Schlagwort: Klassenpolitik

Für eine Hoffnung mit Zukunft. von Thomas Goes

Mit der politischen ist es nicht anders als mit der militärischen Strategie: Unsere Pläne machen wir auf der Grundlage vergangener Schlachten, gemachter Erfahrungen, von – im Falle der Linken – einer Geschichte der Niederlagen. Mit dem Blick zurück schätzen wir ab, was jetzt und in Zukunft zu tun sein wird – und wir wissen gut, dass es anders kommen wird als zuletzt.

Auf einigen lastet diese Geschichte so sehr, dass sie einfach die Vergangenheit nachzustellen versuchen – ein bisschen an die Gegenwart angepasst. Sie ziehen sich die Kostüme von 1917 an und spielen Lenin und Trotzki (es wäre natürlich gut, wenn wir ein paar Lenins, Goldmanns, Luxemburgs und Trotzkis hätten) nach; oder schlagen sich voller Überzeugung auf die Brust, um einen linken Keynesianismus zu fordern, dieses wunderbare Fabelwesen, das in den 1970er Jahren vielleicht oft gefordert, aber nie gesehen wurde – wissend um die Umbrüche seither, aber doch orientiert an den „goldenen dreißig Jahren“ in Westdeutschland, dieser angeblich „sozialdemokratischen Ära“.

Wie gesagt, wir alle sind Grenzgänger bei der politischen Strategiebildung, weil wir aus Vergangenem schöpfen müssen, um uns der Zukunft zu stellen. In Deutschland fällt aber die Verengung der Debatte auf eine erneuerte (linke) sozialdemokratische Regierungsstrategie auf. In den vergangenen 20 Jahren hat man sie mir in mehreren Fassungen schmackhaft zu machen versucht: als relativ biedere Koalition zwischen SPD, Grünen und PDS/LINKE; als sozial-ökologisches Reformbündnis, beworben durch das Institut für solidarische Moderne; und zuletzt in einer besonders widersprüchlichen Variante in der Sammlungsbewegung „aufstehen“.

Manchen mag es daher nach „Und täglich grüßt das Murmeltier“ sein, wenn erneut die Diskussion über linkes Regieren angestoßen wird. Denn in der Regel wird darunter eine der gerade genannten Fassungen von SPD-Grüne-LINKE-Koalitionen verbunden. Das Gespenst einer Mitte-Links-Regierung geht immerhin bereits seit Anfang der 1990er in der deutschen Linken um. Es gehörte zur DNA der PDS und findet – man lese „Die Reformalternative“ von Heinz Jung und Jörg Huffschmid aus dem Jahr 1988 – sich auch bereits in den Ausläufern des westdeutschen Kommunismus Ende der 1980er Jahre. Gemeint ist eine Koalition, die einen sozialeren, demokratischeren und ökologischeren Entwicklungsweg des Kapitalismus durchsetzen soll.

Das ist alles. Zumindest jenseits der Papierlage. Praktisch jedenfalls dürfte niemand glauben, mit der SPD und den Grünen sei mehr – also eine sozialistische Transformation – möglich. Wenn schon kein Sozialismus, so könnten besonders „realistische“ Genoss*innen nun sagen, so also wenigstens eine „nur-antineoliberale Reformpolitik“, die – auch das muss dann in aller Ehrlichkeit dazu gesagt werden – eine wettbewerbsfähige kapitalistische Wirtschaft so politisch reguliert, dass mehr soziale Gleichheit, mehr Demokratie und weniger Umweltzerstörung herauskommt. Wer das will, muss innovative Formen der kapitalistischen Ausbeutung organisieren, muss Weltmarktanteile halten: muss zunächst einmal gemeinsam den Kuchen backen, dessen Stücke dann zu Gunsten der Ausgebeuteten etwas großzügiger verteilt werden können. Nüchterne Sozialdemokraten wie Peter Glotz und Helmut Schmidt waren diesbezüglich immer offener und realistischer als manche Vertreter*innen eines „grünen neuen Deals“.

