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Organisierende Gewerkschaftsarbeit von Katharina Stierl

Ich bin seit 2011 ver.di Mitglied. Ich war von 2012-2016 in der Jugend Auszubildenden Vertretung. Ich habe hier eng mit dem Personalrat der Uniklinik zusammengearbeitet. Nach einer Personalratssitzung stand ich mal wieder länger mit dem Personalratsvorsitzenden und dem Stellvertreter in der Küche des Büros und wir diskutierten über die Verbesserungen der Ausbildung. Irgendwann kamen wir auch auf die Frage der Personalbemessung und auf die Frage der politischen Vertretung und der Beschäftigung der Politik mit der Pflege zu sprechen. Meine beiden Vorsitzenden, welche beide SPD-Mitglieder sind, wiesen mich auf die AfA (Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen in der SPD) – hin und luden mich direkt ein, mit zum nächsten Treffen zu kommen. Zu dem Zeitpunkt gab es noch keine offizielle Kampagne zum Thema Pflege oder Personalmangel und die einzige parteipolitische Vertretung der Beschäftigten im Krankenhaus, die ich durch meine Kollegen mitbekam, war die AfA als politische Interessenvertretung der Arbeiter*innen.

Das treffen fand natürlich im DGB-Gewerkschaftshaus statt und neben meinen Personalratsvorsitzenden traf ich dort dann auch Kollegen aus den ver.di Gremienstrukturen, welche sich über eine neue junge Kollegin freuten. Noch wussten sie nicht (und ehrlicherweise ich auch nicht), dass wir politisch nie zusammenfinden würden. Von der LINKEN habe ich in meinem Betrieb nur ein einziges Mal etwas mitbekommen, und das war am Frauen*tag, an dem rote Nelken verteilt wurden. Wenn das nun meine ersten Erlebnisse als Arbeiter*in waren und sich das in den letzten 4 Jahren nicht groß gewandelt hat, dann ist das ein Problem.

Linke Betriebsarbeit bis jetzt

Marx sagt, dass „die Menschen ihre Geschichte machen“. Wenn ich mir die Situation in den Betrieben so ansehe, sehe ich: sie haben die Geschichte gemacht und zwar mit der Sozialdemokratie, welche sich immer noch nicht als das große Geschenk für die Arbeiterinnen entpuppt hat, wie prophezeit. Die Sozialpartnerschaft und ihr stellvertreterischer Fokus dominieren die gewerkschaftspolitische Arbeit in Deutschland. Diese Politik geht davon aus, dass die Menschen nicht aktiviert werden wollen oder können. Es werden keine Arbeitskämpfe geführt, die partizipativ sind, sondern solche, die gerade das Minimum an Beteiligung erfordern, um ein Mindestmaß an Verbesserung oder auch nur Veränderung hervorzurufen. Die Pseudopartizipation führt unter anderem dazu, dass immer weniger Menschen sich überhaupt organisieren. Ver.di hat in den vergangenen Jahren die 2-Millionen-Marke unterschritten und kämpft schon seit Jahren, genau wie alle anderen Gewerkschaften auch, um den Erhalt seiner Mitglieder.

Warum ist das wichtig?

Wenn es heißt, dass „Menschen ihre Geschichte machen“, so ist die Frage: Wer sind diese Menschen in Deutschland? Ca. 39,2 Millionen Menschen sind erwerbstätig, davon ca. 4-5 Millionen in Gewerkschaften organisiert. Es handelt sich also um eine riesige Anzahl von Menschen. Der Konflikt am Arbeitsplatz ist einer der Kämpfe, bei dem viele dieser 39,2 Millionen Menschen auch Erfahrungen sammeln können. Hier müssen wir auch über das Kräfteverhältnis sprechen. Denn diese Menschen können gemeinsam Erfahrungen machen und können gemeinsam über eine andere Welt diskutieren. Doch haben diese überhaupt Macht?

