Referat, gehalten auf dem Treffen der Bewegungslinken in der Partei DIE LINKE am 12. Dezember 2021, von Winfried Wolf
Offensichtlich gibt es einen Klimanotstand. Spätestens das Scheitern der Klimakonferenz in Glasgow im November 2021 hat das verdeutlicht. Und für Menschen, die sich als Bewegungs-Linke verstehen, die also auf Bewegungen setzen und selbst bewegen wollen, spricht alles dafür, eine umfassende Klima-Kampagne zu starten und Klimabündnisse vor Ort aufzubauen. Die Bündnispartner – allen voran Friday-for-Future-Strukturen, aber auch einzelne Gewerkschaften wie Verdi und Gruppen wie Attac – sind bekannt. In einer solchen breit angelegten „Klima-Kampagne“ muss man, zumindest im allgemeinen Forderungsteil, die Bereiche abdecken
– Energiewende – mit dem Kohleausstieg so schnell als irgend möglich und dem Ausbau der Erneuerbaren, bei gleichzeitigem Ziel, den von Rot-Grün-Gelb geplanten Anstieg des Energie-Konsums zu stoppen und so weit wie möglich in allen Bereichen auf EnergieREDUKTION zu setzen
– Umbau der industriell betriebenen Landwirtschaft und Orientierung auf eine flächendeckende Bio-Landwirtschaft
– Wohnen. Optimal wäre hier eine massive Reduktion der neuen Wohnungsbauprogramme mit Schwerpunkt auf Umnutzungen und gerechte Verteilung bestehenden Wohnraums
– Industrie – eigentlich Vergesellschaftung der Schlüsselindustrien
– und eben Verkehr.
Nicht zu vergessen das Militär, das der größte institutioneller CO2-Emittent überhaupt ist. Was ja fast nie in unseren Debatten zum Klimanotstand auftaucht. Die Verkehrswende ist so gesehen Teil des Ganzen; oberflächlich gesehen sogar ein kleinerer Teil. Es sind rund 20, maximal 25 Prozent der gesamten, klimaschädlichen Emissionen, die auf den gesamten Verkehrssektor entfallen (1). Doch das ist nur der erste Blick. Es gibt vier Gründe, weswegen eine Verkehrswende-Kampagne strategisch einen Hebel für eine gesamtwirksame Klimakampagne darstellen könnte.
Erstens weil dies der einzige Bereich ist, in dem in den letzten 25 Jahren die CO2-Emissionen nicht reduziert wurden, ja, in dem sie weiter anstiegen. Zweitens weil in diesem Bereich Rot-Grün-Rot den Hauptakzent setzen will – und dies mit der fatalen Orientierung auf „E-Mobilität“. Drittens weil es in diesem Bereich meines Wissens am meisten BEWEGUNG an der Basis – Initiativen gegen Straßenneubau, für ÖPNV-Nulltarif, gegen IAA, gegen Bahn-Großprojekte, für Verkehrsberuhigung, für Radwege-Ausbau, für autofreies Wohnen und Leben usw. gibt. Und viertens – der wichtigste Punkt – weil im Zentrum der Verkehrswende die Autoindustrie und ihre Lobby als Gegner steht und weil im Zentrum UNSERER Verkehrs-Wende-Kampagne ein konkreter Plan zur Gewinnung von Gewerkschaften und von Beschäftigten in diesem Sektor stehen müsste – um eine konkrete Konversion dieses 800.000-Beschäftigten-Sektors zu entwickeln.
Ich sehe damit beim Begriff „Verkehrswende“ deutlich mehr im Spiel, als im aktuellen Antrag der Bewegungslinken auf dieser Tagung formuliert. Es gibt hier um die Themen
1. Kritik der massenhaften E-AUTO-Motorisierung
2. eine Flächenbahn und Klimabahn in Widerspruch zu einer Hochgeschwindigkeitsbahn und einer Betonbahn
3. eine drastische Reduktion des Flugverkehr und Aufbau eines europaweiten Nachtzugnetzes
4. die Konversion Autoindustrie, faktisch um die Konversion des Herzstücks der Industrie.