Die heutige Bescheidenheit: Die kapitalistische Reformalternative

Damit unterscheidet sich die Diskussion um Mitte-Links ganz grundlegend von älteren Debatten der 1970er, in denen Kommunist*innen und Sozialist*innen (zumindest) noch einen demokratischen Weg zum Sozialismus zu bestimmen versuchten. Man kann im Nachhinein über die Mängel und Leerstellen dieser politischen Auseinandersetzungen streiten (z.B.: Wie genau demokratisiert man einen Staatsapparat? Wie sollen die Produktionsmittel vergesellschaftet werden, ohne dass die Besitzenden sich dagegen wehren? Wie sollte ein neues Chile verhindert werden?), die aufgrund des unzureichenden demokratischen Pluralismus innerhalb der damaligen kommunistischen Parteien nur eingeschränkt möglich waren.

Zumindest für die großen Parteien der radikalen Linken galt aber, dass sie vor einem „kommunistischen Horizont“ geführt wurden. Nicht ein besserer Kapitalismus, sondern der Einstieg in eine sozialistische Übergangsgesellschaft, in der eine kommunistische Gesellschaft zu erkämpfen wäre, war der Zielhorizont. Und genau so sollten auch wir heute über die Regierungsfrage sprechen. Über linkes Regieren sollten wir vor dem Hintergrund eines neu zu erfindenden kommunistischen Horizontes diskutieren – über ein gesellschaftliches Bündnis, bestehend aus sozialen Bewegungen, politischen Organisationen, klassenkämpferischen Gewerkschaftsströmungen und aus Solidar- und Selbsthilfeeinrichtungen, das Einstiege in den Ausstieg aus dem Kapitalismus durchsetzen kann: das die Türen in eine sozialistische Übergangsgesellschaft aufstößt. Klingt utopisch, weil wir nicht einmal die Privatisierung von Schwimmbädern verhindern konnten? Das stimmt. Die nur-antineoliberale Reformalternative ist aber noch unrealistischer. Dazu gleich mehr.

In der deutschen Linken fällt in dieser Hinsicht eine Diskrepanz auf, die man sich vor Augen führen und sehr bewusst machen sollte. Sie wurzelt einerseits im auch ideologischen Siegeszug des Neoliberalismus, andererseits in der grundlegenden Schwäche einer antikapitalistischen Linken, die über kleine Milieus hinausreichen müsste: Wir alle wissen, dass geopolitisch, ökologisch und sozial katastrophale Zukünfte drohen, die durch kleine systemimmanente Reformen nicht verhindert werden können. Angesichts der Schwäche verengt sich unser strategisches Denken allerdings weithin darauf, durch eine mach- und greifbare Koalition mit Sozialdemokrat*innen und Grünen Verbesserungen durchzusetzen, die innerhalb der bestehenden Macht- und Eigentumsordnung das Leben und das Mensch-Naturverhältnis verbessern würden.

Dabei ist große Bescheidenheit bei gleichzeitig wachsender Verzweiflung eingekehrt. Zumindest hinter vorgehaltener Hand sind viele bereits froh, wenn in LINKE-regierten Bundesländern nicht gegen Ziele der eigenen Partei regiert wird – und eine Art bescheidene Euphorie bricht aus, wenn einzelne bescheidene Reformen durchgesetzt werden können.

Jenseits des Wunderglaubens: Modernisierte Sozialdemokratie

Nun sind auch bescheidene Reformen gut und richtig. Aber daraus ergibt sich noch keine sozialistische Strategie. Würde man versuchen eine solche im Mitte-Links-Schema (oder in anderen Werbespins: in linken oder progressiven Mehrheiten jenseits der CDU) weiter auszubuchstabieren, käme man beim Wunderglauben heraus: Mit den strukturell prokapitalistischen Parteien SPD und Grünen ließe sich grundlegend etwas verändern. Da die meisten Vertreter*innen dieses Ansatzes aber gar nicht an Wunder glauben, sondern nüchtern kalkulierende Genoss*innen sind, läuft dieser Ansatz nicht auf religiöses Denken, sondern auf modernisierte Sozialdemokratie hinaus. Es gibt aber auch radikalere Vertreter*innen rot-rot-grüner Regierungen, die doch an so etwas wie die unbefleckte Empfängnis glauben. Sie denken, man könne mit den Parteien Sigmar Gabriels oder Cem Özdemirs die Bundesrepublik regieren und dabei auf starke soziale Bewegungen hoffen, die eine solche Regierung treiben würden – ohne dass die Regierung bricht oder sie die Bewegungen brechen wird.