Sprechen wir von Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit so sprechen wir oft und ziemlich schnell von Begriffen wie „Arbeiter*innenklasse“ und von dem Machtpotential der Beschäftigten. Ohne den Arbeiter keine Veränderung. Neue Arbeitskonzepte werden immer weiter zum Problem. Leiharbeit, Werkverträge, Entgrenzung der Arbeitszeiten und Anwerben von ausländischen Arbeitskräften führt zu einer Spaltung der Arbeiter*innenklasse, die wir verhindern müssen.

Doch nun mal pragmatisch: Was hab ich bisher als linke Gewerkschafterin von der LINKEN erlebt? Wie macht die Linke eigentlich Betriebsarbeit? Wie macht die Linke eigentlich Gewerkschaftsarbeit? Ich bin seit 2011 Gewerkschaftsmitglied. Linke Betriebsgruppen habe ich in meinem Betrieb, und auch den umliegenden Krankenhäusern, noch nicht erlebt. DIE LINKE schafft es, Streikunterstützung aufbauen, verteilen Rosen und Flyer. Es gibt kleine Pflänzchen und Versuche, neue Konzepte durchzusetzen. Aber ernsthafte Angebote gibt es bisher wenige. Zu wenige.

Was muss anders werden?

Wer hat es nicht schon gehört: „Die Arbeiterklasse ist nicht mehr der Mann im Blaumann!!“ Weiterhin ist sie männlich, weiß und überwiegend auch nicht bewegungsorientiert. Es herrscht weiterhin das Verständnis, durch vorgetäuschtes Mitmach-Prinzip die Menschen gewinnen zu können. Die SPD als Sozialpartner der Gewerkschaften und auch in den Betriebs- und Personalräten ist ein Problem, Linke sollten sich nicht versstecken. Sie sollten sich aktiv einbringen und Verbindungen zwischen den Berufen herstellen.

Organizing-Ansätze statt Mobilizing

Wenn es darum geht, möglichst viele Menschen mit einzubinden, sie ernstzunehmen, dann geht es auch darum, aus den verkrusteten und alten Strukturen rauszukommen und neue Wege zu gehen. Offener zu sein, neue Leute mit einzubinden. Verantwortung abzugeben und Mehrheiten zu gewinnen.

Es geht darum, nicht die per se schon in einer monetären Abhängigkeit hängenden Funktionäre zu empowern, sondern vor allem die Kolleg*innen im Betrieb. Gewerkschaften machen zum Teil seit Jahren Stellvertreterpolitik. Aber: Gewerkschaften sind wandelbar, sind beweglich. Die Erneuerung durch Streik-Konferenz der RLS bietet einen Ort, an dem Gewerkschaftler*innen zusammenkommen können, um gemeinsam zu diskutieren und sich auszutauschen.

Es muss auch für linke ein Selbstverständnis geben zu sagen: ich bin die Gewerkschaft, oder besser: wir sind die Gewerkschaft! Um gesellschaftliche Mehrheiten aufzubauen und um linke Mehrheiten in der Gewerkschaft zu gewinnen, müssen wir unsere Ansätze überdenken.

Fazit

Wie kann das gelingen und wie stelle ich mir linke Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit vor? Ich glaube wir müssen …

  1. Selbstbewusster
  2. Organisierter
  3. Verbindender

… arbeiten.
Selbstbewusster in dem Sinne, dass wir den Anspruch haben müssen, DIE LINKE mittelfristig wirklich als die Partei der gewerkschaftlichen Erneuerung aufzubauen. Das heißt, um Mehrheiten zu kämpfen, weiter auszugreifen als auf die üblichen Verdächtigen, neue Streiktaktiken auszuprobieren, die stärkere Streiks und höhere Forderungen aufstellen und sich nicht mit wenig zufrieden geben und damit auch den Konflikt innerhalb der Gewerkschaften suchen.

Zweitens sollten wir organisierter arbeiten in dem Sinne, dass wir unsere Kräfte sammeln und uns vernetzen wie bei der Streikkonferenz der Rosa Luxemburg Stiftung, wo wir konkrete Vorschläge diskutieren können, wie wir auch die Gewerkschaften verändern. Versuche und Ideen zu linken Betriebsgruppen werden wir diskutieren.

