Schlagwort: Solidarität

Where do you go to, my lovely? Die linke vor dem bundesparteitag

Ein Diskussionspapier vom Koordinierungskreis der Bewegungslinken 

Auf dem kommenden Bundesparteitag der LINKEN wird die Parteibasis eine neue Parteiführung wählen. Für uns Anlass, einerseits Bilanz zu ziehen, andererseits aber auch klar zu sagen, welche Weichen unseres Erachtens gelegt werden müssen, um als Partei DIE LINKE erfolgreich zu sein.

Dies tun wir ausgehend von einigen strategischen Annahmen, die zu unserem Grundverständnis gehören. So gehen wir von einer Mehrfachkrise des Kapitalismus aus, die wir aktuell durchleben: Die Wirtschaftskrise, schleichende soziale und demokratische Krisen gehen mit einer ökologischen Krise einher. Überlagert wird dies durch eine schwelende Krise der Europäischen Integration. 

Die Konkurrenzparteien stehen für das bloße Verwalten dieser Mehrfachkrise des Kapitalismus, wenn auch mit unterschiedlicher Schattierung. Während es für Union und FDP eine unhinterfragte Selbstverständlichkeit ist, Kapitalinteressen gegen Mensch und Natur zu verteidigen, verpacken SPD und Grüne ihre Politik sozialer und ökologischer. An ihrer konkreten Politik ändert dies wenig. Die SPD hat eine Parteispitze aufgestellt, die zwar nach außen ab und an erfrischend andere Töne anschlägt, sie steht aber weiter für die Koalitionspolitik, die Klimaziele verfehlt, soziale Spaltung zementiert und ein gigantisches Aufrüstungsprogramm der Bundeswehr inklusive der Beschaffung von Killerdrohnen mitträgt. Die Grünen hofieren in Baden-Württemberg die Autoindustrie und gehen in Hessen mit Polizeigewalt gegen die Besetzer:innen des Dannenröder Waldes vor. 

Die ökonomischen Ungleichgewichte in der Europäischen Union verschärfen derweil die politischen Konflikte in der Frage der Finanzhilfen für Krisenstaaten. Ein „geeintes Europa unter deutscher Führung“ ist heute weniger greifbar denn zuvor. Und doch: Wie ein Kartell verfeindeter Brüder steht die EU zusammen, wenn es um die brutale Abschottung der Außengrenze sowie die systematische Aufrüstung der EU gegen China und andere Rivalen geht. Die sozialen Gegensätze in Deutschland spitzen sich zu, ohne dass daraus eine einfache gesellschaftliche Frontenbildung entsteht. Die an unterschiedlichen Stellen auflodernden Kämpfe für konkrete Verbesserungen im Hier und Jetzt wollen wir daher unterstützen und beitragen, Verbindungen zu schaffen. Der Einsatz für unmittelbare Reformen eröffnet dabei oft die Möglichkeit für weitergehende Debatten und im besten Fall Wege in eine nachkapitalistische Übergangsgesellschaft. Unser Ziel ist und bleibt eine ökosozialistische Demokratie, weil es einen humanen Kapitalismus nicht geben wird.

Das ist das Nötige, das aber nicht einfach möglich ist. Die Kräfteverhältnisse sind nicht so. Und auch DIE LINKE ist oft noch nicht die Kraft, die sie sein müsste, um die Kräfteverhältnisse stärker zu beeinflussen. Als Bewegungslinke setzen wir uns deshalb für eine Erneuerung der Partei ein, eine Kulturrevolution in der LINKEN, bei der es gilt, aus bereits vorhandenen guten Ansätzen zu lernen, Fäden aufzunehmen und weiterzuspinnen. Wir wollen eine organisierende Partei, die in Kämpfen nützlich ist; eine verbindende Partei, die an der Einigung der Arbeiter*innenklasse mitwirkt; eine Partei der spürbaren Solidarität, die Lust macht, mitzumachen und zu diskutieren; und eine strategische Partei, die die politische Macht nicht nur übernehmen will, sondern auch einen realistischen und deshalb radikalen Plan hat, um zu gewinnen.

Eine bemerkenswerte Bilanz von Katja Kipping & Bernd Riexinger, aber auch viel Gegenwind und noch offene Konflikte

Seit dem Antritt von Kipping und Riexinger 2012 hat sich DIE LINKE sehr verändert. Sie hatte damals fünf Jahre seit der Fusion aus PDS und WASG auf dem Buckel, war 2009 noch sehr erfolgreich aus den Bundestagswahlen hervorgegangen, befand sich aber in einer handfesten, existenziellen Krise. Beim Bundesparteitag in Göttingen mahnte Gysi die Konflikte und mangelndes Verständnis zwischen Ost und West an und warnte vor einer Spaltung. In Umfragen stand DIE LINKE mitunter bei 4 bis 5 Prozent, nach einem Aufwind in den Jahren zuvor verlor sie wieder Mitglieder, hatte insgesamt eine überalterte Mitgliedschaft und war – was die Mitgliedschaft angeht – immer noch eine eher ostdeutsche, denn gesamtdeutsche Partei. Die Kritik an den Hartz-Gesetzen, die DIE LINKE in den Anfangsjahren getragen hatte, mobilisierte Wähler:innen nicht mehr ausreichend. In dieser Situation übernahmen Kipping/Riexinger. 

