Schlagwort: Klassenkampf

Was bedeutet verbindende Klassenpolitik? von Rhonda Koch

1. Verbindende Klassenpolitik meint nicht heute Klassenpolitik und morgen Kampf um Anerkennung. Es geht um den ganzen Menschen mit all seinen Geschichten und Erfahrungen von der Arbeit, aus dem Kiez und von der Chorgruppe. An meinem Körper, in meinem Kopf, in meinem Herzen findet Klasse und Politik, Identität und Soziales seinen Ausdruck: Brot und Rosen. In meiner persönlichen Erfahrung gehen Klasse und Geschlecht zusammen. D.h. ich bin nicht morgens Arbeiterin und nachmittags Mutter – sondern Arbeiterin, Mutter, Nachbarin – und vielleicht auch Feministin – immer zugleich. Warum ist das wichtig? Weil wir dadurch auf die Frage nach verbindender Klassenpolitik nochmal neu schauen können und sehen, dass das Auseinanderreißen von Identität auf der einen und Klasse auf der anderen Seite politische wie theoretische Fehler sind, die sich aus einer realen Trennung von Arbeiter*innenbewegung und sozialer Bewegung speist. Diese Fehler und Fallstricke gilt es zu vermeiden. Denn wenn im realen Leben Klasse und Identität im Menschen selbst zusammenfallen, muss es uns um den ganzen Menschen gehen. Dann müssen wir uns nicht Fragen, wie Feminismus und Klasse verbunden werden können, sondern müssen feministische oder antirassistische Klassenpolitik machen. Aber was heißt das nun konkret?

2. Klassenpolitik ist Praxis, weil Kollektivität – das Wissen und das Gefühl von Zusammengehörigkeit – nur durch praktische Erfahrung entstehen kann. Wenn ein so verstandenes Klassenbewusstsein unser Ziel ist, muss man sich klar machen, dass Identität (egal welcher Art) an sich noch nicht politisch sein muss, sondern erst politisch wird, wenn sie zur kollektiven Identität werden kann. Verbindende Klassenpolitik muss also darauf zielen, dass gemeinsame Identität und gemeinsames Interesse gemeinsam erfahren und gemeinsam artikuliert werden – und zwar untereinander und gegenüber der anderen Klasse. Es hilft also kein Fronttranspi mit der Aufschrift „Für antirassistische Klassenpolitik“, wenn sich hinter dem Transparent nur weiße Funktionäre tummeln. Das ist dann gut gemeinte Politik, aber keine verbindende Klassenpolitik, weil kein Ort geschaffen wurde, in dem die Klasse zu sich selbst gesprochen hat, sondern lediglich für sie gute Absichten formuliert wurden. Klassenpolitik entsteht nicht durch Zuruf sondern durch die Erfahrung von kollektiver Selbstermächtigung. Wir können uns noch lange die Köpfe heiß reden wie genau nun Klasse und Geschlecht zusammengehören, Klassenpolitik machen wir damit nicht.

3. Bei verbindender Klassenpolitik geht es einerseits darum, unterschiedliche Kämpfe miteinander zu verbinden. Andererseits steckt im Anspruch verbindendender Klassenpolitik auch die Herausforderung, unterschiedliche Lebensbereiche in Kämpfen zusammenzubringen und dabei andere, neue Wege zu finden, um das Verhältnis von Politik und Ökonomie, von Ausbeutung und Unterdrückung, von Lohnkampf und dem Kampf um politische Rechte zu vermitteln. Vielleicht hilft also ein anderer Blickwinkel. Einer der von den Lebensbereichen der Menschen ausgeht, um die Klasse zu verbinden. Nehmen wir das Verhältnis von Arbeit und Nachbarschaft: Wenn wir erstmal begriffen haben, dass Arbeiter*innen, auch nachbarschaftliche, stadtpolitische und andere Interessen haben, geht es im ersten Schritt nicht darum, die Arbeiterin mit der Klimaaktivistin zusammenzubringen. Die Frage ist: Wie und wo trifft Klimapolitik auf die Lebensbereiche und Interessen der Arbeiterin.

Ein Beispiel in der Perspektive klassenorientierter Klimapolitik: Unseren Akteur – die Klasse – finden wir: im Betrieb. Wir beginnen also nicht wie üblich bei der Politik, sondern versuchen aus der Logik des Betriebs heraus eine Kampagne zu entfalten. Dann ist zuerst die Frage: In welchen Betrieben besteht am ehesten ein Interesse an Klimapolitik? D.h. wir fragen uns, welche Arbeiter*innen aus ihrer Beschäftigung heraus am unmittelbarsten ein Interesse an klimapolitischen Verbesserungen haben.

