Kategorie: Debatte

Brüche und Krisen der gesellschaftlichen Entwicklungen

Grundsätze für das Verständnis und die Politik der Partei DIE LINKE

von Bernd Riexinger

Wir alle hoffen, dass es in diesem Jahr gelingt unserer Partei wieder zu größerer Bedeutung zu verhelfen. Das Ergebnis der Wahlen in Berlin ist unter den schwierigen Bedingungen ein Erfolg, auf dem aufgebaut werden kann. Es wird keine einfache Aufgabe sein, auch die weiteren Wahlen in diesem Jahr in Bremen, Bayern und Hessen erfolgreich zu bestehen. Dazu ist vor allem konsistente Politik zu den aktuell wichtigsten Politikfeldern eine wichtige Voraussetzung. Welche Fragen und Politikfelder das aus heutiger Sicht sind, habe ich im letzten Teil des Papiers ausgeführt.

Neben diesen tagespolitischen Aufgaben gibt es neue Herausforderungen und Fragen zu beantworten, die grundsätzlicher Natur sind. Dabei geht es um die mittel- und längerfristigen Positionen und Linien linker Politik. Krieg, wirtschaftliche Krise, Gerechtigkeitskrise und Klimakatastrophe zwingen uns zu politischer Sprechfähigkeit und schlüssigen Antworten. In einer linkspluralistischen Partei wird es immer unterschiedlichen Zugang zu diesen Fragen und deshalb auch unterschiedliche Positionen geben, die geklärt werden müssen. Ebenso gibt es unterschiedliche Positionen zum Selbstverständnis unserer Partei. Was wollen wir sein? Eine eher linkspopulistische/populäre Partei oder eine bewegungsorientierte Mitgliederpartei, die einen emanzipatorischen und verbindenden (im Sinne von verbindender Klassenpolitik) Ansatz erfolgt. Es ist kein Zufall, dass in der Beurteilung des Zustandes unserer Partei und den Lösungsvorschlägen zum Teile verschiedene und nicht selten konträre Positionen vertreten werden. Ich habe versucht einige Grundlagen herauszuarbeiten, die in den letzten Jahren für den Parteiaufbau entwickelt und in der Partei verankert wurden.

Unterschiedliche Positionen zum Krieg gegen die Ukraine

Unterschiedliche Positionen prägen das Verhältnis zum Krieg gegen die Ukraine. Man möchte eigentlich meinen, dass DIE LINKE als Friedenspartei an Vertrauen und Zustimmung gewinnt, wenn der Frieden innerhalb Europas gebrochen wird. Das ist bisher nicht der Fall. Ebenso wenig verzeichnet die klassische Friedensbewegung einen Aufschwung und kann bisher keine größeren Massen auf die Straße bringen. Zu vielstimmig sind die Positionen. Dass Russland die Ukraine mit einem völkerrechtswidrigen und verbrecherischen Krieg überzieht hat jahrelang vorhandene Gewissheiten ins Wanken gebracht. Wir erleben  Friedensgruppen Aufrufe, in denen der Krieg gegen die Ukraine nicht einmal erwähnt geschweige denn klar verurteilt wird. Wenn das geschieht häufig mit Relativierungen, dass das Vordringen der NATO an die russischen Grenzen und das Ignorieren der Sicherheitsinteressen von Russland ursächlich für die russische Reaktion sind. Dahinter steckt die etwas absurde Sorge, wenn Russland zu stark kritisiert wird, dann würde die Kritik an der imperialistischen Politik der USA verharmlost.

Auf der anderen Seite gibt es auch innerhalb unserer Partei Gruppen, die die entgegengesetzte Position vertreten. So gab es auf dem letzten Parteitag einen Antrag für begrenzte und gezielte Waffenlieferungen. Bodo Ramelow vertritt prominent diese Auffassung oder der ehemalige verteidigungspolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, Paul Schäfer. Er kritisiert die Linke wegen ihrer Position, die Lieferung von Waffen abzulehnen. Schäfer in den Blättern: „Solidarität mit  der Ukraine zu rufen, wie es die Linkspartei tut, und sich zugleich dem zu verweigern, was dafür getan werden muss, ist inkonsequent, moralisch fragwürdig und letztlich Ausdruck von Politikunfähigkeit.“

Schließlich gab und gibt es unterschiedliche Haltungen zur Frage der Sanktionen. Mit zum Teil unterschiedlichen Zugang. Die einen kritisieren, Sanktionen wären Quatsch, wenn sie die eigene Bevölkerung treffen aber nicht Russland. Dahinter steckt das Interesse, die Gaslieferungen aus Russland wieder in Gang zu bringen, um die Hauptursache der Gaspreisverteuerung zu beseitigen. Andere wollen sich auf keinen Fall mit wirtschaftlichen Sanktionen gemein machen, weil dahinter die Interessen des westlichen Bündnisses auf wirtschaftliche Schwächung von Russland stehen würden. Außerdem würde die Bevölkerung stärker an die Seite des Putin-Regimes gedrängt.

Schlussendlich steht noch die Frage der Abgrenzung nach rechts im Raum. Sahra Wagenknecht hat sich nicht zufällig geweigert, eine klare Abgrenzung nach rechts vorzunehmen.  Seit der Auseinandersetzung um die Flüchtlingspolitik ist die fehlende Abgrenzung nach rechts eine offene Flanke. Dahinter steckt die Vorstellung AfD Wähler*innen zurückzuholen (wohin auch immer, denn die Linke ist ja nicht mehr ihr Bezugspunkt). Um dieses Ziel zu erreichen wäre eine scharfe Kritik an rassistischen und nationalistischen Positionen nicht geeignet.

*Dazu mehr im Abschnitt „Kampf gegen Rechtsradikalismus und Rassismus

Welche Haltung nehmen wir ein

Krieg heißt Leid, Barbarei, Massenmord. Es ist ein schrecklicher Angriffskrieg den Putins Regime seit fast einem Jahr gegen die Ukraine führt. Dafür gibt es keine Rechtfertigung und keine Relativierung. Die Linke ist Friedenspartei. Deshalb verurteilen wir die vielen Kriege des US-Imperialismus, auch die der NATO. Wir kritisieren aber ebenso uneingeschränkt, wenn Russland Krieg führt. Wir lehnen Krieg als Mittel der Politik ohne Wenn und Aber ab und treten ein für Waffenstillstand, Verhandlungen, ja, auch für Vermittlung durch China, Indien oder von Lulas Brasilien.

Linke Politik unterscheidet nicht, welche imperialistische Politik schlimmer ist. Wir verharmlosen auch nicht die imperialistische Politik der USA oder schwächen unsere Kritik an der NATO ab, wenn wir den Krieg von Russland als verbrecherisch bezeichnen und einen sofortigen Rückzug russischer Truppen fordern. Die Linke identifiziert sich in aller Regel nicht mit Regierungsinteressen, weder der russischen noch der Ukrainischen. Schon August Thalheimer hat in den 20er Jahren analysiert, dass militärische Überfälle auf andere Länder nur den Nationalismus stärken. Damals ging es um die Frage, ob der Sozialismus militärisch exportiert werden kann. Thalheimer lehnte das grundsätzlich ab. Sowohl die russische als auch die ukrainische Führung vertreten einen überbordenden Nationalismus. Linke Politik muss auf der Seite der leidtragenden Bevölkerung stehen und auf Seite der Kräfte, die auf beiden Seite für eine Beendigung des Krieges eintreten. Im Krieg sind die unterschiedlichen Klasseninteressen nicht verschwunden, sie werden nur durch den Nationalismus verdeckt. Historisch vertrat die sozialistische Bewegung die Position, dass Arbeiter*innen verschiedener Länder nicht gegeneinander schießen. Kräfte, die diese Position hörbar vertreten gibt es bei beiden Kriegsparteien kaum. Auch wenn wir das Selbstverteidigungsrecht der Ukraine nicht in Zweifel ziehen, genau so wenig, wie die territoriale Integrität der Ukraine, identifizieren wir uns weder mit der Politik Selenskys noch mit der Interessenslage des Westens und der NATO.

Nach mehr als 12 Monate Krieg, mit einer hohen Zahl an Toten und Verletzten auf beiden Seiten und unerträglichem Leid für die ukrainische Bevölkerung zeigt sich, dass die Lieferung von immer mehr und immer schwereren Waffen nicht zu einer Beendigung des Krieges führt. Ohne Zweifel verlängern Waffenlieferungen den Krieg.  Für die Bevölkerung gibt es ohnehin nichts zu gewinnen. Sie wird am Ende die große Leidtragende sein. Das Land wird mehr und mehr zerstört. Deshalb ist es völlig richtig, wenn DIE LINKE weiterhin Waffenlieferungen ablehnt. Wir müssen aus der Logik des militaristischen Denkens ausbrechen, die sich fast alle Parteien und Medien zu Eigen machen und für einen sofortigen Waffenstillstand und die Aufnahme von Verhandlungen eintreten.

Die Logik der Befürworter, dass Putin erst verhandelt, wenn er sieht, dass die Ukraine nicht militärisch besiegt werden kann und deshalb alle Waffen geliefert werden müssen, welche die Ukraine benötigt, erhöht die Wahrscheinlichkeit eines noch jahrelang anhaltenden Krieges. Gesprochen wird dann von einem Abnutzungskrieg. Abnutzung heißt, dass noch mehr Menschen auf beiden Seiten sterben müssen. Den Berichten über militärische Erfolge darf auf beiden Seiten kein Glaube geschenkt werden. Falschinformationen sind Bestandteil der Kriegsführung. Die Ankündigungen von Selensky keine Verhandlungen mit Putin zu führen, weil er jeden Vertrag brechen wird, dient hauptsächlich der Aufrechterhaltung der Kampfmoral im eigenen Land. Verhandlungen wären nur nach einem Regimechange möglich. Die Absetzung von Putin ist jedoch nicht in Sicht, demnach würde es jahrelang keine Verhandlungen geben. Dabei wird ja verhandelt, über Gefangenenaustausche, über den Transport von Getreide. Was passiert, wenn die Ukraine nicht siegen wird, sondern Russland oder keine Seite?

Wer Verhandlungen will, muss die Frage beantworten, wie Russland unter Druck gesetzt werden kann Verhandlungen aufzunehmen. Am ehesten könnte das über China und Indien geschehen. Russland ist durch die westlichen Sanktionen wirtschaftlich mehr und mehr von Indien und besonders China abhängig. Beide haben kein Interesse an einer Fortsetzung des Krieges. Völlig unerklärlich ist, warum das Positionspapier von China fast schon verächtlich abgetan wurde. China hätte sich ja bei der UN-Vollversammlung enthalten und sei dadurch nicht unparteiisch lautet ein Argument. Aber gerade weil sich China enthalten hat ist es im Unterschied zur EU in der Lage zu vermitteln. Die Initiative von Peking verlangt die „Souveränität und Integrität aller Staaten“ zu garantieren. Außerdem erteilen die Chinesen allen atomaren Androhungen eine klare Absage. Deshalb wäre es ein großer Fehler die chinesische Initiative abzutun oder gar abzulehnen.