DIE LINKE hat in den Folgejahren Erfahrungen mit organisierender und auf Kämpfe bezogener Kampagnenarbeit gemacht. Dazu zählen die Pflege- und Mietenkampagne, aber auch lokale Versuche aktivere Wahlkämpfe zu führen und das Ausprobieren „aufsuchender Türgespräche“. Neue Wählerschichten haben sich so der Partei zugewendet, insbesondere aus den sozialen Sektoren der Arbeiter*innenklasse, also der Gesundheitsindustrie, und qualifizierte Angehörige der lohnabhängigen Mittelschichten. Die Mitgliedschaft ist heute deutlich jünger und weiblicher. Bundesweit sind wir gar die jüngste der Parteien (wenn schon nicht die stärkste). 

Gelungen ist es darüber hinaus eine programmatische Weiterentwicklung über eine reine Sozialstaatspartei hinaus. Denn die Ansätze einer Sozialprotestbewegung, wie sie sich gegen die Agenda 2010 und die damit verbundenen Hartz-Gesetze formierte, gibt es heute so nicht mehr. Nach dem Aufsehen erregenden Streikjahr 2015, als Medien bange fragten, ob wir uns auf den Weg in eine Streikrepublik befänden, war es auch mal merkwürdig ruhig geworden um die soziale Frage. Das prägte auch die Auseinandersetzungen in der Partei, wo sich immer wieder gerne abstrakt darum gestritten wird, wie wichtig das Thema der sozialen Gerechtigkeit ist, gleichzeitig aber überschaubar ist, wie oft und auch welche Abgeordneten bei lokalen Streikkundgebungen auftauchen (was sich nicht unbedingt damit deckt, wer das am lautesten einfordert).

Neben den klassisch sozialen Themen sind in den letzten Jahren neue politische Konjunkturen entstanden, neue politische Fragen und Widersprüche dominieren heute die öffentlichen Auseinandersetzungen als noch zur Gründungszeit der Partei. In den letzten Jahren waren das zum Beispiel die Haltung zur Migrationspolitik und zum Aufstieg der AfD oder zur aufkommenden Klimabewegung, die auch alte politische Bündnisse innerhalb der Partei durcheinandergebracht haben. In zentralen Fragen drohen sie die neu entstandenen Bündnisse sich zu blockieren. Wer glaubt, dass die Neuwahl diese Blockade auflösen kann, unterschätzt womöglich die darunter liegenden politischen Konflikte. Denn was viele als Machtbündnisse ohne große Gemeinsamkeiten empfunden haben, hatte unseres Erachtens – bei aller Unterschiedlichkeit der handelnden Akteur:innen – sehr wohl auch Grundlagen, die diese Bündnisse getragen haben. Die Konfliktlinien lassen sich natürlich nicht komplett schematisch fassen und es gibt immer auch Graustufen, aber grob lassen sie sich aus unserer Sicht wie folgt skizzieren:

(1) Die programmatische Ausrichtung und damit verbundene Wahl von gesellschaftlichen Zielgruppen. Daran angedockt (2) das Verhältnis der Partei zu sozialen Bewegungen. (3) Die Vorstellung, wie gesellschaftliche Kräfteverhältnisse verändert werden können und damit verbunden wiederum (4) das Parteiverständnis.

(1) Sozialstaatspartei vs. verbindende Klassenpolitik

Die programmatische Erweiterung, für die Kipping/Riexinger stehen, ist nicht unumstritten in der Partei. Manche betonen in dem Kontext immer, dass DIE LINKE über die Jahre die Arbeiter:innen als Zielgruppe verloren habe. Insbesondere zu Beginn des Aufstiegs der AfD hieß es auch in unserer Partei, man müsse die Sorgen der Leute ernst nehmen, um keine weiteren Verluste nach rechts zuzulassen. Tatsächlich gab es eine Zeit, in der wir insbesondere Wähler:innen, die DIE LINKE – oder vorher auch mal WASG und PDS – gewählt haben, verloren haben. An Nicht-Wähler:innen ebenso wie an die AfD. Rassistische Ressentiments waren dabei ebenso ausschlaggebend wie das Bedürfnis nach Protest, das eine etablierte Partei zwangsläufig weniger bedient (was nicht heißen soll, dass die LINKE das nicht stärker ausstrahlen könnte). Diese „Wanderung“ ist aber lange abgeschlossen und Studien der jüngeren Vergangenheit belegen, dass es bei aktuellen AfD-Wähler:innen ein vernachlässigbar geringes Potenzial für DIE LINKE gibt, während die Überschneidungen etwa mit Wähler:innen der Grünen viel größer sind. 

Und nicht nur, dass wir da was holen können: auch können wir noch richtig viel verlieren, wenn das eine Drittel, das momentan DIE LINKE wählt, aber als Zweitwahlabsicht die Grünen nennt, das Gefühl bekäme, Klimaschutz sei uns nicht so wichtig. Im Juni 2020 ergab eine Forsa-Umfrage außerdem, dass von den bei einer Bundestagswahl erstmals wahlberechtigten 18- bis 20-Jährigen 42 Prozent die Grünen wählen würden, nur 7 Prozent DIE LINKE – was uns alarmieren muss, wo wir doch bei den Jüngsten immer eher überdurchschnittliche Zustimmung hatten. Wenn man also taktisch argumentieren möchte, müsste man schon deswegen als Partei das Klimathema ernst nehmen und als einen Schwerpunkt erachten. Zumal viele unserer Anhänger:innen die Einschätzung teilen, dass es sich dabei um das aktuell drängendste Thema handelt. Und ja, es ist auch wirklich drängend, weshalb wir es als wichtig erachten würden, selbst wenn nicht die Studien uns das nahelegten. 

