Schlagwort: Ratschlag

Was bedeutet verbindende Klassenpolitik? von Rhonda Koch

1. Verbindende Klassenpolitik meint nicht heute Klassenpolitik und morgen Kampf um Anerkennung. Es geht um den ganzen Menschen mit all seinen Geschichten und Erfahrungen von der Arbeit, aus dem Kiez und von der Chorgruppe. An meinem Körper, in meinem Kopf, in meinem Herzen findet Klasse und Politik, Identität und Soziales seinen Ausdruck: Brot und Rosen. In meiner persönlichen Erfahrung gehen Klasse und Geschlecht zusammen. D.h. ich bin nicht morgens Arbeiterin und nachmittags Mutter – sondern Arbeiterin, Mutter, Nachbarin – und vielleicht auch Feministin – immer zugleich. Warum ist das wichtig? Weil wir dadurch auf die Frage nach verbindender Klassenpolitik nochmal neu schauen können und sehen, dass das Auseinanderreißen von Identität auf der einen und Klasse auf der anderen Seite politische wie theoretische Fehler sind, die sich aus einer realen Trennung von Arbeiter*innenbewegung und sozialer Bewegung speist. Diese Fehler und Fallstricke gilt es zu vermeiden. Denn wenn im realen Leben Klasse und Identität im Menschen selbst zusammenfallen, muss es uns um den ganzen Menschen gehen. Dann müssen wir uns nicht Fragen, wie Feminismus und Klasse verbunden werden können, sondern müssen feministische oder antirassistische Klassenpolitik machen. Aber was heißt das nun konkret?

2. Klassenpolitik ist Praxis, weil Kollektivität – das Wissen und das Gefühl von Zusammengehörigkeit – nur durch praktische Erfahrung entstehen kann. Wenn ein so verstandenes Klassenbewusstsein unser Ziel ist, muss man sich klar machen, dass Identität (egal welcher Art) an sich noch nicht politisch sein muss, sondern erst politisch wird, wenn sie zur kollektiven Identität werden kann. Verbindende Klassenpolitik muss also darauf zielen, dass gemeinsame Identität und gemeinsames Interesse gemeinsam erfahren und gemeinsam artikuliert werden – und zwar untereinander und gegenüber der anderen Klasse. Es hilft also kein Fronttranspi mit der Aufschrift „Für antirassistische Klassenpolitik“, wenn sich hinter dem Transparent nur weiße Funktionäre tummeln. Das ist dann gut gemeinte Politik, aber keine verbindende Klassenpolitik, weil kein Ort geschaffen wurde, in dem die Klasse zu sich selbst gesprochen hat, sondern lediglich für sie gute Absichten formuliert wurden. Klassenpolitik entsteht nicht durch Zuruf sondern durch die Erfahrung von kollektiver Selbstermächtigung. Wir können uns noch lange die Köpfe heiß reden wie genau nun Klasse und Geschlecht zusammengehören, Klassenpolitik machen wir damit nicht.

3. Bei verbindender Klassenpolitik geht es einerseits darum, unterschiedliche Kämpfe miteinander zu verbinden. Andererseits steckt im Anspruch verbindendender Klassenpolitik auch die Herausforderung, unterschiedliche Lebensbereiche in Kämpfen zusammenzubringen und dabei andere, neue Wege zu finden, um das Verhältnis von Politik und Ökonomie, von Ausbeutung und Unterdrückung, von Lohnkampf und dem Kampf um politische Rechte zu vermitteln. Vielleicht hilft also ein anderer Blickwinkel. Einer der von den Lebensbereichen der Menschen ausgeht, um die Klasse zu verbinden. Nehmen wir das Verhältnis von Arbeit und Nachbarschaft: Wenn wir erstmal begriffen haben, dass Arbeiter*innen, auch nachbarschaftliche, stadtpolitische und andere Interessen haben, geht es im ersten Schritt nicht darum, die Arbeiterin mit der Klimaaktivistin zusammenzubringen. Die Frage ist: Wie und wo trifft Klimapolitik auf die Lebensbereiche und Interessen der Arbeiterin.