Wir finden: eine Busfahrer*in, die ein Interesse daran hat, dass der ÖPNV besser bezahlt wird und mehr Leute einstellt werden. Die Busfahrer*in wohnt in Bielefeld, am viel befahrenen Stadtrand. Als Städterin hat sie ein Interesse am Ausbau von verkehrsberuhigten Zonen, die bringen weniger Lärm und weniger dreckige Luft. Sie ist also ebenso klimapolitisch zu gewinnen.

Diese Busfahrerin hat eine Nachbarin. Die arbeitet bei der Sparkasse in Bethel und schickt ihre Kinder morgens immer mit dem Bus zur Schule. „Klimakrise“ ist bei der Sparkasse sicherlich nicht das Top-Thema, aber wenn sie ihre Kinder morgens pünktlich zur Schule bekommen würde und nicht täglich im von tausenden PKWs verursachten Stadtverkehr stecken bliebe, hätte sie einiges an Lebensqualität gewonnen.

Und jetzt das: In der kleinen Innenstadt von Bielefeld hängen Plakate auf denen steht: „Busfahrer*innen sind Klimaretter*innen“. Und gleich darunter: Komm zum ersten Aktiven-Treffen vom „Bündnis kostenloser ÖPNV – besser für uns, besser fürs Klima“. Beim ersten Treffen trifft die Frau von der Sparkasse den Studi Arne, der seit Jahren im Hambi gegen die Abholzung kämpft und sich einen Keks freut, dass die Klimabewegung endlich auch den Weg in die Stadt und die breite Bevölkerung gefunden hat. Der erste Tagesordnungspunkt Treffens wird von der Busfahrerin eingeleitet: Bericht aus den Tarifverhandlungen. Steffi, Linkspartei-Aktive moderiert, grinst und denkt sich: „Walter wird sich ärgern, wenn ich ihm erzähle, dass heute Arbeiter*innen da waren, der war nämlich immer der Meinung dass Klimapolitik was für die Mittelschicht ist und mit Klassenpolitik nichts zu tun hat“.

4. Steffi ist ein Vorbild dafür, wie verbindende Klassenpolitik von Linkspartei-Aktiven unterstützt und vorangetrieben werden kann: Steffi zeigt, dass wir als Aktive nicht nur Podiumsmenschen, Sitzungsmenschen, Plakatehänger*innen und Mobi-Tisch-Betreuer*innen sind. Um es mit Antonio Gramsci zu sagen: Wir müssen wir unsere Aufgabe als Parteiaktive auch sehen in der „aktiven Einmischung ins praktische Leben, als Konstrukteur, Organisator, ›dauerhaft Überzeugender‹, weil nicht bloß Redner“.

5. Verbindende Klassenpolitik wird bei aller Planung und Systematik jedoch nur dann wirksam, wenn wir bereit sind in den Kämpfen selbst zu lernen. Um Panagiotis Sotiris zu paraphrasieren: Tatsächliche Kämpfe und tatsächliche Bewegungen tragen mehr strategische Phantasie als wir, werfen immer mehr Fragen und manchmal mehr Antworten auf als wir uns ausmalen konnten, verweisen immer auf neue Wege wie Erfahrungen und Empfindlichkeiten verbunden werden können. Und sie deuten auf Lösungen hin, die wir uns vom jetzigen Standpunkt aus nicht hätten herbei philosophieren können.

Was ist für uns Bewegungsorientierung? von Sarah Nagel

Was heißt eigentlich Bewegungsorientierung? Davon gibt es ganz unterschiedliche Vorstellungen – auch unter denjenigen, die bewegungsorientierte Politik erst einmal für einen guten Ansatz halten. Es lohnt sich also, diese Diskussion zu führen. Hier sind fünf kurze Punkte dazu.

1. Ist bewegungsorientierte Politik etwas, dass nur ab und zu passiert – oder sollten wir einen stärkeren Fokus darauf legen, uns längerfristig gemeinsam mit Leuten zu organisieren, und zwar besonders mit denjenigen, die besonders betroffen sind von den Zumutungen des Neoliberalismus? Das wird in der Partei und der Bewegungslinken schon seit einer Weile diskutiert. Dahinter steckt auch die Erkenntnis, dass die DIE LINKE an vielen Orten noch nicht so präsent ist, wie sie das sein könnte – auch wenn es mittlerweile einige gute Beispiele für organisierende Arbeit gibt, an die wir anknüpfen können.

