Bewegungsorientierte Wohnungspolitik: Eine Frage der Mieter*innenmacht

von Toma El-Sarout

Steigende Mieten, Verdrängung und skrupellose Vermieter*innen – das Thema ‚Wohnen‘ ist seit Jahren in aller Munde. Problemstellung und Zielsetzung vieler linker Analysen ähneln sich: Wohnen darf nicht durch den Markt geregelt werden. Auch Verstaatlichung ist keine Lösung. Wohnen insgesamt muss vergesellschaftet werden. Das heißt: Wo, mit wem und zu welchen Kosten wir wohnen, sollten wir gemeinsam demokratisch und diskriminierungsfrei entscheiden.

Die Vergesellschaftung und damit das individuelle ‚Recht auf Wohnen‘ müssen wir dazu aber erst gegen Profit- und Herrschaftsinteressen durchsetzen.Es ist also eine Machtfrage, die für eine bewegungsorientierte Linke nur lauten kann: Wie bauen wir demokratisch und inklusiv Macht von unten auf, um unsere Ziele zu erreichen? Versteifen wir uns nicht auf ‚die Regierungsfrage‘ können wir unsere Ziele im Blick behalten, um offen nach den besten Strategien zu suchen.

Die Macht von Immobilienkapital und Staat

Das Immobilienkapital hat zunächst Marktmacht. Wir sind gezwungen, uns an einem bestimmten Ort mit einem bestimmten Einkommen eine Wohnung zu suchen. Werden wir etwa rassistisch, queerfeindlich oder ableistisch diskriminiert, stehen für uns noch weniger Wohnungen zur Auswahl. Währenddessen haben Vermieter*innen meist kein Problem damit, die Wohnung eine Weile leer stehen zu lassen, bis die gewünschte Miete gezahlt wird.

Der Staat toleriert die Macht des Immobilienkapitals nicht nur, er stellt sie aktiv her. ‚Mieteigentum‘ wäre nur ein Wort, wenn es die Gewalt der Zwangsräumung nicht gäbe. Erst die Staatsgewalt legt die Verfügungsmacht über Wohnungen in private Hand. Zugleich entpolitisiert der Staat die Wohnungsnot und hält eine Drohkulisse aufrecht: Obdach- und Wohnungslosigkeit werden nicht als gesellschaftliches Problem beendet, sondern staatlich versteckt, verwaltet und kriminalisiert.

‚Unternehmerische Städte‘ fördern – vom Staat in Konkurrenz zueinander gesetzt – aktiv Gentrifizierung und Verdrängung, um die erwünschten Bewohner*innen und Unternehmen anzulocken. So nutzt die Stadt Duisburg seit Jahren scheinheilige Baurechtsargumente und brutalen Antiziganismus, um Sinti*zze und Roma*nja aus ihren Wohnungen zu vertreiben. Viele öffentliche Wohnungsunternehmen handeln längst nach Profitinteressen und für die Bremer Brebau belegt ein Leak jetzt systematisierten Rassismus und Queerfeindlichkeit bei der Wohnungsvergabe. Hartz-IV-Betroffenen und Geflüchteten zwingt der Staat Wohnorte und -bedingungen auf. Er ermöglicht so räuberische Geschäftsmodelle und subventioniert überhöhte Mieten auch noch mit Steuergeldern. Auf dem Wohnungsmarkt steht uns somit ein mächtiger Zusammenhang aus Staat und Kapital gegenüber.