Auf der anderen Seite ist es übrigens auch nicht so, dass Wähler:innen nicht mehr wüssten, wem die höchste Kompetenz in Sachen Soziales zuzumessen ist, es ist eben nur – wie schon gesagt – aktuell für viele nicht wahlentscheidend. Ob wir uns das wünschen oder nicht. Deswegen halten wir eine Konzentration oder „Rückbesinnung“ auf Themen der sozialen Gerechtigkeit und Frieden für falsch, wie es etwa prominent von Wagenknecht/Lafontaine und beim Projekt „Aufstehen“ gefordert wurde, und in Ansätzen auch aus dem Umfeld von Dietmar Bartsch angedeutet wird. 

Das Bild des durchschnittlichen Arbeiters, der seine Probleme noch gerne am Stammtisch diskutiert oder mit Fäusten klärt, halten wir für nicht mehr zeitgemäß. Damit kann weder das stark gewachsene Dienstleistungsproletariat, noch der finanziell oft eher gut gestellte Mitarbeiter der Automobilindustrie gemeint sein. Während es bei der Einschätzung, man dürfe „nicht grüner als die Grünen“ werden (was soll das eigentlich genau bedeuten?), bei dem in der Fraktion bestehenden Bündnis zwischen Bartsch/Korte und Wagenknecht-Umfeld eher Einigkeit gibt, kann man gleiches aber bei der Haltung zur Migrationspolitik und Solidarität mit Geflüchteten nicht behaupten, wo das Wagenknecht-Lager in der Partei ziemlich allein auf weiter Flur war und ist. Nichtsdestotrotz handelte es sich auf der Bundesebene um einen scharfen Konflikt, aus dem sich manche Parteiprominenz weitgehend rausgehalten hat. Wir sind froh und dankbar, dass die Parteivorsitzenden hier sehr deutlich Stellung bezogen und dabei auch immer betont haben, dass eine Änderung der Programmatik über die Mitgliedschaft und einen Bundesparteitag geschehen müsse und nicht in Talkshows verkündet wird.

Für uns ist und bleibt es eine existenzielle, linke Frage, dass bei der Solidarität mit Geflüchteten keine Zweifel aufkommen dürfen. Wenn gegen Geflüchtete und Menschen mit Migrationsgeschichte gehetzt wird, halten wir dagegen. Menschen und ihre Sorgen ernst nehmen, heißt nicht, ihnen nach dem Mund zu reden. „In jedem Kampf liegt es nahe, wird es von oben nahegelegt, die Linien zwischen sich und dem Nachbarn, der Nachbarin, jemand, der oder die anders zu sein scheint, zu ziehen. Aber wir machen das nicht. Wir sind DIE LINKE. Solidarität ist unsere DNA.“, brachte es Bernd Riexinger in seiner Erklärung zum Nicht-Wiederantritt auf den Punkt.

Er war es auch, der mit anderen zusammen den Begriff der „verbindenden Klassenpolitik“ maßgeblich prägte und damit die Grundlage auch für unser Verständnis von programmatischer Ausrichtung der Partei formulierte, welches ebenso bereits in dem 2013 veröffentlichten Papier „Verankern, verbreitern, verbinden“ von Kipping/Riexinger durchschien: Kämpfe verbinden, statt sie gegeneinander auszuspielen, ist die Aufgabe linker Politik.

Das eigentlich wirklich verstörende an all diesen Diskussionen ist, dass wir nicht in eine Partei eingetreten sind, weil wir überlegt haben, bei welcher Thematisierung welcher Fragen am Wahlabend die Balken möglichst weit hochgehen. Wir engagieren uns in der LINKEN mit viel Zeitaufwand und Herzblut, weil wir diese Gesellschaft verändern wollen. Deswegen unterstützen wir die Kämpfe, deren Anliegen wir teilen, gehen zur Streikkundgebung ebenso wie zur Klimademo. 

(2) Verhältnis der Partei zu sozialen Bewegungen

„Partei in Bewegung“ war das passende Motto zu einem Prozess des sich bewusst ins Verhältnis Setzens zu sozialen Bewegungen, ohne deren Stärke keine parlamentarischen Kämpfe zu gewinnen sind. Der von den Vorsitzenden schon 2013 ins Leben gerufene Bewegungsratschlag für den Austausch mit Vertreter:innen aus verschiedenen Organisationen und Bewegungen ist ein Ausdruck davon gewesen. Vor allem aber war die Bundespartei Partnerin in allen relevanten gesellschaftlichen Bündnissen bundesweit, hat viele gar entscheidend mitgetragen, war auf Demonstrationen mit eigenen Blöcken präsent. Leider sind die Bemühungen der Bundespartei und vieler Mitglieder an der Parteibasis oft konterkariert worden, weil wir als LINKE nicht einheitlich aufgetreten sind – größere Bewegungen insbesondere von der Bundestagsfraktion verschlafen, negiert oder gar diskreditiert wurden. 

