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Was ist für uns Bewegungsorientierung? von Sarah Nagel

Was heißt eigentlich Bewegungsorientierung? Davon gibt es ganz unterschiedliche Vorstellungen – auch unter denjenigen, die bewegungsorientierte Politik erst einmal für einen guten Ansatz halten. Es lohnt sich also, diese Diskussion zu führen. Hier sind fünf kurze Punkte dazu.

1. Ist bewegungsorientierte Politik etwas, dass nur ab und zu passiert – oder sollten wir einen stärkeren Fokus darauf legen, uns längerfristig gemeinsam mit Leuten zu organisieren, und zwar besonders mit denjenigen, die besonders betroffen sind von den Zumutungen des Neoliberalismus? Das wird in der Partei und der Bewegungslinken schon seit einer Weile diskutiert. Dahinter steckt auch die Erkenntnis, dass die DIE LINKE an vielen Orten noch nicht so präsent ist, wie sie das sein könnte – auch wenn es mittlerweile einige gute Beispiele für organisierende Arbeit gibt, an die wir anknüpfen können.

Aber was bedeutet organisierende Praxis? Einerseits können wir sie von reiner Mobilisierung unterscheiden. Denn häufig sind es Events wie Demonstrationen, die einem einfallen, wenn es um Bewegungsorientierung geht. Daran ist auch gar nichts falsch. Proteste und Demos sind Kristallisationspunkte, man schafft damit Öffentlichkeit und macht die Erfahrung, dass man nicht alleine ist. Aber sie haben eben auch Grenzen. Weil sie punktuell sind, weil sie zum Beispiel häufiger in Großstädten stattfinden als in kleinen Orten und auch dort nur einen Bruchteil erreichen. Deshalb ist es wichtig, dass wir uns stärker darüber Gedanken machen, wie wir längerfristig mit Leuten aktiv werden und zeigen können, dass DIE LINKE für sie einen Mehrwert hat.

Auf der anderen Seite ist es aus meiner Sicht wichtig, die organisierende Arbeit von Stellvertreterpolitik abzugrenzen. Wir können schlicht nicht versprechen, dass wir alles verändern können, wenn Leute uns ihre Stimme geben. Das können wir letztlich nur gemeinsam tun. Es muss uns also in erster Linie darum gehen, Selbstorganisierung voranzubringen.

2. Daran knüpft der zweite Punkte an: Besonders in den letzten zwei, drei Jahren wurde in der LINKEN in Diskussionen viel auf linke Mehrheiten geschaut, darauf, wie wir gerade in den Umfragen stehen, wie oft wir in der Tagesschau vorkommen, oder wie man möglichst schnell möglichst viele Menschen auf eine Mailingliste bekommt. Doch auf dem Weg zu grundlegender gesellschaftlicher Veränderung gibt es keine Abkürzungen. Auch wenn eine gute mediale Präsenz natürlich hilfreich ist, werden kurzfristige Strategien und solche, die vor allem auf Repräsentation setzen, letztlich allein nicht ausreichen. Wir können die Gesellschaft nur verändern, indem wir die Kräfteverhältnisse nach links verschieben und unseren Handlungsspielraum Stück für Stück ausbauen. Das geht nicht von einem Tag auf den anderen. Und wir müssen Schritte für Veränderung benennen können anstatt nur eine vage Idee von Transformation zu haben.

Ich würde gerne als Bewegungslinke einen Beitrag dazu leisten, längerfristig etwas aufzubauen und wegzukommen von abstrakten Diskussionen, um stattdessen mehr über diese konkreten Schritte zu sprechen, die wir miteinander gehen können.

3. Beim dritten Punkt geht es um das Verhältnis zwischen Partei und Bewegung. Welche spezifische Rolle können wir als linke Partei in Bewegung spielen? Was können wir von Bewegungen lernen und wo können wir sinnvoll etwas beitragen? Auf der einen Seite können wir natürlich Ressourcen bereitstellen, mithelfen, Öffentlichkeit zu schaffen, in Bündnissen mitarbeiten, Bewegungen unterstützen, wo sie es wollen, und sollten es tun, ohne sie zu instrumentalisieren oder zu vereinnahmen. Natürlich gibt es immer auch ein Spannungsverhältnis zwischen Partei und Bewegung, ganz besonders dort, wo DIE LINKE Teil der Regierung ist.

Gleichzeitig sollten wir anerkennen, dass wir als Partei, die es seit 12 Jahren gibt und die hunderte von Kreisverbänden hat, eine andere Rolle spielen können und sollten als andere Akteure. Manches können wir vielleicht aufgrund dieser Struktur besser und anderes weniger gut als Bewegungen, die etwa viele Menschen auf die Straße bringen, kreativ sind, tolle Ideen haben – aber möglicherweise nur von kurzer Dauer sind. Dass eine Bewegung Tausende auf die Straße bringt bedeutet nicht, dass in zwei Jahren noch jemand darüber redet.