Ein Beispiel in der Perspektive klassenorientierter Klimapolitik: Unseren Akteur – die Klasse – finden wir: im Betrieb. Wir beginnen also nicht wie üblich bei der Politik, sondern versuchen aus der Logik des Betriebs heraus eine Kampagne zu entfalten. Dann ist zuerst die Frage: In welchen Betrieben besteht am ehesten ein Interesse an Klimapolitik? D.h. wir fragen uns, welche Arbeiter*innen aus ihrer Beschäftigung heraus am unmittelbarsten ein Interesse an klimapolitischen Verbesserungen haben.

Wir finden: eine Busfahrer*in, die ein Interesse daran hat, dass der ÖPNV besser bezahlt wird und mehr Leute einstellt werden. Die Busfahrer*in wohnt in Bielefeld, am viel befahrenen Stadtrand. Als Städterin hat sie ein Interesse am Ausbau von verkehrsberuhigten Zonen, die bringen weniger Lärm und weniger dreckige Luft. Sie ist also ebenso klimapolitisch zu gewinnen.

Diese Busfahrerin hat eine Nachbarin. Die arbeitet bei der Sparkasse in Bethel und schickt ihre Kinder morgens immer mit dem Bus zur Schule. „Klimakrise“ ist bei der Sparkasse sicherlich nicht das Top-Thema, aber wenn sie ihre Kinder morgens pünktlich zur Schule bekommen würde und nicht täglich im von tausenden PKWs verursachten Stadtverkehr stecken bliebe, hätte sie einiges an Lebensqualität gewonnen.

Und jetzt das: In der kleinen Innenstadt von Bielefeld hängen Plakate auf denen steht: „Busfahrer*innen sind Klimaretter*innen“. Und gleich darunter: Komm zum ersten Aktiven-Treffen vom „Bündnis kostenloser ÖPNV – besser für uns, besser fürs Klima“. Beim ersten Treffen trifft die Frau von der Sparkasse den Studi Arne, der seit Jahren im Hambi gegen die Abholzung kämpft und sich einen Keks freut, dass die Klimabewegung endlich auch den Weg in die Stadt und die breite Bevölkerung gefunden hat. Der erste Tagesordnungspunkt Treffens wird von der Busfahrerin eingeleitet: Bericht aus den Tarifverhandlungen. Steffi, Linkspartei-Aktive moderiert, grinst und denkt sich: „Walter wird sich ärgern, wenn ich ihm erzähle, dass heute Arbeiter*innen da waren, der war nämlich immer der Meinung dass Klimapolitik was für die Mittelschicht ist und mit Klassenpolitik nichts zu tun hat“.

4. Steffi ist ein Vorbild dafür, wie verbindende Klassenpolitik von Linkspartei-Aktiven unterstützt und vorangetrieben werden kann: Steffi zeigt, dass wir als Aktive nicht nur Podiumsmenschen, Sitzungsmenschen, Plakatehänger*innen und Mobi-Tisch-Betreuer*innen sind. Um es mit Antonio Gramsci zu sagen: Wir müssen wir unsere Aufgabe als Parteiaktive auch sehen in der „aktiven Einmischung ins praktische Leben, als Konstrukteur, Organisator, ›dauerhaft Überzeugender‹, weil nicht bloß Redner“.

5. Verbindende Klassenpolitik wird bei aller Planung und Systematik jedoch nur dann wirksam, wenn wir bereit sind in den Kämpfen selbst zu lernen. Um Panagiotis Sotiris zu paraphrasieren: Tatsächliche Kämpfe und tatsächliche Bewegungen tragen mehr strategische Phantasie als wir, werfen immer mehr Fragen und manchmal mehr Antworten auf als wir uns ausmalen konnten, verweisen immer auf neue Wege wie Erfahrungen und Empfindlichkeiten verbunden werden können. Und sie deuten auf Lösungen hin, die wir uns vom jetzigen Standpunkt aus nicht hätten herbei philosophieren können.