Aber was bedeutet organisierende Praxis? Einerseits können wir sie von reiner Mobilisierung unterscheiden. Denn häufig sind es Events wie Demonstrationen, die einem einfallen, wenn es um Bewegungsorientierung geht. Daran ist auch gar nichts falsch. Proteste und Demos sind Kristallisationspunkte, man schafft damit Öffentlichkeit und macht die Erfahrung, dass man nicht alleine ist. Aber sie haben eben auch Grenzen. Weil sie punktuell sind, weil sie zum Beispiel häufiger in Großstädten stattfinden als in kleinen Orten und auch dort nur einen Bruchteil erreichen. Deshalb ist es wichtig, dass wir uns stärker darüber Gedanken machen, wie wir längerfristig mit Leuten aktiv werden und zeigen können, dass DIE LINKE für sie einen Mehrwert hat.

Auf der anderen Seite ist es aus meiner Sicht wichtig, die organisierende Arbeit von Stellvertreterpolitik abzugrenzen. Wir können schlicht nicht versprechen, dass wir alles verändern können, wenn Leute uns ihre Stimme geben. Das können wir letztlich nur gemeinsam tun. Es muss uns also in erster Linie darum gehen, Selbstorganisierung voranzubringen.

2. Daran knüpft der zweite Punkte an: Besonders in den letzten zwei, drei Jahren wurde in der LINKEN in Diskussionen viel auf linke Mehrheiten geschaut, darauf, wie wir gerade in den Umfragen stehen, wie oft wir in der Tagesschau vorkommen, oder wie man möglichst schnell möglichst viele Menschen auf eine Mailingliste bekommt. Doch auf dem Weg zu grundlegender gesellschaftlicher Veränderung gibt es keine Abkürzungen. Auch wenn eine gute mediale Präsenz natürlich hilfreich ist, werden kurzfristige Strategien und solche, die vor allem auf Repräsentation setzen, letztlich allein nicht ausreichen. Wir können die Gesellschaft nur verändern, indem wir die Kräfteverhältnisse nach links verschieben und unseren Handlungsspielraum Stück für Stück ausbauen. Das geht nicht von einem Tag auf den anderen. Und wir müssen Schritte für Veränderung benennen können anstatt nur eine vage Idee von Transformation zu haben.

Ich würde gerne als Bewegungslinke einen Beitrag dazu leisten, längerfristig etwas aufzubauen und wegzukommen von abstrakten Diskussionen, um stattdessen mehr über diese konkreten Schritte zu sprechen, die wir miteinander gehen können.

3. Beim dritten Punkt geht es um das Verhältnis zwischen Partei und Bewegung. Welche spezifische Rolle können wir als linke Partei in Bewegung spielen? Was können wir von Bewegungen lernen und wo können wir sinnvoll etwas beitragen? Auf der einen Seite können wir natürlich Ressourcen bereitstellen, mithelfen, Öffentlichkeit zu schaffen, in Bündnissen mitarbeiten, Bewegungen unterstützen, wo sie es wollen, und sollten es tun, ohne sie zu instrumentalisieren oder zu vereinnahmen. Natürlich gibt es immer auch ein Spannungsverhältnis zwischen Partei und Bewegung, ganz besonders dort, wo DIE LINKE Teil der Regierung ist.

Gleichzeitig sollten wir anerkennen, dass wir als Partei, die es seit 12 Jahren gibt und die hunderte von Kreisverbänden hat, eine andere Rolle spielen können und sollten als andere Akteure. Manches können wir vielleicht aufgrund dieser Struktur besser und anderes weniger gut als Bewegungen, die etwa viele Menschen auf die Straße bringen, kreativ sind, tolle Ideen haben – aber möglicherweise nur von kurzer Dauer sind. Dass eine Bewegung Tausende auf die Straße bringt bedeutet nicht, dass in zwei Jahren noch jemand darüber redet.

Anstatt abstrakt zu bleiben, könnten wir uns außerdem häufiger fragen, was wir konkret beitragen können. Etwas zugespitzt zum Beispiel: Macht es für eine Bewegung, die einen linken Youtube-Star mit Millionen Followern auf ihrer Seite hat, überhaupt einen großen Unterschied, ob DIE LINKE dazu noch ein Sharepic macht oder etwas dazu im Bundestag sagt? Unterstützen wir Bewegungen nur mit Worten, auch mit Ressourcen, oder indem wir Teil davon sind und Arbeit übernehmen? Und ist es in anderen Fällen vielleicht so, dass manche Bewegungen ohne DIE LINKE gar nicht entstanden wären oder längst wieder abgeebbt? Partei in Bewegung, das kann eben auch bedeuten, selbst etwas aufzubauen. Zum Beispiel an einem Ort, in dem wir bis dahin wenig präsent sind und wo eben nicht jeden Tag irgendeine linke Veranstaltung stattfindet. Probleme, die wir gemeinsam angehen können, gibt es überall. Gerade dieser Aspekt wird noch zu wenig diskutiert, wenn es um Bewegungsorientierung geht.