Zur E-Mobilität
Der Mobilitätsteil im Koalitionsvertrag ist vor allem durch viel vage Formulierungen und durch viel Leerstellen gekennzeichnet. Das Wort Verkehrswende taucht erst gar nicht auf. Auch das Wort „Tempolimit“ gibt es dort nicht. Das ist schon ein Kunststück, wo „Klimapolitik“ zureden, und diese einfache Maßnahme Tempolimits 120/80/30 wegzulassen, obwohl es dafür eine deutliche –Mehrheit in der Bevölkerung gibt, obwohl dies in den Programmen von SPD und Grünen steht, obwohl man damit auf einen Schlag ein paar Millionen Tonnen CO2 reduzieren können und obwohl man damit in jedem Jahr rund 250 Menschenleben retten könnte. Ganz entscheidend in diesem Koalitionsvertrag ist die E-Auto-Perspektive. Rot-Grün-Gelb legten als Ziel im Koalitions-Vertrag fest: „15 Millionen E-Pkw bis 2030“ ist wahnwitzig und klima-zerstörerisch. Dies vor allem, weil das eine absolute Zahl ist, weil es keine Deckelung des Pkw-Bestands gibt und weil es bei Rot-Grün-Gelb Nullkommanull Ideen – geschweige denn konkrete Zielsetzungen – zur Verlagerung und Vermeidung von Verkehr gibt.
Die Ziele von Scholz-Habeck-Wissing laufen hier auf das Folgende hinaus.
– dass sich der Pkw-Bestand von aktuell 47 Millionen (zu 96% Verbrenner) bis 2030 auf rund 54 Millionen erhöht. Grund: In den vergangenen 15 Jahren stieg die Pkw-Zahl netto je Jahr um rund 650.000. Es gibt keinerlei Pläne, dieses Wachstum der Autoproduktion zu stoppen – eher ist das Gegenteil der Wahl.
– dass wir dann selbst bei Erreichen des Ziel „15 Millionen E-Autos“ – 2030 39 Millionen Verbrenner und 15 Mio E-Pkw haben würden
– womit der CO2-Ausstoss in der Summe gleich bleiben oder gar steigen würde: die maximale Einsparung an CO2 je E-Pkw im Vergleich zu einem Verbrenner liegt laut Umweltbundesamt aktuell – beim gegebenen Strommix – bei 30%, dann, 2030, optimistisch gerechnet, bei 50%. Hinzu kommt dann ja noch der Energiebedarf, der für den Aufbau einer gewaltigen Ladeinfrastruktur erforderlich ist, hinzukommt (2).
– womit vor allem die Zahl der ZWEITAUTOS sich massiv erhöht haben wird. Aktuell sind rund 50 Prozent der E-Pkw Zweit- und Dritt-Pkw.
– womit wiederum vor allem die Autos in den Städten, exakt dort wo Autos RAUS müssen, sich erhöht haben wird: 90 Prozent der E-Pkw-Fahrten finden im städtischen Raum und im engen Umfeld von Städten statt.
Besonders fatal bei dieser Orientierung ist: Die E-Mobilität wird der entscheidende Treiber für einen steigenden Strombedarf sein. Das exakte Gegenteil dessen, was im Rahmen einer Klimawende-Politik anzustreben ist. Man muss ein klares NEIN zu diesem zentralen rot-grün-gelben Ziel sagen. Richtig wäre grob eine Zielsetzung: Umbau des Verkehrssektors so, dass es im Jahr 2030 ein Drittel weniger Pkw, dann nur noch rund 30 Millionen Pkw gibt, davon gerne 10 Millionen E-Pkw. Bis 2040 müsste die Zahl aller Pkw auf deutlich weniger als 10 Millionen gesenkt werden. Dann gerne überwiegend E-Pkw. Das ist, beim richtigen Mix von Fußgänger-Verkehr, Rad, Öffis & Bahn durchaus machbar.