Die Grenzen des ‚Machbaren‘

Die Profite der Immobilienwirtschaft sind längst ein wichtiger Stützpfeiler des krisenhaften Neoliberalismus. Anders als vor einigen Jahrzehnten, wird jeder Versuch, den Wohnungsmarkt auch nur einzuschränken, auf aktiven Widerstand und auf die stummen Zwänge unseres Wirtschaftssystems stoßen. Dennoch plädieren einige dafür, an der Regierung in vielen kleinen Schritten immer wieder das ‚konkret Machbare‘ durchzusetzen und so in der Summe das Privateigentum schleichend zu überwinden. Hinter dem ‚Machbaren‘ steckt jedoch meist ein Bündnis mit Kapitalfraktionen. Die letzte große Mieter*innenbewegung in Deutschland zerbrach in den 70ern, als die beteiligten Akademiker*innen ihren persönlichen Wohn- und Gestaltungsfreiraum bekommen hatten. Die zuvor selbstorganisierte Mieter*innenberatung bot ihnen nun staatlich finanzierte Stellen, wo sie bald im ‚partizipativen Quartiersmanagement‘ die neue neoliberale Regierungsweise durchsetzten. In der Umsetzung des ‚Machbaren‘ wurden sie – meist unfreiwillig – zu Geburtshelfer*innen des Neoliberalismus, während die migrantischen Arbeiter*innen der Bewegung auf der Strecke blieben.  Die Mieter*innenbewegung war für Jahrzehnte geschwächt, während Verdrängung und Mietpreise erst richtig in die Höhe schossen.

Das rastlose Profitstreben des Immobilienkapitals trug die ‚Wohnungskrise‘ jetzt erneut in die Mittelschicht und schuf die Grundlage für die heutige Bewegung. Wieder droht ein trügerisches Bündnis des Machbaren: Die Wohnkosten für ‚ihre‘ Fachkräfte sind der Industrie- und Handelskammer längst zu hoch, die Bauwirtschaft drängt auf staatliche Förderung und der ‚Grüne Deal‘ der EU-Kommission sieht eine massiv subventionierte Renovierungswelle vor, um Klimaschutz und Konjunktur zu fördern.

Gestützt auf die Macht von Kapital und bürgerlichen Parteien wäre demnach Folgendes ‚machbar‘: Eine staatliche Subventionierung der Wohnungswirtschaft im Gegenzug für einige Auflagen, um den ‚sozialen Frieden‘ wieder herzustellen und den krisenhaften Kapitalismus für eine neue Runde der Ausbeutung zu sichern. Der notwendigen Vergesellschaftung von Wohnraum wären wir keinen Schritt näher gekommen. Die in Jahren mühevoll aufgebaute Macht der Mieter*innenbewegung wäre zerspalten zwischen ‚pro- und anti-Reform‘; zwischen privilegiert Eingebundenen und weiterhin Ausgegrenzten. Die Chance, die Politisierung so vieler Menschen in einem gesamtgesellschaftlichen Transformationsprojekt aufgehen zu lassen, wäre vertan. Damit birgt das ‚Machbare‘ die Gefahr, uns erneut weit zurückzuwerfen.

Die Chancen von Bewegungsmacht

Zum Glück ist dieses Szenario nicht alternativlos. Wir können und sollten unabhängig von Staat und Kapital unsere demokratische Macht aufbauen und so die Grenzen des Machbaren zum Einsturz bringen. Die Mieter*innenbewegung hat hier bereits viel erreicht. Die Macht des Immobilienkapitals beruht darauf, Mieter*innen zu konkurrierenden Marktakteur*innen zu degradieren. Die Gegenstrategie liegt daher in der kollektiven Selbstorganisation.

Angesichts eines segmentierten Wohnungsmarkts gilt es dabei nicht nur ‚die Kämpfe zu verbinden‘: Wohnungskämpfe sind nur dann antikapitalistisch, wenn sie antirassistisch, queer und feministisch sind. Für eine rassistisch diskriminierte Arbeiter*in ist der Kampf gegen Rassismus und für eine geeignete Wohnung ein und dasselbe. Queere und feministische Kämpfe sind unerlässlich, um die Dominanz sexistischer und heteronormativer Wohnmodelle zu überwinden: Erst wenn wir gemeinsam über die Arten des Zusammenlebens entscheiden, die Wohnungen ermöglichen, können wir von einer demokratischen Vergesellschaftung des Wohnens sprechen.