Das einzige was Peking Russland konkret anbietet, ist die Beendigung der Sanktionen. Die Sanktionen beginnen zu wirken, im Gegensatz zu vielen gegenteiligen Behauptungen. Gerade im militärisch industriellen Komplex schmälern sie die Fähigkeit Russlands komplexe Waffensysteme zu produzieren. Selbst im Energiesektor gehen die Einnahmen wegen aktuell sinkenden Energiepreisen zurück. Russland kann nicht so schnell Leitungen nach China und Indien legen, wie ihm die Märkte im Westen wegbrechen. Erhebliche Teile der traditionellen Friedensbewegung,  in unserer Partei z.B. Wagenknecht, lehnen Sanktionen ab. Sie wären Teil eines Wirtschaftskrieges und würden die ohnehin geplagte Bevölkerung in Russland treffen. Was bleibt sind dann nur noch Appelle an Putin doch bitteschön zu verhandeln oder wie bei Wagenknecht, Russland ein Angebot zu unterbreiten, mit dem Putin an den Verhandlungstisch kommt. Dabei spielt dann offensichtlich die Ukraine keine Rolle. In der Ukraine würde ja ohnehin ein Stellvertreterkrieg geführt. Eine solche Entmündigung des angegriffenen Landes kann keine linke Position sein.

Wirtschaftliche Sanktionen, wenn sie gegen den militärisch-industriellen Komplex gerichtet sind und gegen die Putin stützenden Oligarchen, sind als wirtschaftliches Druckmittel durchaus wirkungsvoll und deutlich besser, als Waffen zu liefern. Wer keine Waffen liefern will, jedoch Jegliche Sanktionen ablehnt wirkt nicht besonders glaubwürdig. Keinesfalls müssen wir deshalb mit dem derzeitigen Sanktionsregime einverstanden sein, das sich häufig gegen die Bevölkerung richtet und auch nicht wirkungsvoll genug ist.

Die auch in der Fraktion DIE LINKE von wenigen vertretene Position, die Sanktionen würden die eigene Bevölkerung und die Wirtschaft mehr treffen als Russland – deshalb sollten sie eingestellt werden, damit wir wieder Gas zu günstigen Preisen erhalten – ist in doppelter Hinsicht falsch. Einmal davon abgesehen, dass die Gaspreise auch ohne Aufhebung der Sanktionen gesunken sind und der prophezeite Energienotstand nicht eingetreten ist, muss die sozialökologische Transformation und damit der Umbau auf regenerative Energie beschleunigt werden. Das gilt nicht nur für den Westen sondern auch für Russland. Russlands fossiler Kapitalismus belastet die Klimabilanz und wird ökonomisch nach und nach seine Grundlage verlieren.

Angst vor der Ausweitung des Krieges

In seinem Essay in der Süddeutschen Zeitung vom 15.2.2023 plädiert Jürgen Habermas für ein öffentliches Nachdenken über den schwierigen Weg zu Verhandlungen. Habermas: „mir geht es um den vorbeugenden Charakter von rechtzeitigen Verhandlungen, die verhindern, dass ein langer Krieg noch mehr Menschenleben und Zerstörungen fordert und uns am Ende vor eine ausweglose Wahl stellt: entweder aktiv in den Krieg einzugreifen oder, um nicht den ersten Weltkrieg  unter nuklear bewaffneten Mächten auszulösen, die Ukraine ihrem Schicksal zu überlassen.“ Er kritisiert auch die Position, dass nur die Ukraine über die Möglichkeit entscheiden kann als inkonsistent und verantwortungslos. „Das Schlafwandeln am Rande des Abgrundes wird vor allem deshalb zu einer realen Gefahr, weil die westliche Allianz der Ukraine nicht nur den Rücken stärkt, sondern unermüdlich versichert, dass sie die ukrainische Regierung so „lange wie nötig“ unterstützt und dass die ukrainische Regierung allein über Zeitpunkt und Ziel möglicher Verhandlungen entscheiden kann. Diese Beteuerung soll den Gegner entmutigen, aber sie ist inkonsistent und verschleiert Differenzen, die auf der Hand liegen. Vor allem kann sie uns selbst über die Notwendigkeit täuschen, eigene Initiativen über Verhandlungen zu ergreifen“.

Ausgeblendet oder verharmlost wird von den Bellizisten, dass es sich bei Russland um eine Atommacht handelt und die Gefahr einer Ausdehnung des Krieges oder sogar der Einsatz von Atomwaffen steigt. Wenn Strack-Zimmermann, Hofreiter und andere sagen, dass Russland nur bluffen würde, ist das völlig verantwortungslos. Woher wollen sie das wissen? Einerseits zeichnen sie Putin als Monster, als gefährlichen und unberechenbaren Autokraten, andererseits würde er mit seiner Androhung, auch Atomwaffen einzusetzen, nur bluffen. Und wie kann ausgeschlossen werden, dass Atomwaffen nicht aus „Versehen“ abgeschossen werden? Der spanische linke Aktivist und Buchautor, Raul Sanchez Cedillo, sagt dazu in einem Interview mit Pablo Iglesias, indem er den Ukrainekrieg mit dem ersten Weltkrieg vergleicht: „der moralische Hochmut, mit dem beide Seiten den Krieg als zivilisatorischen Kreuzzug ausgeben, zugleich die Leichtfertigkeit bzw. das „Schlafwandlertum“, wie Christopher Clark es in Bezug auf den Ersten Weltkrieg nannte, mit dem unverhohlen militaristisch agiert und ein bedingungsloser Sieg propagiert wird. Ein anderer Aspekt, der eine weitreichende Ähnlichkeit mit der Phase des fanatischen Nationalismus und der „heiligen Einheit“ in Frankreich bzw. des „Burgfriedens“ in Deutschland ab dem Juli 1914 aufweist: Die Darstellung des Pazifismus als Agent der gegnerischen Seite.“

Laut mehreren Befragungsinstituten sind etwas über 30 Prozent gegen die Lieferung schwerer Waffen und gibt es eine absolute Mehrheit, die für die Aufnahme von Verhandlungen plädiert. Eine Mehrheit ist der Auffassung, dass die Bundesregierung zu wenig unternimmt um Verhandlungen voranzutreiben. DIE LINKE kann diesen Positionen eine wichtige Stimme im und außerhalb des Parlamentes verleihen.

Krieg gegen die Ukraine – ein grundlegender Paradigmenwechsel der deutschen und europäischen Außenpolitik

Der Krieg gegen die Ukraine verändert in einer bisher kaum vorstellbaren Geschwindigkeit die Haltung der politischen „Klasse“ zur Aufrüstung, zu Waffenlieferungen, zur Entspannungspolitik der vergangenen Jahrzehnte und zur Rolle der Bundeswehr. Der Paradigmenwechsel der Politik in Deutschland und Europa ist enorm. Nicht nur die Sprache ist militaristischer geworden, auch die Aufrüstung nimmt bedrohliche und beängstigende Dimensionen an. Schon wird lt. Generalsekretär Jens Stoltenberg von einigen NATO-Ländern gefordert, das 2 Prozent Ziel nicht mehr länger als anzustrebende Größe, sondern als Mindestgrenze festzulegen. Dabei wird allein das 100 Mrd. Paket für die Bundeswehr und größtes Aufrüstungspaket der Nachkriegsgeschichte die Haushalte der nächsten Jahre massiv belasten. Es ist keineswegs sicher, dass es nicht noch weitere Pakete geben wird. Der neue Verteidigungsminister, Boris Pistorius, fordert im Haushalt eine weitere Aufstockung für die Bundeswehr um 10 Mrd. einzuplanen. Schon jetzt beginnt die Debatte, ob diese Milliarden dann noch für die Kindergrundsicherung zur Verfügung stehen werden.

Die von Bundeskanzler Scholz gezogene Grenze, keine Kampfpanzer an die Ukraine zu liefern, ist spätestens mit der Marder-Lieferung überschritten. Noch wurde kein Marder überführt, mehrten sich die Stimmen nach Auslieferung von Leopard-Panzern. Nachdem auch hier Kanzler Scholz und die SPD „umgefallen“ sind, werden jetzt vom stellvertretenden Außenminister der Ukraine, A. Melnyk, Kampfjets und U-Boote gefordert. Der aktuelle Verteidigungsminister der Ukraine forderte gar völkerrechtswidrige Streubomben und Biowaffen. Diese Forderung wurde vom Westen zurückgewiesen.

Ansonsten gibt es kaum rote Linien, die nicht überschritten werden dürfen. Besonders Politiker*innen der Grünen und der FDP scheinen innerhalb der Ampelkoalition keine Grenzen mehr zu kennen. Die Ukraine muss diesen Krieg gewinnen lautet das Credo. Wer dem widerspricht wird schnell als Hilfstruppe für Putin abgestempelt. Die meisten Medien verstärken diesen Kurs. Wer Bedenken oder gar Kritik an Waffenlieferungen übt oder lediglich Anstrengungen für Friedensverhandlungen einfordert kommt entweder nicht zu Wort oder wird mit dem Totschlagargument konfrontiert, dass man das Geschäft Russlands besorge. Habermas kritisiert zurecht: „…..aber bei uns angetrieben durch den bellizistischen Tenor einer geballten veröffentlichten Meinung, in der das Zögern und die Reflexion der deutschen Bevölkerung nicht zu Wort kommen.“

Umso wichtiger wäre das Entstehen einer breiten Friedensbewegung. Notwendig wäre dafür eine Plattform zu schaffen, die keinen Zweifel an der Verurteilung Russlands lässt, mit Empathie Solidarität mit der leidgeplagten ukrainischen Bevölkerung zeigt, die territoriale Integrität der Ukraine nicht in Frage stellt, Aufrüstung und Waffenlieferungen kritisch und ablehnend gegenübersteht, Verhandlungen als ersten Schritt zur Beendigung des Krieges auf den Weg bringen will, eine Stimme der Vernunft ist und die zunehmende Militarisierung und Kreuzzugmentalität ablehnt. So oder so ähnlich könnte eine Plattform für ein breites Friedensbündnis unter Einschluss von Gewerkschaften, kirchlichen Friedensgruppen, Personen mit öffentlicher Reichweite und Antikriegsinitiativen aussehen. Die Linke kann und muss die Initiative dafür ergreifen. Auch vor Ort können solche Bündnisse dafür sorgen, dass weit über die traditionellen Kreise der Ostermarschbewegung hinaus mobilisiert werden kann. Einem Aufruf einer ähnlich gelagerten Initiative sind letztes Jahr im März rund 35 000 Menschen in Stuttgart gefolgt. Die klare Abgrenzung gegen rechts muss dabei eine Selbstverständlichkeit sein. Mit der AfD und ihrem Umfeld gibt es keine Gemeinsamkeiten.

Weltweite hegemoniale Verschiebungen und Krisen verschärfen die Kriegsgefahr

Der Krieg ist auch als Folge massiver weltweiter hegemonialen Verschiebungen und Teil einer neuen Blockbildung zu verstehen. Welche Konstellation sich dabei letztendlich herausbilden wird, ist schwer zu sagen. Russland hat bisher seine Kriegsziele nicht erreicht, nämlich in der Ukraine einen größeren Korridor gegenüber dem Westen und der NATO zu schaffen und dauerhaft zu verhindern, dass die Ukraine in die NATO aufgenommen wird. Der Krieg hat erst einmal die NATO gestärkt. Sie erweitert sich durch Finnland und Schweden. Eine neue Blockbildung zeichnet sich ab. Russland wird stärker an die Seite von China, die EU stärker an die Seite der USA gedrängt. Russland hat seine Einnahmen aus den fossilen Energien nicht genutzt eine Transformation und Modernisierung der eigenen Wirtschaft auf den Weg zu bringen. Es bleibt ein politisch autoritärer und ökonomisch fossiler Oligarchenkapitalismus und eine absteigende Macht, jedoch in Besitz eines großen Arsenals von Atomwaffen. Nicht so China, das einen bisher nie dagewesenen wirtschaftlichen Aufschwung verzeichnen und große Teile seiner modernen Sektoren transformieren kann. China tritt als neue Weltmacht auf den Plan, ohne jedoch die  USA, die weiterhin die größte Militärmacht bleibt, militärisch herausfordern zu können oder auch zu wollen. Chinas Außenpolitik ist nicht darauf ausgerichtet eine weltweit militärische hegemoniale Vormachtstellung zu erringen, sondern ihre auf weiteres Wachstum ausgerichtete Ökonomie abzusichern. China verfügt nur über einen einzigen  Militärstützpunkt in Übersee. Das Land rüstet jedoch ebenfalls auf. Die USA wiederum verlagert längst Teile seines Militärs Richtung China und betreibt ein enormes Aufrüstungsprogramm. Sie gibt ca. 3 Mal so viel für ihr Militär aus, als China.

