Nein zum Krieg – Widersprüchlichkeiten und Bewegungsperspektiven

Beitrag von Daphne Weber, Mitglied im Parteivorstand

500.000 Menschen waren am 27.02. in Berlin auf der Straße, um gegen den völkerrechtswidrigen Krieg Russlands unter Putin gegen die Ukraine zu demonstrieren. Auf der Großdemonstration war die ganze Vielfalt zu sehen um einerseits „Nein zum Krieg“ zu sagen und gleichzeitig Forderungen nach Aufrüstung, Waffenlieferungen und weiterer Eskalation zu beklatschten. Parallel zu dieser Demo reichte die Ampel im Bündnis mit der CDU/CSU einen Entschließungsantrag über ein Aufrüstungspaket im Bundestag ein, das von der Rede von Olaf Scholz, in der er 100 Milliarden Sondervermögen für die Bundeswehr ankündigte, noch übertroffen wurde und damit das größte Aufrüstungspaket seit 1945 in Deutschland sein wird.

Über Jahre war das Thema Krieg und Frieden kaum ein Thema im deutschen Diskurs, auch, weil der Krieg so weit weg schien und weil er Menschen betraf, mit denen sich wenig bis nicht solidarisiert wurde. Schwarze Menschen, arabische Menschen, Muslime. Auch jetzt gibt es im europäischen Grenzregime Rassismus. Ukrainer*innen werden durchgelassen, afrikanischen Austauschstudent*innen in der Ukraine oder Menschen, die schon seit langem aus dem Nahen Osten kommend an der Grenze ausharren, die Weiterreise verwehrt.

Gehen wir zurück in den Sommer letzten Jahres.

Nach 20 Jahren Kriegsdesaster in Afghanistan stand im Sommer 2021 der deutsche Truppenabzug an. Die Truppen hingeschickt hatte damals eine rot-grüne Regierung, unter fortwährendem Protest der Linken gegen diesen Krieg. Im Sommer trieb eine Koalition ganz ähnlich derer, die jetzt das Aufrüstungspaket verabschiedet hat, die LINKE in die Enge, sie wolle ja den kriegsgebeutelten Afghan*innen nicht helfen. Dass statt Menschen Bier ausgeflogen wurde, Ortskräfte bewusst zurückgelassen wurden oder bei Subunternehmen angestellt waren, so dass man sie rechtlich sicher dort lassen konnte oder dass das vorherige Bundeswehr-Mandat weitreichendere Rettungsaktionen möglich gemacht hätte, folglich man gar kein neues brauchte, all das wurde in der erhitzten Stimmung des Wahlkampfes niedergeschrien, in dem es darum ging, möglichst kurzfristig viele Stimmen zu sammeln. Ein halbes Jahr später interessieren sich die Ampel-Parteien nicht mehr für die Menschen in Afghanistan, die dort immer noch unter den Umständen leiden. Wahlkampf vorbei, Kapitel abgehakt.

Aufrüstung, Waffenlieferungen, Sanktionen

Ähnlich wie im Sommer 2021 können wir jetzt beobachten, wie die Ausnahmesituation des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine für eine Politik missbraucht wird, in der es um etwas ganz anderes geht: Auf das Leid der Menschen in der Ukraine, den Schock der Menschen hierzulande antworten SPD, GRÜNE, FDP und CDU/CSU mit „deutscher Aufrüstung“ und nutzen die Krise für eine Politik, die ohne den Krieg nicht durchsetzbar wäre. In unmittelbarer Folge der Aufrüstungsankündigung steigen die Aktienkurse deutscher Rüstungskonzerne auf ein Rekordhoch. Sogar über eine Wiedereinsetzung der Wehrpflicht wird debattiert. Der AfD gefällt’s; endlich maskuline Härte statt verweichlichte queere „Snowflakes“, die keine „echten Männer“ mehr sein wollen. Während der Krieg mit aller Brutalität seit Tagen anhält, wird hierzulande bequem vom Sofa die ukrainische Mannschaft angefeuert, als ginge es um ein Sportmatch und nicht um deren Aussicht auf einen Häuserkampf gegen eine völlig überlegene Armee Russlands. Unter den russischen Soldaten an der Front sind etliche in den Jahren 2000, 2001, 2002 geboren, wie man zittrigen Geständnissen von Kriegsgefangenen entnehmen kann. Sie haben verdreckte Gesichter, manche blutüberströmt, starren mit müden Augen ins Leere, antworten aus aufgeplatzten Lippen. Auch auf der ukrainischen Seite: Männer ab 18 dürfen das Land nicht verlassen. Manche Familien fliehen ohne ihre Männer, manche entscheiden sich, wegen des Ausreiseverbots für ihre Männer, Väter, Brüder zu bleiben. Es ist ein wiederkehrendes Muster: Machthaber befehligen Kriege, die Armen schießen aufeinander… junge Männer, die vielleicht grade die Schule abgeschlossen haben, zum ersten Mal verliebt waren, hofften, dass sie nach Corona wieder zusammen feiern können oder vor der XBox mit Freunden gezockt haben.