Wie Parlamentarisierung entgegenwirken? von Violetta Bock

Bewegungslinke heißt nicht Parlamentslinke, Bewegungslinke heißt nicht eine Sitzungslinke. Einer der Kernpunkte der Bewegungslinken ist: wenn wir die Gesellschaft verändern wollen, wenn wir die Kräfteverhältnisse so verändern wollen, dass der Kapitalismus überwunden wird, brauchen wir eine breite gesellschaftliche Front und dürfen nicht auf das Parlament setzen. Das gelingt aber nicht mit der Partei, wie wir sie jetzt haben. Denn die LINKE ist ja bereits mitten drin. In der Ankündigung hieß es „Wie Parlamentarisierung entgegen wirken?“. Das ist eigentlich der falsche Begriff. Denn DIE LINKE ist doch an zu vielen Orten bereits in erster Linie Wahlkampfmaschine, Ochsentour, fixiert auf Posten und Kandidaturen, Fraktionsvorsitzende die tun, was sie selbst und nicht was die Partei für richtig hält, Starren auf Prozente statt Proteste, bürokratisiert, etabliert und assoziiert mit Spitzenpolitikern. Und wenn wir ehrlich sind, sind doch auch auf Bundesparteitagen viel zu oft Hauptamtliche.

Es geht also um eine Entparlamentarisierung. Denn dennoch können wir auf die LINKE nicht verzichten. Sie ist Ressource für viele Bewegungen, sammelt Linke aus verschiedensten Richtungen, ist stabil in den Kernthemen Frieden und Soziales, ist erster – weil öffentlich wahrgenommener – Anlaufpunkt für Anpolitisierte, erstellt Studien, macht Anfragen, setzt Punkte mit Anträgen, ist eine Bühne etc. Von daher können wir auch auf das Parlament nicht verzichten. Die Kunst besteht darin, dass das Parlament nicht die Führung erhält. Denn Parlament ist Feindesland.

Wer von euch hat denn ein Mandat? Oder arbeitet für eine Abgeordnete oder einen Abgeordneten?

Ich mach das auch. Ich bin seit drei Jahren im Kommunalparlament für die Kasseler LINKE. Also die fast unterste Ebene. Aber in der LINKEN gibt es ja viele, die ein kommunales Mandat inne haben. Kommt jemand zur Partei, ist das neben Wahlkampfstand, Vorstand ja auch oft das nächste Angebot, um aktiv zu werden. Ich war zum Zeitpunkt der Wahl noch nicht in der LINKEN, vielleicht muss ich das dazu sagen. Mir war klar, wie ein Parlament wirken kann, nicht nur auf einen selbst, sondern auch auf das Umfeld. In meinem Stadtteil glaubten sie, ich krieg jetzt 8000 Euro und könnte alles für sie regeln. Da war es wichtig immer wieder zu sagen: nein, damit ändert sich nichts, ich kann gar nichts für dich lösen, wir müssen uns immer noch gemeinsam organisieren. Und ich hab den Leuten im Stadtteil und in der Nahverkehrsinitiative auch gesagt, dass sie auch mit dafür sorgen müssen, dass ich am Boden bleibe. Denn so klein das Kommunale ist, es ist krass was für eine Parallelwelt dort schon herrscht. Und die Sachzwänge sind enorm 😉 Verschuldung, alles Grundsätzliche wird auf oberen Ebenen entschieden, blablabla. Das ist ein unheimlicher Sog, und wie viel stärker muss er erst auf anderen Ebenen sein.

Es gilt also diesen Sog zu stoppen. Und weil das ja nichts unbekanntes ist, wurden in der Geschichte der Arbeiterbewegung Maßnahmen entwickelt, in anderen europäischen Ländern werden sie zum Teil angewendet: Rotationsprinzip, zeitliche Begrenzung des Mandats, Rückführung oder Teilrückführung des Lohns usw.

Ich habe mit mir angefangen, weil das wie natürlich viele Fragen aufwirft, es Konsequenzen hat und einem doch eingebläut wird: Das geht nicht anders, wir müssen uns doch professionalisieren, um mithalten zu können, zwei Legislaturen sind viel zu wenig, die Leute erwarten auch, dass man sich mit allem beschäftigt um Skandale aufzudecken etc.