An der modernisierten Sozialdemokratie ist nicht verkehrt, dass sie fortschrittliche Reformen will, mehr soziale Gerechtigkeit, mehr Demokratie, weniger Umweltzerstörung. Das wollen wir alle, auch wenn wir als radikale Sozialist*innen und demokratische Kommunist*innen wissen, dass wir nicht gerechten Lohn, sondern die Abschaffung der Klassenausbeutung, nicht nachhaltiges kapitalistisches Wachstum, sondern ein Ende des kapitalistischen Naturverhältnisses brauchen, nicht ein bisschen weniger Diktatur des Bürgertums (also mehr Demokratie wagen), sondern die demokratische Selbstherrschaft des Volkes. Trotzdem kämpfen wir natürlich leidenschaftlich für jede Reform, die die Ausbeutung der arbeitenden Klassen verringert, die politische Macht des Kapitals einschränkt und die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen mildert.
Falsch ist an der modernisierten Sozialdemokratie, dass sie nicht alles versuchen wird, um diese Veränderungen durchzusetzen. Das würde nämlich eine harte Konfrontation mit den Besitzenden und Mächtigen verlangen. Und falsch ist an ihr, dass – ohne Brüche mit den Eigentums- und Machtverhältnissen der bürgerlichen Gesellschaft – die Klassenausbeutung effektiv und effizient organisiert werden muss. Ohne prosperierende kapitalistische Wirtschaft keine funktionierende innerkapitalistische Reformpolitik.

Man mag diese Zuspitzung etwas hemdsärmelig finden, im Kern ist damit aber m.E. sowohl Glanz (Bildungsreformen, steigende Lohnquoten, sehr zaghafte Umverteilung von oben nach unten, minimalster Ausbau der Mitbestimmung in den Betrieben) als auch Elend (Berufsverbote und Radikalenerlass, korporatistische Einbindung der Gewerkschaften in ein imperialistisches Exportbündnis, Orientierung auf Wettbewerbsfähigkeit etc.) der real existierenden Sozialdemokratie vor dem Dritten Weg ganz gut bestimmt. Es gibt – zumindest materialistisch analysiert – keinen Hinweis darauf, dass in Zukunft etwas anderes zu erwarten wäre.

Man mag sich selbst anders verstehen, bleibt die eigene Politik aber ohne praktische Perspektive der Systemüberwindung, wird sie in entsprechenden sozialdemokratischen Fallstricken befangen bleiben. Und das ist noch die beste der denkbaren Szenarien.

Notwendige Utopien: Regieren mit Neoliberalen und Grenzen des Keynesianismus

Warum die beste? Weil wir über Regierungskoalitionen nicht unkonkret, losgelöst von den greifbaren politisch-ideologischen Kräfteverhältnissen diskutieren können. Dazu gehört, dass sich seit Ende der 1970er Jahre ein großes neoliberales Zentrum herausgebildet hat, das über einen rechten (Unionsparteien/FDP) und einen linksliberalen Flügel (SPD/Grüne) verfügt.

Mit eben jenem „linken“ Teil soll eine Regierung gebildet werden – natürlich erst dann, wenn sich diese Parteien grundlegend verändert haben. Vertreten wird das mal staatstragender, mal bewegungsorientierter. Egal wie, die Debatte war und ist im schlechten Sinne utopisch. Nicht, weil sie auf einer Hypothese über die Zukunft beruht, das ist für Politik normal; sondern weil es für eine „Linkswende“ in Richtung demokratischer und sozialer Reformpolitik weder bei den Grünen noch bei der SPD ernsthafte Anzeichen gab und gibt.

Heute kann man sagen: Die SPD bleibt sich treu und sinkt weiter in der Wähler*innengunst, verliert an gesellschaftlichem Rückhalt. Die Grünen suchen – als ökologisch-linksliberale kleinbürgerliche Partei mit Ausstrahlung in die Arbeiter*innenklasse – das Bündnis mit dem Bürgertum.

Einen stark utopischen Überschuss hat diese Diskussion aber noch aus einem anderen Grund: Die Annahme, gegen die Macht des Kapitals sei eine „nur-antineoliberale“ Reformpolitik überhaupt möglich, beruht meines Erachtens auf falschen Grundannahmen. Der Neoliberalismus ist nicht eine irrationale, sondern eine rationale Antwort auf die seit etwa Mitte der 1970er Jahre andauernde stagnativ-krisenhafte Entwicklungsphase des Kapitalismus, um die Profitabilität von Investitionen wieder zu erhöhen. Das ist auch der Grund, weshalb sowohl sozialdemokratische Parteien, die ihren Frieden mit dem Kapitalismus gemacht haben, als auch konservative, liberale oder christdemokratische Kräfte, die nie auf Kriegsfuß mit ihm standen, sich daran machten, die Macht des Kapitals systematisch auszuweiten.