Wer jetzt Waffenlieferungen fordert, muss sich bewusst sein, dass er diese ukrainischen Männer bewaffnet. Dass dies den Krieg verlängert, der vermutlich in einen blutigen Häuserkampf mündet unter heftigen Bombardierungen der russischen Armee aus der Luft. Dass es gut möglich ist, dass in einigen Tagen die Waffen ihre Besitzer gewechselt haben. Für den Weg einer Waffe kann niemand garantieren. Wie Expertinnen für die extreme Rechte recherchiert haben, gibt es zudem mittlerweile Chatgruppen, in denen Neonazis an die Front vermittelt werden zu offen faschistischen Batallionen, wie etwa zum Asow Regiment. Deutsche Waffen könnten dann auch in deren Hände gelangen, nach ihrer Rückkehr wären sie eine immense Gefahr für die innere Sicherheit. Wer bewaffnet wen? Kann für den Weg der Waffen garantiert werden? Mit welcher Perspektive werden Waffen geliefert? Wer Waffenlieferungen befürwortet, muss sich diese Fragen stellen.

Lehnt man Waffenlieferungen ab, wird man wahlweise als naiv oder als unsolidarischer Mensch hingestellt, der die Ukrainer*innen ihrem Schicksal überlassen möchte. Aber so einfach ist es nun eben nicht. Solidarität bedeutet nicht Militarisierung. Nötig ist das Drängen der Weltgemeinschaft auf eine Waffenruhe, um als allererstes das Blutvergießen zu stoppen. Das fordert die Ukraine. Danach muss verhandelt werden. Egal wie viele Stunden, Tage, Wochen, Monate. Alles ist besser als das Gemetzel. Alles.

Nötig ist eine Sanktionierung derer, die mit dem Tod ihre Geschäfte und Profite machen. Die Namen und Firmen russischer Waffenlieferanten sind bekannt. Vizekanzler Robert Habeck gab kürzlich erst zu, dass Deutschland vom Import russischen Gases abhängig sei (fast die Hälfte der Gasimporte) – eine Folge der jahrzehntelang verschleppten Energiewende. Es ist ein Dilemma: Habeck möchte den Gasimport nicht kappen, denn ein solcher Schritt würde vor allem die unteren Einkommensschichten in Deutschland hart treffen. Frieren muss nicht die Mittel- und Oberschicht, die können sich auch den zweifachen Preis leisten. Umso mehr muss die Suche nach Maßnahmen verfolgt werden, die die politische Elite und die Putin unterstützenden Kapitalfraktionen treffen.

An dieser Stelle lässt sich allerdings beobachten, wie sich eine völlig umgekehrte Bewegung vollzieht: Luxusgüter werden von der Sanktionsliste genommen, russisches Oligarchenvermögen im Ausland ist weiterhin flüssig statt eingefroren und kreative Forderungen, wie etwa Oligarcheneigentum an Wohnungen in Deutschland oder Yachten zu enteignen, werden als unrealistisch abgetan. Oligarchenvermögen zu sanktionieren würde Transparenz etwa in Form eines internationalen Finanzregisters, voraussetzen, wie es der Ökonom Thomas Piketty vorschlägt, was allerdings auch die westlichen Oligarchen und Superreichen nicht wollen. Das Großkapital ist eben transnational miteinander verwoben. Und die Ampel? Die würde nie etwas beschließen, was dem deutschen Kapital weh tut und bald ist ja auch wieder Wahlkampf, da will man es sich mit niemandem verscherzen.