Und klar, inzwischen kann ich Bebauungspläne und den Anteil der Dachbegrünung lesen – wirklich nicht unwichtig – aber dadurch konnte ich noch niemanden vom Sozialismus überzeugen. Um sich nicht im Detail zu verlieren braucht es kollektive Strukturen. Es reicht nicht einfach die richtigen Leute reinzuschicken, die Gefahr ist zu groß, dass wir sie darin verlieren oder ihnen die Führung überlassen. Wir müssen Strukturen schaffen, die dem Parlamentarismus entgegen wirken und können heute anfangen damit zu experimentieren.

Ich finde die Erdung im Stadtteil wichtig, einen Kreis an Leuten um sich, und hierbei übrigens auch Hälfte Parteimitglieder, Hälfte nicht Parteimitglieder, um nicht in die Parlamentsfalle zu tappen oder drin sitzen zu bleiben. Wenn Mieter*innen zu mir kommen und von einem Eigentümerwechsel sprechen, schreibe ich ihnen nicht als erstes einen Antrag sondern sage deutlich, ich werde es nicht für sie lösen, ihr müsst Druck aufbauen, dürft nicht auf Umarmungstaktiken rein fallen, und wir helfen ihnen dabei sich zu organisieren und stehen beratend zur Seite, verleihen ihren Anliegen im Parlament eine Stimme.

Und mit weitere Maßnahmen sollten wir einfach experimentieren, um eine sozialistische Kultur zu prägen. Und das wird nicht über einen Antrag beim Parteitag gelingen. Denn es erfordert einen grundlegenden Wandel der Partei. Und auch dafür brauchen wir das Wechselspiel mit den Bewegungen. Denn sonst ist die Gefahr groß, dass die Kontrolle durch die Partei zu einer bürokratischen Führung wird statt einer demokratischen durch soziale Bewegungen.

Organisierende Gewerkschaftsarbeit von Katharina Stierl

Ich bin seit 2011 ver.di Mitglied. Ich war von 2012-2016 in der Jugend Auszubildenden Vertretung. Ich habe hier eng mit dem Personalrat der Uniklinik zusammengearbeitet. Nach einer Personalratssitzung stand ich mal wieder länger mit dem Personalratsvorsitzenden und dem Stellvertreter in der Küche des Büros und wir diskutierten über die Verbesserungen der Ausbildung. Irgendwann kamen wir auch auf die Frage der Personalbemessung und auf die Frage der politischen Vertretung und der Beschäftigung der Politik mit der Pflege zu sprechen. Meine beiden Vorsitzenden, welche beide SPD-Mitglieder sind, wiesen mich auf die AfA (Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen in der SPD) – hin und luden mich direkt ein, mit zum nächsten Treffen zu kommen. Zu dem Zeitpunkt gab es noch keine offizielle Kampagne zum Thema Pflege oder Personalmangel und die einzige parteipolitische Vertretung der Beschäftigten im Krankenhaus, die ich durch meine Kollegen mitbekam, war die AfA als politische Interessenvertretung der Arbeiter*innen.

Das treffen fand natürlich im DGB-Gewerkschaftshaus statt und neben meinen Personalratsvorsitzenden traf ich dort dann auch Kollegen aus den ver.di Gremienstrukturen, welche sich über eine neue junge Kollegin freuten. Noch wussten sie nicht (und ehrlicherweise ich auch nicht), dass wir politisch nie zusammenfinden würden. Von der LINKEN habe ich in meinem Betrieb nur ein einziges Mal etwas mitbekommen, und das war am Frauen*tag, an dem rote Nelken verteilt wurden. Wenn das nun meine ersten Erlebnisse als Arbeiter*in waren und sich das in den letzten 4 Jahren nicht groß gewandelt hat, dann ist das ein Problem.