Der Bereich Bahn/Schiene
Da gibt es seitens Rot-Grün-Gelb INHALTLICH rein gar nichts – außer der abstrakten Zielsetzung, man wolle den Schienenverkehr verdoppeln. Womit gemeint ist: den FERNverkehr auf Schienen verdoppeln, der aber nur 5 Prozent des Verkehrsaufkommens auf der Schiene – oder nur 44 Prozent der Verkehrsleistung auf der Schiene – ausmacht (3). Es gibt kein Wort in diesem Vertrag zum Thema Verlagerung auf die Schiene. Und kein Wort zum Schienenpersonennahverkehr (SPNV). Nochmals: der SPNV macht 95 Prozent aller Fahrten aus. Interessant und aus meiner Sicht klar unterstützenswert ist das im Koalitionsvertrag festgehaltene Ziel, die zwei Infrastruktur-Gesellschaften der Deutschen Bahn AG, DB Netz und Db Station & Service (= Bahnhöfe) zusammenzuführen, das neue Unternehmen „gemeinwohlorientiert“ zu führen, und diese Infrastrukturgesellschaft gegenüber der Holding „abzuisolieren“, was heißt: jede weitere Gewinnabführung von dort an die Holding zu unterbinden. Diese Gewinne müssten dann in der Infrastruktur verbleiben. Sie dürfen nicht wie jetzt vielfach der Fall, an die Holding durchgereicht werden – und dort der Global-Player-Konzern-Politik dienen, um in Polen Busverkehre zu machen, um in China Logistik und Schiffsverkehr zu realisieren oder um in Mexiko das Tren Maya-Projekt mit Zerstörung des Regenwaldes zu unterstützen.
Diese Umgestaltung als „Zerschlagung“ zu bezeichnen, wie dies bisher im Antrag erfolgt, ist nicht zutreffend. Es gibt aktuell auch keine gesellschaftlich relevante Gruppe, die dies tut. Die EVG ist mit dieser Passage ebenso zufrieden wie die GDL. Die DB AG ebenso wie die Privatbahnen. Das mag man als verdächtig empfinden – und ist es irgendwie auch. Denn tatsächlich kommt es auf die Ausgestaltung dieses Konzernumbaus an. Sicher ist jedoch, dass dann, wenn das 1:1 umgesetzt wird, der Konzern Deutsche Bahn AG ein komplett anderer ist. Denn die Gewinne, die der Bahnkonzern formal macht, stammen – insoweit es den Umsatz im Inland betrifft – ausschließlich aus dem Bereich Infrastruktur. Und der wiederum speist sich zum größten Teil aus staatlichen Unterstützungsleistungen (4).
Führt man die Infrastruktur als „gemeinwohl-orientiert“ und ohne einen Beherrschungsvertrag mit der Holding, dann ist dies im Übrigen ein pragmatischer Reflex auf den entstandenen Zustand im Bereich Schiene, wo bereits knapp die Hälfte des gesamten Umsatzes von den Nicht-DB-Gesellschaften (das sind „private“ (5) ebenso wie andere öffentliche) realisiert wird. Ich habe Euch dazu eine Grafik geliefert. Die ist auch so gestaltet, dass mit der Größe der Kästchen für die einzelnen Unternehmen und Töchter und Schienenverkehrs-Bereiche auch die entsprechenden Proportionen – erneut Stand 2019 – wiedergegeben sind. Die bisherige Bilanz der DB-Infrastrukturgesellschaften – also der Töchter des sogenannten integrierten Konzerns DB AG – ist jedenfalls katastrophal: Seit 1994 gibt es einen Abbau des Netzes um ein Fünftel, einen Abbau der Weichen um die Hälfte, einen Abbau der Gleisanschlüsse – der Industriegleise – um vier Fünftel, und ein Abbau der Bahnhöfe mit Schalter-Präsenz um fast 90 Prozent. Es gibt in ganz Westeuropa kein einziges Land, in dem es einen derart gravierenden Abbau der Schieneninfrastruktur gegeben hat.