So kommt es, dass sich die Verantwortlichen der Ampel ein reines Gewissen kaufen durch Aufrüstung und Waffenlieferungen und dafür mit Standing Ovations bejubelt werden. So lassen sich komplizierte Gedankenknoten beiseite schieben, es wird nicht mehr gefragt, wie eigentlich die Bemühungen der Ampel für einen Waffenstillstand aussehen, wer hier an wen liefert. Der Krieg findet ja woanders statt und in den Hintergrund tritt all das, was wirksamer, friedlicher und nachhaltiger wäre – und was sie nicht tun. Schießen müssen schließlich andere, sterben müssen andere. Der Krieg geht weiter.

Bewegungsperspektive

Neben der Friedensbewegung positionieren sich nun verschiedene Initiativen, wie etwa Fridays for Future, gegen den Krieg und gleichzeitig gegen die deutsche Aufrüstung. Die Friedensbewegung war geschwächt, aber jede Bewegung, die für das Leben eintritt, hat Berührungspunkte mit der Friedensfrage und in dieser Hinsicht kann es gelingen, aus dem zivilgesellschaftlichen Bewegungsspektrum heraus die Friedensbewegung zu verbreitern. Die traditionelle Friedensbewegung war über Jahre eher ein randständiges Phänomen – weil der Krieg weit weg schien – und wurde belächelt: ein paar alte Menschen, die scheinbar in der Logik des Kalten Krieges hängen geblieben waren, junge Menschen, die eine Verjüngung und Vitalisierung der Friedensbewegung forderten, wurden nicht für voll genommen. Andererseits haben manche Akteure der Friedensbewegung einige strategische Fehler gemacht, die der Verbreiterung der Bewegung nicht dienlich waren. Nicht selten wurden Leute, die Fragen gestellt haben, auch in Bezug auf Staaten wie Russland oder Syrien andere Einschätzungen hatten, eher beschimpft, anstatt sie gewinnen zu wollen. Nun werden wir von einer spontanen Mobilisierung, die durch die Drastik und unvermittelte Brutalität des Kriegs gelenkt wird, überrollt.

In dieser gesellschaftlichen Dynamik brauchen wir breite Bündnisse von Initiativen, Bewegungen und Gewerkschaften für einen sofortigen Waffenstillstand in der Ukraine, die Aufnahme von Geflüchteten, den Rückzug der russischen Truppen, für Frieden und Abrüstung. Diese Forderungen müssen an alle politischen Instanzen erhoben werden, in Deutschland und der EU.

Neben dem Fordern müssen wir uns selbst die Frage stellen, was wir konkret tun können, an den Orten, an denen wir leben und arbeiten – sowohl hinsichtlich des Kriegs in der Ukraine als auch gegen die deutsche Aufrüstung. In meiner Phantasie sieht die Tatkraft solcher zivilgesellschaftlicher Bündnisse ungefähr so aus: Umweltaktivistinnen von „Ende Gelände“ blockieren Eigentum russischer Oligarchen, Seebrücke-Aktivisten helfen Geflüchteten aus dem Kriegsgebiet, Fridays for Future ruft zu Friedensdemonstrationen auf, die Initiative „Rheinmetall Entwaffnen“ hält Dauermahnwachen vor deutschen Rüstungskonzernen, Journalistinnen recherchieren, wer vom Krieg profitiert und lassen den politischen Verantwortlichen keine Ruhe. Die Gewerkschaften rufen ihre Mitglieder auf, Rüstungskonzerne zu bestreiken, Hafenarbeiterinnen legen die Verschiffung von Waffentransporten lahm (es wird ja weiter munter exportiert auch in Autokratien). Tech-Aktivisten hacken Seiten, um Informationen mit der Bevölkerung in Russland zu teilen. Mit den mutigen Menschen, die in Russland auf die Straße gehen, um gegen den Krieg zu protestieren, solidarisieren wir uns, die Kontakte reißen nicht ab. Deutsche Wissenschaftler bilden Tandems mit russischen Wissenschaftlerinnen, um sie im Widerspruch zum Krieg zu stärken. Deutsche Bürgermeisterinnen halten den Kontakt zu russischen Bürgermeistern.

Einiges davon passiert bereits und liegt nicht im letzten Gehirnwinkel einer fernen Utopie.

