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Solidarität ist unsere Waffe

DIE LINKE 2020 und wie die Bewegungslinke sie verändern will. Es gibt einige Gerüchte, warum die Bewegungslinke gegründet wurde, wann und vor allem von wem. Ob Netzwerk von Bundestagsabgeordneten, M21-Tarnorganisiation, eine Pressure Group für die Parteivorsitzenden oder Wahltruppe, um möglichst viele Leute in den nächsten Parteivorstand zu wählen. Das alles hat teilweise wenig, mitunter sogar nichts mit der Realität zu tun.

Von Katharina Dahme, Mitglied im Ko-Kreis der Bewegungslinken

Ausschlaggebend für unsere Gründung waren auch nicht die Äußerungen von Sahra Wagenknecht bezüglich der Migrationspolitik der LINKEN, wenn das wiederum auch die Notwendigkeit eines neuen Akteurs auf dem linken Flügel der Partei noch deutlicher gemacht hat. Ausgangspunkt war vielmehr die zugespitzte politische Situation in der Gesellschaft, die auch die Partei DIE LINKE unter Druck gesetzt hat. Unsere Einschätzung war und ist es heute immer noch, dass sich DIE LINKE verändern muss, wenn sie angesichts von neoliberalem Mainstream und erstarkender AfD, die sich in den Parlamenten festgesetzt und den öffentlichen Diskurs vergiftet und spürbar nach rechts verschoben hat, eine solidarische Alternative entgegensetzen will.

Bei unserem ersten Ratschlag im April 2018 lautete das Motto daher „Solidarität ist unteilbar“. Und die großen Unteilbar-Demonstrationen gaben uns recht, dass diese Formel breite Zustimmung findet und Linke genau diese Idee nach ganz vorne stellen müssten, d.h. unteilbare Solidarität konkret voranbringen, nicht die Sprache der Spaltung nachsprechen oder befeuern. Aufgabe von Linken ist es nicht, Ängste zu schüren, sondern Hoffnung zu organisieren und die Basis dessen ist der militante Glaube an und die Organisierung von Solidarität.

In diesem Sinne war der Ansatz der verbindenden Klassenpolitik als Antwort auf Spaltung und Entsolidarisierung für uns von Anfang an zentral. Wir glauben nicht, dass man den Rassismus in der Gesellschaft nicht thematisieren sollte, weil dies die Arbeiterklasse spalten würde. Der Rassismus selbst spaltet, nicht seine Problematisierung. Und wenn wir ihn nicht ansprechen, werden wir auf lange Sicht nicht mal unsere eigenen Anhänger immunisieren, geschweige denn Menschen von unseren Positionen überzeugen, die Vorurteile mit sich herumtragen und Andersdenkende oder -aussehende als Übel ausmachen, statt Ausbeutung und Unterdrückung durch die Herrschenden. Verbindende Klassenpolitik meint dabei nicht die einfache Addition der verschiedenen Kämpfe, sondern immer von der Klasse ausgehend Politik zu betreiben, sie in den Mittelpunkt unserer Politik zu stellen.

In welcher politischen Situation befinden wir uns momentan eigentlich? Dazu thesenartig ein paar Gedanken:

1. Die Polarisierung und damit einhergehende Entpolitisierung in der Gesellschaft, hat auch vor der LINKEN nicht Halt gemacht und dort nicht nur für Verunsicherung an der Basis gesorgt, sondern inhaltliche Kontroversen offengelegt, aus denen strategische Differenzen folgen – vor allem im Kampf gegen rechts. Insbesondere im Osten hat die Polarisierung mit der AfD bei den Wahlen zudem zu einer Mobilisierung „aller Demokrat*innen“ für die Parteien gesorgt, die am ehesten eine Chance hatten, gegen die AfD zu gewinnen. In der LINKEN führt es dazu, dass Ansprüche an Regierungsbeteiligungen weiter sinken, weil in dieser nachvollziehbar defensiven Logik alles getan werden muss, eine Regierungsbeteiligung der AfD zu verhindern. Einige hielten im Zuge dieser Dynamik sogar eine Zusammenarbeit mit der CDU für diskutabel. In der Wählerschaft drückte sich die Verunsicherung auch darüber aus, dass in Leipzig viele Wähler*innen mit der Erststimme die linke Jule Nagel und mit der Zweitstimme CDU wählten.

2. Der Neoliberalismus war und ist womöglich nicht in einer Krise, sondern wird immer wieder modernisiert, aktuell grün aufgemotzt. Viele halten eine grün-schwarze Koalition der Modernisierung, mit etwas mehr Klimaschutz, ohne sich aber mit den Konzernen anzulegen, für wahrscheinlich. Die Grünen wissen den widersprüchlichen Alltagsverstand aus „alles muss sich radikal ändern“ und aber „mit den uns bekannten Mitteln in dem uns bekannten Handlungsrahmen“ gut zu verbinden. Sie sagen ohne rot zu werden „System change not climate change“, meinen damit aber grüne Marktwirtschaft: Standortsicherung ja, aber nicht zwingend mit Absicherung der Beschäftigten. Das ist saugefährlich, denn a) wird damit die Klimakatastrophe nicht verhindert und b) spitzt sich Angst und Unsicherheit betroffener Beschäftigtengruppen weiter zu.