4. Ich denke viertens, dass wir neu über Erfolge und Gewinnen nachdenken sollten. Das ist etwas, was wir viel zu selten tun. Ein Erfolg war auch für mich vor ein paar Jahren zum Beispiel, wenn besonders viele Leute bei einer Demo waren. Ich glaube aber, wenn man ernsthaft Kräfteverhältnisse verschieben und Macht von unten aufbauen will, ist es sinnvoll, sich mit Leuten gemeinsam zu organisieren, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Dazu müssen wir natürlich mit Menschen ins Gespräch kommen, was wir häufig gar nicht machen. Und wir müssen unsere Routine infrage stellen. Denn was bedeutet die Parteiarbeit vor Ort? Meist ist sie zum Beispiel geprägt von Mitgliederversammlungen, Veranstaltungen, ab und zu einem Infostand oder mal zu einer Demo zu mobilisieren. Das ist alles in Ordnung, aber es ist Luft nach oben. Stattdessen sollten wir uns häufiger überlegen, welche Erfolge wir organisieren können, die das Leben von Leuten tatsächlich verbessern. Das kann im Betrieb sein oder im Stadtteil, wo dann vielleicht tatsächlich die Mieten nicht so stark steigen, oder anderswo. Das verändert die politische Arbeit natürlich stark: Die Treffen, die Ansprache, die Art, wie wir Strategien entwickeln. Es geht darum, uns zu organisieren, um etwas gemeinsam zu erkämpfen – in dem Wissen, dass wir bei dieser kleinen Verbesserung nicht stehenbleiben wollen, sondern die Gesellschaft verändern.

Ein erster Schritt ist aber, sich zu überlegen, ob das mit unserer bisherigen Routine überhaupt möglich ist oder wir daran etwas verändern können.

5. Für den Anfang sollten wir uns ein paar Fragen zu unserer Praxis vor Ort stellen: Kommen wir überhaupt mit Leuten ins Gespräch, die wir noch nicht kennen? Oder reden wir eigentlich nur mit unserem engeren Umfeld? Wenn wir zum Beispiel eine Veranstaltung zu einem außenpolitischen Thema organisieren und da kommen 25 Leute, dann ist das natürlich ganz gut – aber wir sollten uns bewusst sein, dass es nur Leute sind, die prinzipiell zu linken Veranstaltungen gehen. Eine weitere wichtige Frage ist: Machen unsere Treffen eigentlich Spaß? Würden wir jemanden dahin mitbringen wollen? Haben wir als LINKE eine einladende und inklusive Kultur? Und: Setzen wir am Alltag, also an realen Problemen an, oder stellen wir abstrakte Forderungen? Viele abstrakte Forderungen sind natürlich durchaus richtig. Privatisierung stoppen, Kapitalismus abschaffen etc. Die Frage ist aber, ob sie der richtige erste Schritt sind, um mit Leuten ins Gespräch zu kommen – oder ob es nicht vielleicht mehr Sinn macht, auch mal mit Fragen anzufangen anstatt mit Antworten. Weitere Fragen betreffen unsere Prioritäten und Ressourcen. Woraus fokussieren wir in unserer alltäglichen Arbeit? Man verliert sich ja doch oft in Details, Anträgen oder Machtpolitik. Ist das, was wir gerade tun, geeignet um die Kräfteverhältnisse nach links zu verschieben oder sitzen wir gerade doch nur rum und diskutieren über etwas, was eher zu nichts führen wird? Außerdem ist es natürlich auch wichtig, wie wir unsere Ressourcen einsetzen. DIE LINKE hat über 60.000 Mitglieder, aber nicht alle sind aktiv. In einem Kreis – oder Ortsverband gibt es dann vielleicht 5, 10, 20 oder 30 Aktive. Da müssen wir uns natürlich darüber Gedanken machen, wie wir einerseits unsere bestehenden Ressourcen einsetzen und andererseits mehr werden.

Hier konnten nur einige Punkte kurz angerissen werden, aber es wäre lohnenswert, diese Diskussion zu vertiefen.