Anstatt abstrakt zu bleiben, könnten wir uns außerdem häufiger fragen, was wir konkret beitragen können. Etwas zugespitzt zum Beispiel: Macht es für eine Bewegung, die einen linken Youtube-Star mit Millionen Followern auf ihrer Seite hat, überhaupt einen großen Unterschied, ob DIE LINKE dazu noch ein Sharepic macht oder etwas dazu im Bundestag sagt? Unterstützen wir Bewegungen nur mit Worten, auch mit Ressourcen, oder indem wir Teil davon sind und Arbeit übernehmen? Und ist es in anderen Fällen vielleicht so, dass manche Bewegungen ohne DIE LINKE gar nicht entstanden wären oder längst wieder abgeebbt? Partei in Bewegung, das kann eben auch bedeuten, selbst etwas aufzubauen. Zum Beispiel an einem Ort, in dem wir bis dahin wenig präsent sind und wo eben nicht jeden Tag irgendeine linke Veranstaltung stattfindet. Probleme, die wir gemeinsam angehen können, gibt es überall. Gerade dieser Aspekt wird noch zu wenig diskutiert, wenn es um Bewegungsorientierung geht.

4. Ich denke viertens, dass wir neu über Erfolge und Gewinnen nachdenken sollten. Das ist etwas, was wir viel zu selten tun. Ein Erfolg war auch für mich vor ein paar Jahren zum Beispiel, wenn besonders viele Leute bei einer Demo waren. Ich glaube aber, wenn man ernsthaft Kräfteverhältnisse verschieben und Macht von unten aufbauen will, ist es sinnvoll, sich mit Leuten gemeinsam zu organisieren, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Dazu müssen wir natürlich mit Menschen ins Gespräch kommen, was wir häufig gar nicht machen. Und wir müssen unsere Routine infrage stellen. Denn was bedeutet die Parteiarbeit vor Ort? Meist ist sie zum Beispiel geprägt von Mitgliederversammlungen, Veranstaltungen, ab und zu einem Infostand oder mal zu einer Demo zu mobilisieren. Das ist alles in Ordnung, aber es ist Luft nach oben. Stattdessen sollten wir uns häufiger überlegen, welche Erfolge wir organisieren können, die das Leben von Leuten tatsächlich verbessern. Das kann im Betrieb sein oder im Stadtteil, wo dann vielleicht tatsächlich die Mieten nicht so stark steigen, oder anderswo. Das verändert die politische Arbeit natürlich stark: Die Treffen, die Ansprache, die Art, wie wir Strategien entwickeln. Es geht darum, uns zu organisieren, um etwas gemeinsam zu erkämpfen – in dem Wissen, dass wir bei dieser kleinen Verbesserung nicht stehenbleiben wollen, sondern die Gesellschaft verändern.

Ein erster Schritt ist aber, sich zu überlegen, ob das mit unserer bisherigen Routine überhaupt möglich ist oder wir daran etwas verändern können.

5. Für den Anfang sollten wir uns ein paar Fragen zu unserer Praxis vor Ort stellen: Kommen wir überhaupt mit Leuten ins Gespräch, die wir noch nicht kennen? Oder reden wir eigentlich nur mit unserem engeren Umfeld? Wenn wir zum Beispiel eine Veranstaltung zu einem außenpolitischen Thema organisieren und da kommen 25 Leute, dann ist das natürlich ganz gut – aber wir sollten uns bewusst sein, dass es nur Leute sind, die prinzipiell zu linken Veranstaltungen gehen. Eine weitere wichtige Frage ist: Machen unsere Treffen eigentlich Spaß? Würden wir jemanden dahin mitbringen wollen? Haben wir als LINKE eine einladende und inklusive Kultur? Und: Setzen wir am Alltag, also an realen Problemen an, oder stellen wir abstrakte Forderungen? Viele abstrakte Forderungen sind natürlich durchaus richtig. Privatisierung stoppen, Kapitalismus abschaffen etc. Die Frage ist aber, ob sie der richtige erste Schritt sind, um mit Leuten ins Gespräch zu kommen – oder ob es nicht vielleicht mehr Sinn macht, auch mal mit Fragen anzufangen anstatt mit Antworten. Weitere Fragen betreffen unsere Prioritäten und Ressourcen. Woraus fokussieren wir in unserer alltäglichen Arbeit? Man verliert sich ja doch oft in Details, Anträgen oder Machtpolitik. Ist das, was wir gerade tun, geeignet um die Kräfteverhältnisse nach links zu verschieben oder sitzen wir gerade doch nur rum und diskutieren über etwas, was eher zu nichts führen wird? Außerdem ist es natürlich auch wichtig, wie wir unsere Ressourcen einsetzen. DIE LINKE hat über 60.000 Mitglieder, aber nicht alle sind aktiv. In einem Kreis – oder Ortsverband gibt es dann vielleicht 5, 10, 20 oder 30 Aktive. Da müssen wir uns natürlich darüber Gedanken machen, wie wir einerseits unsere bestehenden Ressourcen einsetzen und andererseits mehr werden.

Hier konnten nur einige Punkte kurz angerissen werden, aber es wäre lohnenswert, diese Diskussion zu vertiefen.