3. In den letzten zwei Jahren hat es (auch) große und breite Mobilisierungen eines solidarischen Lagers in der Gesellschaft gegeben, die Mut gemacht haben. Dabei wurde eine weltoffene Haltung auch mit sozialen Forderungen verbunden. Es ist aus diesen Mobilisierungen heraus aber nicht gelungen, darüber hinaus Druck für konkrete Errungenschaften zu organisieren. Nun ist es hingegen „Fridays for Future“ (als Teil einer Klimabewegung) gelungen, aufgrund des offensichtlichen Handlungsdrucks beim Klimaschutz indirekt die Schuldenbremse in Frage zu stellen und Investitionen in Milliardenhöhe in die Debatte zu bringen. Völlig offen ist aber, wer in was investieren wird, wer davon profitiert und wer einen sozialökologischen Umbau bezahlen muss, sofern er kommt.

Hier braucht es eine starke LINKE, die in diese Auseinandersetzungen interveniert. Denn wie jede Krise im Kapitalismus wird auch die ökologische Krise von den Ärmsten bezahlt werden müssen. Die Klimafrage ist nicht nur abstrakt eine soziale Frage, sondern ganz konkret.

Wer dabei glaubt, die grünen Themen würden die Beschäftigten nicht interessieren, der irrt. Kaum ein Thema wird mehr diskutiert in den Betrieben. Wenn aber auf grüne Fragen nur grüne Antworten folgen, dann verlieren wir diejenigen, die wir für die Umsetzung einer sozial gerechten Klimapolitik brauchen.

Wer, wenn nicht die Linke, muss Verbindungen schaffen zwischen Klimabewegten und Automobilbeschäftigten, den Beschäftigten in der Verpackungsindustrie, in der Energiewirtschaft. Die Zukunft unseres Planeten beschäftigt längst jung UND alt, und sie betrifft die ganze Klasse. Job und Klima sind beides Lebensgrundlagen für die Menschen. Wir müssen gemeinsame Interessen herausstellen und so praktische Beispiele für verbindende Klassenpolitik vorleben.

Während wir in den letzten Jahren versäumt haben, Kohlebeschäftigte und Kohlegegner*innen an einen Tisch zu bringen, können wir es diesmal besser machen. Die Tarifauseinandersetzungen im öffentlichen Nahverkehr 2020 bieten sich dafür an, weil es um Arbeitsbedingungen und eine klimaschonende Alternative zum Individualverkehr geht.

Dafür brauchen wir eine Partei, die sich als handlungsfähig und wirkmächtig erweist. In der es Spaß macht und vor allem sinnvoll ist, sich zu engagieren. Sprich: Wenn DIE LINKE so bleibt, wie sie ist, wird sie das nicht sein. Wie muss sie sich also – aus meiner Sicht, aus Sicht vieler Bewegungslinker – aufstellen, um eine Rolle zu spielen?

1) Die Antwort auf strukturelle Probleme muss (erst Kulturrevolution, dann) eine Mitgliederoffensive sein.

Nach den letzten Wahlen haben wir mit Blick auf den Osten viel über Parteiaufbau gesprochen, der dort aufgrund oft guter Ausgangssituation großteils nicht stattgefunden hat. Das rächt sich nun. Aber auch im Westen stagniert es zum Teil, manche Landesverbände kommen nach wie vor nicht voran oder machen nur mit Konflikten auf sich aufmerksam.

Auch wenn mehr Mitglieder noch keine Garantie für bessere Verankerung sind, so sind sie zumindest die Voraussetzung: Zahlen von Max Steininger über den Zusammenhang von Mitgliedern gegenüber Wähler*innenstimmen sind dabei sehr aufschlussreich, weil deutlich wird, dass unsere Mitglieder (auch im Osten) nicht unbedingt weniger Menschen zur Stimmabgabe für DIE LINKE  mobilisiert haben, sondern es in den Regionen mit einbrechenden Wähler*innenzuspruch schlicht deutlich weniger Mitglieder geworden sind. Mitglieder sind Multiplikator*innen, ohne die eine Partei vor Ort nicht stattfindet.

Dazu kommt, dass durch die Polarisierung der Gesellschaft auch eine Polarisierung in vielen Freundes- und Familienkreisen entstanden ist und – um Streit zu vermeiden – kaum noch über Politik diskutiert wird. So reißen Brücken der Verständigung ab, vorhandene Ressentiments verfestigen sich.

Dabei muss eine Partei, die stärker werden will, selbstbewusst auftreten: für die Sache und für die Partei werben und mehr werden wollen. Klar ist aber auch: In den letzten Jahren haben wir tausende neue, junge Mitglieder geworben, die sich angesichts der Partei, die sie vorgefunden haben, schnell wieder verabschiedeten. Es braucht also auch eine Kulturrevolution in der Partei, der zum Mitmachen einlädt. Dazu gehören ein andere Umgang miteinander und andere Arbeitsweisen.