Die USA hat jedoch ihre Stellung als alleinige Weltmacht verloren. Sie versucht Chinas wirtschaftlichen Aufstieg mittels wirtschaftlicher Sanktionen zu verhindern oder mindestens zu verzögern. Bisher mit wenig Erfolg. Die EU wird  an außenpolitischer Bedeutung verlieren, wenn sie enger an der Seite der USA operiert. Es handelt sich dabei mehr um ein Unterordnungsverhältnis als um ein gleichberechtigtes Bündnis. Von einer eigenständigen Außenpolitik Deutschlands oder Europas kann derzeit kaum die Rede sein. Sie erfolgt in enger Abstimmung mit den USA, die ersichtlich das Ziel verfolgt Russland dauerhaft militärisch zu schwächen.

Die Blockbildung gegen Russland und China wird mit der Erzählung verbunden, dass es um einen Kampf zwischen autoritär geführten Ländern und liberalen Demokratien geht. Diese Erzählung ist wenig glaubwürdig, befinden sich doch in der NATO mit der Türkei, Ungarn und Polen autoritär regierte Länder. Die Bündnispartner Saudi Arabien, Ägypten oder Katar können nicht gerade als liberale Demokratien bezeichnet werden. Insoweit ist die feministische- und menschenrechtsorientierte Außenpolitik von Annalena Baerbock mit einem erheblichen Schuss Heuchelei versehen. Indien und Brasilien als wichtige Schwellenländer haben die Wirtschaftssanktionen nicht mitgemacht und verfolgen eigene Interessen. Indien hat seine Importe von Öl und Gas aus Russland deutlich erhöht.

Ingar Solty hat dazu einen interessanten Artikel geschrieben (Auf dem Weg in eine neue Blockkonfrontation) indem er von einer mehrdimensionalen neuen Blockkonfrontation ausgeht, mit einer geschwächten EU. Der Professor für internationale Politik an der Universität der Bundeswehr, Carlo Masala spricht von einer Weltunordnung. „Die Ausstrahlung des liberaldemokratischen Westens mit dem von ihm maßgeblich geschaffenen internationalen System seit 1945 sinkt beständig. Es bleibt also bei einer Weltordnung, in der die disruptiven (zerstörerischen, BR) Tendenzen zunehmen werden und in der die auf- und absteigenden Mächte sich weiterhin nicht als Manager des internationalen Systems im 21. Jahrhundert verstehen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass der Kampf um die Vorherrschaft in den kommenden Jahren an Schärfe deutlich zunehmen wird“ (Masala in: Weltunordnung, die globalen Krisen und die Illusionen des Westens, S180). Mit anderen Worten: Die Gefahr von weiteren Kriegen und militärischen Auseinandersetzungen wird größer.

Die Charakterisierung des Krieges als Rückkehr des Imperialismus in Europa durch Olaf Scholz unterschlägt, dass nicht nur Russland imperialistische Interessen verfolgt. Die imperialistischen Interessen der USA und des Westens werden ausgeblendet. Das ist genauso falsch, wie die Aussage von Annalena Baerbock, dass wir „mit unseren Waffen Leben retten“.

Weil die verschiedenen Blöcke nicht in der Lage sind eine dauerhaft beständige Friedensordnung hervorzubringen, muss es der Linken weltweit genau darum gehen. Die Position, dass mit Putin nicht verhandelt werden kann, bedeutet im Umkehrschluss: Bevor es keinen Regimechange in Russland gibt, kann kein Waffenstillstandsabkommen und kein Friedensvertrag geschlossen werden. Das ist absurd. Auch wenn sich beide Seiten Vorteile auf dem Schlachtfeld erhoffen, muss es auf kurz oder lang (je früher desto besser) Verhandlungen für einen Friedensvertrag geben. Darüber hinaus wird die Frage beantwortet werden müssen, wie eine Sicherheitsarchitektur in Europa aussehen kann. Wenn Olaf Scholz die Einschätzung ablehnt, wonach ein neuer kalter Krieg heraufziehen würde, dessen Kern die Konfrontation zwischen den USA und China bildet und er stattdessen sagt, es gelte auch „mit Ländern zusammenzuarbeiten, die demokratische Institutionen zwar selbst nicht angenommen haben“, aber ein regelbasiertes System unterstützen, ist vielleicht noch nicht alle Einsicht verloren. Gerade Deutschland und Europa müssen ein großes Interesse an einer friedlichen Koexistenz mit Russland und China haben. Es ist zwar der denkbar ungünstigste Zeitpunkt ein kollektives Sicherheitssystem ohne NATO, vielleicht mit Stärkung der OSZE und/oder Demokratisierung einer handlungsfähigen UN zu popularisieren. Es wird aber ohne Zweifel eine wichtige Aufgabe linker Friedens- und Außenpolitiker sein, Grundzüge einer solchen Friedensordnung zu entwickeln. Nicht zuletzt hat unsere Partei wegen ihrer Außenpolitik (wenn wir den Umfragen Glauben schenken) erhebliche Stimmenanteile verloren hat. Hier gilt es Vertrauen zurückzugewinnen.

Außerdem können wir davon ausgehen, dass sowohl die konservativ/liberalen Parteien als auch Grüne und SPD bei den Europawahlen, die Stärkung der EU als dem liberalen demokratischen Block gegen die autoritär geführten Länder, wie Russland in das Zentrum des Wahlkampfes rücken. Dabei wird die Frage einer europäischen Armee, zumindest einer deutlich stärkeren militärischen Kooperation und gemeinsamen Außenpolitik deutlich mehr Gewicht erhalten, als in den vergangenen Wahlen. Wenn DIE LINKE hier nicht klar und sprechfähig ist, können wir leicht unter die Räder kommen.

Multiple Krisen des Kapitalismus

Der Krieg inmitten von Europa und die weltweit wachsenden Kriegsgefahren sind nicht die einzige Krise mit der wir es zu tun haben. Verschiedene Theoretiker der Linken reden und schreiben schon seit längerem von den multiplen Krisen oder einer ökonomisch-ökologischen Zangenkrise (Klaus Dörre) des Kapitalismus. Die ökonomischen und sozialen Krisen verschränken  sich mit der lebensbedrohenden Klimakrise, wachsenden militärischen Konflikten und Kriegsgefahren. Verschiedene soziale, ökologische und demokratische Bewegungen sind entstanden, die sich mit den bestehenden Verhältnissen nicht abfinden wollen. Die selbsternannte Fortschrittskoalition mit Kanzler Scholz konnte ihr Modell eines modernisierten Kapitalismus, das zugleich mit einer begrenzten Transformation, Wachstum und die Verbesserung der Weltmarktposition in Einklang bringen wollte, nicht so richtig voranbringen. Das Konzept der Abkoppelung von Wachstum vom zunehmenden Ressourcenverbrauch scheint schon jetzt gescheitert zu sein. Zu groß sind die Krisen mit denen sich die Ampel gleichzeitig auseinandersetzen muss. Die drohende Energiekrise konnte gerade noch abgewendet werden. Trotzdem sind die Preise für Gas doppelt so hoch, wie vor dem Ukraine-Krieg. Die Hoffnung über Wachstum den Verteilungskrisen aus dem Weg zu gehen, schmilzt gerade dahin wie der Schnee in der Sonne. Höhere Steuern für Konzerne und Superreiche sind durch das Veto der FDP auf absehbare Zeit ausgeschlossen. Den Finanzierungsproblemen aus dem Weg zu gehen, indem nach dem Vorbild des Sonderfonds für die Bundeswehr Schattenhaushalte gebildet werden ist kaum mehr möglich. Die FDP wird das nicht mitmachen. Die gestiegenen Zinsen erschweren eine weitere Verschuldung. So werden wichtige Projekte der Koalition wie die Kindergrundsicherung, Klimaschutz, usw. auf Sparflamme gehalten. Der Streit zwischen FDP und Grünen ist Ausdruck dieser Krisen und Widersprüche.

Soziale Krise ist ohne massive Umverteilung nicht zu lösen

Schon seit Jahrzehnten stecken wir einer sozialen Gerechtigkeitskrise. Die soziale Schere geht weiter auseinander, sowohl zwischen den Ländern des globalen Südens und den wirtschaftsstarken Ländern des Nordens, als auch zwischen den Klassen in den jeweiligen Ländern. Oxfam berichtete Mitte Januar, kurz vor Beginn des Weltwirtschaftsforums in Davos, dass Konzerne und Superreiche die großen Krisengewinner sind. Seit 2020 gingen zwei Drittel aller Vermögenszuwächse an das reichste 1 Prozent der Weltbevölkerung, während die anderen 99 Prozent mit dem Rest vorlieb nehmen müssen. Erstmals seit einem Vierteljahrhundert hätten extremer Reichtum und extreme Armut gleichermaßen zugenommen. Noch gravierender als im globalen Vergleich ist die soziale Kluft in Deutschland gewachsen. In der Bundesrepublik entfielen 81 Prozent der Vermögenszuwächse auf das reichste eine Prozent und nicht einmal 20 Prozent auf den Rest.

Die Zeit während der Coronapandemie konnte das Kapital nutzen, Gewinne und Reichtum der Aktionäre zu vergrößern. Die durch den Krieg gegen die Ukraine verschärfte Inflationsentwicklung führt bei Millionen Beschäftigten zu Reallohnverlusten und der Verschlechterungen ihrer Lebensbedingungen. Ca. 40 Prozent der Menschen in Deutschland besitzen keinerlei Reserven. Die Verdoppelung der Energiekosten stellt sie vor schwer lösbare Probleme. Die Verteilungskämpfe werden härter. Während die Gewerkschaften in den meisten Branchen sich nicht zutrauen auch nur den Inflationsausgleich durchzusetzen (wobei zu fragen wäre, ob die tatsächliche Kampfkraft ausgeschöpft wird) werden andererseits die staatlichen Ausgleichsmaßnahmen gerade für die unteren und mittleren Einkommensgruppen nicht ausreichen, um die gestiegenen Kosten zu bewältigen. Die aktuelle Tarifauseinandersetzung für die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes bekommt großes Gewicht und wird Aufschluss darüber geben, ob es in dieser direkt und indirekt über 4 Millionen Beschäftigten umfassenden Tarifauseinandersetzung gelingen kann, Lohnerhöhungen im Umfang der Inflationsrate durchzusetzen. Selbstverständlich unterstützt DIE LINKE die Beschäftigten, vor allem bei Aktionen und Streiks. Die Mobilisierung vor der dritten Verhandlungsrunde Ende März ist erfreulich gut.