Eine soziale und demokratische Reformpolitik, die ihren Namen verdient (und die wir anstreben), wird deshalb nicht nur zu massiven politischen gesellschaftlichen Konflikten führen, auf die die Linke vorbereitet sein muss (z.B. Polarisierung und Mobilisierung der Mittelklassen oder Investitionsstreiks von Unternehmen); sie wird, werden nicht auch die Eigentumsverhältnisse angetastet und damit begonnen, die Macht der Arbeiter*innen auszuweiten und die des Kapitals abzuschaffen, wirtschaftliche Krisenprozesse freisetzen. Denn es ist ein frommer Glaube, keynesianische Politik sei „besser“ für den Kapitalismus, als alles, was dessen treue Anhänger*innen sich ausdenken könnten. Ohne Einstiege in den Ausstieg aus der kapitalistischen Produktionsweise kann es deshalb keine realistische linke Regierung geben. Damit ist die Hürde natürlich hoch gelegt, ist die gesellschaftliche Linke doch eher eine Zwerg, denn ein roter Riese.

Die ökologische Katastrophe

Es gibt noch einen Grund, weshalb eine Rot-Rot-Grüne Regierung nicht reicht. Kapitalistisches grünes Wachstum, sozial gerecht und ökologisch nachhaltig, ist unmöglich. Die kapitalistische Produktionsweise beruht auf Beschleunigung und Naturzerstörung. Die ökologischen Kosten des Wachstums innerhalb der imperialistischen Zentren wurden lange ausgelagert, sie werden es noch. Dass auch unsere Lebensgrundlagen zerstört werden, lässt sich aber nicht mehr länger aus dem Massenbewusstsein verdrängen. Klimakatastrophe, steigende Meeresspiegel, Nahrungsmittelkrisen – all das hat auch einen Klassencharakter. Global betrachtet, weil die imperialistisch beherrschten Nationen des globalen Südens besonders betroffen sind, und hier die Kleinbauern, die Arbeiter*innen und informell Beschäftigten sowie die Landlosen stärker als die Mittelklassen und das Bürgertum. Und auch in den imperialistischen Zentren trifft die ökologische Krise die unteren Klassen stärker als die oberen. Was wir brauchen, ist ein ökologisches Notfallprogramm, das nicht gegen den Willen der Menschen, sondern durch ihr massenhaftes demokratisches Zutun eingeführt wird. Dazu würde der Ausstieg aus den schädlichsten Produktionszweigen gehören – etwa der Automobilindustrie und der chemischen Industrie, dazu würde ein anderes Verkehrssystem und Mobilitätsverhalten ebenso gehören wie nachhaltige Konsumweisen.

Jenseits der Sackgasse anti-neoliberalen Regierens: Eine antikapitalistische Regierung

Und genau darum ist die Debatte über eine linke Regierung, die realistisch und gerade deshalb radikal sein muss, so nötig. Eine linke Regierung als Teil einer sozialistischen Strategie, die über den engen Rahmen der Idee einer „antineoliberalen Regierung“ hinausgeht, die in der europäischen Linken der letzten drei Jahrzehnte dominiert hat.

Egal in welcher Spielart, ob als Rot-Rot-Grün in Deutschland, als Mitte-Links in Frankreich oder Italien, die Strategie der antineoliberalen Regierung beruht auf einigen m.E. falschen bzw. unzureichenden Annahmen. Und zumindest in Italien und Frankreich haben die darauf beruhenden politischen Entscheidungen zum Niedergang der Kommunistischen Parteien beigetragen.

Ende der 1970er Jahre noch hatte die Französische Kommunistische Partei (FKP) fast 700.000 Mitglieder, war eine in Betrieben stark verankerte Kraft, zumindest organisatorisch (gemeinsam mit der kommunistischen Gewerkschaft) das Rückgrat einer Arbeiter-Gegenwelt zur bürgerlichen. Ähnliches gilt für Italien, wo die KPI zu ihrer Hochzeit mit mehr als 1,5 Millionen Mitgliedern in noch stärkerem Maße Bezugspunkt einer eigenen linken Volkskultur gewesen ist. Sicherlich ist ihr Niedergang nicht allein auf regierungspolitische Fehler allein zurückzuführen. Beide Parteien wurden von der Wucht des Endes der Sowjetunion und des neoliberalen Siegeszuges getroffen. In Italien verwandelte sich ein Teil der KPI gleich ohne Weiteres in eine sozialdemokratische Partei. Aber die strategische Bindung sowohl der FKP als auch des in Italien übriggebliebenen Partito della Rifondazione Comunista an mittelinke Parteien, die immer stärker neoliberale Rezepte anzuwenden bereit waren, tat ihr übriges.

