Stoppt den Krieg: Maßnahmen gegen Oligarchie und fossiles Kapital

Beitrag von Lukas Oberndorfer

Der Angriffskrieg, den das rechts-nationale Putin-Regime gegen die Ukraine führt, ist erschreckend. Wieder einmal ist die Zivilbevölkerung in den Kriegsgebieten die Leittragende imperialer Bestrebungen. Die angekündigten Sanktionen werden jedoch die breite Masse treffen. Und die Militarisierung der EU droht Öl in das Feuer zwischen den Nuklearmächten zu gießen. Stattdessen braucht es Maßnahmen gegen die Oligarchie und für mehr Unabhängigkeit von fossiler Energie. 

Das Vorgehen Putins lässt sich nicht ohne eine Einbettung in ökonomische und geopolitische Zusammenhänge verstehen. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion kam es in Russland zu einer Schocktherapie, mit der ein instabiler neoliberaler Kapitalismus durchgesetzt wurde. Die oft aus der alten politischen Elite hervorgehende Oligarchie und die westlichen Institutionen (vor allem USA, EU, IWF) setzten eine rasche und rücksichtslose Privatisierung und Marktöffnung durch. Diese, so die Rechtswissenschafterin Katherina Pistor, stellten eine demokratische und stabile Entwicklung von Anfang an in Frage.

Das Ergebnis war eine abhängige Weltmarkt-Integration, die Russland zum Teil de-industrialisierte und auf ein Entwicklungsmodell festlegte, das vor allem auf der Ausbeutung fossiler Energieträger aufgebaut ist. Während die Profite zwischen den Eliten in Ost und West aufgeteilt wurden, war die russische Bevölkerung die große Leidtragende. Die Armutsquote stieg vor dem Regierungsantritt Putins auf rund 30 Prozent. Die Abhängigkeit von internationalen Finanzorganisationen wurde mit dem Staatsbankrott 1998 offenkundig.

Reguliertere Ausbeutung als Stabilitätsanker

Putin gab das Entwicklungsmodell nicht auf, aber setzte es neu zusammen. Mit autoritärem Vorgehen brachte er die russischen Energiekonzerne unter öffentliche Kontrolle und reduzierte die externe Abhängigkeit durch Schuldenrückzahlung. Die Oligarchie durfte weiter machen, sofern sie in die Putin-Koalition wechselte und die Neuordnung akzeptierte. Durch dieses reguliertere und damit stabilere Entwicklungsmodell sank auch die  Armutsquote auf rund 12 Prozent, wo sie bis heute liegt.

Neben brutaler Repression und rechts-nationaler Politik gegen die „Anderen“ (etwa Minderheiten, LGBTQ+-Gemeinschaft etc.) ist das die soziale Basis der Stabilität von Putins Macht. Dazu kommt nicht zuletzt im Kaukasuskrieg 2008 und in der ersten Etappe des Ukraine-Konflikts 2014 Putins Inszenierung als Führungsperson, welche die geopolitische Raumnahme bzw. Einflusssteigerung von NATO und EU aufhalten bzw. zurückdrängen konnte.

Dementsprechend beschreibt Ilya Matveev das Putin-Regime als eines, das jenem von Louis Bonaparte gleicht. Eine autoritäre Führung sichert der Oligarchie ihre Position. Und sie passiviert die breite Masse neben Repression mit einem Schutzversprechen gegen die teils imaginierte, teils auf Erfahrung beruhenden Bedrohung durch den „Westen“.

Oligarchische Vermögen beschlagnahmen

Eine Strategie, die am Wohl der breiten Masse in der Ukraine, Russland und auch in der EU ausgerichtet ist, müsste darauf zielen, Putins Erzählung einer der klassenzusammenbindenden Politik zu durchkreuzen. Etwa, indem sie die Profiteure seines Systems und der auf Rohstoffausbeutung ausgerichteten Entwicklungsweise in den Fokus nimmt.  

Der französische Vermögensforscher Gabriel Zucman hat jüngst gezeigt, dass die russische Oligarchie (die Top 0.01 Prozent) die Hälfte ihres Vermögens im Westen geparkt hat. Im Fall eines Krieges hat er eine Beschlagnahmung gefordert. Die EU hätte dazu die besten Voraussetzungen, weil ein Großteil dieses Vermögens ihrer Gesetzgebung unterworfen ist. Nicht nur das Einfrieren des Vermögens von Putin und seinen engsten Vertrauten, sondern die Beschlagnahmung des oligarchischen Vermögens in Europa müsste das Faustpfand für den Rückzug der russischen Einheiten sein.

Gleichzeitig wird hier deutlich, wie eng die Interessen der europäischen und russischen Eliten trotz aller imperialen Konkurrenz ineinander verflochten sind. Denn es sind die europäischen Banken, die mit diesen Vermögen „arbeiten“ und dabei halfen, es in Europa zu verstecken. Die für eine Beschlagnahmung notwendige Transparenz fürchten auch europäische Vermögensbesitzer*innen.