Linke Betriebsarbeit bis jetzt

Marx sagt, dass „die Menschen ihre Geschichte machen“. Wenn ich mir die Situation in den Betrieben so ansehe, sehe ich: sie haben die Geschichte gemacht und zwar mit der Sozialdemokratie, welche sich immer noch nicht als das große Geschenk für die Arbeiterinnen entpuppt hat, wie prophezeit. Die Sozialpartnerschaft und ihr stellvertreterischer Fokus dominieren die gewerkschaftspolitische Arbeit in Deutschland. Diese Politik geht davon aus, dass die Menschen nicht aktiviert werden wollen oder können. Es werden keine Arbeitskämpfe geführt, die partizipativ sind, sondern solche, die gerade das Minimum an Beteiligung erfordern, um ein Mindestmaß an Verbesserung oder auch nur Veränderung hervorzurufen. Die Pseudopartizipation führt unter anderem dazu, dass immer weniger Menschen sich überhaupt organisieren. Ver.di hat in den vergangenen Jahren die 2-Millionen-Marke unterschritten und kämpft schon seit Jahren, genau wie alle anderen Gewerkschaften auch, um den Erhalt seiner Mitglieder.

Warum ist das wichtig?

Wenn es heißt, dass „Menschen ihre Geschichte machen“, so ist die Frage: Wer sind diese Menschen in Deutschland? Ca. 39,2 Millionen Menschen sind erwerbstätig, davon ca. 4-5 Millionen in Gewerkschaften organisiert. Es handelt sich also um eine riesige Anzahl von Menschen. Der Konflikt am Arbeitsplatz ist einer der Kämpfe, bei dem viele dieser 39,2 Millionen Menschen auch Erfahrungen sammeln können. Hier müssen wir auch über das Kräfteverhältnis sprechen. Denn diese Menschen können gemeinsam Erfahrungen machen und können gemeinsam über eine andere Welt diskutieren. Doch haben diese überhaupt Macht?

Sprechen wir von Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit so sprechen wir oft und ziemlich schnell von Begriffen wie „Arbeiter*innenklasse“ und von dem Machtpotential der Beschäftigten. Ohne den Arbeiter keine Veränderung. Neue Arbeitskonzepte werden immer weiter zum Problem. Leiharbeit, Werkverträge, Entgrenzung der Arbeitszeiten und Anwerben von ausländischen Arbeitskräften führt zu einer Spaltung der Arbeiter*innenklasse, die wir verhindern müssen.

Doch nun mal pragmatisch: Was hab ich bisher als linke Gewerkschafterin von der LINKEN erlebt? Wie macht die Linke eigentlich Betriebsarbeit? Wie macht die Linke eigentlich Gewerkschaftsarbeit? Ich bin seit 2011 Gewerkschaftsmitglied. Linke Betriebsgruppen habe ich in meinem Betrieb, und auch den umliegenden Krankenhäusern, noch nicht erlebt. DIE LINKE schafft es, Streikunterstützung aufbauen, verteilen Rosen und Flyer. Es gibt kleine Pflänzchen und Versuche, neue Konzepte durchzusetzen. Aber ernsthafte Angebote gibt es bisher wenige. Zu wenige.

Was muss anders werden?

Wer hat es nicht schon gehört: „Die Arbeiterklasse ist nicht mehr der Mann im Blaumann!!“ Weiterhin ist sie männlich, weiß und überwiegend auch nicht bewegungsorientiert. Es herrscht weiterhin das Verständnis, durch vorgetäuschtes Mitmach-Prinzip die Menschen gewinnen zu können. Die SPD als Sozialpartner der Gewerkschaften und auch in den Betriebs- und Personalräten ist ein Problem, Linke sollten sich nicht versstecken. Sie sollten sich aktiv einbringen und Verbindungen zwischen den Berufen herstellen.

Organizing-Ansätze statt Mobilizing

Wenn es darum geht, möglichst viele Menschen mit einzubinden, sie ernstzunehmen, dann geht es auch darum, aus den verkrusteten und alten Strukturen rauszukommen und neue Wege zu gehen. Offener zu sein, neue Leute mit einzubinden. Verantwortung abzugeben und Mehrheiten zu gewinnen.

Es geht darum, nicht die per se schon in einer monetären Abhängigkeit hängenden Funktionäre zu empowern, sondern vor allem die Kolleg*innen im Betrieb. Gewerkschaften machen zum Teil seit Jahren Stellvertreterpolitik. Aber: Gewerkschaften sind wandelbar, sind beweglich. Die Erneuerung durch Streik-Konferenz der RLS bietet einen Ort, an dem Gewerkschaftler*innen zusammenkommen können, um gemeinsam zu diskutieren und sich auszutauschen.