  1. Als sich mit Unteilbar ein Bündnis bildete, das bewusst Solidarität mit Geflüchteten und soziale Fragen zusammengebracht hat, um die Spaltung der Gesellschaft nicht zuzulassen, verkündete Wagenknecht, dass sie nicht zur Demo gehen würde, woraufhin Medien titelten, dass es nur von CDU und LINKE Kritik an der Demo gäbe, deren LINKE-Block der größte aller Parteien war und an der letztlich über 270.000 Menschen teilnahmen. Die Grünen konnten sich als DIE Partei der Unteilbar-Mobilisierung inszenieren.
  2. Als 2019 diverse Klimastreiks das Land lahmlegten, Schüler:innen, Studierende, Eltern, Gewerkschaften dazu aufriefen, einige Betriebe im Land Betriebsversammlungen einberiefen und Mitarbeiter:innen freistellten, ebenfalls zu den Demos zu gehen, leistete sich unsere Fraktion eine Diskussion darüber, ob Klima wirklich ein so entscheidendes Thema für uns sei, zog wochenlang eine Entscheidung über ein Klima-Aktionspapier hin, und Führungspersönlichkeiten wie etwa Jan Korte warnten medial vor einer Vergrünung der LINKEN.
  3. Als der Tod von George Floyd und die BLM-Bewegung in den USA weltweit zu Soli-Kundgebungen gegen Rassismus und Polizeigewalt animierte, warnte der Fraktionsvorsitzende der LINKEN vor einem „Generalverdacht“ gegenüber der Polizei, die mehr Anerkennung verdiene. Nicht nur reflektierte er dabei seine privilegierte Position in der Debatte um rassistisch motivierte Polizeigewalt nicht. Zudem griff er auch noch die SPD-Vorsitzende Saskia Esken an, nachdem sie völlig zu Recht den „latenten Rassismus“ in den Polizeistrukturen kritisiert hatte. 

Als die SPD sich übrigens auch ungefähr zu dieser Zeit in der Bundesregierung damit durchgesetzt hatte, dass die Auto-Abwrackprämie nicht Teil der Corona-Konjunkturpakete wird und dafür Kritik von konservativen Gewerkschaftern einstecken musste, kommentierte das Dietmar Bartsch mit: “Eine Mitte-Links-Regierung hat dann eine Chance, wenn jede der drei Parteien ihre Hausaufgaben macht“. Es sei „nicht klug, wenn sich die SPD hart links oder besonders ökologisch gibt. Die Sozialdemokraten müssen die gesellschaftliche Mitte ansprechen.“ Man möchte zwangsläufig entgegnen: Es ist auch nicht die Aufgabe der LINKEN, sozialdemokratischer als die SPD zu sein oder sie gar von rechts zu kritisieren, wenn aus ihren Reihen mal vernünftige Stellungnahmen kommen.

(3) Die Veränderung gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse

Gerade dieses letzte Statement verdeutlicht eine strategische Differenz, wie man zur Veränderung gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse kommt. Es geht von parlamentarischen Mehrheiten aus, die darüber zustande kommen, dass verschiedene Parteien bestimmte Klientel ansprechen und zur Stimmabgabe motivieren. Dabei ist der parlamentarische Spielraum maßgeblich abhängig vom Zeitgeist in der Bevölkerung und Mehrheiten in der Gesellschaft, von starken sozialen Bewegungen, die Druck auf die Herrschenden aufbauen. Somit ist es selbstverständlich notwendige Grundlage für linke Erfolge auch in Regierungen, dass Bündnispartner – in der Zivilgesellschaft und bei Parteien – von linken Forderungen überzeugt werden, um dann gemeinsam mit uns dafür zu kämpfen.

Die Art und Weise, wie wir in der LINKEN über Regierungsbeteiligungen diskutieren, wird der Herausforderung, vor der wir stehen, jedenfalls nicht gerecht. Weder die Ankündigung, man müsse vielleicht Positionen in der Friedenspolitik anpassen, um wählbarer oder regierungsfähiger zu werden, noch eine Position, die regieren gar nicht als reale Option in Betracht zieht, entspricht der Vorstellung von einer übergroßen Mehrheit unserer Wähler:innen oder Mitglieder. Der interne Verweis auf derzeit fehlende Mehrheiten ist genauso wenig überzeugend wie die Suggestion, der LINKEN werde nur dann eine Funktion zugeordnet, wenn sie ihre Bereitschaft zum Mitregieren erkläre. Zumal es die Erfolge ignoriert, die wir auch aus der Opposition heraus erreichen konnten.

Wir wollen Brüche im bestehenden System herbeiführen. Deswegen diskutieren wir auch in der Bewegungslinken kontrovers über ein linkes Regierungsprogramm, das Übergänge zum demokratischen Sozialismus schafft. Ohne eine Macht- und Durchsetzungsperspektive werden wir weder die eigenen Mitglieder dauerhaft mobilisieren, noch relevant neue Unterstützer:innen gewinnen können.

