Schlagwort: LINKE

Ab heute das Comeback angehen

DIE LINKE hat bei den Wahlen in Brandenburg und Sachsen mächtig verloren. Während sich einige nur damit beschäftigen, wie sie aus der misslichen Lage den größten persönlichen Profit schlagen können, wollen wir konkrete Vorschläge für eine strategische Umorientierung der Partei im Osten (aber nicht nur da) machen. Dafür müssen wir auch ehrlich und möglichst nicht instrumentell à la „wie ich schon immer wusste“ Probleme benennen, aber eben auch mögliche Auswege vorschlagen. Während die politische Auswertung noch andauert, wollen wir erste Vorschläge machen (die nicht den Anspruch auf Vollständigkeit erheben):

1. Strukturelle Defizite

Seit vielen Jahren verlieren wir im Osten Mitglieder, vor allem aufgrund der historisch bedingten Überalterung. Das hat Folgen für die flächendeckende Verankerung, es macht sich nicht nur in den Wahlkämpfen bemerkbar, sondern vor allem auch dazwischen. Obwohl wir zwar im Osten immer noch mehr Mitglieder, Mandatsträger*innen und entsprechend bessere Ressourcen für die Parteiarbeit haben, beobachten und spüren Mitglieder seit Jahren den schrittweisen Verlust von Strukturen, sind zunehmend demoralisiert. Aus unterschiedlichen Gründen ist es noch nicht gelungen, für neue, breite Bevölkerungsschichten attraktiv zu sein und diese für die Arbeit in und bei der Partei zu gewinnen. Es braucht daher dringend eine Kampagne zur Gewinnung neuer Mitglieder, die über das Verteilen eines Imageflyers hinausgeht. Und die Partei muss im Alltag der Menschen stärker wahrgenommen werden, als Akteur in sozialen Bewegungen und lokalen Initiativen, mit offenen Stadtteilläden statt Büros, die mitunter eher wie ein Museum anmuten.
Dafür sollten wir voneinander lernen: Was machen Kreisverbände (auch im Osten, auch in der Fläche) besser, die Mitgliederzuwächse verzeichnen können? Was wünschen sich neue Mitglieder von den lokalen Parteistrukturen? Wo gibt es bei der Partei schon Orte der Begegnung und Solidarität, offene Geschäftsstellen, die zum Mitmachen einladen? Es muss auch in den Landesverbänden selbst eine größere Offenheit für neue Formate und andere Formen der Parteiarbeit geben. Das alles wird nicht leichter angesichts deutlich weniger zur Verfügung stehender Ressourcen nach diesen Wahlen (in Sachsen droht angesichts einer strukturellen Zweidrittelmehrheit für CDU und AfD auf Landesebene und ähnlichen Verhältnissen in der Provinz sogar ein noch aggressiverer Kulturkampf um jedes halbwegs alternative Projekt).

2. Empowerment statt Stellvertretung

Lange Zeit galt DIE LINKE im Osten als Volkspartei, legte viel Wert auf das Image als Kümmererpartei, welches vielen Mitgliedern im Westen fremd war. Dabei ist das Problem selbstredend nicht der Anspruch, sich um die Anliegen der Menschen kümmern zu wollen. Zum Problem wird es dann, wenn dahinter eine Herangehensweise an Politik steht, das auf Stellvertreter*innentum statt auf Selbstorganisierung setzt, und Illusionen stärkt statt bekämpft, was die Partei für sie tun kann. Der Unterschied ist der: DIE LINKE Berlin hat in ihrem letzten Wahlkampf gefragt: „Wem gehört die Stadt?“ – und die Antwort war ungefähr diese: ohne eine engagierte, kämpfende Stadtgesellschaft wird man nichts reißen. Dem gegenüber steht das häufig geäußerte: „Wir machen das (für euch)“ (das im Osten ausgeprägter als im Westen, aber keinesfalls ein Alleinstellungsmerkmal ist, auch in Bremen wurde zuletzt ähnliches plakatiert). Abgesehen davon, dass man diese selbst geschürte Erwartungshaltung selten bedienen kann, macht uns ein solcher Habitus auch in der Art und Weise Politik zu machen, wenig unterscheidbar von anderen Parteien. Wir wollen ja nicht nur das Sprachrohr von Protest und Unzufriedenheit im Parlament sein (und automatisch aufgeschmissen, wenn der Protest ausbleibt), sondern den Widerstand auch selbst organisieren und die Unzufriedenheit kanalisieren. Wir kämpfen mit den Menschen, nicht nur für sie.