Die Friedensbewegung in Russland ist ein wichtiger Schlüssel zur Beendigung dieses Kriegs und hat mit massiven Repressionen zu kämpfen. Sanktionen, die blind die russische Bevölkerung treffen, schwächen vermutlich diese aufbegehrenden Menschen, flächendeckende Kontaktabbrüche beispielsweise deutscher Unis zu russischen Unis sind das Gegenteil von Stärkung der russischen Friedensbewegung. Solche Kontaktabbrüche stärken eher Putin. Wer sich kaum noch Nahrungsmittel und Heizung leisten kann, weil sich alles verteuert, begehrt nicht eher auf, wie es manche Verelendungstheorie glauben macht. Ziel der Überlegungen muss sein, wie man aufbegehrende Menschen der russischen Zivilgesellschaft stützt und den Rückhalt Putins in der Bevölkerung schwächt. Fällt dann noch das russische Kapital, beispielsweise durch gezielte Sanktionierung, von ihm ab, besteht die Chance seine Machtbasis zu minimieren. Es gibt viele Beispiele, in denen allgemeine Wirtschaftssanktionen, die die gesamte Bevölkerung trafen, die Machthaber eher gestärkt haben, von Nordkorea bis Iran. Antikapitalistische Angriffe auf das Eigentum der russischen Elite und Putins Unterstützerbasis hingegen sind Forderungen, die die Friedensbewegung hier durchaus erheben kann.

DIE LINKE im Handgemenge

In der friedensbewegten und antikapitalistischen Praxis, die wir auf die Frage „Was tun?“ entwickeln, ist auch der Platz der Partei DIE LINKE, als derjenigen Partei, die immer gegen Krieg war, egal wo er stattfindet. So auch jetzt.

Diejenigen in der Partei, die stets Putin verharmlost haben, sollten in sich gehen und analysieren, weshalb sie so falsch gelegen haben. Wir sollten aber in einer solidarischen Fehlerkultur allen die Möglichkeit geben, Ansichten zu korrigieren, gerade jetzt in dieser aufgeheizten Stimmung. Diejenigen, die nun endlich den Zeitpunkt gekommen sehen, um Tabula Rasa zu machen und alles Friedensprogrammatische auf den Prüfstand stellen wollen, sollten das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Gerade jetzt ist nicht der Zeitpunkt, eine konsequente Friedenshaltung aufzugeben – sonst gibt es keine politische Partei, die als Stimme der Vernunft und Solidarität eine solche vertritt, in Öffentlichkeit und Parlamente trägt. Die Stimme der LINKEN in friedenspolitischen Belangen wird mehr denn je gebraucht. Diejenigen, die Fragen haben, sollten nicht niedergebrüllt werden. Das Programm nicht aufweichen zu wollen, ist zwar berechtigt, aber an sich noch kein Argument. Die Auseinandersetzung um unsere Friedens- und Sicherheitspolitik sollte mit Argumenten in der Sache geführt werden – in denen sich das konsequentere und schlüssigere durchsetzt. Die Friedensprogrammatik der LINKEN ist keine Sache des Dogmas, sondern eine Sache der Notwendigkeit.

Bei dieser Auseinandersetzung müssen wir uns von dem Anliegen leiten lassen, Antworten zu entwickeln, die nicht nur die nächste Meinungsumfrage oder Regierungsbeteiligung im Blick haben, sondern unsere Kernkompetenz als Friedenspartei weiterentwickeln.

Eine Friedensprogrammatik besteht aus mehreren Säulen: 1. Abrüstung, Stopp von Waffenexporten, Ächtung von Atomwaffen und Transformation der Rüstungsindustrie in zivile Produktion, 2. Solidarität mit geflüchteten Menschen, Hilfe statt Abschottung und brutaler Grenzregime, 3. Stärkung ziviler Konfliktlösung und Zusammenarbeit, statt Ausweitung der Nato und 4. gerechter Welthandel, der anderen Nationen und Menschen auf Augenhöhe begegnet.

Die Frage nach einer europäischen (und eigentlich Welt-) Sicherheitsarchitektur bleibt bestehen; ganz akut, weil der Krieg in der Ukraine beendet werden muss und auch dauerhaft, denn es wird ein Russland nach Putin geben. Der Angriffskrieg gegen die Ukraine steigert nun die Nachfrage der Staaten Osteuropas nach Nato-Mitgliedschaft, aber die bisherigen Probleme mit der Nato verschwinden dadurch ja nicht. Imperiale Konflikte schwelen weiter und dieser Krieg entbindet Linke nicht davon, zu benennen, dass die Nato keine weiße Weste hat, Kriege geführt, das Völkerrecht missachtet und auch nicht die Lösung für eine Welt des Friedens ist. Hier müssen wir weiter klar bleiben. Ein Konstrukt wie die Nato kann kein Bezugspunkt für Linke sein.