Dabei ist natürlich auch klar: Menschen sind in den seltensten Fällen „ein-Punkt-bewegt“, sprich wählen die Grünen nur wegen des Klimas oder DIE LINKE nur wegen sozialer Gerechtigkeit. Diese Vorstellung von Klientel ist unseres Erachtens unterkomplex. Die Grünen haben ihre Schwachstelle längst erkannt und sozialpolitisch nachjustiert. Die programmatische Herausforderung für DIE LINKE besteht darin, ebenfalls mehr anzubieten als nur Antworten auf soziale Fragen. Die Schwierigkeit ist, den unterschiedlichen Bedürfnissen unserer sich nicht sehr ähnlichen Zielgruppen gerecht zu werden, die man nicht durch Addition in Personal und Ansprache lösen kann, weil sie sich mitunter eher diametral gegenüber zu stehen scheinen. Wie sprechen wir diejenigen an, die zu Recht wütend und empört sind und gegen „die da oben“ wettern, ohne die anderen zu verschrecken, die sich in einer Gesellschaft voller Hass und Hetze (von rechts) mehr Miteinander, Liebe und Wärme sowie eine zukunftsbejahende Ansprache wünschen? Wie bringen wir also kulturell zusammen, was sich oft zunächst abstößt? Im Übrigen fängt das in der eigenen Partei an.

Solidarität und Empathie können die Klammer sein. Eine Partei, die einander und anderen zuhört, und zum Mitmachen einlädt. (Top Überleitung zu:)

(4) Parteiverständnis: Mitgliederpartei vs. Stellvertreterpolitik

Es gibt auch in der LINKEN die nicht gering verbreitete Auffassung, dass man mit bekannten Persönlichkeiten die Zustimmung von Wähler:innen ins Unermessliche steigern und ein Potenzial von weit über 20 Prozent für DIE LINKE heben kann. Vielleicht stimmt das, und sicherlich sind beliebte und bekannte Persönlichkeiten immer von Vorteil, weil sie die Wirkung einer Partei verstärken (!) können. Es wird jedoch nie nachhaltig sein, wenn es dahinter nicht eine starke und lebendige Partei gibt. Kipping/Riexinger standen daher immer für einen Parteiaufbau von unten und für eine Partei, die Selbstermächtigung fördert, statt auszustrahlen, dass man etwas stellvertretend für die Menschen erledigen könne (wohl wissend, dass nicht jede:r Wähler:in selbst aktiv werden möchte). Nicht „wir können das“ oder „wir machen das für euch“ – sondern „wir machen das mit dir“ (oder zumindest mal mit deiner Hilfe)!

Den oft an verschiedenen Stellen in der Partei geforderten Kontakt „zum Wähler“ oder „den einfachen Leuten“ förderten sie konkret durch Modellprojekte der Organisierung in sozialen Brennpunkten, durch das Etablieren von Haustürgesprächen in und unabhängig von Wahlkämpfen, durch Besuche von Streikposten oder Infoständen vorm Jobcenter. Die in Parteiauseinandersetzungen vielfach kritisierte Entfremdung von den sogenannten einfachen Leuten begegnet man unseres Erachtens eben nicht mit einer besonders proletarischen Ansprache, sondern vor allem durch Begegnung in der Lebenswelt derjenigen, die man erreichen möchte. Zugespitzt und provozierend gesagt: Diese Begegnung findet nicht (allein) im Ausschuss statt, sondern oft einfach im Kiez oder direkt an der Haustür.

Immer noch: Fragend schreiten wir voran!

Die aufgeführten Erfolge und Erneuerungen der LINKEN täuschen nicht darüber hinweg, dass wir als Partei vor Problemen stehen und leider auch die Bewegungslinke nicht für alles Lösungen parat hat. Wir freuen uns zwar über viele neue Mitglieder im Westen, konnten uns als Partei dort aber nicht ausreichend etablieren und fangen so zu wenig auf, was wir in den Ost-Bundesländern verloren haben. Auch die gewerkschaftliche Verankerung, die uns besonders am Herzen liegt, ist keine Erfolgsgeschichte: In manchen Branchen haben wir spürbar zugelegt und wissen heute viele Gewerkschaftssekretäre unter uns, zugleich haben wir in anderen Bereichen unter Gewerkschafter:innen auch schon mehr Zuspruch erlebt und verlieren gerade erneut einen Gewerkschafter in der Parteiführung. 

Die programmatischen Differenzen in der Partei werden nicht einfach verschwinden, zumal uns ein Bundestagswahljahr bevorsteht, bei dem die politischen Konjunkturen noch nicht ausgemacht sind. Kann die Klimabewegung an alter Stärke anknüpfen? Werden die von uns prognostizierten und durch Corona verschärften Verteilungskämpfe bereits sichtbar oder erst nach den Wahlen hochkochen? Versandet der politische Wechselwille weg von der GroKo bereits in einem von vielen Bürger:innen als Verbesserung betrachteten schwarz-grünen Projekt, bei dem die Krisenmanager Sicherheit ausstrahlen und die Grünen mit ihrer Vorstellung von modernisiertem Kapitalismus punkten können? 

Die erste Partei mit einer weiblichen Doppelspitze zu sein, die eine linke Alternative dazu darstellt, bietet Chancen eines Aufbruchs nach innen und außen – ist aber kein Automatismus. Dieser Aufbruch wird nur gelingen, wenn die Partei aus der Blockade ausbricht und Konfliktfragen klärt, wenn die andauernden Angriffe aus der eigenen Partei über die Medien aufhören oder die handelnden Personen an Bedeutung verlieren. Deswegen ist es nicht egal, wie sich der kommende Parteivorstand zusammensetzt und wie die darin wirkenden Mitglieder zu den oben genannten Fragen stehen. Auch die gewerkschaftliche Orientierung und die Verbindung zu gesellschaftlichen Bewegungen und Auseinandersetzungen sind uns wichtig.