Um die Schlagkraft zu erhöhen, könnte eine Ausweitung und Verstetigung der Organisation helfen, wie sie aktuell unter dem Stichwort ‚Mieter*innengewerkschaft‘ diskutiert wird. Eine solche Organisation sollte vor allem auch Menschen eine Mitgliedschaft ermöglichen, die nicht die Zeit und Energie haben, regelmäßig auf Plena geben. So könnte sie über einzelne Auseinandersetzungen hinweg einen großen Organisierungsgrad aufrechterhalten, um nötigenfalls schnell und kollektiv zu handeln. Mögliche Vorbilder wären z.B. die London Renters Union, die L.A. Tenants Union oder das Sindicat de Llogateres in Barcelona. Gerade die großen Immobilienkonzerne bieten den idealen Ansatzpunkt für die gemeinsame Organisation ihrer hunderttausenden Mieter*innen. Schon der massenhaft automatisierte Widerspruch gegen dubiose Betriebskostenabrechnungen könnte die nur halb-legalen Geschäftspraktiken in Bedrängnis bringen. Spielen die Mieter*innen das Spiel aus Mieterhöhung und Verdrängung nicht mehr mit, könnte sich die Marktmacht schließlich gegen das Kapital wenden.

Die Auseinandersetzung mit dem Staat

Das größte Hindernis für den Aufbau kollektiver Handlungsmacht ist der Staat. Er vereinzelt Mieter*innen vertragsrechtlich und stellt Vermieter*innen die Gewalt der Zwangsräumungen zur Seite. Schon deshalb müssen Wohnungskämpfe über die Konfrontation von Vermieter*innen hinaus in die Auseinandersetzung mit dem Staat gehen. Es geht darum, den Machtzusammenhang aus Kapital und Staat zurückzudrängen und den eigenen Handlungsspielraum auszuweiten. Je nach taktischer Lage könnten Mieter*innen etwa für ein kollektives Vertrags- und Mitbestimmungsrecht als ‚verfasste Mieter*innenschaft‘ kämpfen oder für das Recht, im Streik Miete zurückzuhalten. Zwangsräumungen sollten, wo immer möglich, verhindert und als parteiisches Machtinstrument politisiert werden. Jedes vom Staat erkämpfte Stück Bewegungsfreiheit und jeder Fortschritt im Organisationsaufbau verbessert die Position für die zentrale Auseinandersetzung: Die Aufhebung des vom Staat geschaffenen Mieteigentums in der Vergesellschaftung des Wohnraums.

Je nach gesellschaftlicher Situation kann und sollte die Auseinandersetzung mit dem Staat sowohl außerhalb als auch innerhalb der Parlamente geführt werden. Die zentrale Erkenntnis bleibt dabei: Am Aufbau demokratischer Bewegungsmacht führt kein Weg vorbei. Sie ist Voraussetzung für den Übergang in eine postkapitalistische Gesellschaft. Eine demokratische Vergesellschaftung ist eine kollektive Selbstermächtigung, wie sie im Bewegungsaufbau ihren Anfang nimmt. Abkürzungen gibt es nicht. Der Staat kann und wird uns Selbstermächtigung nicht von oben herab schenken.

Ein Regierungsszenario

Falls sich die LINKE auf eine Regierungsstrategie einlässt, sollte wohnungspolitisch mindestens der Grundsatz ‚do no harm‘ gelten. Das bedeutet, dass sie alle staatlichen Schikanen gegen Obdachlose, Abschiebungen und Zwangsunterbringungen von Geflüchteten sowie die Wohnungszuweisung für Hartz-IV-Betroffene sofort beendet muss. Staatlich geförderte Verdrängung muss gestoppt werden. Die Regierung sollte jede Möglichkeit nutzen, um Zwangsräumungen auszusetzen und sich öffentlich gegen Räumungsklagen und die ausführenden Staatsorgane stellen. Letztlich müssen Zwangsräumungen und jegliche Sanktionen gegen Mieter*innen abgeschafft werden. Eine linke Regierung darf nicht gewaltsam die Profitinteressen von Vermieter*innen durchsetzen.