Die Strategie anti-neoliberaler Regierungen geht erstens davon aus, eine nicht-neoliberale prosperierende Alternative (die sozial-ökologische Reformalternative) sei innerhalb des Kapitalismus durchsetzbar. Natürlich sind unterschiedliche kapitalistische Entwicklungspfade möglich, das waren sie immer. Dass höhere Löhne, weniger Kapitalmacht, geringere Umweltzerstörung und weniger Flexibilitäts- und Leistungsdruck – um nur einige sozialwirtschaftliche Punkte zu nennen – die Prosperitätskrise des Kapitalismus lösen würden, ist aber, freundlich formuliert, eine gewagte Annahme. Häufig ist diese Annahme zweitens mit der Idee verknüpft, keynesianische Reformen (Lohnsteigerungen zur Nachfragesteigerung z.B.) würden zu einem sozial nachhaltigen und ökologisch verträglichem Wachstum führen. Antineoliberale Politik wäre, bündig gefasst, die bessere innerkapitalistische Wirtschaftspolitik. Abgehalten werden die Kapitalist*innen von einer solchen Politik, so die einzige zumindest logische Erklärung für das neoliberale Irrlichtern der real existierenden Kapitalist*innen, von der Sorge um ihre Macht, würde eine erfolgreiche Nachfragepolitik die abhängig Beschäftigten doch immer weiter stärken. Drittens beschränkt sich die Strategie der antineoliberalen Regierung darauf, systemkonforme Reformen zu fordern, die zwar durchaus erkämpft werden müssten, die aber letztlich innerhalb des kapitalistischen Systems durchgesetzt werden könnten. Vielleicht ist das auch der Grund, weshalb sich Vertreter*innen dieses Ansatzes zuweilen als die besseren Staatslenker im Wartestand geben. Viertens ist diese Strategie gewissermaßen klassenpolitisch halbblind, weil sie zwar Umverteilung fordert, zuweilen auch eine Ausweitung von wirtschaftlicher Mitbestimmung – Klassenausbeutung und -herrschaft selbst macht sie aber nicht zum Gegenstand. Rein antineoliberale Politik muss den Kuchen, dessen Stücke anschließend etwas großzügiger an die unmittelbaren Bäcker verteilt werden sollen, gemeinsam mit den Besitzer*innen der Bäckerei erstmal gemeinsam backen – vielleicht sogar unter demokratischeren Bedingungen. Dass die einen die anderen ausbeuten müssen, damit das gelingt, ändert sich dadurch aber nicht. Weiter: Werden die Eigentumsverhältnisse nicht angetastet, müssen Wege des kapitalistischen Wachstums gefunden werden, die letztlich immer auf der Ausbeutung der Arbeitskraft und der Natur beruhen.

Das Fehlen eines antikapitalistischen Staatsprojektes

Darüber hinaus fehlt in der rein antineoliberalen Strategie ein eigenes „antagonistisches Staatsprojekt“, das den kapitalistischen Charakter des Staates ernst nehmen würde. Der Staat ist weder neutral, noch ist er als Republik „unser Staat“, in dem sich unsere Interessen – Chancengleichheit vorausgesetzt – genauso gut durchsetzen ließen wie die der Kapitalist*innen. Im demokratisch-kapitalistischen Staat drücken sich zwar Volks- und Arbeiter*innenkämpfe aus, soziale Bewegungen und der Klassenkampf lassen den Staat nicht unberührt, aber die Interessen der Herrschenden werden dennoch systematisch bevorzugt. Und während die verschiedenen staatlichen Apparate daran mitwirken, dass aus den verschiedenen Teilen der herrschenden Klasse ein machtausübendes Bündnis wird, desorganisiert und spaltet er die unteren Klassen. Die Strategie der antineoliberalen Regierung aber kennt kein antagonistisches Staatsprojekt, das gleichzeitig von der grundlegenden Veränderung des Staates und seiner notwendigen Ersetzung durch neue Formen der Macht von unten ausgehen würde: einer sozialistischen Demokratie.