Und es gibt viele weitgehend öffentliche Bahnen, die unter dieser Politik des Bahnkonzerns leiden und sich darüber bitter beklagen. So im Fall des Metronom in Niedersachsen, im Fall der SWEG, also der Landesbahn in Baden-Württemberg, im Fall der Hessischen Landesbahn oder der Bodensee-Oberschwaben-Bahn usw. Um es klar zu sagen: Die Zielsetzung „neue gemeinwohl-orientierte Infrastrukturgesellschaft“ und deren „Abisolierung“ von der DB-AG-Holding bietet NUR eine CHANCE auf mehr Transparenz und eine gewisse CHANCE auf ein Ausbremsen von neuen zerstörerischen Infrastruktur-Großprojekten. Nicht mehr – aber auch nicht weniger.
Unser Ziel im Bereich Schiene als gesamtes System muss sein: eine Flächenbahn, eine Bürgerbahn, eine Bahn mit integralem Taktfahrplan – und damit erst eine Klimabahn. DAS aber heißt: kein „Wettbewerb“ im Fernverkehr. Kein Ausbau von Flixtrain zur ICE-Konkurrenz. Und ein allgemeines Zurückdrängen des „Wettbewerbs“ im Nahverkehr. Ideal wäre im SPNV die Herausbildung von ergänzenden Landesbahnen, wie es zum Teil in Baden-Württemberg notgedrungen, wegen der Abellio-Pleite, stattfindet. Also eine Kombination einer „Bundesschiene“ im Fernverkehr mit Landesbahnen, die sich ebenfalls komplett in öffentlichem Eigentum befinden müssen.
UND vor allem heißt diese Grundorientierung: NEIN zu dem, was als „Deutschland-Takt“ bezeichnet und verkauft wird. Denn unter diesem Label werden alle neuen absurden, zerstörerischen und bahnvekehrs-feindlichen Großprojekte vermarktet bzw. kaschiert. Es geht da
- um die Zerstörung des Bahnhofs HH-Altona (und dessen Verlegung in die Pampa Diebsteich)
- um den 40 m unter dem Boden liegenden Fernbahn-Tunnel in Frankfurt/M., der im Jahr „2040 plus“ fertig erstellt sein soll
- um neue Höchstgeschwindigkeitsstrecken, so eine solche zwischen Hannover und Bielefeld mit Tempo 300
- um die Zerschneidung der Insel Fehmarn und die Unterstützung für das Tunnelprojekt Fehmarn-Dänemark
- um eine neue 50 Kilometer lange Tunnelstrecke zwischen Dresden und Prag (und die Zerstörung der wunderschönen Bahnstrecke entlang der Elbe)
- um eine lange Tunnelstrecke als Brennerzulaufstrecke im Bereich Rosenheim
- und – nicht zuletzt – um die Steigerung der Tunnelstrecken als Teil von Stuttgart 21 um weitere mehr als 10 Kilometer auf dann insgesamt 100 km Tunnelstrecken unter der baden-württembergischen Landeshauptstadt und um einen neuen, ergänzenden unterirdischen Kopfbahnhof, der nun von Grün-Schwarz als zusätzlich notwendig zum S21-Tiefbahnhof erachtet wird.
DIESE Art Bahn läuft darauf hinaus, dass sie einen massiven Beitrag zur Zerstörung des Klimas leisten wird. Nicht nur, weil Tempo 300 und lange Tunnelstrecken einen enormen Energieaufwand im Betrieb bedeuten, weil damit der Energieverbrauch je Personenkilometer im Bereich dieser Hochgeschwindigkeits- und Tunnelbahn nicht mehr weit entfernt von dem CO2-Ausstoss im Pkw-Verkehr sein wird. Vor allem auch, weil der BAU dieser Großprojekte – der ja ausgerechnet in der für das Klima entscheidenden Phase der nächsten 15 bis 20 Jahre stattfinden soll – mit Hunderten von Millionen Tonnen CO2-Austoss verbunden sind (sogenannte „graue Energie“, eingesetzt in den Bereichen Zement, Beton, Erdarbeiten).