Es muss auch für linke ein Selbstverständnis geben zu sagen: ich bin die Gewerkschaft, oder besser: wir sind die Gewerkschaft! Um gesellschaftliche Mehrheiten aufzubauen und um linke Mehrheiten in der Gewerkschaft zu gewinnen, müssen wir unsere Ansätze überdenken.

Fazit

Wie kann das gelingen und wie stelle ich mir linke Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit vor? Ich glaube wir müssen …

  1. Selbstbewusster
  2. Organisierter
  3. Verbindender

… arbeiten.
Selbstbewusster in dem Sinne, dass wir den Anspruch haben müssen, DIE LINKE mittelfristig wirklich als die Partei der gewerkschaftlichen Erneuerung aufzubauen. Das heißt, um Mehrheiten zu kämpfen, weiter auszugreifen als auf die üblichen Verdächtigen, neue Streiktaktiken auszuprobieren, die stärkere Streiks und höhere Forderungen aufstellen und sich nicht mit wenig zufrieden geben und damit auch den Konflikt innerhalb der Gewerkschaften suchen.

Zweitens sollten wir organisierter arbeiten in dem Sinne, dass wir unsere Kräfte sammeln und uns vernetzen wie bei der Streikkonferenz der Rosa Luxemburg Stiftung, wo wir konkrete Vorschläge diskutieren können, wie wir auch die Gewerkschaften verändern. Versuche und Ideen zu linken Betriebsgruppen werden wir diskutieren.

Bisher denkt DIE LINKE viel darüber nach, wie aus Kolleg*innen Wähler*innen werden. Wir müssen aber überlegen und dann auch tatsächlich organisieren, dass aus Kolleg*innen Genoss*innen werden. Die Betriebsgruppen könnten dann kämpferische Pole der Hoffnung als das Rückgrat unseres alternativen Gesellschaftsprojeks bilden.

Zuletzt müssen wir verbindender arbeiten, und zwar in dem Sinne, dass wir gewerkschaftliche Konflikte nicht isoliert betrachten und ebenso wenig isoliert führen – betriebliche Kämpfe sind gesellschaftliche Kämpfe. Die US-amerikanische Organizerin Jane McAlevey nennt das Whole Worker Organizing. Das heißt, dass wir Beschäftigte nicht nur als Beschäftigte betrachten, sondern auch Menschen in einem sozialen Netzwerk. Die Auseinandersetzung in der Pflege geht weiter, der Kampf um unseren Planeten hat grade erst das nächste Kapitel aufgeschlagen. LINKE Gewerkschaftspolitik kann hier der Schlüssel zum Siegestor sein.

Im kommenden Jahr stehen verschiedene Tarifrunden wie z.B. im Handel, in der Metallindustrie, im Nahverkehr und weiterhin in den Krankenhäusern an. Es wird viele Möglichkeiten geben, sich einzubringen und neue Konzepte direkt auszuprobieren.

Ich glaube, dass wir mit der Bewegungslinken einen guten Anfang gemacht haben, um an diesen Aufgaben zu arbeiten. Ich glaube aber auch, dass es noch viel Hirnmasse, Kreativität und Mut brauchen wird. Ich freu mich drauf mich mit Euch auf den Weg zu machen.

„Was will die Bewegungslinke?“ von Katharina Dahme

„Es war eine lange Durststrecke für Linke in Deutschland. Mehr als drei Jahre lang dominierte die gesellschaftliche Rechte den öffentlichen Diskurs. Die Themen Sicherheit und Geflüchtete waren omnipräsent, die AfD konnte die anderen Parteien vor sich hertreiben und die Grenzen des Sagbaren stetig verschieben. Im vergangenen Jahr zeichnete sich jedoch bereits eine Veränderung ab: Zahlreiche Bewegungen von Gegnern der neuen Polizeigesetze über Miet-, Klima- und Flüchtlingsaktivisten bis zur Seebrücke begehrten auf, Zehntausende gingen bundesweit auf die Straßen. Statt einem alleinigen Rechtsruck gab es nun vielmehr eine Polarisierung im Land, das linksradikale bis linksliberale Lager begann sich zu finden und zu organisieren.“ – das schrieb Sebastian Bähr vor einigen Wochen im „neuen Deutschland“. Die Enteigneten wehren sich, ein Lager der bewegungsorientierten Linken, der unteilbaren Solidarität hat sich herauskristallisiert.