Wir befinden uns mitten in einer um sich greifenden Wirtschaftskrise. Es ist zu befürchten, dass ein gewisse Form des Krisenkorporatismus der Regierung nach den Bundestagswahlen komplett aufgegeben und harte Verteilungskämpfe geführt werden – manche haben schon begonnen, wie die letzten Tarifrunden zeigen. Unsere Aufgabe ist es, die Partei auf diese Kämpfe vorzubereiten und sich an den schon bestehenden Auseinandersetzungen zu beteiligen. Der kommende Bundestagswahlkampf wird uns dabei Corona-bedingt vor neue Herausforderungen stellen, die wir annehmen wollen: immer ein bisschen kreativer und schneller als die anderen sein.

Als Bewegungslinke streiten wir weiter für eine moderne sozialistische LINKE, die sich nicht scheut, auch offen den Kapitalismus in Frage zu stellen und dabei für soziale Gerechtigkeit und Klimaschutz, Frieden und die Demokratisierung der Gesellschaft einzutreten, mit einer antirassistischen und weltoffenen Grundhaltung. 

Ko-Kreis der Bewegungslinken, Oktober 2020.

Solidarität ist unsere Waffe

DIE LINKE 2020 und wie die Bewegungslinke sie verändern will. Es gibt einige Gerüchte, warum die Bewegungslinke gegründet wurde, wann und vor allem von wem. Ob Netzwerk von Bundestagsabgeordneten, M21-Tarnorganisiation, eine Pressure Group für die Parteivorsitzenden oder Wahltruppe, um möglichst viele Leute in den nächsten Parteivorstand zu wählen. Das alles hat teilweise wenig, mitunter sogar nichts mit der Realität zu tun.

Von Katharina Dahme, Mitglied im Ko-Kreis der Bewegungslinken

Ausschlaggebend für unsere Gründung waren auch nicht die Äußerungen von Sahra Wagenknecht bezüglich der Migrationspolitik der LINKEN, wenn das wiederum auch die Notwendigkeit eines neuen Akteurs auf dem linken Flügel der Partei noch deutlicher gemacht hat. Ausgangspunkt war vielmehr die zugespitzte politische Situation in der Gesellschaft, die auch die Partei DIE LINKE unter Druck gesetzt hat. Unsere Einschätzung war und ist es heute immer noch, dass sich DIE LINKE verändern muss, wenn sie angesichts von neoliberalem Mainstream und erstarkender AfD, die sich in den Parlamenten festgesetzt und den öffentlichen Diskurs vergiftet und spürbar nach rechts verschoben hat, eine solidarische Alternative entgegensetzen will.

Bei unserem ersten Ratschlag im April 2018 lautete das Motto daher „Solidarität ist unteilbar“. Und die großen Unteilbar-Demonstrationen gaben uns recht, dass diese Formel breite Zustimmung findet und Linke genau diese Idee nach ganz vorne stellen müssten, d.h. unteilbare Solidarität konkret voranbringen, nicht die Sprache der Spaltung nachsprechen oder befeuern. Aufgabe von Linken ist es nicht, Ängste zu schüren, sondern Hoffnung zu organisieren und die Basis dessen ist der militante Glaube an und die Organisierung von Solidarität.

In diesem Sinne war der Ansatz der verbindenden Klassenpolitik als Antwort auf Spaltung und Entsolidarisierung für uns von Anfang an zentral. Wir glauben nicht, dass man den Rassismus in der Gesellschaft nicht thematisieren sollte, weil dies die Arbeiterklasse spalten würde. Der Rassismus selbst spaltet, nicht seine Problematisierung. Und wenn wir ihn nicht ansprechen, werden wir auf lange Sicht nicht mal unsere eigenen Anhänger immunisieren, geschweige denn Menschen von unseren Positionen überzeugen, die Vorurteile mit sich herumtragen und Andersdenkende oder -aussehende als Übel ausmachen, statt Ausbeutung und Unterdrückung durch die Herrschenden. Verbindende Klassenpolitik meint dabei nicht die einfache Addition der verschiedenen Kämpfe, sondern immer von der Klasse ausgehend Politik zu betreiben, sie in den Mittelpunkt unserer Politik zu stellen.

In welcher politischen Situation befinden wir uns momentan eigentlich? Dazu thesenartig ein paar Gedanken:

1. Die Polarisierung und damit einhergehende Entpolitisierung in der Gesellschaft, hat auch vor der LINKEN nicht Halt gemacht und dort nicht nur für Verunsicherung an der Basis gesorgt, sondern inhaltliche Kontroversen offengelegt, aus denen strategische Differenzen folgen – vor allem im Kampf gegen rechts. Insbesondere im Osten hat die Polarisierung mit der AfD bei den Wahlen zudem zu einer Mobilisierung „aller Demokrat*innen“ für die Parteien gesorgt, die am ehesten eine Chance hatten, gegen die AfD zu gewinnen. In der LINKEN führt es dazu, dass Ansprüche an Regierungsbeteiligungen weiter sinken, weil in dieser nachvollziehbar defensiven Logik alles getan werden muss, eine Regierungsbeteiligung der AfD zu verhindern. Einige hielten im Zuge dieser Dynamik sogar eine Zusammenarbeit mit der CDU für diskutabel. In der Wählerschaft drückte sich die Verunsicherung auch darüber aus, dass in Leipzig viele Wähler*innen mit der Erststimme die linke Jule Nagel und mit der Zweitstimme CDU wählten.