Um es provokativ zu sagen: Zu fordern ist auch ein TEMPOLIMIT für die Schiene – maximal Tempo 200 in Einzelfällen, ansonsten im Normalbetrieb Tempo 120 km/h. Auf diese Weise lässt sich ohne große Ausbaumaßnahmen durch die Vereinheitlichung von Nahverkehr, Fernverkehr und Güterverkehr der gesamte Schienenverkehr massiv steigern. Dazu gibt es seit ein paar Wochen das spannende Holger Busche-Konzept; inzwischen als „Malente-Appell“ von Verkehrswissenschaftlern um Heiner Monheim und ein paar Dutzend Verkehrswissenschaftlerinnen und Verkehrswissenschaftlern – so von Sabine Leidig, Wolfgang Hesse, Hermann Knoflacher, Bernhard Knierim, Winfried Wolf unterstützt. Wobei wir insgesamt am Ziel eines integrierten Gesamtsystems Schiene, wie wir es weitgehend in der Schweiz noch bestaunen können, festhalten. Doch selbst wenn die am 26. September neu gewählte Bundesregierung die Farbskala Rot-Grün-Rot aufweisen würde, selbst wenn dann Toni Hofreiter dennoch Europa-Bevollmächtigter bleiben würde und selbst wenn Sabine Leidig Verkehrsministerin sein würde, wäre dies – die Zurückdrängung von Konkurrenz und Privaten – ein Prozess, der eine Dekade in Anspruch nehmen würde. Selbst dann könnte es Sinn machen, die Schienen-Infrastruktur vom Bahn-Betreiber-Konzern DB AG „abzuisolieren“ (6).
Der Bereich Flugverkehr und Nachtzüge (7)
Kurz noch einige Hinweise zum Flugverkehr. Die Politik, die eine Verkehrswende-Kampagne hier verfolgen muss, ergänzt in idealer Weise die Politik im Bereich Schiene. Wir hatten 2020 ja angeblich ein für den Flugverkehr desaströses Jahr. Es gab nur rund 20 Prozent so viele Flüge und so viele Fluggäste wie im Jahr zuvor – 2019. Es war also ein Rückgang um 80 Prozent zu „beklagen“. Rot-Grün-Gelb will jetzt laut Koalitionsvertrag alles tun, um das 2019-Niveau wieder zu erreichen und darauf aufbauend den Flugverkehr auszubauen – natürlich mit angeblich „klimaneutralen Fliegen“.
Da sollten wir genau hinschauen. Um dann festzustellen:
2020 – das war das Flugverkehrs-Niveau von 2002. Das gilt für die deutsche Luftfahrt. Und das gilt für die Weltluftfahrt: Im miesen Jahr 2020 gab es ein Flugverkehrsvolumen wie im damaligen Rekordjahr 2002. Warum also nicht die Chance nutzen, und den Flugverkehr auf diesem Niveau – auf ein Fünftel von 2019, ABER damit auf das identische Niveau Flugverkehrs im Rekordjahrs 2002 – einzufrieren? Warum nicht parallel den Nachtzug wiedereinzuführen in Deutschland? Und ein europaweites Nachtzug-Netz aufzubauen? Hier gibt es europaweit breite und in Teilen erfolgreiche Initiativen (8). Vor wenigen Wochen verpflichtete die Regierung in Madrid die spanische Staatsbahn RENFE dazu, große Nachtzuglinien, die es dort vor 20 Jahren noch gab, neu aufzubauen. So auf den Verbindungen Madrid – Paris und Madrid – Lissabon.