Als erste Reformen sollte die Regierung nach dem Berliner Modell alle Immobilienkonzerne mit über 3000 Wohnungen vergesellschaften, die Mieten durch einen dauerhaften Mietendeckel senken, und den Börsengang von Vermietungsgesellschaften verbieten. Auch kommunale Wohnungsunternehmen müsste eine linke Regierung vergesellschaften, um deren Profitstreben und Diskriminierungspraktiken zu unterbinden. Vergesellschaftung darf nicht Verstaatlichung bedeuten. Eine Anstalt öffentlichen Rechts in der Hand von Bewohner*innen, Angestellten und Stadtgesellschaft inklusive Vertreter*innen diskriminierter Gruppen könnte die geeignete juristische Form sein. Sollten eine direkte Enteignung mit zu großen Hürden oder Kosten verbunden sein, könnte eine linke Regierung das Geschäftsmodell von Immobilienkonzernen auch durch geschickte Auflagen verunmöglichen und sie so zum Verkauf zwingen. Die breite Unterstützung für ‚Deutsche Wohnen Enteignen‘ zeigt, dass die Forderung nach Vergesellschaftung schon jetzt große Zustimmung findet. Es wäre strategisch falsch und würde die Bewegung schwächen, sollte eine linke Regierung dahinter zurückbleiben.

Sollten diese Reformen absehbar nicht durchzusetzen sein – aus Rücksicht auf die Koalitionspartner*in, die ‚öffentliche Meinung‘ oder inner-parteiliche Differenzen – dann sollte die LINKE jede Regierungsbeteiligung strikt ablehnen. Anstatt im Streben nach dem ‚Machbaren‘ die Chancen einer großen linken Bewegung zu verspielen, könnte sie deutlich mehr im Organisationsaufbau und der direkten Auseinandersetzung mit Immobilienkapital und Regierenden erreichen.

Würden die genannten Reformen tatsächlich durchgesetzt, so wären noch immer ca. zwei Drittel aller Mietwohnungen in Privatbesitz, es gäbe weiterhin einen kapitalistischen Wohnungsmarkt und sogar Vermietungsgesellschaften mit bis zu 3000 Wohnungen. Trotzdem wäre ein gewaltiger Gegenangriff sicher. Nicht nur Immobilienkonzerne, sondern nationale wie internationale Banken und Konzerne würden sich sofort auf eine solche Regierung stürzen. Es gäbe Diffamierungskampagnen, Investitions- und Kreditvergabestreiks. An einen langsamen gesellschaftlichen Wandel unter Führung der Linksregierung wäre nicht mehr zu denken. Ohne die Unterstützung des Kapitals für Arbeitsplätze, Steuern und Legitimation; ohne die Unterstützung reaktionärer Staatsorgane wie der Polizei würde die vermeintliche ‚Regierungsmacht‘ dahinschmelzen.

Die Chance auf demokratischen Wandel

Ein ernst gemeintes Transformationsprojekt muss von der demokratischen Macht einer gut organisierten, erfahrenen und hochpolitisierten Bewegung getragen sein. Eine solche Bewegung entsteht nicht dadurch, dass die LINKE an der Regierung ist. Sie muss in langen Jahren und kontinuierlichen Kämpfen aufgebaut werden. Also jetzt. Die Bewegung kann und muss selbst die Macht aufbauen, um Kapital und Staat zu konfrontieren, egal, wer dann an der Regierung sitzt.

Es stellt sich uns nicht die Regierungs- sondern die Bewegungsfrage. In der Wohnungspolitik ist längst viel in Bewegung, es gibt großartige Initiativen, die Mitarbeit und Weiterentwicklung brauchen können, aber auch noch viele Städte ohne starke Mieter*innenbewegung. Die Aufgabe ist groß: Als in Diversität vereinte Bewegung den Kampf um die Vergesellschaftung des Wohnraums führen, ohne dem Kapital Raum für Ausflüchte und Spaltungen zu lassen. Mit dem Einsatz steigt jedoch auch der potenzielle Gewinn: Gelingt es uns, das Mieteigentum zurückzudrängen, fordern wir den Kapitalismus als Ganzes heraus.Diese wunderbare Chance und die Erfahrung der Selbstermächtigung in gemeinsamen Kämpfen: Das sollten wir uns nicht entgehen lassen!