Bisher denkt DIE LINKE viel darüber nach, wie aus Kolleg*innen Wähler*innen werden. Wir müssen aber überlegen und dann auch tatsächlich organisieren, dass aus Kolleg*innen Genoss*innen werden. Die Betriebsgruppen könnten dann kämpferische Pole der Hoffnung als das Rückgrat unseres alternativen Gesellschaftsprojeks bilden.

Zuletzt müssen wir verbindender arbeiten, und zwar in dem Sinne, dass wir gewerkschaftliche Konflikte nicht isoliert betrachten und ebenso wenig isoliert führen – betriebliche Kämpfe sind gesellschaftliche Kämpfe. Die US-amerikanische Organizerin Jane McAlevey nennt das Whole Worker Organizing. Das heißt, dass wir Beschäftigte nicht nur als Beschäftigte betrachten, sondern auch Menschen in einem sozialen Netzwerk. Die Auseinandersetzung in der Pflege geht weiter, der Kampf um unseren Planeten hat grade erst das nächste Kapitel aufgeschlagen. LINKE Gewerkschaftspolitik kann hier der Schlüssel zum Siegestor sein.

Im kommenden Jahr stehen verschiedene Tarifrunden wie z.B. im Handel, in der Metallindustrie, im Nahverkehr und weiterhin in den Krankenhäusern an. Es wird viele Möglichkeiten geben, sich einzubringen und neue Konzepte direkt auszuprobieren.

Ich glaube, dass wir mit der Bewegungslinken einen guten Anfang gemacht haben, um an diesen Aufgaben zu arbeiten. Ich glaube aber auch, dass es noch viel Hirnmasse, Kreativität und Mut brauchen wird. Ich freu mich drauf mich mit Euch auf den Weg zu machen.

Was ist für uns Bewegungsorientierung? von Sarah Nagel

Was heißt eigentlich Bewegungsorientierung? Davon gibt es ganz unterschiedliche Vorstellungen – auch unter denjenigen, die bewegungsorientierte Politik erst einmal für einen guten Ansatz halten. Es lohnt sich also, diese Diskussion zu führen. Hier sind fünf kurze Punkte dazu.

1. Ist bewegungsorientierte Politik etwas, dass nur ab und zu passiert – oder sollten wir einen stärkeren Fokus darauf legen, uns längerfristig gemeinsam mit Leuten zu organisieren, und zwar besonders mit denjenigen, die besonders betroffen sind von den Zumutungen des Neoliberalismus? Das wird in der Partei und der Bewegungslinken schon seit einer Weile diskutiert. Dahinter steckt auch die Erkenntnis, dass die DIE LINKE an vielen Orten noch nicht so präsent ist, wie sie das sein könnte – auch wenn es mittlerweile einige gute Beispiele für organisierende Arbeit gibt, an die wir anknüpfen können.

Aber was bedeutet organisierende Praxis? Einerseits können wir sie von reiner Mobilisierung unterscheiden. Denn häufig sind es Events wie Demonstrationen, die einem einfallen, wenn es um Bewegungsorientierung geht. Daran ist auch gar nichts falsch. Proteste und Demos sind Kristallisationspunkte, man schafft damit Öffentlichkeit und macht die Erfahrung, dass man nicht alleine ist. Aber sie haben eben auch Grenzen. Weil sie punktuell sind, weil sie zum Beispiel häufiger in Großstädten stattfinden als in kleinen Orten und auch dort nur einen Bruchteil erreichen. Deshalb ist es wichtig, dass wir uns stärker darüber Gedanken machen, wie wir längerfristig mit Leuten aktiv werden und zeigen können, dass DIE LINKE für sie einen Mehrwert hat.

Auf der anderen Seite ist es aus meiner Sicht wichtig, die organisierende Arbeit von Stellvertreterpolitik abzugrenzen. Wir können schlicht nicht versprechen, dass wir alles verändern können, wenn Leute uns ihre Stimme geben. Das können wir letztlich nur gemeinsam tun. Es muss uns also in erster Linie darum gehen, Selbstorganisierung voranzubringen.