Der Parteivorstand hat beschlossen eine Kampagne zur Umverteilung von Oben nach Unten auf den Weg zu bringen. Zusammen mit der Forderung nach einem massiven Klimaschutzprogramm und einer Aufwertung des Öffentlichen ist das der richtige Schritt. Die Partei hat ein Alleinstellungsmerkmal bei der Forderungen nach höherer Besteuerung der Superreichen und Reichen. Gleichzeitig gibt es spürbare Mängel im Bereich von Pflege, Erziehung, Bildung, ÖPNV, Bahn, usw. Im Zusammenhang mit der Forderung nach konkreten Verbesserung auf diesen Feldern kann die Kampagne erfolgreich werden. Der DGB will für eine Vermögenssteuere „trommeln“.

Gefahr einer heraufziehenden Wirtschaftskrise

In den USA und den Ländern der europäischen Union wird die Inflation in erster Linie mit Zinserhöhungen bekämpft. Das ist in hohem Maße problematisch, denn die Energiepreise reagieren nicht auf Zinserhöhungen. Die Kosten für Hypotheken steigen ebenso wie die Baupreise. Die Bundesregierung gab dieser vor kurzem bekannt, dass sie das Ziel von 400 000 neu gebauten Wohnungen weit verfehlen wird. Private und staatliche Schulden verteuern sich, die Gewinne von Banken und Finanzkonzernen werden steigen. Die hohe Inflation entwertet die Löhne, führt zu sinkender Kaufkraft und weiterer Umverteilung. Die staatlichen Ausgleichsprogramme werden die gestiegenen Lebenshaltungskosten kaum ausgleichen. Die gestiegenen Energiekosten belasten die Bilanzen energieaufwendiger Industriesektoren. Dazu kommen noch Lieferengpässe, die den Produktionsprozess zumindest beeinträchtigen. 2022 konnte trotz dieser Bedingungen ein Wirtschaftswachstum von 1,9 Prozent erzielt werden, was jedoch die Einbußen während der Coronakrise kaum wettmachen dürfte. Bisher schlagen diese Entwicklungen nicht oder kaum auf den Arbeitsmarkt durch. Die Beschäftigung bleibt auf einem Höchststand. Es ist jedoch wahrscheinlich, dass wir es in den nächsten Jahren mit einem Krisenzyklus der wirtschaftlichen Entwicklung zu tun haben, mindestens jedoch mit einer Stagnationsphase. Auszugehen ist von einem Prozess wachsender Verteilungsungerechtigkeit und beschleunigt durch die Transformation und Digitalisierung von einem ökonomischen Konzentrations- und Zentralisierungsprozess. Die Elektromotorisierung der Automobilindustrie und damit des wichtigsten Industriebereiches führt absehbar zu Arbeitsplatzvernichtung, beginnend bei den Zulieferern. Beobachtet werden kann seit geraumer Zeit die zunehmende Verlagerung von Produktionsstandorten in osteuropäische Länder und in die Türkei. Der Markteintritt von chinesischen oder auch indischen Automobilfirmen wird durch die Elektromotorisierung erleichtert und führt zu einem verschärften internationalen Konkurrenzkampf. Für Deutschland wird für dieses Jahr eine geringe Wachstumsrate von 0,2 Prozent erwartet, nachdem zuvor von den meisten Wirtschaftsinstituten eine Rezession prognostiziert wurde.

DIE LINKE unterstützt Kämpfe der Belegschaften und der Gewerkschaften gegen Standortschließungen und Verlagerungen von Produktionsstätten. Das geschieht gerade massenhaft bei den Zulieferern, die die Transformation nicht finanzieren können oder einfach nur um die niedrigeren Lohnkosten für höhere Profite zu nutzen. Die IGM hat auf die dramatische Lage der Zulieferer aufmerksam gemacht.

Dabei vertreten wir bei der Transformation das Ziel eines umfassenden Umbaus zu einer emissionsfreien Wirtschaft. Mit Hilfe von Strukturpolitik und Konversion (z.B. die Produktion von nachhaltigen Verkehrsmitteln) soll z.B. die Automobilindustrie zu einer nachhaltigen Mobilitätsindustrie umgebaut werden. Das verbinden wir mit der Forderung nach Erweiterung der Mitbestimmung und einen Einstieg in die Wirtschaftsdemokratie. Die Dimension einer Transformation, die das Klima und die Arbeitsplätze schützt, ist so umfassend, dass sie ohne Änderung der Eigentumsformen – Genossenschaften, belegschaftseigene Betriebe, öffentliches Eigentum – nicht erfolgreich sein kann. Umfassende Arbeitszeitverkürzung ermöglicht höheren Zeitwohlstand und ein besseres Leben. Es wird Zeit, dass dazu eine gesellschaftliche Diskussion angestoßen wird. Die Arbeit in personenbezogenen Dienstleistungs- und sozialen Bereichen muss dringend aufgewertet und besser bezahlt werden.

Der Kapitalismus kann die Klimakatastrophe nicht verhindern

Die größte Krise und Herausforderung ist die Klimakatastrophe. Es gibt innerhalb unserer Partei nach wie vor Gruppen, die davor warnen grüner als die Grünen zu werden. Das Thema würde den Grünen zugeordnet und könne von uns deshalb nicht erfolgreich besetzt werden. Außerdem würden wir uns von den lohnabhängigen Klassen entfremden. Unabhängig von dieser strategischen Frage gibt es die Klimakrise; wir sind bereits mittendrin. Die Lösung der Klimakatastrophe ist eine objektive gesellschaftliche Aufgabe. Die Weichen, ob wir daran scheitern oder nicht werden in den nächsten 15 Jahren gestellt. Die Grünen, wie auch die Ampel können mit ihrem Ansatz die Krise nicht lösen. Gerade für die Lohnabhängigen zeigt sich die Klimakatastrophe als Gerechtigkeitskrise, die ihre Arbeits- und Lebensbedingungen in hohem Maße beeinflussen wird.

Trotz deutlichem Rückgang des Energieverbrauches hat Deutschland auch 2022 seine selbst gesteckten Klimaziele deutlich verfehlt. Deutschland emittierte 5 Millionen Tonnen Treibhausgas mehr als die Obergrenze vorsieht. Neuere Meldungen gehen davon aus, dass der sinkende Energieverbrauch dazu geführt hat, dass Deutschland innerhalb der Klimaziele geblieben  ist.

Unstrittig ist der hohe Emissionsausstoß durch die Reaktivierung von Kohlekraftwerken, Gebäude und der Verkehr. Das FDP geführte Verkehrsministerium blockiert die eigenen Klimaziele. Neue Autobahnen und Bundesstraßen sollen gebaut werden, während der Ausbau des Schienennetzes stagniert und den Kommunen und Ländern die nötigen Mittel für einen nachhaltigen Ausbau des ÖPNV und des Regionalverkehrs verweigert werden. Laut dem Expertenrat wird Deutschland auch seine Klimaziele bis 2030 deutlich verfehlen. Die heißen Sommer, bei denen sich Trockenheit und Starkregen abwechseln, die Überschwemmungen im Ahrtal, das Absinken der Grundwasserspiegel, machen erfahrbar, dass die Klimakatastrophe nicht erst in der fernen Zukunft kommt. Sie lässt uns bereits heute erahnen, was in nicht allzu ferner Zukunft in geballter Form auf uns zukommen wird. Der Bericht des Weltklimarates, dass wir bereits bis 2035 eine Erwärmung von 1,5 Prozent bekommen, wenn nicht massiv gegengesteuert wird.

Seit Beginn der Industrialisierung, also seit 200 Jahren, nimmt die Konzentration von Treibhausgasen stark zu. CO2 ist wesentlich für die Erderwärmung verantwortlich. Die Luft an der Erdoberfläche hat sich gegenüber der Zeit vor der Industrialisierung um den Mittelwert von 1 Grad erwärmt. In Deutschland liegt der Temperaturanstieg im zurückliegenden Jahrzehnt um 2 Grad höher als in den ersten Jahrzehnten der Aufzeichnungen. Das Abschmelzen der Gletscher und des arktischen Meereises führt zu einem Anstieg der Meeresspiegel. Die Lebensgrundlage von über 100 Millionen Menschen ist heute schon bedroht. Namhafte Klimaexperten gehen davon aus, dass das 1,5 Grad Ziel des Pariser Klimaschutzabkommens nicht mehr erreichbar ist. Selbst ein Anstieg um 2 Grad ist ohne radikale Änderung der Wirtschafts- und Lebensweise nicht möglich. Durch verschiedene Klimafolgen, wie z.B. das Auftauen der Permafrostböden, die Zerstörung der Artenvielfalt, Verlust des natürlichen Eisschutzes vor Sonneneinstrahlung durch das Abschmelzen der Polarkappen, dem Anstieg der Meeresspiegel und Beschädigung der Kohlenstoffaufnahme der Meere droht das Überschreiten der Kipppunkte und damit eine dominoartige Kettenreaktion. Irrreversible Schäden wären die Folge, die bis zur Gefährdung des Überlebens der Menschheit führen kann.

Die dem Kapitalismus innewohnende Externalisierung der sozialen Kosten auf die Gesellschaft und der ökologischen Kosten auf die Natur und das Klima kann, bei Aufrechterhaltung des kapitalistischen Systems, nicht überwunden werden. Die Illusion der Grünen und der Sozialdemokraten von grünem Wachstum, das vom zunehmenden Ressourcenverbrauch abgekoppelt werden kann, wird zerplatzen wie eine Seifenblase. Der Kapitalismus löst seine inneren Widersprüche durch Wachstum und Inwertsetzung noch nicht erschlossener Bereiche. Längst wird fast jeder weitere Fortschritt durch ein wachsendes Maß an Zerstörung und Destruktivität erkauft. Der Kapitalismus ist zugleich ein System gravierender Ungleichheit. Das trifft auch auf die Klimakatastrophe zu. Während eine Minderheit reicher und vermögender Menschen den größten ökologischen Fußabdruck hinterlässt, muss eine übergroße Mehrheit für die Folgen bezahlen. Nach Oxfam sind die reichsten 10 Prozent der Menschen für mehr als die Hälfte der CO2 Emissionen verantwortlich. Während das reichste eine Prozent allein 15 Prozent der Gase emittiert, verantwortet die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung lediglich 7 Prozent. In Deutschland waren 10 Prozent der Reichsten 2015 für mehr Emissionen verantwortlich als der Rest der Bevölkerung. Die einkommensschwächeren Teile der Bevölkerung wohnen meist in den verkehrsreichen Straßen, tragen die größte Last der gesundheitlichen Folgen, sterben früher und sind mit der Verteuerung der Lebensmittel am härtesten getroffen.

Zurecht schreibt die Schweizer Gruppe Denknetz: „Wer glaubt, bei der Klimaerhitzung gehe es „nur“ um eine Zunahme von Hitzewellen, Starkregen und steigende Meeresspiegel der täuscht sich. Die Krisendynamik ist ebenso durch Versorgungsengpässe, Verteilungskämpfe und globale Konflikte geprägt“ (Denknetz 12/November 2022). Noch gravierender trifft die Klimakatastrophe die Menschen im globalen Süden, obwohl sie den geringsten Anteil verursachen. Hie und da anzutreffende Debatten ob die Linke sich mehr den sozialen Fragen zuwenden muss und nicht den Anschein erwecken darf, Grüner als die Grünen zu werden sind vor diesem Hintergrund völlig aus der Zeit gefallen. Die Frage des Klimaschutzes ist eine zutiefst soziale Frage, sie durchzieht die gegensätzlichen Klasseninteressen wie ein roter Faden und die Beantwortung ist ein grundsätzliche, deren Beantwortung in der Überwindung des kapitalistischen Systems liegt.