2. Der Neoliberalismus war und ist womöglich nicht in einer Krise, sondern wird immer wieder modernisiert, aktuell grün aufgemotzt. Viele halten eine grün-schwarze Koalition der Modernisierung, mit etwas mehr Klimaschutz, ohne sich aber mit den Konzernen anzulegen, für wahrscheinlich. Die Grünen wissen den widersprüchlichen Alltagsverstand aus „alles muss sich radikal ändern“ und aber „mit den uns bekannten Mitteln in dem uns bekannten Handlungsrahmen“ gut zu verbinden. Sie sagen ohne rot zu werden „System change not climate change“, meinen damit aber grüne Marktwirtschaft: Standortsicherung ja, aber nicht zwingend mit Absicherung der Beschäftigten. Das ist saugefährlich, denn a) wird damit die Klimakatastrophe nicht verhindert und b) spitzt sich Angst und Unsicherheit betroffener Beschäftigtengruppen weiter zu.

3. In den letzten zwei Jahren hat es (auch) große und breite Mobilisierungen eines solidarischen Lagers in der Gesellschaft gegeben, die Mut gemacht haben. Dabei wurde eine weltoffene Haltung auch mit sozialen Forderungen verbunden. Es ist aus diesen Mobilisierungen heraus aber nicht gelungen, darüber hinaus Druck für konkrete Errungenschaften zu organisieren. Nun ist es hingegen „Fridays for Future“ (als Teil einer Klimabewegung) gelungen, aufgrund des offensichtlichen Handlungsdrucks beim Klimaschutz indirekt die Schuldenbremse in Frage zu stellen und Investitionen in Milliardenhöhe in die Debatte zu bringen. Völlig offen ist aber, wer in was investieren wird, wer davon profitiert und wer einen sozialökologischen Umbau bezahlen muss, sofern er kommt.

Hier braucht es eine starke LINKE, die in diese Auseinandersetzungen interveniert. Denn wie jede Krise im Kapitalismus wird auch die ökologische Krise von den Ärmsten bezahlt werden müssen. Die Klimafrage ist nicht nur abstrakt eine soziale Frage, sondern ganz konkret.

Wer dabei glaubt, die grünen Themen würden die Beschäftigten nicht interessieren, der irrt. Kaum ein Thema wird mehr diskutiert in den Betrieben. Wenn aber auf grüne Fragen nur grüne Antworten folgen, dann verlieren wir diejenigen, die wir für die Umsetzung einer sozial gerechten Klimapolitik brauchen.

Wer, wenn nicht die Linke, muss Verbindungen schaffen zwischen Klimabewegten und Automobilbeschäftigten, den Beschäftigten in der Verpackungsindustrie, in der Energiewirtschaft. Die Zukunft unseres Planeten beschäftigt längst jung UND alt, und sie betrifft die ganze Klasse. Job und Klima sind beides Lebensgrundlagen für die Menschen. Wir müssen gemeinsame Interessen herausstellen und so praktische Beispiele für verbindende Klassenpolitik vorleben.

Während wir in den letzten Jahren versäumt haben, Kohlebeschäftigte und Kohlegegner*innen an einen Tisch zu bringen, können wir es diesmal besser machen. Die Tarifauseinandersetzungen im öffentlichen Nahverkehr 2020 bieten sich dafür an, weil es um Arbeitsbedingungen und eine klimaschonende Alternative zum Individualverkehr geht.

Dafür brauchen wir eine Partei, die sich als handlungsfähig und wirkmächtig erweist. In der es Spaß macht und vor allem sinnvoll ist, sich zu engagieren. Sprich: Wenn DIE LINKE so bleibt, wie sie ist, wird sie das nicht sein. Wie muss sie sich also – aus meiner Sicht, aus Sicht vieler Bewegungslinker – aufstellen, um eine Rolle zu spielen?

1) Die Antwort auf strukturelle Probleme muss (erst Kulturrevolution, dann) eine Mitgliederoffensive sein.

Nach den letzten Wahlen haben wir mit Blick auf den Osten viel über Parteiaufbau gesprochen, der dort aufgrund oft guter Ausgangssituation großteils nicht stattgefunden hat. Das rächt sich nun. Aber auch im Westen stagniert es zum Teil, manche Landesverbände kommen nach wie vor nicht voran oder machen nur mit Konflikten auf sich aufmerksam.

Auch wenn mehr Mitglieder noch keine Garantie für bessere Verankerung sind, so sind sie zumindest die Voraussetzung: Zahlen von Max Steininger über den Zusammenhang von Mitgliedern gegenüber Wähler*innenstimmen sind dabei sehr aufschlussreich, weil deutlich wird, dass unsere Mitglieder (auch im Osten) nicht unbedingt weniger Menschen zur Stimmabgabe für DIE LINKE  mobilisiert haben, sondern es in den Regionen mit einbrechenden Wähler*innenzuspruch schlicht deutlich weniger Mitglieder geworden sind. Mitglieder sind Multiplikator*innen, ohne die eine Partei vor Ort nicht stattfindet.

Dazu kommt, dass durch die Polarisierung der Gesellschaft auch eine Polarisierung in vielen Freundes- und Familienkreisen entstanden ist und – um Streit zu vermeiden – kaum noch über Politik diskutiert wird. So reißen Brücken der Verständigung ab, vorhandene Ressentiments verfestigen sich.