2. Daran knüpft der zweite Punkte an: Besonders in den letzten zwei, drei Jahren wurde in der LINKEN in Diskussionen viel auf linke Mehrheiten geschaut, darauf, wie wir gerade in den Umfragen stehen, wie oft wir in der Tagesschau vorkommen, oder wie man möglichst schnell möglichst viele Menschen auf eine Mailingliste bekommt. Doch auf dem Weg zu grundlegender gesellschaftlicher Veränderung gibt es keine Abkürzungen. Auch wenn eine gute mediale Präsenz natürlich hilfreich ist, werden kurzfristige Strategien und solche, die vor allem auf Repräsentation setzen, letztlich allein nicht ausreichen. Wir können die Gesellschaft nur verändern, indem wir die Kräfteverhältnisse nach links verschieben und unseren Handlungsspielraum Stück für Stück ausbauen. Das geht nicht von einem Tag auf den anderen. Und wir müssen Schritte für Veränderung benennen können anstatt nur eine vage Idee von Transformation zu haben.

Ich würde gerne als Bewegungslinke einen Beitrag dazu leisten, längerfristig etwas aufzubauen und wegzukommen von abstrakten Diskussionen, um stattdessen mehr über diese konkreten Schritte zu sprechen, die wir miteinander gehen können.

3. Beim dritten Punkt geht es um das Verhältnis zwischen Partei und Bewegung. Welche spezifische Rolle können wir als linke Partei in Bewegung spielen? Was können wir von Bewegungen lernen und wo können wir sinnvoll etwas beitragen? Auf der einen Seite können wir natürlich Ressourcen bereitstellen, mithelfen, Öffentlichkeit zu schaffen, in Bündnissen mitarbeiten, Bewegungen unterstützen, wo sie es wollen, und sollten es tun, ohne sie zu instrumentalisieren oder zu vereinnahmen. Natürlich gibt es immer auch ein Spannungsverhältnis zwischen Partei und Bewegung, ganz besonders dort, wo DIE LINKE Teil der Regierung ist.

Gleichzeitig sollten wir anerkennen, dass wir als Partei, die es seit 12 Jahren gibt und die hunderte von Kreisverbänden hat, eine andere Rolle spielen können und sollten als andere Akteure. Manches können wir vielleicht aufgrund dieser Struktur besser und anderes weniger gut als Bewegungen, die etwa viele Menschen auf die Straße bringen, kreativ sind, tolle Ideen haben – aber möglicherweise nur von kurzer Dauer sind. Dass eine Bewegung Tausende auf die Straße bringt bedeutet nicht, dass in zwei Jahren noch jemand darüber redet.

Anstatt abstrakt zu bleiben, könnten wir uns außerdem häufiger fragen, was wir konkret beitragen können. Etwas zugespitzt zum Beispiel: Macht es für eine Bewegung, die einen linken Youtube-Star mit Millionen Followern auf ihrer Seite hat, überhaupt einen großen Unterschied, ob DIE LINKE dazu noch ein Sharepic macht oder etwas dazu im Bundestag sagt? Unterstützen wir Bewegungen nur mit Worten, auch mit Ressourcen, oder indem wir Teil davon sind und Arbeit übernehmen? Und ist es in anderen Fällen vielleicht so, dass manche Bewegungen ohne DIE LINKE gar nicht entstanden wären oder längst wieder abgeebbt? Partei in Bewegung, das kann eben auch bedeuten, selbst etwas aufzubauen. Zum Beispiel an einem Ort, in dem wir bis dahin wenig präsent sind und wo eben nicht jeden Tag irgendeine linke Veranstaltung stattfindet. Probleme, die wir gemeinsam angehen können, gibt es überall. Gerade dieser Aspekt wird noch zu wenig diskutiert, wenn es um Bewegungsorientierung geht.