3. Zuspitzen und Konflikte schüren

Ein großes Problem ist, dass die Partei in vielen Landesverbänden – Brandenburg und Sachsen stehen an der Stelle exemplarisch dafür – kaum bis gar nicht mit einer konkreten Forderung in Verbindung gebracht wird. Darüber hinaus waren die Diskussionen um Schuldenbremse und Kreisgebietsreform, die unklare Haltung Brandenburgs bei der Braunkohle bzw. die Zustimmung beim Polizeigesetz sicher nicht hilfreich, Wähler*innen zu halten, geschweige denn, Menschen neu von der LINKEN zu überzeugen (wir haben dabei auch junge, engagierte Parteimitglieder verloren, die jahrelang zum Rückgrat ihres Kreisverbandes gehörten). Die Leute fragen sich aber auch unabhängig von diesen Streitthemen: Warum sollen sie DIE LINKE wählen?
Wir müssen die Menschen als Akteur in einem gesellschaftlichen Konflikt adressieren. So wie aktuell die Mieter*innen in Berlin. Der Kampf um bezahlbare Mieten ist ein Klassenkonflikt, in dem sich die Partei mit der Immobilienlobby und zum Teil auch mit den Koalitionspartnern anlegt. Gewöhnt ist man dagegen häufig das Bedürfnis, als LINKE zu beweisen, dass man auch regieren kann, dabei verlässlich und bodenständig ist. Wer aber bereits den Konflikt mit konkurrierenden Parteien fürchtet, wird sich schon gar nicht mit dem Kapital anlegen. Die Partei muss – gemeinsam, voneinander lernend – zuspitzen und Konflikte schüren und weitertreiben. Und anerkennen, dass man politische Erfolge auch aus der Opposition erreichen kann, regieren allein noch keine Machtoption ist. Alles andere macht bescheiden, und bescheiden waren wir lang genug.

4. Allein machen sie dich ein

Uns begegnet immer wieder ein weit verbreitetes Vorurteil, man könnte es einen Mythos nennen: Bewegungsorientierung schön und gut, aber im Osten gibt es keine Bewegungen. Auch wenn große Teile der ostdeutschen Bundesländer historisch bedingt eine sehr geringe gewerkschaftliche Bindung aufweisen (niedrige Zahl von Betriebsräten, Schlusslicht bei Tarifbindung, geringere Tariflöhne als in den westlichen Bundesländern), haben die vergangenen Entwicklungen bei den Tarifkämpfen, zum Beispiel in der Pflege- und Dienstleistungsbranche, womöglich eine neue Phase gewerkschaftlicher Organisierung eingeleitet. Wo allzu oft ein „Jammer-Ossi“ vermutet wird, findet man Beschäftigte mit gestiegenem Selbstbewusstsein, die die Anerkennung bekommen wollen, die ihnen schon lange zusteht.
Neben der Zunahme von betrieblichen Auseinandersetzungen gibt es außerdem in fast allen kleineren Städten Schüler*innen, die bei FFF-Demos auf die Straße gehen. Als einzige Partei, die bereit ist, sich für Klimagerechtigkeit auch mit den Konzernen anzulegen, müsste diese Bewegung eine noch wichtigere Rolle spielen. Zig Konzerte fanden statt, um in der Provinz Gesicht zu zeigen gegen rechts, von den großen Kundgebungen in Chemnitz bei #wirsindmehr und den Unteilbar-Demos in Leipzig und Dresden ganz zu schweigen. Wir dürfen nicht vergessen, dass insbesondere die Wahlergebnisse der AfD für viele Menschen eine echte Bedrohung bedeuten, vor allem – aber nicht nur – außerhalb der großen Städte.
Auch wenn wir heute weniger Mitglieder im Osten haben als noch vor einigen Jahren, so haben wir zuletzt auch neue Mitstreiter*innen gefunden. Sie wollen sich einbringen und nicht nur für Solidarität werben, sondern solidarische Praxis und eine entsprechende Streitkultur selbst erleben. In diesem Sinne sollten wir zusammenrücken statt spalten.

Wir laden alle ein, das mit uns gemeinsam weiter zu diskutieren.

Ein Beitrag des Koordinierungskreises der Bewegungslinken.

Scheitern als Chance – wie weiter nach Wagenknecht Rückzug?

Die LINKE muss eine verbindende Klassenpolitik machen und Kämpfe gegen Ausbeutung, Rassismus und Sexismus verbinden.

von Thomas Goes

Deutschland braucht eine linke Antwort auf anhaltende soziale Krisenerscheinungen, auf das Weiter-so der Großen Koalition und den Aufstieg der AfD. Wie genau diese auszusehen hat, darüber wurde in der jüngsten Vergangenheit hart gerungen, in Teilen der Gewerkschaften und sozialen Bewegungen nicht weniger als in der Linkspartei. Mit Sahra Wagenknecht trat nun eine der zentralen Figuren dieses Streits ihren Rückzug an.

