Effektive Opposition als weitgehend ungenutzte Machtoption

von Lukas Eitel

Die Regierungsfrage geistert weiter durch die LINKE. Viele Mitglieder, Sympathisant*innen und Wähler*innen unserer Partei setzen große Hoffnungen in eine Regierungsbeteiligung der LINKEN. Die Erwartung besteht, damit Gestaltungsmacht zu erhalten und zumindest Teile des eigenen Programms durchsetzen zu können. Gleichzeitig sehen auch die vielen Befürworter die Schwierigkeiten, die eine Regierungsbeteiligung mit sich bringt. Trotzdem wird die Beteiligung an einer Regierung als alternativlos betrachtet, als einzige Machtoption. Ich will in diesem Debattenbeitrag, einen anderen Weg, eine andere Machtoption, aufzeigen. Und ich will betonen, wie weit wir eigentlich davon entfernt sind, sie auch tatsächlich zu nutzen. Das illustriere ich anhand eigener politischer Erfahrungen in meinem Kreis- und Landesverband.

Im ganz überwiegenden Teil der Bundesrepublik ist DIE LINKE in der Opposition. Das gilt für den Bund wie für den überwiegenden Teil der Bundesländer und Kommunen. Teilweise verfügt DIE LINKE dabei über eine Parlamentsfraktion, teilweise leider nicht. In meinem Kreisverband (Erlangen/Erlangen-Höchstadt) haben wir in der Stadt zwei Abgeordnete und im Landkreis keine. Im Landtag sind wir nicht vertreten.
Ungefähr so geht es sicher vielen Kreisverbänden in den westdeutschen Flächenländern, in denen weit über die Hälfte der deutschen Bevölkerung wohnen. Wenn wir die die Regierungsbeteiligung einmal außer Acht lassen, weil sie nicht möglich ist oder nicht sinnig ist, dann brauchen wir eine andere Machtoption – und die gibt es, denke ich, auch. Sie liegt in einer Oppositionsarbeit, die sich nicht darauf beschränkt zu meckern oder die eigenen Wahlergebnisse zu maximieren.

Ein bundespolitisches Beispiel dafür ist der Mindestlohn. Kurz gesagt: Die PDS hat die Forderung aufgestellt und sich nicht beirren lassen. So sind erst der DGB, dann die Grünen und schließlich auch die SPD nachgerückt und der Mindestlohn wurde nach 12 Jahren Kampf eingeführt. Der Schlüssel zum Erfolg der LINKEN war die langanhaltende Fokussierung in Kampagnen auf dieses Thema. Es war zentral in Wahlkampagnen, öffentlichen Verlautbarungen und auch immer wieder mit Flugblättern in der Breite kommuniziert.

Szenenwechsel zur Landespolitik. Vor den Landtagswahlen 2018 hat die bayerische Staatsregierung eine „Reform“ des Polizeiaufgabengesetzes (PAG) auf den Weg gebracht. Sie ist, kurz gesagt, scheiße. Es standen Wahlen an, also haben das auch SPD und Grüne so gesehen. Noch wichtiger war ein breites gesellschaftliches Bündnis , in dem wir einen guten Fuß in der Tür hatten. Beim Widerstand gegen das PAG waren wir als Partei einigermaßen erfolgreich. Aus der Bewegung waren wir nicht wegzudenken und waren vor Ort sichtbar. Es hat zwar nur für ein paar kleine kosmetische Entschärfungen gereicht. Aber in Bayern, der rechten Ordnungszelle der Republik, hatte sich so überhaupt mal wieder eine breite Bewegung gegen die CSU-Regierung zusammengefunden. Wir sind also erfolgreich gescheitert. Mein Eindruck: Es gab besonders aus den Großstädten eine sich selbst tragende Mobilisierung. Das hat uns als LINKE (zu Recht) so glücklich gemacht, dass wir uns einfach dazu gestellt haben und es versäumt haben, den Druck in der Fläche weiter zu treiben und lokal in den Kreisen das Feuer weiter anzufachen. Dabei hätten wir als Partei die Strukturen gehabt, die der Bewegung gefehlt haben.