Dabei muss eine Partei, die stärker werden will, selbstbewusst auftreten: für die Sache und für die Partei werben und mehr werden wollen. Klar ist aber auch: In den letzten Jahren haben wir tausende neue, junge Mitglieder geworben, die sich angesichts der Partei, die sie vorgefunden haben, schnell wieder verabschiedeten. Es braucht also auch eine Kulturrevolution in der Partei, der zum Mitmachen einlädt. Dazu gehören ein andere Umgang miteinander und andere Arbeitsweisen.

Was klingt wie eine Binsenweisheit, ist keine Selbstverständlichkeit. Es gibt Stimmen, die Parteien für überholt halten und sich damit arrangieren, dass sich Menschen heute (vermeintlich) weniger selbst engagieren wollen. Das gibt es, wie es das auch immer schon gab. Ein Abfinden damit führt aber zum nächsten Problem, der Stellvertreterpolitik.

2) Selbstorganisierung und Aufklärung über Macht- und Kräfteverhältnisse statt Stellvertreterpolitik, die Illusionen schafft.

Noch eine Binsenweisheit, die aber keine Selbstverständlichkeit in der Partei ist: „Es kann die Befreiung der Arbeiter nur das Werk der Arbeiter sein.“ Sehr deutlich werden die unterschiedlichen Ansätze beim Blick auf die verschiedenen Landtagswahlkämpfe der vergangenen Jahre. In Berlin fragte DIE LINKE über die Großfläche: „Wem gehört die Stadt?“ – und antwortet selbst, dass es eine engagierte Stadtgesellschaft braucht, die in relevante politische Auseinandersetzungen eingreift und Druck auf Regierung organisiert, unabhängig davon, ob DIE LINKE an ihr beteiligt ist oder nicht. Anders wurde in Bremen und Sachsen mit dem Slogan „Wir machen das.“ um Stimmen geworben, was den Eindruck vermittelt, wir könnten das stellvertretend für die Menschen erledigen, wenn sie uns wählen. In Thüringen wurde das aus bekannten Gründen noch getoppt, dort regelt alles Bodo (Zwinkersmiley).

So wenig der jeweilige Ansatz Aufschluss gibt über den Erfolg, so wenig glaube ich, dass wir automatisch mehr gewählt werden, wenn wir vorher den Willen zum Regieren postulieren. ES stimmt zwar, dass DIE LINKE ihre Funktion deutlich machen muss, die kann und wird aber je nach Ort und politischen Bedingungen sehr unterschiedlich sein. Zwangsläufig muss aber die Zeit des Wahlkampfs der Politisierung und somit auch der Aufklärung dienen, damit die Mobilisierung nachhaltig ist und Enttäuschungen nicht vorprogrammiert sind. Schließlich wissen wir, dass DIE LINKE nach der Wahl nicht immer umsetzen wird, was sie vorher forderte und so ist es unsere andauernde Aufgabe, über Kräfteverhältnisse zu informieren: wir müssen immer auch Grenzen unseres Handelns thematisieren und so politisieren. Wenn wir das nicht tun, ist das nicht nur ein ärgerliches Versäumnis, sondern in der Konsequenz desorientierend und ein sozialdemokratisches Politikverständnis der Stellverteterpolitik stärkend.

3) Gegen die Parlamentarisierung der Partei hilft nur Kollektivierung von Ressourcen und bewegungsorientierte Politik.

Unsere Parlamentarismuskritik zielt in zweierlei Richtungen. Zum einen kritisieren wir eine inhaltlich-politische Verengung der Machtfrage aufs Regieren, die sich unter anderem auch in der neuen Forderung nach „Neuen Linken Mehrheiten“ ausdrückt. Bislang sind wir in dieser Auseinandersetzung viel zu leise, zumal es meines Erachtens kluge Positionierungen braucht, die über eine einfache Ablehnung hinauskommen. Gelungen ist das beispielsweise in den Beiträgen von Raul Zelik und Thomas Goes („Regieren ist noch keine Machtoption“ und Anforderungen an eine linke Regierung, die mehr als das kleine Übel ist).

Es geht aber noch viel mehr um den Anspruch, Partei in Bewegung zu sein, statt „Sitzungssozialismus“ zu betreiben. Es geht darum, sich stärker den Kräfteverhältnissen in der Gesellschaft zuzuwenden als denen in der eigenen Partei. Es geht darum, sich dem Aufbau von Partei und Bewegungen zu verschreiben, und alle Ressourcen darauf zu verwenden statt auf die Vermarktung von Personen. Es geht um Kollektivierung der in großen Teilen privatisierten Ressourcen (dazu der anschließende Beitrag von Sarah Nagel).

Zu guter Letzt: Wir wollen nicht nur die Probleme benennen und Ratschläge geben, was man besser machen kann, sondern auch selbst mehr über die schon vorhandenen guten Ansätze reden und so dazu beitragen, dass sie verankert und verstetigt werden. Wir müssen Fehler auswerten und aus Niederlagen lernen, dürfen dabei aber nicht vergessen, auch über Erfolge zu reden und zu überlegen, wie wir sie vervielfältigen können.

Das umzusetzen, würde eine andere Kultur bedeuten als wir sie aktuell erleben. Eine, die zum Mitmachen einlädt und Spaß macht. Wenn uns das gelänge, wär schon ne ganze Menge.

INPUT ZUM AUFTAKT BEWEGUNGSLINKE GRÜNDUNGSVERSAMMLUNG