Jede linke Partei steht vor der Aufgabe Auswege aus der Klimakatastrophe zu finden und die Kämpfe der Klimabewegung zu unterstützen. Die Aufgabe, die vor uns steht ist der grundsätzliche globale Umbau des bestehenden Wirtschafts- und dominierenden Lebensmodell, welche vor allem durch die Industrienationen der westlichen Welt geprägt sind.

Die Antwort der Rechten und warum der Kampf gegen die Klimakatastrophe mit dem Kampf gegen Rassismus und Antifeminismus zusammenhängt

Die rechtsradikalen und nationalistischen Kräfte und Parteien haben längst eine Antwort gefunden. Sie leugnen die menschengemachte Klimakatastrophe. Dabei geht es nicht um offensichtliche Dummheit oder Unwissenheit. Rechte, wie Trump, Bolsenaro oder Parteien wie die AfD wissen genau, dass es den menschengemachten Klimawandel gibt. Sie wissen jedoch vor allem, dass es nicht für alle reichen wird, wenn so weitergemacht wird.  Nach ihrer Ideologie muss es auch nicht für alle ein gutes Leben geben. Es muss für den Erhalt des Kapitalismus und ihrer überwiegend weißen Gefolgschaft in den reichen Ländern reichen. Deshalb rüsten sie auf, bauen Mauern und bewehrte Zäune mit Stacheldraht und sind bereit ihre Interessen mit Gewalt durchzusetzen. Die AfD verbindet das Leugnen des menschengemachten Klimawandels mit der Verteidigung „unseres“ Wohlstandes, der vor den grün-roten Klimaterroristen, den Geflüchteten und Migrant*innen und gegenüber den Ansprüchen der Menschen im globalen Süden geschützt werden muss. Die Autoren des sehr lesenswerten Buches „Klimarassismus – der Kampf der Rechten gegen die ökologische Wende“ zeigen an vielen Beispielen auf, wie die Rechten die materiellen und ökonomischen Interessen der herrschenden Klasse und ihrer Anhänger*innen mit offenem Rassismus, Antifeminismus und dem Hass auf „Minderheiten“ verbinden. Sie führen einen Kampf gegen die Rechte von Frauen und Minderheiten, Demokratie, soziale Gerechtigkeit und Klimaschutz. Sie führen zugleich einen Kulturkampf für die Wirtschafts- und Lebensweise der Interessengruppen, die meistens weiß, vermögend und männlich sind. Die Autoren des o.g. Buches schreiben dazu: „Und auch heute gilt die gesellschaftlich dominante Fixierung auf technologische statt auf soziale Wege zur Bearbeitung der Klimakrise als typisch männlich“.

Deshalb ist der Kampf gegen Rassismus, Antifeminismus und für Klimagerechtigkeit keine identitäre Marotte gut situierter städtischer Mittelschichten sondern unverzichtbarer Bestandteil im Kampf um Gerechtigkeit, Demokratie und Sozialismus. Im Unterschied zu den Rechten geht es uns um eine weltweite gleichberechtigte Lebensperspektive für alle Menschen. Es geht um nicht mehr und nicht weniger als den Um- und Neubau eines Wirtschafts- und Lebensmodells, das nicht mehr auf Ausbeutung, Unterdrückung, Ungleichheit und Übernutzung unserer natürlichen Lebensgrundlagen aufgebaut ist.

Dabei muss der Pro-Kopf Ausstoß an CO2 von 8,5 Tonnen drastisch reduziert werden. Das Umweltbundesamt spricht von 1 Tonne, die klimaverträglich wäre. Das ist nur möglich, wenn unser Wirtschafts- und Lebensmodell radikal verändert und eine Weltwirtschaftsordnung aufgebaut wird, die es ermöglicht, dass die Länder des globalen Südens die fossile Entwicklungsphase überspringen. Die Überwindung von sozialer Ungleichheit kann die Linke verbinden mit einem anderen Wohlstandsbegriff in einer Gesellschaft in der die (soziale) Infrastruktur am Gemeinwohl und nicht am Profit ausgerichtet wird. Dabei geht es um unveräußerliche Rechte auf gesellschaftliche Teilhabe auf der Grundlage guter Arbeit, auskömmlicher Löhne,  gerechte Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums und um die Demokratisierung der Wirtschaft. Die Verbindung von Arbeitsplätzen, industrieller Strukturpolitik, Klimaschutz und Wirtschaftsdemokratie könnte Leitlinie für linke Politik sein.

Jede gesellschaftliche Vision braucht Brücken auf dem Weg dahin oder konkreter, Einstiegsprojekte, die es ermöglichen wegweisende Veränderungen auf den Weg zu bringen. Die Mobilitätswende ist ein Schlüsselkonflikt und ein solch zentrales Einstiegsprojekt. Hier liegt das größte Versagen der Ampelregierung vor. Verkehrskonzepte der Zukunft umfassen Städte und Kommunen der kurzen Wege, ein gut ausgebautes Netz von Fußgänger- und Fahrradwegen, einen gut ausgebauten ÖPNV, der auch die „letzte“ Meile von der Endhaltestelle bis zur Wohnung abdeckt, bei günstigen Ticketpreisen, bis hin zum Nulltarif. Ziel muss der Aufbau nachhaltige Mobilität sein, ohne auf ein Auto angewiesen zu sein. Der Güterverkehr wird weitgehend auf die Schiene verlagert. Die Zahl des motorisierten Individualverkehrs wird mittelfristig halbiert. Die Automobilregionen werden zu Mobilitätsregionen umgebaut. Damit können bis zu 400 000 Arbeitsplätze im industriellen Bereich geschaffen werden (siehe Spurwechsel der RLS). In der zentralen und wichtigsten Industrie in Deutschland verfolgen wir das Ziel einer umfassenden sozialökologischen Transformation.

Gleichzeitig geht es dabei auch um die Verteilung der begrenzten Fläche. Die Städte unterliegen wegen dem großen Anteil versiegelter Fläche einer stärker steigenden Erwärmung. Werden sie nicht stärker begrünt und fließt nicht mehr Wasser in den Städten, steigen die gesundheitlichen Belastungen, bis hin zur höheren Sterblichkeit älterer und gesundheitlich belasteter Menschen. Ca. 60 Prozent der öffentlichen Fläche in den Städten wird durch die Autos beansprucht. Zentral wird daher sein, mehr und mehr autofreie Zonen zu schaffen, wie es viele Städte (leider fast alle in anderen Ländern, wie Kopenhagen, Amsterdam, Barcelona) längst auf den Weg gebracht haben.

Die Initiativen von Kreisverbänden und Basisgruppen unserer Partei für kostenfreie oder zumindest deutlich kostengünstigere Ticketpreise in Verbindung mit der Forderung nach höheren Investitionen für den Ausbau des ÖPNV ist ein richtiger Ansatz und sollte verstärkt werden. Nachdem die Klimabewegung Friday for Future ihre Aktionen auf eine nachhaltige Mobilitätswende ausrichtet, mit ver.di zusammen für bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne streikt, gibt es zahlreiche Bündnismöglichkeiten auf jeder Ebene.

Risse zwischen Klimaschutzbewegung, Umweltorganisationen und Grünen werden größer

Lützerath ist nicht nur zu einem Symbol des Kampfes gegen den unsinnigen weiteren Abraum von klimaschädlicher Kohle geworden, sondern auch für den sichtbaren Riss zwischen der Klimabewegung und den Grünen. Deren Versuch den Abraum zu beschließen und gleichzeitig dagegen zu protestieren hat nicht funktioniert. Bei den Aktivisten geht die Richtung eindeutig nach links, was in fast allen Reden auf der Kundgebung klar zum Ausdruck gekommen ist. Bei vielen Akteuren gibt es ein entwickeltes Bewusstsein für die Verbindung von sozialer- und Klimagerechtigkeit, ebenso über die dahinter stehenden dominierenden Konzerninteressen. Systemische Fragen fließen mehr und mehr in die Bewegung ein. Das bedeutet nicht, dass diese Entwicklung sofort unserer Partei zu Gute kommt. Schließlich will man/frau nicht die Enttäuschung mit den Grünen noch einmal erleben. Die Linke kann jedoch zu einem wichtigen Bezugspunkt werden. Das setzt voraus, dass entsprechend den Parteitagsbeschlüssen und dem Wahlprogramm gehandelt wird. Sich widersprechende Botschaften innerhalb der Fraktion sind dem nicht gerade dienlich. Die Klimakatastrophe ist so gegenwärtig und bedrohlich, dass sich Millionen Menschen der heutigen und künftigen jungen Generationen an deren Bewältigung politisieren werden. Es liegt an uns, die Partei zu sein, die das am besten auf den Punkt bringt und die besten Antworten hat. Das ist eine wichtige Voraussetzung um im besten Sinne des Wortes verbindende Partei zu sein oder zu werden.

Kampf gegen Rassismus und Rechtsradikalismus

Es gibt einen gefährlichen Gewöhnungsprozess an die Existenz einer rechtsradikalen Partei, die sich in ihrer Entwicklung deutlich radikalisiert und eine mehr oder weniger offene Verschränkung zu neonazistischen und gewaltbereiten Kräften (Reichsbürger usw.) aufweist. Zwar war das Bundestagswahlergebnis für die AfD ernüchternd, sie stieg jedoch seither in den Wahlumfragen auf stabil 13 bis 16 Prozent. In den ostdeutschen Bundesländern bewegt sie sich zwischen 20 und 28 Prozent und wäre damit in Sachsen und Thüringen stärkste Partei. In verschiedenen Ländern bilden rechtspopulistische und nationalistische Parteien die Regierung. Aktuell neben Polen, Ungarn und der Türkei, auch in Italien. Die Gefahr, dass Trump ein Comeback gelingt ist nicht gebannt. Die Rechten bieten sich in mehr und mehr Ländern als Vertreter eines autoritären Kapitalismus an. Der erste Angriff, sobald sie in der Regierung sind, gilt der Demokratie. Mit einer Mischung von Sündenbockpolitik gegenüber Migrant*innen, Geflüchteten und „Minderheiten“ und der Kampfansage gegen die politische „Elite, die nicht mehr das deutsche Volk vertreten würde, wird der Nationalismus gestärkt. Gleichzeitig wird ein massiver Kulturkampf für traditionelle“ Werte“ und für eine konservatives Familienbild geführt, gerichtet gegen jede Form von emanzipatorischer und feministischer Politik, freier sexueller Orientierung und anderer Lebensformen. Auch wenn die AfD aus heutiger Sicht kaum Aussicht auf Regierungsmacht besitzt und aktuell keine Partei bereit ist mit der AfD eine Koalition einzugehen, muss das nicht so bleiben. Gerade im Osten ist der Wall gegen eine Koalition mit der AfD nicht so stabil gebaut, dass er nicht bröckeln kann, wie wir es ja in Thüringen gesehen haben.