Anderes Beispiel. Letztes Jahr hat die bayerische Staatsregierung überraschend die inzwischen allseits bekannte FFP2-Pflicht an vielen Orten eingeführt. Grundsätzlich ein richtiger Schritt, aber die CSU hat die soziale Realität natürlich völlig ausgeblendet. Unser Landesverband hat darauf recht schnell reagiert. Eine Pressemitteilung, in der kostenlose FFP2-Masken für Bedürftige gefordert wurden, fand auch in der bürgerlichen Presse großen Anklang. Den Kreisverbänden wurde empfohlen, selbstständig Verteilaktionen durchzuführen. Letztlich hat schon das gereicht, damit die Staatsregierung zurückgerudert ist. Alle Sozialhilfebeziehenden erhielten einmalig einige Masken vom Staat, auch in einigen Kommunen konnten wir zusätzliche Zuteilungen erreichen. In Erlangen führte unser Dringlichkeitsantrag im Stadtrat zu weiteren Masken, relativ unbürokratisch verteilt von der Stadt. Aber da wäre mehr drin gewesen: Die Mitglieder und Aktiven für Plakataktionen oder Kundgebung haben wir, auch in der Fläche. Aber sie werden gar nicht angesprochen. Ein schnell gemachtes Aktionspaket mit Aufruftext und Druckvorlagen für Plakate/Flyer von der Landesebene reicht eigentlich schon. Das muss dann aber auch in direkter Ansprache an die Kreise verteilt werden, etwa über Regionalverantwortlichen im Landesvorstand.

Gehen wir noch eine Ebene weiter runter, in die Wirrungen der Kommunalpolitik. Sie ist in weiten Teilen davon geprägt, nahezu keine Befugnisse und Kompetenzen zu haben, auch wenn (linke) Kommunalpolitiker*innen das höchst ungern hören. Im Bereich der Verkehrspolitik geht dann aber doch einiges. Da hat DIE LINKE in Nürnberg vorgemacht, wie es geht! Jahrelang hat sie im Stadtrat und in Wahlkämpfen für das 365€-Ticket geworben. Möglicherweise nicht ganz zufällig vor den Kommunalwahlen 2020 haben sich die Genoss*innen dann zusammengesetzt und einen Plan entwickelt, um nicht nur zu kämpfen, sondern zu gewinnen: Ein Bürgerbegehren, initiiert von der LINKEN, aber unterstützt und getragen von einem breiten zivilgesellschaftlichen Bündnis. Nicht andere Parteien (die Großen waren sowieso dagegen) oder Politgruppen gaben den Ausschlag, sondern kleine Läden, Kultureinrichtungen und Kneipen – überall konnte man unterschreiben.

Damit zeigt Nürnberg, wie es geht. Es bleibt aber ein Leuchtturm. Im nur 17 Kilometer entfernten Erlangen sieht es mau aus. Keine guten Kontakte zu verkehrspolitischen Gruppen, keine Strukturen. Leider ist DIE LINKE in Erlangen wohl für die Gesamtpartei repräsentativer als Nürnberg.

Anderer Themenbereich im Kommunalen, die hohen Mieten. Lassen wir Berlin beiseite, ich erzähle euch hier eine kleine Erfolgsgeschichte aus Erlangen. Seit wahrscheinlich über einem Jahrzehnt fordern wir eine Wohnraumzweckentfremdungsverbotssatzung (wunderbares Wort, ich weiß) um einen Mittel gegen spekulativen Leerstand und AirBnB-Dauernutzung zu haben. Fast genauso lange hatten wir damit keinerlei Erfolg. So viele Anträge im Stadtrat wir auch gestellt haben, und so klug und geistreich unsere Argumente auch waren, die Stadtratsmehrheit war weiter dagegen. Doch es tat sich was in der Zivilgesellschaft. Einem vor allem von Gewerkschafter*innen und humanitär orientierten, wohlhabenden Stadtbürger*innen getragenes Sozialbündnis ist der Geduldsfaden gerissen. Sie haben recherchiert, eine Liste von leerstehenden Häusern erstellt und dann Kundgebungen direkt vor den Häusern organisiert. Das war ein Anblick! Und plötzlich gab es die Mehrheit im Stadtrat. DIE LINKE hat in diesem „Häuserkampf“ (O-Ton Sozialbündnis!) allerdings keine aktive Rolle gespielt. So haben die Kontakte und das „Standing“ gefehlt um bei anderer Gelegenheit wie dem Mietendeckel wieder anzuknüpfen. Und wir konnten den Kampf kommunal nicht weiterführen, etwa für Milieuschutzsatzungen. Dabei macht DIE LINKE in München vor, dass da was geht. Im produktiven Wechselspiel mit der Mieter*innenbewegung setzt sie hier im Stadtrat immer wieder etwas durch.

Was ich mit den vielen Anekdoten zeigen möchte: Opposition wirkt, wenn wir sie ernsthaft und zielgerichtet betreiben! Die positiven Beispiele dazu haben wir. Das dabei gewonnene Wissen und die Erfahrung müssen wir unbedingt austauschen, systematisieren und in der Fläche anwenden. Es gibt ein großes ungenutztes Potenzial, das wir in unserer eigenen Arbeit nutzen können, ganz ohne auf Gott, Kaiser oder linke Minister zu warten. Das ist richtig Arbeit, manchmal frustrierend und nicht so glamourös wie die Regierungsbank. Aber es ist der Weg nach vorne für eine moderne und verantwortungsvolle sozialistische Partei.