Verallgemeinernd lässt sich sagen:
- der innereuropäische Flugverkehr muss im Rahmen einer Klimakampagne deutlich reduziert werden
- rund die Hälfte desselben könnte in einem anspruchsvollen 10-Jahres-Programm auf die Schiene verlagert werden
- dabei spielt eine große Rolle die Entwicklung eines europaweiten Nachtzug-Systems.
Konversion der Autoindustrie
Wenn wir keine Perspektive für die Autoindustrie haben, werden wir immer wieder das Totschlagargument „Was ist mit den Autojobs“ um die Ohren gehauen bekommen. Und natürlich sind 800.000 Arbeitsplätze – meist gut bezahlte Jobs, und dies in einem Bereich mit einem hohen gewerkschaftlichen Organisationsgrad – ein wichtiges Argument.
Dazu drei Anmerkungen:
Erstens. Es sind die Autoindustrie und die Bundesregierung, die mit dem Ziel E-Mobilität ein paar Hunderttausend Jobs in der Autoindustrie in Frage stellen. Die Autobosse sind längst konkret dabei, Zehntausende Jobs abzubauen, ganze Standorte zu schließen und erreichte soziale Standorts abzubauen. Stichworte Opel/Eisenach; neues VW-Werk „Trinity“ auf der grünen Wiese bei Wolfsburg. Wobei im Übrigen das Tesla-Werk in Grünheide als Rammbock zur Schleifung der sozialen Standards und des gewerkschaftlichen Organisationsgrads in dieser Branche eingesetzt werden wird.
Zweitens. Grundsätzlich ist die Autoindustrie in der Lage, binnen weniger Jahre die Produktion von Verbrenner-Pkw umzubauen auf beispielsweise Fertigung von Bussen, Lokomotiven, Trambahnen, Fahrräder, Lastenräder und Waggons. In den 1930er Jahre war es möglich, die gesamte Autofertigung binnen 2-3 Jahren von Auto auf Kampfjets, Panzer und Munition umzubauen – im Interesse des NS-Angriffskriegs.
Was von zivil auf militärisch damals ging, geht heute erst recht von klimapolitisch zerstörerischen Autos auf Verkehrswende-Produkte.
Wird dies verbunden mit der notwendigen Politik zur Reduktion der allgemeinen Arbeitszeit auf 30 Stunden je Woche, so gibt es auch keinen Arbeitsplatzabbau.
Drittens. Einseitig den Blick auf die Autobranche zu werfen ist, falsch. Es gibt Hunderttausende Jobs und neue „gute Arbeit“ in den Bereichen, die für die Verkehrswende wichtig sind. Im Zeitraum 1994 bis 2021 wurden allein im Bereich Schiene 200.000 Jobs abgebaut. Diese werden wieder benötigt. Im Bereich Bahntechnik wurden 70.000 Jobs zerstört. Diese müssen neu aufgebaut werden. Im Bereich öffentlicher Verkehr wurden 100.000 Arbeitsplätze abgebaut; Tausende Öffi-Bahnhöfe haben kein Personal mehr. Auch diese Arbeitsplätze benötigen wir im Rahmen der Umsetzung der Verkehrswende und für eine grundsätzlich veränderte Mobilitätsstruktur.
Ich möchte schließen mit einer konkreten Beobachtung. Am 15. Und 16. September dieses Jahres referierte ich auf einem IG Metall Workshop in Hustedt bei Celle. Anwesend waren knapp 40 Betriebsräte und Vertrauensleute aus der Autoindustrie, darunter gut die Hälfte von VW aus Wolfsburg, Salzgitter und Hannover. Das Thema war ähnlich wie hier Verkehrswende – Klimanotstand – Kritik des Autos, Kritik der E-Auto-Orientierung – Konversion der Autoindustrie. Ich habe – der Seminarleiter Marvin Rühling wird das bestätigen – in keiner Weise anders argumentiert wie hier bei der Bewegungslinken. Das heißt, ich habe also offensiv das Auto als solches in Frage gestellt und für eine konsequente Verkehrswende mit möglichst wenig Autos plädiert. Ich möchte jetzt nicht behaupten, dass ich alle 36 Männer und die drei Frauen, die da anwesend waren, komplett überzeugt hätte. Ich möchte jedoch unterstreichen, dass das eine spannende und konstruktive Debatte war – und dass sie viele der IGM-Leute nachdenklich zurückließ.