Auch wenn unsere Partei derzeit schwächelt, muss sie den klaren Gegenpool zu rechtsradikalen und neonazistischen Parteien bilden. Die AfD versucht den Unmut oder zumindest das Unbehagen über die gestiegenen Lebenshaltungs- und Energiekosten für ihre Zwecke zu nutzen. Sie wirft der Bundesregierung vor, die Interessen des „Deutschen Volkes“ zu verraten.  Die Sanktionen gegen Russland würden die eigene Bevölkerung treffen und wären verantwortlich für die hohen Energiekosten. Die Regierung würde damit und mit der ideologiegetriebenen links-grünen Klimapolitik die Wirtschaft in Deutschland kaputt machen. Die AfD verharmlost und rechtfertigt den Angriffskrieg von Russland, zumindest lehnt sie alle Sanktionen ab mit dem Ziel wieder günstige Gaslieferungen zu erhalten. Das entledigt sie jeglicher Kritik an der Preispolitik der Energiekonzerne und verschleiert, dass sie keinerlei eigene Vorschläge zur Deckelung der Preise und zur Entlastung der Bevölkerung vorlegen kann. In der Frage der Transformation zu regenerativen Energieformen ist die AfD ohnehin blank und bei der Mobilitätswende geht es ihr alleinig darum, Benziner und Diesel als Antriebsformen zu retten. Sie ist eine durch und durch rückwärtsgewandte fossile Partei, zunehmend rassistisch, nationalistisch und rechtsradikal. Es ist gut, dass bei den meisten Protestaktionen gegen die Teuerung eine klare Abgrenzung gegen rechts erfolgt ist, wenn es davon leider auch Ausnahmen gab. Das muss weiterhin der Kurs sein. Wir verurteilen den Angriffskrieg gegen Russland und fordern gezielt Sanktionen gegen die Oligarchie und den industriell-militärischen Komplex. Wir stehen an der Seite der ukrainischen Bevölkerung, die unter diesem Krieg unsäglich leiden muss. Wir stehen für einen schnellen sozialökologischen Umbau und machen keine Standortspolitik für das Kapital. Und wir machen konkrete Vorschläge, wie Preise gedeckelt, die Menschen entlastet und die Energiekonzerne in die öffentliche Hand überführt werden können.

Derzeit erleben wir eine Widerkehr der unsäglichen Debatte um Geflüchtete. Hilferufe kommen aus den Kommunen, die mit der hohen Zahl Geflüchteter, besonders aus den ukrainischen Kriegsgebieten, überfordert sind. Reflexartig reagiert die Ampel mit der Ankündigung von mehr und beschleunigten Abschiebungen. Weil sie das nicht gegenüber den Geflüchteten aus der Ukraine richten können, zielen sie auf die der anderen Länder. Das Asylgesetz soll weiter ausgehöhlt werden, indem Asylsuchende bereits in den Grenzländern Asylanträge stellen sollen.  Heftiger Widerstand durch die Grünen ist bisher nicht publik geworden. Ähnlich wie 2015 versuchen die CDU und noch härter die AfD die missbräuchliche Verwendung von Feuerwerkskörpern an Silvester und gewaltige Auseinandersetzungen mit der Polizei mit migrationsfeindlichen Ressentiments zu bedienen. Das hat besonders für die CDU bei den Wahlen in Berlin ganz gut funktioniert. Die pauschale Kritik des CDU Vorsitzenden, Friedrich Merz. an migrantischen Vätern, sie würden ihre Söhne zu Paschas erziehen, mit der Ansage, bei der Integration würde einiges schief laufen (er meinte damit nicht gesellschaftlich oder das Bildungssystem, das Migrant*innen benachteiligt) hat eindeutig rassistische Züge. Die Ampel und noch stärker die CDU schütten damit wieder einmal Wasser auf die Mühlen der AfD, die sich in ihrer migrationsfeindlichen und rassistischen Haltung nur bestätigt sehen kann.

Im Gegensatz zu Wagenknecht und einem Teile ihrer Anhänger gibt es nicht nur soziale Gründe für das Erstarken der AfD. Die vorhandenen Abstiegsängste und sozialen Unsicherheiten verschränken sich mit bereits vorhandene Einstellungsmustern in den Köpfen ihrer Anhänger*innen, wie autoritäres Denken, traditionelles Familienbild, Rassismus und Nationalismus. Die rücksichtslose Verteidigung einer Wirtschafts- und Lebensform, die auf Ausbeutung von Mensch und Natur beruht wird mit nationalistischen, sozialdarwinistischen und nationalistischen Positionen verknüpft. Wir konnten in den USA beim Sturm auf das Kapitol beobachten, welche kruden Verbindungen möglich sind und welche Hassausbrüche und Gewaltakte diese Ideologie auslösen kann. Das war keine große Gruppe, jedoch konnte die rechte Bewegung um Donald Trump mit ihrer Amerika-first Kampagne fast die Hälfte der US-Bevölkerung hinter sich bringen und ist nach ihrer Wahlniederlage keinesfalls bezwungen.

Die Partei muss die rechte Gefahr ernst nehmen, sich weiterhin klar gegenüber rechten, rassistischen und nationalistischen Kräften, nicht nur abgrenzen, sondern sie aktiv bekämpfen. Antifaschismus und Antirassismus ist ein häufig genannter Grund warum besonders junge Menschen Mitglied in der Partei DIE LINKE werden oder bereits geworden sind. Das zu bestärken und zu fundieren ist eine dauerhafte Aufgabe. Dabei geht es nicht um einen einfachen Anti-Rassismus, sondern selbstverständlich um die Betrachtung der sozialen Zusammenhänge. Solidarität mit den Geflüchteten, wie auch mit den an den sozialen Rand gedrängten Menschen gehört dabei zusammen. Wir erleben gerade, wie weitgehend widerstandslos die EU beschließt, Stacheldraht und Mauern an den Außengrenzen zu errichten bzw. zu verstärken. Kanzler, Olaf Scholz, ist außerordentlich zufrieden mit der Einigung auf einen inhumanen Kurs der weiteren Abschottung.

Unsere Partei sollte außerdem einladend für in Deutschland lebende Migranten und Migrantinnen auftreten und die begonnen Organisierungsansätze fortsetzen (Links*Kanax). Auch wenn wegen des wachsenden Fachkräftemangels Arbeitskräfte aus anderen Ländern angeworben werden und sich die Behauptung, sie würden die Löhne drücken als empirisch falsch erwiesen hat, vermischen sich bei der rechten Propaganda migrationsfeindliche Positionen mit offenen Angriffen gegen die Geflüchteten. Die Instrumentalisierung der Berliner Vorfälle an Silvester durch AfD und CDU zeigen, wie schnell Stimmung von rechts gemacht werden kann.

Gleichzeitig heißt es wachsam gegenüber  dem Vormarsch von autoritären und nationalistischen Tendenzen zu sein. Wir können davon ausgehen, dass die Ampel versuchen wird die Kosten von Krieg und Aufrüstung dem lohnabhängigen Teil der Bevölkerung aufzubürden. Gerade Lindner will den Haushalt nicht mit weiteren sozialen Kosten belasten. Die Rechten haben keine großen Probleme mit der Aufrüstung der Bundeswehr. Im Gegenteil. Der Obmann der AfD im Verteidigungsausschuss, Lucassen, erklärte: „Unsere Bundeswehr wieder aufzubauen, wird unendlich viel Kraft und Geld kosten. 2 Prozent des BIP werden da kaum reichen. Leicht wird das nicht, aber wir werden es machen. Verlassen Sie sich darauf“.

Es gibt klare Grenzziehungen zur AfD, die immer wieder gezogen werden müssen. Gerade den Menschen in den sozialen Brennpunkten, z.B. mit dem Mittel der Haustürbesuche praktisch zu beweisen, dass die Linke im Gegenteil zur AfD ihre Interessen vertritt ist nicht nur in Wahlkämpfen anzuwenden, auch wenn sich der Erfolg von Haustürbesuchen   erwiesenermaßen bei Wahlen positiv auswirkt.

Verbindende Klassenpolitik und unser Verhältnis zu den Gewerkschaften

Der Begriff der verbindenden Klassenpolitik hat längst  Eingang in unsere Partei gefunden. In den letzten Monaten, besonders in Zusammenhang mit den unterschiedlichen Interpretationen der Wahlniederlage bei den Bundestagswahlen, wird am Konzept der verbindenden Klassenpolitik Kritik geäußert. Alban Werner bezeichnete den Begriff im Sozialismus als Buzzwort (Schlagwort) in einem Artikel unter der Überschrift „Eine Partei in schrittweiser Auflösung“  siehe auch Antwort von Bernd Riexinger in Sozialismus 2/2023). Jan Richter, Susanne Ferschl und Ulrike Eifler (ebenfalls in Sozialismus) bezeichneten das Konzept als beliebig. Eine nähere Begründung hatten sich die genannten Autoren erspart (s. auch die sehr gute Erwiderung von Thomas Goes in Links aktiv). Hinter dem Konzept der verbindenden Klassenpolitik steht der Ansatz einen stärkeren Bezug zu den Lohnabhängigen, ihren Interessen und Kämpfen herzustellen. Gleichzeitig wurde analysiert, dass die lohnabhängige Klasse, befeuert durch die Agenda 2010, stark gespalten und zersplittert ist, besonders in einerseits prekär und andererseits noch sozial und tariflich regulierter Beschäftigungsverhältnissen. Diese Spaltung hat die Gewerkschaften geschwächt und ihre Fähigkeit Tarifverträge für die Mehrheit der Beschäftigten abzuschließen eingeschränkt. Das Konzept der verbindenden Klassenpolitik fand darin seinen Ursprung. Es geht darum verbindende Interessen, Forderungen und Konzepte zu formulieren, die der Zersplitterung und Ausgrenzung entgegenwirken und gemeinsame Klasseninteressen herstellen können. Statt Abgrenzung nach Unten (Prekär Beschäftigte und prekär Lebende) und Außen (Geflüchtete, Migranten*innen) ist der Gegnerbezug zum Kapital entscheidend. Der Begriff der Solidarität ist vor diesem Hintergrund weiter zu entwickeln. Ausfluss dieses Verständnisses war (2017 Becker/Riexinger, Supplement der Zeitschrift Sozialismus) ein Vorschlag für ein neues Normalarbeitsverhältnis, also für eine umfassende Neuregulierung der Arbeitsbeziehungen. In Anlehnung an die Kommunistische Partei Italiens (KPI) in den 60er Jahren beschränkt sich das Konzept nicht nur auf das direkte Lohnarbeitsverhältnis in den Betrieben, sondern auch auf die reproduktiven Bereiche, wie Wohnen/Miete, Gesundheitsversorgung, Erziehung und Bildung usw. Die KPI und linke Gewerkschaften in Italien nannten das den zweiten Scheck. Damit wurde gleichzeitig die Idee der verbindenden Partei aufgegriffen, die die direkten Kämpfe um Löhne und Arbeitsbedingungen mit den sozialen Kämpfen und Bewegungen verknüpft. Es ist schon eine Frechheit,  den Begriff der verbindenden Klassenpolitik als nichtssagendes, „weil letztlich alles umfassendes Buzzword“ abzutun.

Wir tun gut dran dieses Konzept weiter zu verfolgen und praktisch auszufüllen. Indirekt geht es den Kritikern um die Orientierung auf ein Bündnis von Klimabewegung, Gewerkschaften und Linken, das sie, meist unausgesprochen, fragwürdig finden. Praktisch haben das Ver.di und Friday for Future bereits umgesetzt, indem sie auf der Basis gemeinsamer Interessen ein Bündnis zwischen Gewerkschaft und Klimabewegung geschlossen haben (dazu eine interessante Broschüre der RLS „Mein Pronomen ist Busfahrerin“). Sowohl beim Klimaschutz, wie auch bei den Kämpfen um bessere Löhne und Arbeitsbedingungen der Verkehrsbeschäftigten handelt es sich um Klassenauseinandersetzungen. Bündnisse mit der Mieter*innenbewegung, mit den Kämpfen der Beschäftigten im Gesundheitsbereich und der Pflege sind weitere Beispiele für diesen Ansatz, der weit über das gewinnen von Wähler*innenstimmen hinausgeht.