4. Ich denke viertens, dass wir neu über Erfolge und Gewinnen nachdenken sollten. Das ist etwas, was wir viel zu selten tun. Ein Erfolg war auch für mich vor ein paar Jahren zum Beispiel, wenn besonders viele Leute bei einer Demo waren. Ich glaube aber, wenn man ernsthaft Kräfteverhältnisse verschieben und Macht von unten aufbauen will, ist es sinnvoll, sich mit Leuten gemeinsam zu organisieren, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Dazu müssen wir natürlich mit Menschen ins Gespräch kommen, was wir häufig gar nicht machen. Und wir müssen unsere Routine infrage stellen. Denn was bedeutet die Parteiarbeit vor Ort? Meist ist sie zum Beispiel geprägt von Mitgliederversammlungen, Veranstaltungen, ab und zu einem Infostand oder mal zu einer Demo zu mobilisieren. Das ist alles in Ordnung, aber es ist Luft nach oben. Stattdessen sollten wir uns häufiger überlegen, welche Erfolge wir organisieren können, die das Leben von Leuten tatsächlich verbessern. Das kann im Betrieb sein oder im Stadtteil, wo dann vielleicht tatsächlich die Mieten nicht so stark steigen, oder anderswo. Das verändert die politische Arbeit natürlich stark: Die Treffen, die Ansprache, die Art, wie wir Strategien entwickeln. Es geht darum, uns zu organisieren, um etwas gemeinsam zu erkämpfen – in dem Wissen, dass wir bei dieser kleinen Verbesserung nicht stehenbleiben wollen, sondern die Gesellschaft verändern.

Ein erster Schritt ist aber, sich zu überlegen, ob das mit unserer bisherigen Routine überhaupt möglich ist oder wir daran etwas verändern können.

5. Für den Anfang sollten wir uns ein paar Fragen zu unserer Praxis vor Ort stellen: Kommen wir überhaupt mit Leuten ins Gespräch, die wir noch nicht kennen? Oder reden wir eigentlich nur mit unserem engeren Umfeld? Wenn wir zum Beispiel eine Veranstaltung zu einem außenpolitischen Thema organisieren und da kommen 25 Leute, dann ist das natürlich ganz gut – aber wir sollten uns bewusst sein, dass es nur Leute sind, die prinzipiell zu linken Veranstaltungen gehen. Eine weitere wichtige Frage ist: Machen unsere Treffen eigentlich Spaß? Würden wir jemanden dahin mitbringen wollen? Haben wir als LINKE eine einladende und inklusive Kultur? Und: Setzen wir am Alltag, also an realen Problemen an, oder stellen wir abstrakte Forderungen? Viele abstrakte Forderungen sind natürlich durchaus richtig. Privatisierung stoppen, Kapitalismus abschaffen etc. Die Frage ist aber, ob sie der richtige erste Schritt sind, um mit Leuten ins Gespräch zu kommen – oder ob es nicht vielleicht mehr Sinn macht, auch mal mit Fragen anzufangen anstatt mit Antworten. Weitere Fragen betreffen unsere Prioritäten und Ressourcen. Woraus fokussieren wir in unserer alltäglichen Arbeit? Man verliert sich ja doch oft in Details, Anträgen oder Machtpolitik. Ist das, was wir gerade tun, geeignet um die Kräfteverhältnisse nach links zu verschieben oder sitzen wir gerade doch nur rum und diskutieren über etwas, was eher zu nichts führen wird? Außerdem ist es natürlich auch wichtig, wie wir unsere Ressourcen einsetzen. DIE LINKE hat über 60.000 Mitglieder, aber nicht alle sind aktiv. In einem Kreis – oder Ortsverband gibt es dann vielleicht 5, 10, 20 oder 30 Aktive. Da müssen wir uns natürlich darüber Gedanken machen, wie wir einerseits unsere bestehenden Ressourcen einsetzen und andererseits mehr werden.

Hier konnten nur einige Punkte kurz angerissen werden, aber es wäre lohnenswert, diese Diskussion zu vertiefen.