Ganz wichtig aber war: In den Pausen, in der Kantine, diskutierten wir intensiv über den Streit der Bahnbeschäftigten der GDL. Und da war die Stimmung eindeutig. Und diese lautete:
- „Genau so müssten wir das auch machen!“
- „Streiken! Den Laden dicht machen!“
- „Und dann unsere Forderungen präsentieren – und sie umsetzen!“
In diesem Sinn:
- Wir müssen unsere Konzepte für eine konsequenten Verkehrswende ausarbeiten und immer wieder neu konkretisieren
- Wir müssen diese Konzepte einordnen in eine Klimakampagne und in den Aufbau von Klimabündnissen
- Und wir müssen mit konkreten Aktionen auf Straßen und Plätzen dafür werben.
Letzten Endes wird der notwendige Stopp dieses auf einen Abgrund rasenden Zugs nur möglich sein durch Massenmobilisierungen und durch Revolte.
Winfried Wolf ist Chefredakteur von Lunapark21 – Zeitschrift zur Kritik der globalen Ökonomie. Siehe die Websites: www.winfriedwolf.de und www.lunapark21.net und www.klimabahn-film.de. Jüngere Veröffentlichungen: Tempowahn – Vom Fetisch der Geschwindigkeit zur Notwendigkeit der Entschleunigung (220 S./Wien 2021 – Promedia) // (zusammen mit Verena Kreilinger und Christian Zeller) Corona, Krise, Kapital (280 S.; Köln 2021; PapyRossa) // Mit dem Elektroauto in die Sackgasse – Warum E-Mobilität den Klimawandel beschleunigt (240 S.; 3. erweiterte Auflage, Wien 2020; Promedia) // (zusammen mit Bernhard Knierim) Abgefahren. Warum wir eine neue Bahnpolitik brauchen (290 Seiten; Köln 2019, PapyRossa).
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(1) Hier sei als Stichpunkt darauf verwiesen, dass erhebliche Teile des Verkehrs in diesen offiziellen Statistiken nicht erfasst werden. Das gilt für den Flugverkehr, startend in der BRD, und dann außerhalb unserer Landesgrenzen. Er ist ja „deutschland-induziert“. Das gilt, wie erwähnt, für das Militär. Und das gilt für die Schifffahrt (Kreuzfahrtschiffe und vor allem die Handelsflotte mit Schwerpunkt Container-Schiffe. Zu all dem siehe die Artikel von Anne Rieger (zu Militär), zum Flugverkehr (Bernhard Knierim) und zum Schiffsverkehr (Burkhard Ilschner) in der neuen Ausgabe von Lunapark21 – Zeitschrift zur Kritik der globalen Ökonomie, Heft 56, Dezember 2021. Siehe: www.lunapark21.net
(2) Vereinfachte Rechnung: Wenn wir 2030 39 Millionen Verbrenner anstatt 47 Millionen aktuell haben, dann entspricht dies 83 Prozent der aktuellen CO2-Emissionen. Wenn wir dann 15 Millionen E-Pkw haben, dann entspricht diese selbst bei 50% CO2-Reduktion E-Pkw im Vergleich zu Verbrenner dem Äquivalent von 7,5 Millionen Verbrennern oder 16 Prozent der bisherigen CO2-Emissionen (der 47-Mio-Pkw-Flotte). Womit wir bei 99 Prozent der 2020er Emissionen sind. Hinzu kommen die Emissionen, die mit dem Aufbau (und Unterhalt) der neuen, gewaltigen Ladeinfrastruktur verbunden sind. Womit wir in der Summe deutlich mehr CO22-Emissionen haben. Wobei ich jetzt Annahmen unterstellte, die das Optimum dessen darstellen, was die E-Pkw-Lobby selbst für machbar hält. Ausführlich siehe: Winfried Wolf, Mit dem Elektroauto in die Sackgasse, warum E-Mobilität den Klimawandel beschleunigt, Wien 2020, 3. Auflage (Promedia).
