Politische Parteien existieren, um Verantwortung zu übernehmen!

von Dennis Riehle

Ich bin überzeugt: Das aktuelle Abschneiden von DIE LINKE in den Umfragen ist auch ein Resultat dessen, dass wir den Wählern keine klare Antwort darauf geben können, ob wir zur Übernahme von Verantwortung in einer zukünftigen Bundesregierung bereit wären. Bereits beim digitalen Parteitag, der das neue Führungsduo an die Spitze wählte, konnte die ausführliche Diskussion zum Thema nicht dazu beitragen, ein geschlossenes Bild der Partei zu zeichnen. Prinzipiell ist das auch nicht schlimm, denn Meinungsvielfalt adelt eine politische Kraft in demokratischen Systemen, denn sie leistet einen wesentlichen Beitrag zur politischen Willensbildung des Einzelnen – in ihren eigenen Reihen und darüber hinaus. Wenn es allerdings um zentrale Fragen geht, so wünscht sich der Bürger Klarheit. Bis heute konnte man sich  bei den LINKEN nicht eindeutig dazu bekennen, für eine generelle Regierungsbeteiligung auf Bundesebene bereit zu sein. Schon bei uns im „Ländle“ hatte man sich im diesjährigen Wahlkampf defensiv gezeigt und damit geworben, im Landtag lediglich die Oppositionsrolle anstreben zu wollen. Für eine Regierungsbeteiligung scheint man in beträchtlichen Teilen der Partei noch immer nicht startklar, begnügt sich mit der Aussicht, erneut von der Seitenlinie am politischen Geschehen teilzuhaben. Doch nicht nur mangelndes Selbstbewusstsein ist für die Zurückhaltung ursächlich. In manchen Flügeln herrscht die pure Angst davor, sich bei einer Grün-Rot-Roten Koalition auf massive Kompromisse einlassen und dafür von liebgewonnenen Positionen abrücken zu müssen. Zweifelsohne: Manche bangen gar um die Identität der Partei, weshalb ich es gut verstehen kann, wenn man bei der LINKEN eher auf die Wahrung der Ideale abzielt, anstatt manche Überzeugung von Bord zu werfen. Ich bin durchaus ein Anhänger der Devise: „Regieren: ja – aber nicht um jeden Preis“.

Trotzdem scheint mir in der zunehmenden Interessenlosigkeit der Bürger gegenüber der Linkspartei ein recht strukturelles Problem zu stecken: Wer nicht fähig dazu ist, seine Konzepte im Zweifel auch auf Herz und Nieren überprüfen zu lassen, der läuft Gefahr, eine immerwährende Randerscheinung zu bleiben. Und letztlich fehlt es der LINKEN an Regierungserfahrung im Bund, die notwendig wäre, um realsozialistische Überlegungen auf deren Zustimmung im Volk testen zu können. Die Frage muss daher gestattet sein, ob sich eine politische Kraft im demokratischen Wettbewerb auf den Standpunkt zurückziehen kann, ihre Utopien nicht loslassen zu wollen – und damit als Partner für Koalitionsregierungen praktisch ausscheidet. Gemäß Verfassung und Parteiengesetz sollte jede politische Gruppierung prinzipiell dafür offen sein, sich am politischen Gestaltungsprozess zu beteiligen. Und ich gebe auch denjenigen recht, die darauf verweisen, dass die Verantwortung für das Land weit über den parteieigenen Interessen stehen muss. Deshalb scheint mir eine dauerhafte Verweigerung zu politischem Agieren überaus fragwürdig: Selbstverständlich darf und kann eine Partei für sich entscheiden, welche Grenzen zu überschreiten sie bereit ist. Manche politische Kraft in Deutschland greift im Zweifel eher nach der Macht – und ordnet die eigenen Ziele der Verlockung nach dem Kanzlersessel unter. Andere wiederum sind sich nicht zu schade, um im entscheidenden Moment die Schlussfolgerung zu ziehen, dass es eben doch besser sei, „nicht zu regieren, als falsch zu regieren“. Ob die FDP diesen Satz nochmals wiederholen würde, ist fraglich.

Letztlich kann sich eine Partei aus meiner festen Überzeugung nicht dauerhaft ins Wolkenkuckucksheim zurückziehen. Auch illusionäre Vorstellungen über die Welt müssen irgendwann auf ihren Realitätsbezug abgeklopft werden. Damit ist keinesfalls gemeint, dass wir unsere Richtschnur abgeben. Doch wir müssen uns aus meiner Sicht entscheiden: Möchten wir der Vorstellung nachhängen, wie wir mit den Taliban auf der Isomatte im Zelt die Friedenspfeife rauchen – oder sind wir bereit dazu, in einem Regierungsbündnis dafür zu sorgen, dass Deutschland seine militärischen Kräfte aus Kriegsgebieten zurückzieht und sie in UN-Friedensmissionen sinnstiftend einbringt? Es hat ein wenig den Charakter von Selbstaufgabe, wenn wir uns demütig durch andere Parteien attestieren lassen, nicht regierungsfähig zu sein. Mein Ziel im politischen Tun war es seit jeher, Kompromisse nicht auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner zu suchen, sondern Schnittmengen beim größten gemeinsamen Teiler zu finden. DIE LINKE muss sich entscheiden, ob sie eine Weltanschauungsgemeinschaft bleiben will, in der man die Hoffnung auf das Unerreichbare als Mantra vor sich herträgt – oder ob man sich aufrafft, möglichst viel der eigenen Vision im Hier und Jetzt umsetzen zu können. Wir sollten unsere Zuversicht auf irdischen Pazifismus mit der Wirklichkeit abgleichen, denn ich möchte nicht auf das Jenseits warten, bis die Menschheit von Waffen befreit ist. Damit dieser heute aussichtslos scheinende Zustand in Zukunft dennoch erreichbar ist, braucht es Etappen der Realisierung. Deswegen empfehle ich meiner Partei, im Blick auf das derzeit weit weg liegende Luftschloss nicht in Trance zu verharren, denn ich glaube auch nicht an die Wiederkehr des Messias – irgendwann. Stattdessen sollten wir nun erste Schritte im Kleinen gehen, indem wir unsere Maximalforderungen zwar nicht vergessen, aber mit Mindesterwartungen Regierungsverantwortung übernehmen – und damit zeigen, dass wir Politik ernst nehmen und dazu fähig sind, mit machbaren wie rationalen Plänen aktiv an ihr zu partizipieren. Denn solange wir in großen Teilen der Bevölkerung lediglich den Eindruck erwecken, nur Traumtänzer zu sein, bleiben wir für Viele schlichtweg belanglos.