Zwischen dieser Zustandsbeschreibung und heute liegt eine Europawahl, die das parteipolitische Spektrum ziemlich durcheinander gebracht hat. Die ehemaligen Volksparteien erodieren und die traditionelle langfristige Bindung an Parteien lässt nach und wird auch, so meine Vermutung, nicht wiederkommen. Die Grünen gewinnen von allen Parteien dazu: von den einen, weil sie einen modernisierten, grünen Kapitalismus anbieten und nicht polarisieren, also auch nicht wehtun. Von den anderen, weil sie vermeintlich am stärksten Haltung einnehmen gegen rechts und für Geflüchtete, gegen Nationalismus und für Europa, für Weltoffenheit. Nicht zuletzt aber, weil sie als glaubwürdige erste Adresse betrachtet werden für all jene, für die der Klimaschutz aktuell die dringendste Frage ist.

Was uns aber viel mehr umtreibt, ist die Frage, welche LINKE wir haben – und welche wir bräuchten, angesichts der gesellschaftlichen Herausforderungen, denen wir uns gegenübersehen.

In der LINKEN herrscht nach der Wahl Katerstimmung und Verunsicherung, bis hin zur Angst vor existenziellem Bedeutungsverlust. Und Angst ist bekanntlich kein guter Ratgeber. Wer das vergessen haben sollte, wird mit Blick auf die aktuellen inner-LINKEN Diskussionen schnell daran erinnert:

Da gibt es nun die Stimmen, die meinen, die ökologische Frage sei eine taktische Frage, deren Beantwortung man davon abhängig machen kann, ob sie der LINKEN oder den Grünen Wählerstimmen bringt. Hier droht uns eine Wiederholung der Milieudebatte unter neuen Vorzeichen, obwohl alle Auswertungen der Wahlen zeigen, dass Klimaschutz durch die Bank in allen Schichten und Berufsgruppen wahlentscheidend war.

Andere, im Übrigen auch ein Teil der radikalen Linken, setzen ihre Hoffnungen auf Rot-rotgrüne Regierungskoalitionen, auch wenn zum Teil verklausulierter als „progressive Mehrheiten links von der CDU“ bezeichnet. Dahinter steckt mitunter auch die Einschätzung, dass nicht nur etwa starke Bewegungen die Voraussetzung für parlamentarische Mehrheiten sind, sondern andersrum Mitte-Links-Regierungen den Bewegungen Spielräume verschaffen könnten.

Noch andere sorgen sich vor allem um den Niedergang der SPD, oder verbreiten schon seit geraumer Zeit, DIE LINKE bringe es nicht und verbinden dies gar mit Werbung für andere Projekte.

Da ich mich in all dem nicht so richtig wiederfinde, könnte ich angesichts dieser Diskussionen verzweifeln, wenn es da nicht noch was anderes gäbe, was mich und andere überzeugt, uns in und bei der LINKEN zu engagieren. Wie sieht sie also aus, eine sozialistische Partei, wie ich sie mir wünsche und für die ich als Bewegungslinke in der LINKEN kämpfen will:

Erstens, streite für eine LINKE, die ein nützliches Werkzeug dabei ist, das Leben der Ausgebeuteten und Unterdrückten spürbar zu verbessern. Ich will eine Partei, die Menschen dazu ermutigt und darin unterstützt, sich gemeinsam mit anderen für ihre eigenen Interessen einzusetzen statt Stellvertreterpolitik zu machen. Die dabei auch in der Lage ist, kulturell und politisch Brücken zu bauen zwischen den verschiedenen Milieus. Zur Theorie der verbindenden Klassenpolitik gehört eine politische Praxis, in der wir voneinander und miteinander lernen, aus Erfolgen ebenso wie Misserfolgen. Im Austausch mit Bewegungen und auch in der Partei selbst.