Was klingt wie eine Binsenweisheit, ist keine Selbstverständlichkeit. Es gibt Stimmen, die Parteien für überholt halten und sich damit arrangieren, dass sich Menschen heute (vermeintlich) weniger selbst engagieren wollen. Das gibt es, wie es das auch immer schon gab. Ein Abfinden damit führt aber zum nächsten Problem, der Stellvertreterpolitik.

2) Selbstorganisierung und Aufklärung über Macht- und Kräfteverhältnisse statt Stellvertreterpolitik, die Illusionen schafft.

Noch eine Binsenweisheit, die aber keine Selbstverständlichkeit in der Partei ist: „Es kann die Befreiung der Arbeiter nur das Werk der Arbeiter sein.“ Sehr deutlich werden die unterschiedlichen Ansätze beim Blick auf die verschiedenen Landtagswahlkämpfe der vergangenen Jahre. In Berlin fragte DIE LINKE über die Großfläche: „Wem gehört die Stadt?“ – und antwortet selbst, dass es eine engagierte Stadtgesellschaft braucht, die in relevante politische Auseinandersetzungen eingreift und Druck auf Regierung organisiert, unabhängig davon, ob DIE LINKE an ihr beteiligt ist oder nicht. Anders wurde in Bremen und Sachsen mit dem Slogan „Wir machen das.“ um Stimmen geworben, was den Eindruck vermittelt, wir könnten das stellvertretend für die Menschen erledigen, wenn sie uns wählen. In Thüringen wurde das aus bekannten Gründen noch getoppt, dort regelt alles Bodo (Zwinkersmiley).

So wenig der jeweilige Ansatz Aufschluss gibt über den Erfolg, so wenig glaube ich, dass wir automatisch mehr gewählt werden, wenn wir vorher den Willen zum Regieren postulieren. ES stimmt zwar, dass DIE LINKE ihre Funktion deutlich machen muss, die kann und wird aber je nach Ort und politischen Bedingungen sehr unterschiedlich sein. Zwangsläufig muss aber die Zeit des Wahlkampfs der Politisierung und somit auch der Aufklärung dienen, damit die Mobilisierung nachhaltig ist und Enttäuschungen nicht vorprogrammiert sind. Schließlich wissen wir, dass DIE LINKE nach der Wahl nicht immer umsetzen wird, was sie vorher forderte und so ist es unsere andauernde Aufgabe, über Kräfteverhältnisse zu informieren: wir müssen immer auch Grenzen unseres Handelns thematisieren und so politisieren. Wenn wir das nicht tun, ist das nicht nur ein ärgerliches Versäumnis, sondern in der Konsequenz desorientierend und ein sozialdemokratisches Politikverständnis der Stellverteterpolitik stärkend.

3) Gegen die Parlamentarisierung der Partei hilft nur Kollektivierung von Ressourcen und bewegungsorientierte Politik.

Unsere Parlamentarismuskritik zielt in zweierlei Richtungen. Zum einen kritisieren wir eine inhaltlich-politische Verengung der Machtfrage aufs Regieren, die sich unter anderem auch in der neuen Forderung nach „Neuen Linken Mehrheiten“ ausdrückt. Bislang sind wir in dieser Auseinandersetzung viel zu leise, zumal es meines Erachtens kluge Positionierungen braucht, die über eine einfache Ablehnung hinauskommen. Gelungen ist das beispielsweise in den Beiträgen von Raul Zelik und Thomas Goes („Regieren ist noch keine Machtoption“ und Anforderungen an eine linke Regierung, die mehr als das kleine Übel ist).

Es geht aber noch viel mehr um den Anspruch, Partei in Bewegung zu sein, statt „Sitzungssozialismus“ zu betreiben. Es geht darum, sich stärker den Kräfteverhältnissen in der Gesellschaft zuzuwenden als denen in der eigenen Partei. Es geht darum, sich dem Aufbau von Partei und Bewegungen zu verschreiben, und alle Ressourcen darauf zu verwenden statt auf die Vermarktung von Personen. Es geht um Kollektivierung der in großen Teilen privatisierten Ressourcen (dazu der anschließende Beitrag von Sarah Nagel).

Zu guter Letzt: Wir wollen nicht nur die Probleme benennen und Ratschläge geben, was man besser machen kann, sondern auch selbst mehr über die schon vorhandenen guten Ansätze reden und so dazu beitragen, dass sie verankert und verstetigt werden. Wir müssen Fehler auswerten und aus Niederlagen lernen, dürfen dabei aber nicht vergessen, auch über Erfolge zu reden und zu überlegen, wie wir sie vervielfältigen können.

Das umzusetzen, würde eine andere Kultur bedeuten als wir sie aktuell erleben. Eine, die zum Mitmachen einlädt und Spaß macht. Wenn uns das gelänge, wär schon ne ganze Menge.

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