

Ich habe mit mir angefangen, weil das wie natürlich viele Fragen aufwirft, es Konsequenzen hat und einem doch eingebläut wird: Das geht nicht anders, wir müssen uns doch professionalisieren, um mithalten zu können, zwei Legislaturen sind viel zu wenig, die Leute erwarten auch, dass man sich mit allem beschäftigt um Skandale aufzudecken etc.

Und klar, inzwischen kann ich Bebauungspläne und den Anteil der Dachbegrünung lesen – wirklich nicht unwichtig – aber dadurch konnte ich noch niemanden vom Sozialismus überzeugen. Um sich nicht im Detail zu verlieren braucht es kollektive Strukturen. Es reicht nicht einfach die richtigen Leute reinzuschicken, die Gefahr ist zu groß, dass wir sie darin verlieren oder ihnen die Führung überlassen. Wir müssen Strukturen schaffen, die dem Parlamentarismus entgegen wirken und können heute anfangen damit zu experimentieren.

Ich finde die Erdung im Stadtteil wichtig, einen Kreis an Leuten um sich, und hierbei übrigens auch Hälfte Parteimitglieder, Hälfte nicht Parteimitglieder, um nicht in die Parlamentsfalle zu tappen oder drin sitzen zu bleiben. Wenn Mieter*innen zu mir kommen und von einem Eigentümerwechsel sprechen, schreibe ich ihnen nicht als erstes einen Antrag sondern sage deutlich, ich werde es nicht für sie lösen, ihr müsst Druck aufbauen, dürft nicht auf Umarmungstaktiken rein fallen, und wir helfen ihnen dabei sich zu organisieren und stehen beratend zur Seite, verleihen ihren Anliegen im Parlament eine Stimme.

Und mit weitere Maßnahmen sollten wir einfach experimentieren, um eine sozialistische Kultur zu prägen. Und das wird nicht über einen Antrag beim Parteitag gelingen. Denn es erfordert einen grundlegenden Wandel der Partei. Und auch dafür brauchen wir das Wechselspiel mit den Bewegungen. Denn sonst ist die Gefahr groß, dass die Kontrolle durch die Partei zu einer bürokratischen Führung wird statt einer demokratischen durch soziale Bewegungen.