Das heißt zweitens, in der Konsequenz, auch: Ich streite für eine LINKE, deren Parteileben nicht vor allem auf Wahlen und Parlamentsarbeit ausgerichtet ist. Und da der BL zwischen den Zeilen schonmal plumper Anti-Parlamentarismus vorgeworfen wird, will ich dem Vorwurf gerne gerecht werden, und zwei ganz einfache Prämissen für die Fraktionsarbeit vorschlagen:

Weniger Häppchen und „gepflegte Debatte“ mit US-Botschafter Grenell, Jens Spahn oder Wolfgang Joop, mehr Podien für alleinerziehende Mütter, die ihre Miete nicht mehr zahlen können oder für die Schüler*innen von FFF.

Weniger Selfies aus dem Bundestagsfahrstuhl, und wenn schon Fotos, dann mehr mit AktivistInnen bei Demonstrationen oder Streiks vorm Fabrikstor. Aber Parlamentarismus-Kritik ist ja in Wahrheit viel mehr als das und das Problem reicht deutlich weiter: Selbst die Parteiarbeit vor Ort ist oft geprägt von einer Parlamentarisierung von Unten, die wir auch als Sitzungs- und Gremiensozialismus bezeichnen. Da hilft es dann im Übrigen auch nicht, wenn sich diese Kultur mit einem antikapitalistischen Verbalradikalismus verbindet, der aber zahnlos bleibt, weil auch er zu selten in konkrete Initiativen mündet.

Drittens, streite ich für eine LINKE, die Partei in Bewegung ist und das nicht mit der Mobilisierung zu Demonstrationen verwechselt und schon gar nicht versucht, Bewegungen zu vereinnahmen oder zu instrumentalisieren.

Viertens, streite ich für eine LINKE, die Menschen dabei unterstützt, sich ganz unmittelbar für ihre eigenen Interessen einzusetzen, Konflikte mit Unternehmen und Staat als ihren Arbeitgebern auszufechten und dabei anfangen, sich als bewusster Teil einer gesellschaftlichen Gruppe mit gemeinsamen Interessen zu begreifen. Für uns liegt daher ein Schlüssel in betrieblichen Auseinandersetzungen, die sich im Widerspruch zu den weitgehend trägen Gewerkschaftsführungen immer häufiger verselbständigen und radikalisieren.

Und fünftens, streite ich aber auch für eine LINKE, die sich dessen bewusst ist, dass starke Gewerkschaften und Bewegungen alleine nicht ausreichen. Wir müssen auch bereit sein, die Machtfrage zu stellen und eine Vorstellung entwickeln, wie wir gemeinsam gewinnen wollen und können – gerade auch jenseits von Regierungsbeteiligungen, denen ich skeptisch gegenüberstehe.

Wir müssen uns aber offen dieser Zwickmühle stellen: dem unausweichlichen Dilemma zwischen den Hoffnungen in der Eroberung der Regierungsgewalt und den Befürchtungen des Scheiterns linker Regierungen im Kapitalismus. Wie organisieren wir Mehrheiten, ohne dabei unsere Seele zu verleugnen? Wie setzen wir ein Verständnis durch, dass Basisbewegungen die Herzkammern von Veränderung und der Schlüssel zur Verschiebung der Kräfteverhältnisse sind? Wir brauchen eine Diskussion darüber, wie wir im Bündnis mit Bewegungen und Initiativen die wirkliche Macht in Deutschland viel stärker herausfordern.

In den letzten Monaten habe ich in vielen Gesprächen mit Aktiven in und bei der Partei ähnliches gehört. Ich freue mich daher, dass wir diese Gespräche mit noch mehr Leuten vertiefen. Wir brauchen aber auch ernsthafte und verbindliche Verabredungen, wie das skizzierte Bild einer solchen LINKEN erreicht werden kann, wie wir mehr Menschen gewinnen, die Bewegungslinke aktiv mit aufzubauen und die so dazu beitragen, dass DIE LINKE gleichzeitig Bewegungspartei, wirkungsvolle Opposition und antikapitalistische Gestaltungskraft ist, die durch Reformkämpfe die Macht und das Selbstvertrauen der Vielen vergrößert. Eine politische Kraft, die um Hegemonie in der Gesellschaft kämpft, indem sie ihre Radikalität und Nützlichkeit im Alltag beweist.