Veränderung kommt aus der Gesellschaft

Soziale und emanzipatorische Errungenschaften müssen durch Proteste, zivilen Ungehorsam, Demonstrationen, Streiks und Kämpfe erobert werden

Von Jan van Aken, Raul Zelik, Sofia Leonidakis, Harald Weinberg, Rhonda Koch, Michel Brandt, Nina Eumann und Konstantin Gräfe.

Die AfD sitzt jetzt in allen Landtagen, die extreme Rechte wird international immer stärker. Nach jedem Wahlabend hören wir die Klagen über den Rechtsruck, die Krise linker Parteien und das Fehlen von »Machtoptionen«. Das alles aber ist nur die halbe Wahrheit, denn es gibt durchaus Bewegung für einen linken Aufbruch im Land. Im Moment gewinnen in dieser gesellschaftlichen Polarisierung allerdings vor allem die Grünen.

An #unteilbar haben sich im Oktober in Berlin 240.000 Menschen beteiligt. Bemerkenswert war nicht nur die Größe der Demonstration, sondern auch ihr Ansatz. #Unteilbar wurde von einem breiten Bündnis getragen und verteidigte das Recht auf Unterschiede. Gleichzeitig hat die Demonstration aber auch die gemeinsamen Interessen betont: Soziale Rechte können wir nur gemeinsam gegen die Umverteilung von unten nach oben verteidigen und wir dürfen dabei nicht zulassen, dass das Recht auf Migration und das Recht auf gute Löhne oder bezahlbaren Wohnraum gegeneinander ausgespielt werden.

Auch die Klima- und Umweltbewegung ist extrem ermutigend. In Nordrhein-Westfalen sind in den letzten Wochen immer wieder 50.000 Menschen zusammengekommen, um einen Ausstieg aus der Kohleverstromung und wirksame Maßnahmen gegen den Klimawandel zu fordern. Viele Aktionen haben sich durch kreativen sozialen Ungehorsam ausgezeichnet. Den meisten Klima-AktivistInnen ging es nicht nur um Umweltschutz, sondern auch um Solidarität – nämlich mit den besitzlosen Menschen im globalen Süden, die nicht das Geld haben, sich vor den Folgen des Klimawandels zu schützen. Und den meisten war und ist auch bewusst, dass die Lage für die von Arbeitsplatzverlust bedrohten »Kumpels« dramatisch ist und dass wir solidarische Lösungen brauchen, damit die Bergleute weder in Armut noch in Isolation fallen.

MigrantInnen organisieren sich selbst: In Hamburg haben 35.000 Menschen, viele von ihnen Refugees, für Solidarität und das Recht auf ein gutes Leben – demonstriert? – nein, gefeiert. Ihr Protest war so zuversichtlich und gut gelaunt, wie der rassistische Hass trostlos ist. In Chemnitz waren 65.000 AntifaschistInnen bei einem Konzert, das nicht nur den Rechtsextremismus, sondern auch die soziale Spaltung und den staatlichen Rassismus anprangerte.

Es gibt neue, kreative Streiks! Bei Ryanair haben sich Beschäftigte zu einem internationalen Arbeitskampf zusammengefunden, um die Dumping-Fluglinie RyanAir zu einem Tarifvertrag zu zwingen. Die KollegInnen bei Amazon, einem der größten Konzerne der Welt, kämpfen hartnäckig gegen die gewerkschaftsfeindliche Politik und für Löhne oberhalb der Armutsgrenze. In Krankenhäusern in Nordrhein-Westfalen, im Saarland und in Augsburg haben die Pflegekräfte – viele von ihnen Frauen und EinwandererInnen – wichtige Verbesserungen ihrer Arbeitsbedingungen durchgesetzt. Und bei dem Metallunternehmen Halberg Guss wurde im Sommer wochenlang von der Belegschaft gestreikt. Überall hat die Belegschaft die Streiks in die eigenen Hände genommen und mit Leben gefüllt.