Fossile Abhängigkeit beenden

Ähnlich eng sind die Verstrickungen im Bereich der fossilen Energie. Von der Ausbeutung russischer fossiler Energieträger profitieren nicht nur die russischen Staatseliten und die Oligarchie. Es profitieren auch ihre europäischen Pendants in fossilen Konzernen. Sie naschen über Vertrieb und Kontrolle der Verteilungsinfrastruktur kräftig an den Profiten mit.

Das erklärt unter anderem auch, warum als Antwort auf den Angriffskrieg nicht umgehend Schritte eingeleitet werden, um die Abhängigkeit von Gas- und Öl-Importen zu beenden. Dafür bräuchte es als zweite Maßnahmen-Säule ein EU-Notfall-Paket. Mit diesem könnte der sozial-ökologische Umbau mit einer der Bedrohung angemessen Geschwindigkeit entschlossen vorangetrieben und finanziert werden. Um die Pariser-Klimaziele einzuhalten, sind allein in der EU massive, aber finanzierbare Investitionen von 850 Milliarden Euro pro Jahr und eine soziale Reduktion des Energieverbrauchs, die gerade im Bereich des Luxuskonsums relativ rasch möglich wäre, nötig.

Falsche Antworten: Massen-Sanktionen …

Anstatt die Mächtigen ins Visier zu nehmen und ein angemessenes Investitionspaket für die Unabhängigkeit von fossiler Energie zu schnüren, zielen die bisherigen Antworten des „Westens“ aber auf eine Militarisierung und die breite Masse in Russland. Der österreichische Bundeskanzler, Karl Nehammer, fasste das sogar in Worte: „Es wird ein teurer Preis sein, den die Menschen in Russland zahlen werden.“

Denn vor allem die Maßnahmen gegen die russische Zentralbank führen unter anderem zum freien Fall des Rubel. Das trifft gerade auch die kleineren Vermögen. Deren Besitzer*innen konnten ihr Geld nicht im Ausland in Betongold, Yachten oder in Fremdwährung anlegen.

Bezeichnend ist auch, dass gerade die Zahlungen für fossile Energie vom SWIFT-Ausschluss  ausgenommen sind.  Nicht nur das Gas und Öl, sondern auch die Profite von Energiekonzernen werden damit zumindest vorerst weiter fließen.

… und Aufrüstung

Die zweite Antwort des „Westens“ ist eine stark um sich greifende Befürwortung einer weiteren Militarisierung Europas. In Deutschland hatte dies bereits ein 120-Milliarden-Aufrüstungspaket zur Folge. Dementsprechend gingen die Kurse der Waffenschmieden durch die Decke. Der Kurs des deutschen Konzerns Rheinmetall, der u.a. Panzer für die NATO-Länder herstellt, stieg um 30 Prozent.

Diese Entwicklung fällt hinter eine Einsicht zurück, die in der letzten Etappe des Kalten Krieges allgemein geteilt wurde: Eine Militarisierung zwischen zwei Blöcken, die auf einer gigantischen Menge von Nuklearsprengköpfen sitzen, verschärft Konflikte, anstatt sie zu lösen. Und sie steigert die Gefahr der wechselseitigen Auslöschung.

Friede den Hütten! Krieg den Palästen!

Wirksame Maßnahmen müssten also in der bonapartistischen Koalition von Putin die Klassenspaltung sichtbar machen, indem die russische Oligarchie und das fossile Kapital einen teuren Preis für das Finanzieren des Krieges oder zumindest ihre stille Zustimmung zahlen müssen. Die bisher angekündigten Maßnahmen hingegen könnten die Position von Putin sogar zementieren. Sie geben ihm und der extremen Rechten einige Anhaltspunkte, das zu tun, was rechts-nationale Akteure am liebsten tun: eine klassenübergreifende Volksgemeinschaft zu imaginieren, die sich gegen äußere Feinde zusammenschließen muss.              

Umso wichtiger wäre es, dass sich die Bewegung gegen den Angriffskrieg Putins nicht im Taumel der Aufrüstung mitreißen lässt, sondern Maßnahmen gegen die Mächtigen einfordert. Dazu muss sie sich aber auch gegen die Mächtigen im eigenen Land wenden. Denn es sind die Interessen von europäischen Banken, Vermögenden und Energiekonzernen, die der Beschlagnahmung von oligarchischem Vermögen und einem Notmaßnahmen-Paket zur Befreiung von fossilen Energieträgern und den damit zusammenhängenden imperialen Spannungen entgegen stehen und diese derzeit verhindern.

Dieser Beitrag erschien zunächst bei Mosaik-blog.at