Beim Streik der Verkehrsbetriebe Anfang März wurde von den Arbeitgeberverbänden die Gewerkschaft ver.di heftig kritisiert, weil sie gemeinsam mit Friday for Future gestreikt hat und auf die Straße gegangen ist. Gerade linke Aktivisten hatten erheblichen Anteil daran, dass diese Bündnisse vor Ort gelebt wurden. Das ist in der Praxis gar nicht so einfach, weil es von Teilen der Betriebsräte und Vertrauensleuten Vorbehalte gibt. Es gibt jedoch viele positive Beispiele. So wurden z.B. in Stuttgart Aktivisten von FfF Zugang zu den Betriebshöfen ermöglicht. Am internationalen Frauentag streikten besonders die überwiegend weiblichen Belegschaften in der sozialen Arbeit und gingen mit vielen feministischen Frauengruppen und Bündnissen auf die Straße. Ich bin noch ganz beeindruckt von der Kundgebung und Demonstration in Stuttgart mit über 5000 Teilnehmer*innen. Das ist eine wichtige Öffnung von ver.di und teilweise anderen Gewerkschaften gegenüber den sozialen, feministischen und ökologischen Bewegungen. Diese Ansätze zu verfestigen und vor Ort stabile Bündnisstrukturen aufzubauen, ist eine wichtige Aufgabe unserer Partei. Hilfreich ist, wenn es regionale Gruppen der Bundesarbeitsgemeinschaft BAG(Betrieb und Gewerkschaft) gibt. Deshalb sollten die Kreisverbände deren Aufbau aktiv unterstützen.

Für kämpferische Gewerkschaften und offensive Wahrnehmung des politischen Mandates

Als Alternative zur verbindenden Klassenpolitik wird dann die stärkere Hinwendung oder auch Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften genannt. Das ist kein wirklicher Widerspruch. Natürlich sollen Mitglieder der Linken auch Mitglied der Gewerkschaften werden und sich dort für die Interessen der Lohnabhängigen stark machen. Gewerkschaften sind in besonderen Maße Bezugspunkt für Linke, gerade weil sie Interessen der Lohnabhängigen gegen das Kapital direkt in den Betrieben vertreten. Das bedeutet jedoch nicht, dass sie das tatsächlich immer tun oder die vorhandene Kampfkraft in ausreichendem Maße einsetzen, geschweige denn, dass sie selbst verbindende Klassenpolitik praktizieren. Es gibt in erheblichem Maße Co. Management, eine starke Orientierung an der Sozialdemokratie und u.a. deshalb eine starke Zurückhaltung gegen eine SPD geführte Regierung auf die Straße zu gehen. Gerade in der Ausübung des politischen Mandats gibt es viel Luft nach oben. Linke in den Gewerkschaften stehen für einen konfliktorientierten und kämpferischen Kurs, für ein immer wieder neu auszulotendes Kräfteverhältnis in der Praxis. Sie stehen für basisorientierte Politik und für die Demokratisierung von Arbeitskämpfen. Dazu gehört auch die Mobilisierung im politischen Raum. Es ist kaum vorstellbar, dass ohne eine politische Verschiebung der Kräfteverhältnisse nach links die Tarifbindung erweitert werden oder erfolgreich die Prekarisierung der Arbeit bekämpft werden können. Genauso wenig, wie die Forderungen nach mehr Personal und bessere Bezahlung in der Pflege, Bildung und Erziehung eingelöst oder auskömmliche Renten durchgesetzt werden können.

Wir erleben gerade in Frankreich, bei einem ähnlich schlechten Organisationsgrad, heftige Kämpfe um die Verlängerung des Renteneintrittsalters von 62 auf 64 Jahre, bei denen Millionen auf die Straße gehen. Etwas Ähnliches hat es in Deutschland bei der Verlängerung auf 67 Jahre nicht gegeben. Ich war verwundert, als Eifler, Ferschl und Richter im genannten Artikel kritisierten, dass auf Initiative der Grundsatzabteilung ins Wahlprogramm die Aussage reingenommen wurde, in Tarifauseinandersetzungen müsste mindestens der Ausgleich der Inflationsrate vereinbart werden, weil dieser Anspruch (der ja nicht einmal an die Gewerkschaften gerichtet war) von den Gewerkschaften nicht einzulösen wäre. Fast zeitgleich hatte die österreichische Bahngewerkschaft ein Angebot von 9 Prozent mit der Begründung abgelehnt, das würde die Inflation nicht ausreichend ausgleichen. Es geht hier nicht um einfache Vergleiche unterschiedlicher Bedingungen, aber es gibt offensichtlich Gewerkschaften, die um einen ausreichenden Inflationsausgleich kämpfen, auch in Deutschland. Aktuell z.B ver.di bei der Post. Auf den ersten Blick liegt der Abschluss oberhalb der Inflationsrate, bei den unteren und mittleren Tarifgruppen sogar deutlich. Beim Bund und den Kommunen geht es um das gleiche Ziel. Die Mobilisierung ist erfolgreich, ein Erzwingungsstreik wahrscheinlich geworden. Außerdem gelingt ver.di eine zeitgleiche Mobilisierung und Warnstreiks in verschiedenen Branchen, z.B. Post und öffentlicher Dienst. Erstmals gibt es eine gemeinsame Streikplanung von  ver.di und der EVG im Verkehrsbereich.

Die Formel, Inflationsrate- plus Produktivitätsausgleich plus Umverteilung bildeten Jahrzehnte lang die Grundlage für Tarifforderungen. Es ist kein Naturgesetz, welches den Gewerkschaften vorschreibt Reallohnverluste akzeptieren zu müssen. Vielmehr sollten Linke die Frage stellen, woher die Schwäche kommt, dass sie sich das vielerorts nicht mehr zuzutrauen. Der Rückgang auf inzwischen noch 5,7 Millionen DGB-Mitglieder hat nicht nur etwas mit Strukturwandel sondern auch mit gewerkschaftlicher Politik zu tun. Wir sehen gerade in England eine sektorenübergreifende Streikbewegung, bei der täglich tausende von neuen Gewerkschaftsmitglieder aufgenommen werden. Ver.di hat dem Vernehmen nach 65 000 Mitglieder (Stand Mitte März) während der laufenden Warnstreiks aufgenommen. Damit wird bestätigt, dass bei guter Mobilisierung Warnstreiks und Streiks den Organisationsgrad erhöhen, was dringend notwendig ist.

Es würde in Deutschland genügend Gründe geben mehr Arbeitskämpfe gegen Reallohnverluste und für bessere Arbeitsbedingungen zu organisieren und gegen die unzureichenden Maßnahmen der Regierung, gegen die Verteuerung der Energiepreise auf die Straße zu gehen. Es ist Ausdruck von Schwäche, dass das kaum passiert und falscher Rücksichtnahme auf eine SPD geführte Bundesregierung. Es geht hier nicht um Voluntarismus, aber um die Notwendigkeit solidarischer Kritik an der vorherrschenden Ausrichtung der meisten Gewerkschaften. Es geht um eine Politik, die die Gewerkschaften stärken und die Kräfteverhältnisse verbessern würde. Deshalb geht es nicht um eine einfache Zuwendung zu den Gewerkschaften, sondern um die Stärkung konfliktorientierter und kämpferischer Politik, wie auch um eine Repolitisierung der Gewerkschaften nach links.

Mitglieder- und Bewegungspartei

Die Partei hat seit den Bundestagswahlen über 5000 Mitglieder verloren. Wie schnell das Zusammenwirken verschiedener Krisenfaktoren (schlechte Wahlergebnisse und innere Konflikte) zu Austritten aus der Partei führen, drückt aus, wie fragil die Bindung eines Teils der Mitglieder immer noch ist. Ein einziger Anlass, wie eine umstrittene Rede von Wagenknecht, führte zu 800 Austritten. Es ist verständlich, dass dieser Konflikt viele Mitglieder nervt, dass er sogleich Anlass für Austritte ist, macht die Partei nicht krisensicherer. Gerade in Krisen wäre es wichtig zu seiner Partei zu stehen und sie zu stützen. Politische Grundlagenbildung kann hier sicherlich helfen und sollte möglichst viele der neuen Mitglieder erfassen. Gleichzeitig gilt es den Charakter als Mitgliederpartei zu stärken. Im Unterschied zur populären Linken, die auf die öffentliche Wirkung bekannter Persönlichkeiten und deren zum Teil populistisches Auftreten setzt, betont die Bewegungslinke die Bedeutung der Mitglieder und deren Aktivitäten. Dass DIE LINKE erfolgreich Wahlkämpfe organisieren kann ist wichtig. Die andere Seite ist das Verständnis der Partei als außerparlamentarische Kraft zu stärken, die sich in der Gesellschaft verankert, aktiv in Gewerkschaften mitarbeitet, in fortschrittlichen Bewegungen aktiv ist und im außerparlamentarischen wie parlamentarischen Raum als Träger und Verstärker deren Forderungen und Positionen wirkt. Gesellschaftliche Veränderungen werden in aller Regel nicht ohne Bewegungen und soziale Kämpfe herbeigeführt. Die von Lauterbach angekündigte teilweise Abschaffung der Fallpauschalen wäre kaum ohne die Streiks in den Kliniken möglich gewesen. Fridays for Future hatte mit einer großen Mobilisierung erreicht, dass sich alle politischen Parteien, mit Ausnahme der AfD, mit der Klimakrise auseinandersetzen müssen. Die erfolgreiche Volksabstimmung zur Enteignung großer Immobilienkonzerne in Berlin braucht einen parlamentarischen Arm im Berliner Senat, um dem Mehrheitswillen zum Durchbruch zu verhelfen. Die Chancen dafür verbaut gerade die SPD, indem sie sich für Koalitionsverhandlungen mit der CDU entschieden hat.

Hundertausende von Hausbesuchen haben die Linke verankert und in vielen Fällen organisierende Stadtteilarbeit befördert. Um die organisierende Arbeit, die Verankerung in Gewerkschaften, die positiven Beziehungen zu sozialen und ökologischen Bewegungen herzustellen bzw. auszubauen braucht es aktive, selbstbewusste und gefestigte Mitglieder. Deren Bindung wird gefördert, wenn die Partei nach innen demokratisch ist und nach außen einladend auftritt. Der Charakter einer linkspluralistischen Partei ist das Ringen um gemeinsame Positionen unterschiedlicher Strömungen und Richtungen, auf der Basis eines gemeinsamen Programmes. Minderheiten können ihren Standpunkt jederzeit vertreten und um Mehrheiten kämpfen. Sie müssen jedoch die Mehrheitsbeschlüsse anerkennen und vertreten, sonst ist es weder möglich, konsistent die eigenen Positionen öffentlich zu verstärken, noch eine gemeinsame Praxis zu organisieren. Die u.a. von Teilen der SL verbreitete Aussage, der Parteivorstand würde nicht mehr die Basis widerspiegeln, eine Strömung, die Bewegungslinke, hätte durchgezogen und würde die Partei dominieren ist falsch. In zwei Parteitagen hintereinander hatten die Delegierten mit überzeugender Mehrheit Vertreter*innen der Bewegungslinken als stärkste Kraft und Vertreter*innen der Reformer*innen in den Parteivorstand gewählt. Keine Vertreter konnte das Lager um Wagenknecht stellen. Die sozialistische Linke hat ihre Kandidaten*innen zurückgezogen. Das ist ein eindeutiger Auftrag der gewählten Vertreter*innen der Basis, dass die BL zusammen mit eher linken Reformern das Zentrum der Partei stellt und dieser Verantwortung gerecht wird.