Und dann ist da schließlich auch noch die MieterInnenbewegung, die gegen den Lohnraub durch Immobilienfonds und SpekulantInnen kämpft. Es gibt Hunderte von kleinen Kämpfen gegen Mieterhöhungen, Privatisierungen, Luxussanierungen, Kündigungen … Immer wieder organisieren sich Menschen in ihrem Wohnhaus oder Viertel selbst, um die Verdrängung aus den Innenstädten zu stoppen.

Viele Menschen, die in der LINKEN aktiv sind, spielen in diesen Bewegungen eine tragende Rolle. Und viele der Neumitglieder, die der LINKEN in den letzten zwei Jahren beigetreten sind, wollen als LINKE genau diese Politikansätze stark machen. Sie interessieren sich mehr für das konkrete Handeln im Alltag als für die Auftritte von »SpitzenpolitikerInnen« in Talkshows und Parlamenten. Und auch die letzten Wahlkämpfe wurden genutzt, um soziale Kämpfe zu stärken. In Bayern wurden im Landtagswahlkampf mehr als hunderttausend Unterschriften für bessere Pflege gesammelt, davon allein 5.547 im Klinikum Augsburg – in einem einzigen Betrieb! In Frankfurt haben LINKE im Wahlkampf zusammen mit Betroffenen den Volksentscheid gegen hohe Mieten gestartet und demonstrieren Woche für Woche gegen Fluglärm.

Auch wir sind unteilbar

Unser Anliegen ist es, diese bewegungslinke, klassenorientierte Praxis viel stärker sichtbar zu machen. Wir wollen die LINKE erneuern und zu einer demokratischen Mitgliederpartei weiterentwickeln, die vor allem für die Kämpfe im Alltag da ist. Wir sind davon überzeugt, dass es nicht die glorreichen Wahlerfolge der ParteiführerInnen sind, die die Welt verändern. Soziale und emanzipatorische Errungenschaften müssen immer aus der Gesellschaft heraus erobert werden – durch Proteste, zivilen Ungehorsam, Demonstrationen, Streiks, Kämpfe … Das sind die entscheidenden Mittel, um Kräfteverhältnisse zu ändern!

Linken kommt in diesen Kämpfen eine wichtige Bedeutung zu. Unsere Aufgabe ist es, Anliegen zu formulieren, die die Unterschiede zwischen uns nicht leugnen, aber doch das Gemeinsame sichtbar machen. Wir müssen dafür sorgen, dass KlimaschützerInnen und Bergleute, HartzIV-EmpfängerInnen und MigrantInnen, GewerkschafterInnen und Bewegungslinke, Feminismus und Arbeiterbewegung, Junge und Alte zusammen kommen. Wir müssen dazu beitragen, dass gegen die neoliberale Gesellschaft, die stets das Individuum, die Konkurrenz und den Unterschied betont, kollektive Forderungen stark gemacht werden, denn Freiheiten und Rechte lassen sich immer nur gemeinsam erobern.

Das ist es, was viele von uns als »neue Klassenpolitik« bezeichnen: Wir, die wir nicht vom Vermögen leben können, haben starke gemeinsame Interessen: an sicherer Beschäftigung und höheren Löhnen, an kostenlosem Nahverkehr und Krankenhäusern mit mehr Personal, an Renten, die hoch genug sind, dass niemand im Alter Flaschen sammeln muss. An kommunalem und genossenschaftlichem Wohnungseigentum, das den Immobilienfonds die Stadt wieder streitig macht. Wir alle, egal ob Feminist oder Gewerkschafterin oder beides, haben ein Interesse daran, dass der Klimawandel gestoppt wird und der kapitalistische Wachstumszwang als Kern des Problems erkannt wird. Und wir alle, auch diejenigen, die nicht schwul oder schwarz sind, haben ein Interesse daran, dass Schwule oder Schwarze nicht diskriminiert werden, denn Solidarität und rechtliche und soziale Gleichheit machen die Gesellschaft lebenswerter für uns alle. Diese Gemeinsamkeiten zu formulieren – das ist die Aufgabe verbindender Klassenpolitik.