Der gerechte Welthandel ist besonders wichtig, um auch zukünftige Konflikte und Kriege zu verhindern, indem man ihren Nährboden austrocknet. Können Wirtschaftsinteressen nicht mehr anders durchgesetzt werden, wird es wahrscheinlicher, dass sie militärisch abgesichert werden. Die Ausbeutung vor allem des globalen Südens durch große Konzerne des globalen Nordens hat die Destabilisierung ganzer Länder, Verarmung und Fluchtbewegungen zur Folge. Auch Umweltverschmutzung und Klimawandel tragen zusätzlich dazu bei. Kriege kommen nicht aus heiterem Himmel auf, sie haben Nährböden, auf denen sie wachsen. Diese Nährböden sind neben Ideologien wie Großmachtstreben vor allem die Ausweitung geopolitischer und ökonomischer Macht – explizit dann, wenn man von den kapitalistischen Zentren in die Peripherie gedrängt wird oder von dort nie weggekommen ist. Und umgekehrt wollen kapitalistische Zentren ihre Vormachtstellungen halten, zur Not militärisch abgesichert.

Eine nachhaltige Friedensordnung beinhaltet deshalb, dass die territorialen Einheiten, Staaten oder Wirtschaftsblöcke, keinen Wirtschaftskrieg gegeneinander führen und das rücksichtslose Streben nach Profitmaximierung von Konzernen vernünftigen Prinzipien zur Einrichtung der Welt weicht.

Rosa Luxemburgs Ausruf „Sozialismus oder Barbarei“, auch wenn er vielfach zum Marketing-Claim degradiert, entsprechend verhunzt wurde und so viel seiner Ernsthaftigkeit verloren hat, bleibt aktuell. Konflikt- und Kriegsprävention beinhaltet mehr als die Abwesenheit von Panzern und Schüssen. Abrüstung und Frieden müssen Elemente der Klimabewegung werden und umgekehrt nachhaltige, sozial gerechte Umwelt- und Klimapolitik, Ausstieg aus den fossilen Energieträgern Elemente der Friedenspolitik. Im Vergleich zum Aufrüstungspaket sind die Investitionen der Ampel in humanitäre Hilfe verschwindend gering. Die mangelnde Bekämpfung der weltweiten Armut und Hilfe bei humanitären Katastrophen ist also vorrangig eine Frage des politischen Willens, die anständige Bezahlung von Krankenschwestern hierzulande, eine gute Gesundheitsversorgung, Investitionen in die sozial-ökologische Transformation ebenso. Das haben wir drastisch vor Augen geführt bekommen, darauf müssen wir pochen.

Das systematische Aushöhlen des Völkerrechts durch vergangene imperiale Kriege, in die sich der Krieg Russlands nun einreiht, und parallel dazu die Verrechtlichung globaler Ausbeutung und privatrechtliche Absicherung transnationaler Konzerninteressen – es müsste umgekehrt sein und von der globalen Zivilgesellschaft eingefordert werden: Völkerrecht und Menschenrecht, statt Absicherung von Kapital- und Profitinteressen. Die Kämpfe gegen Ausbeutung, gegen Krieg, für Menschenrechte, Demokratie, Frieden, eine intakte Umwelt und globale Gerechtigkeit, sie hängen zusammen und können nur international wirksam geführt und gewonnen werden.

Für linke politische Akteure und Parteien müsste dies eine weitere Stärkung der internationalen Zusammenarbeit zur Folge haben. Was bedeutet linke internationale Solidarität konkret, in der Praxis, abseits von Papieren und Zoom-Meetings? Diese Frage sollten wir uns offen stellen mit dem Begehren, Antworten zu entwickeln, die tragfähig, konsequent, radikal und relevant sind. Eins steht allerdings fest: Militarisierung ist keine Solidarität.

„Brüder, nicht schiessen!“, stand auf einem Schild inmitten einer Demonstration der Novemberrevolution 1918. Kriege werden von Menschen begonnen, meist von denen, die nicht kämpfen müssen. Menschen können Kriege beenden, wenn sie sich als Brüder und Schwestern begreifen. Statt die Kriegslogik mitzumachen haben wir als Linke und als LINKE die Aufgabe, eine Welt zu skizzieren, die vorstellbar ist, jenseits von Krieg, Kapitalismus und Klimakollaps – und uns gemeinsam mit anderen auf den Weg zu machen.