(3) Konkret: 2019 betrug das Verkehrsaufkommen im Schienenverkehr (= die Zahl der Fahrten) 2931 Millionen; davon entfielen 151 Millionen auf den Fernverkehr was 5,12 Prozent entspricht. Niemand spricht ernsthaft davon, dieses Verkehrsaufkommen auf 5,9 Milliarden zu steigern. Gemeint ist vielmehr, die Fernverkehrsfahrten von 151 auf rund 300 zu steigern. Nimmt man anstelle des Verkehrsaufkommens die Verkehrsleistung auf der Schiene, das ist die Zahl der zurückgelegten Kilometer multipliziert mit der Zahl der Personen, dann waren es 2019 100 Milliarden Personenkilometer, wovon 44,7 Mrd. auf den Fernverkehr entfielen. Selbst hier macht der Fernverkehr weniger als die Hälfte aus. Nimmt man nun verkehrspolitisch als Maßstab diese Verkehrsleistung, dann argumentiert man aus Unternehmens-Sicht – und nicht aus Sicht der Mobilitätsbedürfnisse der Menschen. „Bewegungslinks-korrekt“ ist meines Erachtens eine Betrachtungsweise, die die tägliche Fahrt eines Berufspendlers oder einer Regionalbahnfahrt ins Grüne als gleichwertig betrachtet mit der Fernverkehrsfahrt eines Managers oder mit der Fernverkehrsfahrt im Rahmen des Städtetourismus. Das aber spricht dafür, das Verkehrsaufkommen zum zentralen Orientierungspunkt zu wählen. (Zahlen nach: Verkehr in Zahlen 2020/2021, S.216ff.).
(4) Hier wird nicht eingegangen auf das Auslandsgeschäft der Deutschen Bahn AG, das rund die Hälfte des gesamten Umsatzes ausmacht und das zu 90 Prozent auf die beiden DB-Töchter Schenker und Arriva entfällt. Dieses Auslandsgeschäft muss komplett verkauft werden. Bereits aus rein praktischen Gründen sollte sich der Bahnkonzern auf Schiene Inland konzentrieren. Im Übrigen ist deutlich, dass der größte Teil dieser Auslandsengagements das Klima belastet. Hier wird der Bahnkonzern als ein Instrument zur Unterstützung der problematischen Außenpolitik des Landes, die eine deutlich imperialistische ist, eingesetzt (in China – „Seidenstraße“; in Nahost; in Osteuropa (Teil der Nato-Strategie zur Osterweiterung).
(5) Ein großer Teil der sogenannten „Privaten“ sind dann Töchter der Nachbar-Staatsbahnen, also der niederländischen, der italienischen oder der Schweizer Staatsbahn.
(6) Zum Thema der aktuellen Debatten zur Schienen-Infrastruktur siehe meine aktuellen Artikel in Sozialistische Zeitung (SoZ), ND, ak und auf Telepolis. Letzteres siehe: https://www.heise.de/tp/features/Die-falsche-Alternative-fuer-die-Bahn-6261843.html
(7) An dieser Stelle wurde ich freundlich auf die Redezeit verwiesen. Die Chat-Forderungen, ich möge doch 15 Minuten weiterreden, konnte ich wahrnehmen. Daher habe ich im Referat den folgenden und letzten Teil meines Referats deutlich eingedampft. Hier im Folgenden also weitgehend in voller Länge.
(8) Diese sind gebündelt in der Initiative back on track“; Joachim Holstein in Hamburg liefert dazu regelmäßige, spannend Berichte. Siehe Berichte auf der Website bahn-fuer-alle.de