Aus gesundheitlichen Gründen, sicher. Aber seien wir ehrlich, im Hintergrund steht eine krachende politische Niederlage. Nicht nur Wagenknecht selbst dürfte geglaubt haben mit »Aufstehen« eine neue politische Kraft schaffen zu können, um auch die politischen Kräfteverhältnisse in der Linkspartei, der SPD und bei den Grünen zu verschieben. Sie setzte viel auf diese Karte und ist gescheitert. Damit hat sie sich auch selbst entzaubert. Zumindest hat ihre stets von AnhängerInnen hervorgehobene Beliebtheit nicht dazu ausgereicht Menschen massenhaft zu begeistern.

Wie sich das auf die Situation der Linkspartei auswirken wird? Klar ist: Sahra Wagenknecht ist (und war) nicht entscheidend. Natürlich stehen Köpfe für politische Orientierungen. Um sie herum kristallisiert sich allerdings, was politisch bereits da ist. Das gilt insbesondere für Parteien. Ausschlaggebend ist also, ob es der Linkspartei gelingen wird, Menschen innerhalb und außerhalb der Partei in einen Dialog einzubinden, die sich durch Wagenknecht repräsentiert sehen. Den vielen ehrlichen Herzen müssen wir ein politisches Angebot machen. Das ist durchaus möglich, wenn die Partei weiter daran arbeitet, eine verbindende Klassenpolitik zu erfinden, die versucht, ein neues Bündnis aus verschiedenen Teilen der arbeitenden Klasse zu schmieden – ein Bündnis, das Kämpfe gegen Ausbeutung mit solchen gegen Sexismus und Rassismus verbindet.

In den ostdeutschen Bundesländern hat die Linkspartei deutlich vor dem »Sommer der Migration« bei vielen Wahlen Stimmen verloren. Glaubt man den jüngsten Umfragen zu den drei Landtagswahlen im Herbst, dann wird sich diese Entwicklung fortsetzen. Vieles spricht dafür, dass das traditionelle Modell, mit dem die Partei vor allem im Osten der Republik Politik gemacht hat, sich erschöpft hat.

Eine linke Alternative zum Durchwurschteln der Großen Koalition und zum Aufstieg der extremen Rechten wird es ohne grundlegende Veränderung der Linkspartei nicht geben. Die Chance ist da, aber sie muss genutzt werden. Wir sollten nicht in bekannte strategische Sackgassen laufen. Etwa die immer gleiche Beschwörung von Rot-Rot-Grün oder die radikale Passivität, die aus der ausschließlich defensiven Verteidigung roter Haltelinien entsteht, ohne an der Veränderung der Kräfteverhältnisse und an einer linken Machtoption zu arbeiten, die den Einstieg in den Ausstieg aus dem Kapitalismus möglich macht. Anknüpfend an die bisherigen Experimente mit Organisierungs- und Kampagnenarbeit in der Partei sollten wir stärker an unserer sozialen Verankerung arbeiten; mit Menschen vor Ort Initiativen organisieren, um ihre Interessen durchzusetzen; soziale Milieus der arbeitenden Klasse verbinden, die eben nicht umstandslos dasselbe wollen, selbst wenn sie objektiv dieselben Interessen haben: von angelernten ArbeiterInnenmilieus und urbanen Prekären bis zu jungen qualifizierten Facharbeiter- und Angestelltengruppen.

Wir sollten Kämpfe für konkrete Verbesserungen verbinden mit dem Plädoyer für eine grundlegende gesellschaftliche Alternative, die ökologisch-sozialistische Demokratie. Das können wir jedenfalls von den linken Sozialdemokraten Bernie Sanders und Jeremy Corbyn lernen.

Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine haben für die Bekanntheit der Linkspartei viel getan. Der Partei selbst haben sie in den letzten Jahren aber Bärendienste erwiesen. In die Partei hinein haben sie polarisiert, die außerparlamentarische Mosaiklinke gespalten. Insofern ist ihr Scheitern auch eine Chance.

Thomas Goes ist Soziologe und arbeitet am SOFI Göttingen. Er ist aktiv im Koordinierungskreis der Bewegungslinken, eines Zusammenschlusses innerhalb der Linkspartei und hat zusammen mit Violetta Bock das Buch »Ein unanständiges Angebot? Mit linkem Populismus gegen Eilten und Rechte?« geschrieben. Der Artikel erschien zuerst im neuen Deutschland.