»Aufstehen« ist angetreten, einen gesellschaftlichen Aufbruch über DIE LINKE hinaus in Gang zu bringen. Man will eine »Sammlungsbewegung« sein, bei der die Verteidigung sozialer Grundrechte im Mittelpunkt steht. Dieses Anliegen teilen wir durchaus. Im Unterschied zu »Aufstehen« sind wir allerdings überzeugt, dass Bewegungen nicht durch Proklamationen von oben, sondern durch eine Praxis von unten entstehen.

Dass Sahra Wagenknecht in ihrer herausgehobenen Rolle die Beschlüsse von Partei und Fraktion infrage gestellt und sich unmittelbar vor der bayerischen Landtagswahl von der #unteilbar-Demonstration distanziert hat, haben wir als unerträglich empfunden. Genauso inakzeptabel finden wir es, dass mit Unterstützung der Fraktionsvorsitzenden und anderer Fraktionsmitglieder bundesweite Organisationsstrukturen aufgebaut werden, die auf eine neue Wahlpartei hinauslaufen.

Wir brauchen einen linken Aufbruch! Aber das geht nicht mit Statements, die gegenüber der migrationsfeindlichen Hetze von Rechts rhetorische Zugeständnisse macht. Stärker werden wir dann, wenn wir dagegen halten, konsequent solidarisch sind und uns in bestehenden Kämpfen engagieren.

Die LINKE erneuern

Natürlich muss die LINKE dazu wachsen und sich gleichzeitig noch weiter ändern. Weg von der Dominanz der Parlamentsarbeit, hin zur organisierenden, bildenden und verbindenden Kraft. Wir müssen im Alltag sichtbarer werden. Mehr Initiativen starten, neue Kanäle und Formate nutzen. Mehr ausprobieren und praktisch organisieren. Immer gemeinsam mit anderen aktiv werden, immer etwas lernen. Wir müssen ambitionierter werden, müssen deutlich machen, dass es nicht reicht, »Politik mitzugestalten«, sondern ausstrahlen, dass wir die Republik grundlegend ändern wollen. Eine Partei sein, die gewinnen will.

Um uns in diese Richtung zu entwickeln, haben wir uns als übergreifende Erneuerungsbewegung für klassenorientierte Politik zusammengetan. Wir sind keine neue Strömung, denn das aufreibende Ringen um Wahlprogramme und Listenplätze ist ein Teil unseres Problems. Wir streiten uns zu viel um Anträge und Texte und sprechen zu wenig über praktische Erfahrungen. Wir fragen uns zu wenig, wo die Ansätze der verbindenden Partei überhaupt schon vorhanden sind. Die Organizing-Projekte in Stadtteilen und Betrieben sind klein. Unsere Strukturen in den Kreisverbänden sind zu schwach, die Arbeit hängt an zu wenigen Aktiven.

Doch es gibt auch viele praktische Ansätze, aus denen wir lernen können: Teile der LINKEN sind Bezugspunkt für soziale Bewegungen, manche Kreisverbände haben eine große Verankerung im Alltag vor Ort, durch die Pflege- und Mietenkampagnen hat sich die Perspektive von Parteiarbeit bei vielen Menschen verschoben. Nur so entsteht Sammlungsbewegung: im Alltag, in Bewegungen, in Streiks und Kämpfen.

Als bewegungs- und klassenorientierte LINKE wollen wir diese Erneuerung der Partei anschieben. Weil wir wissen, dass unser Anliegen von vielen in der Partei geteilt wird, wollen wir in den nächsten Monaten mit vielen AktivistInnen und Mitgliedern reden – eintausend Gespräche haben wir uns vorgenommen.

Im Juni 2019 treffen wir uns zu einer bundesweiten Konferenz und tauschen uns über konkrete Erfahrungen und Experimente aus – in den Kampagnen zu Pflege und Miete, in der Stadtteilarbeit, bei der Unterstützung von Streiks oder Refugees, in der Umweltbewegung oder in der Initiative für einen Frauenstreik.

Aber schon jetzt werden wir uns als Bewegungslinke stärker einmischen.

Die Autor*innen sind alle Poltiker*innen bei der LINKEN