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Scheitern als Chance – wie weiter nach Wagenknecht Rückzug?

Die LINKE muss eine verbindende Klassenpolitik machen und Kämpfe gegen Ausbeutung, Rassismus und Sexismus verbinden.

von Thomas Goes

Deutschland braucht eine linke Antwort auf anhaltende soziale Krisenerscheinungen, auf das Weiter-so der Großen Koalition und den Aufstieg der AfD. Wie genau diese auszusehen hat, darüber wurde in der jüngsten Vergangenheit hart gerungen, in Teilen der Gewerkschaften und sozialen Bewegungen nicht weniger als in der Linkspartei. Mit Sahra Wagenknecht trat nun eine der zentralen Figuren dieses Streits ihren Rückzug an.

Aus gesundheitlichen Gründen, sicher. Aber seien wir ehrlich, im Hintergrund steht eine krachende politische Niederlage. Nicht nur Wagenknecht selbst dürfte geglaubt haben mit »Aufstehen« eine neue politische Kraft schaffen zu können, um auch die politischen Kräfteverhältnisse in der Linkspartei, der SPD und bei den Grünen zu verschieben. Sie setzte viel auf diese Karte und ist gescheitert. Damit hat sie sich auch selbst entzaubert. Zumindest hat ihre stets von AnhängerInnen hervorgehobene Beliebtheit nicht dazu ausgereicht Menschen massenhaft zu begeistern.

Wie sich das auf die Situation der Linkspartei auswirken wird? Klar ist: Sahra Wagenknecht ist (und war) nicht entscheidend. Natürlich stehen Köpfe für politische Orientierungen. Um sie herum kristallisiert sich allerdings, was politisch bereits da ist. Das gilt insbesondere für Parteien. Ausschlaggebend ist also, ob es der Linkspartei gelingen wird, Menschen innerhalb und außerhalb der Partei in einen Dialog einzubinden, die sich durch Wagenknecht repräsentiert sehen. Den vielen ehrlichen Herzen müssen wir ein politisches Angebot machen. Das ist durchaus möglich, wenn die Partei weiter daran arbeitet, eine verbindende Klassenpolitik zu erfinden, die versucht, ein neues Bündnis aus verschiedenen Teilen der arbeitenden Klasse zu schmieden – ein Bündnis, das Kämpfe gegen Ausbeutung mit solchen gegen Sexismus und Rassismus verbindet.

In den ostdeutschen Bundesländern hat die Linkspartei deutlich vor dem »Sommer der Migration« bei vielen Wahlen Stimmen verloren. Glaubt man den jüngsten Umfragen zu den drei Landtagswahlen im Herbst, dann wird sich diese Entwicklung fortsetzen. Vieles spricht dafür, dass das traditionelle Modell, mit dem die Partei vor allem im Osten der Republik Politik gemacht hat, sich erschöpft hat.

Eine linke Alternative zum Durchwurschteln der Großen Koalition und zum Aufstieg der extremen Rechten wird es ohne grundlegende Veränderung der Linkspartei nicht geben. Die Chance ist da, aber sie muss genutzt werden. Wir sollten nicht in bekannte strategische Sackgassen laufen. Etwa die immer gleiche Beschwörung von Rot-Rot-Grün oder die radikale Passivität, die aus der ausschließlich defensiven Verteidigung roter Haltelinien entsteht, ohne an der Veränderung der Kräfteverhältnisse und an einer linken Machtoption zu arbeiten, die den Einstieg in den Ausstieg aus dem Kapitalismus möglich macht. Anknüpfend an die bisherigen Experimente mit Organisierungs- und Kampagnenarbeit in der Partei sollten wir stärker an unserer sozialen Verankerung arbeiten; mit Menschen vor Ort Initiativen organisieren, um ihre Interessen durchzusetzen; soziale Milieus der arbeitenden Klasse verbinden, die eben nicht umstandslos dasselbe wollen, selbst wenn sie objektiv dieselben Interessen haben: von angelernten ArbeiterInnenmilieus und urbanen Prekären bis zu jungen qualifizierten Facharbeiter- und Angestelltengruppen.

Wir sollten Kämpfe für konkrete Verbesserungen verbinden mit dem Plädoyer für eine grundlegende gesellschaftliche Alternative, die ökologisch-sozialistische Demokratie. Das können wir jedenfalls von den linken Sozialdemokraten Bernie Sanders und Jeremy Corbyn lernen.

Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine haben für die Bekanntheit der Linkspartei viel getan. Der Partei selbst haben sie in den letzten Jahren aber Bärendienste erwiesen. In die Partei hinein haben sie polarisiert, die außerparlamentarische Mosaiklinke gespalten. Insofern ist ihr Scheitern auch eine Chance.

Thomas Goes ist Soziologe und arbeitet am SOFI Göttingen. Er ist aktiv im Koordinierungskreis der Bewegungslinken, eines Zusammenschlusses innerhalb der Linkspartei und hat zusammen mit Violetta Bock das Buch »Ein unanständiges Angebot? Mit linkem Populismus gegen Eilten und Rechte?« geschrieben. Der Artikel erschien zuerst im neuen Deutschland.