Die meisten Delegierten teilen das Selbstverständnis einer Mitglieder- und Bewegungspartei und haben sich u.a. deshalb die aktuelle Führung gewählt. Die Gründung einer neuen Partei ist noch lange nicht vom Tisch. Auf die Entscheidung derjenigen, die dieses Projekt verwirklichen wollen haben wir weitgehend keinen Einfluss. Umso wichtiger ist es, die Erzählung, welche Partei wir sind, stark zu machen und zu verdeutlichen, worin die Unterschiede zu einer linkspopulistischen/linkskonservativen „Parteigründung“ bestehen. Nach dem angekündigten Rückzug von Sahra Wagenknecht gilt es umso mehr das Selbstverständnis einer modernen sozialistischen Partei, die auf ihre eigenen Mitglieder setzt mit großem Selbstbewusstsein zu vertreten und in der Praxis zu leben. Wir laden alle Interessierten, die sich bisher daran gehindert sahen ein, uns bei diesem wichtigen Projekt zu unterstützen.

Unterstützung linker Intellektueller

Um aus der Krise herauszukommen braucht es intellektuelle Unterstützung. Intellektuelle, die die Partei kritisch und solidarisch unterstützen, wichtige politische Debatten anstoßen, an der Verbesserung von Programmatik und Kommunikation mitarbeiten und als Multiplikatoren für linke Politik wirken. Die gesellschaftliche Entwicklung bestätigt die linke Theorie der Mehrfachkrisen des Kapitalismus. Gerechtigkeitskrise, Wirtschaftskrise, Hegemoniekrise mit verstärkten Kriegsgefahren und die Klimakatastrophe verschränken und verstärken sich gegenseitig. Linke Intellektuelle können die Partei darin unterstützen grundlegende gesellschaftliche Alternativen zum Kapitalismus und Einstiege in Zukunftsentwürfe herauszuarbeiten.

Die Partei kann linken Intellektuellen anbieten kritische und solidarische Beiträge zu leisten, Debatten in der Partei und in der Gesellschaft anzustoßen, helfen die eigenen Positionen zu schärfen und einen Raum für politische Diskurse zu schaffen. Dazu bedarf es eines organisierten Diskussionszusammenhanges mit den uns wohlgesonnenen linken Intellektuellen. Auch gibt es im Umfeld der Rosa Luxemburg Stiftung nicht Wenige, die darauf warten von der Partei angesprochen zu werden.

Konsistente Politik

Der Weg um aus dem Umfragetief herauszukommen führt über konsistenten Politik, die über längere Zeit mit glaubwürdigen und begründeten Positionen, Forderungen und Lösungen vertreten wird. Hierfür hat die Parteispitze eine besondere Verantwortung die dazu notwendige politische Führung zu übernehmen. Nach wie vor leiden wir darunter, dass zu Krieg, Sanktionen, Klimagerechtigkeit, Mobilitätswende, besonders von Mitgliedern der Fraktion unterschiedliche, zum Teil gegensätzliche Positionen öffentlich vertreten werden. Das ist in einer pluralistischen Partei nicht zu verhindern. Mit dem schlechten Wahlergebnis ist erschwerend verbunden, dass die Fraktion nicht mehr die gesamte Partei widerspiegelt.

Bei der an uns interessierten Öffentlichkeit führt das jedoch zu erheblicher Verwirrung und bestärkt die Wahrnehmung einer zerstrittenen Partei. Nicht selten handelt es sich um Richtungsauseinandersetzungen, die in der Partei längst durch Beschlüsse geklärt sind. Deshalb liegt die Möglichkeit für eine konsistente Politik eher bei der Partei als in bei der Fraktion. Sie muss auf jeder Ebene immer wieder und kontinuierlich ihre Positionen öffentlich vertreten, selbstbewusst auftreten, ihre programmatische und inhaltliche Führungsrolle annehmen, verdeutlichen dass der Parteivorstand die Autorität besitzt die Positionen zu vertreten, die mehrheitlich vereinbart und beschlossen sind. Natürlich darf nichts unterlassen bleiben um auch die Fraktion einzubinden und die Misstöne einzuschränken, damit das gesamte Orchester nicht ständig aus dem Takt geworfen wird.

Dabei liegen die Themen für eine konsistente Politik auf der Straße:

  • DIE LINKE ist die einzige Partei, die Waffenlieferungen an die Ukraine ablehnt, die militaristische Sprache von Teilen der Grünen, CDU und FDP nicht übernommen hat und auf eine Verhandlungslösung im Ukrainekonflikt drängt. Es war klug Indien und China als Vermittler vorzuschlagen, die in der Lage wären Druck auf Russland auszuüben, ebenso wie die Vermittlungsangebote von Lula aufzugreifen.  Auch lehnt die Partei das größte Aufrüstungsprogramm in der Nachkriegsgeschichte ab. Wir erleben  aktuell eine Einstellungsverschiebung bei der Bevölkerung. Verschiedene Umfragen ermittelten, dass 35 Prozent der Befragten die Lieferung schwerer Waffen ablehnt, lediglich 30 Prozent sind dafür. Eine deutliche Mehrheit ist für die schnelle Aufnahme von Verhandlungen.
  • Die hohe Inflation, besonders die Verdoppelung und Verdreifachung der Energiepreise treibt Millionen Menschen in die Armut oder bringt sie an den Rand existenzieller Krisen. Die Entlastungspakete der Regierung tragen zwar zu einer teilweisen Entlastung bei, weisen aber eine nicht unerhebliche soziale Schieflage auf. Stärker entlastet wird die vergleichsweise gut ausgestattete Mittelschicht, während die einkommensschwachen- und die Schichten mit mittlerem Einkommen deutlich weniger entlastet werden. Der etwas voreilig ausgerufene heiße Herbst ist ausgeblieben, weil viele ihre Energierechnung noch gar nicht erhielten, die wenigsten ermessen können, was die Entlastungspakete der Bundesregierung bringen, die einkommensarmen Schichten viel Energie aufbringen müssen um über die Runden zu kommen und die Gewerkschaften als gewichtiger Akteur erst einmal ausgefallen sind. Die Position der Linken „Entlasten, Energiepreise deckeln und umverteilen“ kann im Laufe der Zeit, wenn mehr und mehr Menschen spüren, dass die Entlastungen nicht ausreichen, Resonanz finden. Außerdem kann die Linke Proteste und Aktivitäten auf den Weg bringen, die dem wachsenden Unmut Ausdruck verleihen. Das wird in vielen Orten und Städten auch gemacht.
  • Deutschland erreicht im letzten Jahr zum wiederholten Male die selbstgesteckten Klimaziele nicht. Verantwortlich ist die Reaktivierung von Kohle, der Verkehrssektor und Gebäude. Die Grünen verlieren an Glaubwürdigkeit. DIE LINKE kann hier offensiv ihr Konzept für eine sozialökologische Transformation in eine emissionsfreie Wirtschaft stark machen und ein Bezugspunkt für die Klimabewegung werden.
  • Die FDP propagierte auf ihrem Dreikönigstreffen in Stuttgart weiteres Wirtschaftswachstum und warnte vor Umverteilung. Um Unterschied zu vielen europäischen Ländern findet die Ampel nicht einmal die Kraft etwas so einfaches zu verabschieden wie eine Übergewinnsteuer. Inzwischen plädieren sogar bürgerliche Ökonomen für eine stärkere Belastung einkommensstarker und vermögender Bevölkerungsgruppen. Der Club Of Rome forderte, dass die reichsten 10 Prozent die Kosten der Klimakrise bezahlen müssen. Es gibt ein weit verbreitetes Bewusstsein, dass es nicht gerecht zugeht. Bei diesen Fragen hat die Partei ein Alleinstellungsmerkmal, welches sie von allen anderen Parteien unterscheidet.
  • Im Alltagsleben werden die Verwüstungen der neoliberalen Ära für mehr und mehr Menschen erfahrbar. Unpünktliche Bahnen, mangelhafter ÖPNV, Personalmangel und Unterfinanzierung bringen Kindertagesstätten, Krankenhäuser, Altenheime, Schulen und weitere Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge an den Rand des Zusammenbruchs. Die Bedeutung des Öffentlichen und der Gemeingüter bekommt größere Beachtung. DIE Linke kann deutlich machen, dass es für den gesellschaftlichen Wohlstand und Teilhabe entscheidend ist, in welchem Zustand die Daseinsvorsorge und die Gemeingüter sind und ihre klaren Positionen zum Ausbau und zur Finanzierung stärken. Hier geht es auch um Einstiege in ein anderes Wohlstandsmodell und die Stärkung öffentlichen oder genossenschaftlichen Eigentums. Das sind Schlüsselfragen beim sozialökologischen Umbau.
  • Sowohl während der Coronakrise, als auch in Zeiten der allgemeinen Verteuerung steigen die Mieten weiter. Die Partei hat schon vor Jahren eine Mietenkampagne auf den Weg gebracht. Die Forderungen nach einem bundesweiten Mietendeckel und dem vermehrten Bau von Sozialwohnungen in öffentlicher oder genossenschaftlicher Hand sind hoch aktuell im Kampf um bezahlbare Wohnungen. Dazu kommen noch die gewaltigen Kosten für die energetische Sanierung des Wohnungsbestandes, die in aller Regel auf die Mieter*innen abgewälzt werden.
  • Der nicht erwartete Erfolg beim 9-Euro-Ticket zeigt die enorme Nachfrage nach einem funktionierenden, gut ausgebauten und günstigen ÖPNV. Die Partei konnte sich auf diesem Feld durchaus profilieren. Die Mobilitätswende ist ein wesentlicher Baustein zum Erreichen der Klimaziele. Die Bundesregierung droht dabei zu scheitern. Die Linke verfügt über ein gutes Konzept für eine Mobilitätswende und für den Umbau der Automobilindustrie in eine Mobilitätsindustrie. Arbeitsplätze und Klima sollen gleichermaßen geschützt werden. Wir reden hier also über ein wichtiges Zukunftsprojekt, indem sich die Linke profilieren kann.

Es stimmt, dass wir schon mal bessere Zeiten für die Linke hatten. Das schlechte Abschneiden bei der Bundestagswahl hängt uns immer noch nach. Wir sind nicht weiter abgesunken, aber wir kleben gerade bei den 5 Prozent fest. Wenn man mal unten drinhängt dauert es einfach bis man wieder herauskommt. Aber es gibt uns und wir haben keinen Grund den Kopf in den Sand zu stecken oder zu verzweifeln. Gerade jetzt wollen wir uns zeigen, gerade jetzt machen wir deutlich für was wir stehen.

Für eine gesellschaftliche Alternative zum Kapitalismus, der mit seinen Dauer- und Mehrfachkrisen längst destruktiv geworden ist. Wir können uns dieses System nicht länger leisten, wenn unsere Kinder und Enkel eine Zukunft haben wollen. Für eine Gesellschaft für die es sich zu kämpfen lohnt. Dafür werden wir gebraucht.

Stuttgart, 20.3.2023