Wohlgemerkt: Man darf durchaus darüber streiten, ob bisherige Regierungsbeteiligungen der PDS bzw. der LINKEN auf Länderebene überhaupt die Höhen einer antineoliberalen Regierung erreicht haben, zuweilen folgten sie eher der Logik des kleineren Übels. Schwungvolle soziale und demokratische Reformprogramme hat keine der bisherigen Landesregierungen auf den Weg gebracht – das gilt auch für die jetzige in Berlin, die unter verhältnismäßig günstigen haushaltspolitischen Bedingungen agiert, das gilt für Thüringen und das gilt ganz sicher für Brandenburg. Bescheidenheit ist eingekehrt: Man freut sich noch über die kleinsten Schritte in die richtige Richtung (Berlin) bzw. darüber, wenn nichts Schlimmes passiert (Thüringen). Weitergehende Reformen – zum Beispiel: die Durchsetzung anderer Schulsysteme, durch die das Bildungsmonopol des Bürgertums gebrochen und die Bildungschancen von Arbeiter*innenkindern gefördert würden; eine neue Hochschulpolitik, die mit den Grundsätzen neoliberaler europäischer Bildungspolitik brechen würde; eine systematische landespolitische Förderung nicht-privatwirtschaftlicher Unternehmen; der Ausbau von Mitbestimmung im Öffentlichen Dienst; Industriepolitik, die nicht auf wettbewerbsfähige Standortpolitik, sondern auf den Aufbau gemeinschaftsdienlicher regionaler Produktion hinausliefe; ein schneller und bedarfsgerechter öffentlicher Wohnungsbau (inklusive der Sicherheit, dass dieser in öffentlicher Hand bleibt); gemeinsam mit dem Bund ernsthafte Initiativen starten, die Öffentlichen Nahverkehr ausbauen und verbilligen, um nützliche Alternativen zur Autogesellschaft zu bieten – schienen bisher jedenfalls nicht denkbar.

Wunsch nach Veränderung und Legitimationsprobleme von Politik und Wirtschaft

Aber was nun? Alternativen zum neoliberalen Kapitalismus sind ebenso nötig, wie der Wunsch danach in fortschrittlichen Initiativen und Bewegungen, in Gewerkschaften und Teilen der Bevölkerung groß ist. Es ist ja nicht so, als würden sich beispielsweise die Wähler*innen der Linken eine radikalere Partei wünschen; sie wollen eine, die ihre Interessen umsetzt.

Gleichzeitig machen wissenschaftliche Tiefenbohrungen ins Massenbewusstsein neben fremdenfeindlichen, sozialchauvinistischen und autoritären Potenzialen erhebliche Legitimationsprobleme des Kapitalismus und des kapitalistischen Staates sichtbar, der zuweilen als der „Staat der anderen“, der Banken, der Konzerne und der politischen Eliten wahrgenommen wird. Wut und der Wunsch nach Veränderung gehen Hand in Hand mit der Hoffnung auf Ordnung und Stabilität, der Suche nach leichten Auswegen, mit Resignation und Hoffnungslosigkeit sowie rechten konformistischen Rebellionen, in denen Leiderfahrungen gegen Andere, gegen Schwache und Fremde gewendet werden – nicht gegen die Kapitalist*innen oder gar die kapitalistische Produktionsweise. Dass ein politisches Projekt fehlt, das Auswege aus der Misere anbietet, ist Teil dieses Problems. Es fehlt an Hoffnung und Gründen, zu kämpfen. Das ist gewissermaßen einzigartig in der Geschichte der Linken. Ob nun die Gewissheit der II. Internationale, der Kapitalismus werde sich in Richtung Sozialismus entwickeln, die kommunistische Wette auf die revolutionäre Situation und die Möglichkeit, als Partei die Revolution zu machen oder gar der sozialdemokratische Fortschrittsglaube der 1960er und 1970er Jahre: Hoffnung und Zuversicht gab es immer. Heute nicht mehr. Mit anderen Worten: Es mangelt heute nicht an Kapitalismuskritik, ob nun verzerrt, verkürzt oder ganz ausgefeilt – das Vertrauen darauf, dass es einmal besser wird und ein anderes Leben möglich ist, das gibt es kaum mehr. Nur dann, wenn wir als Linke darlegen, wie wir Verbesserungen durchsetzen und eine andere Gesellschaft aufbauen wollen, können wir das ändern.

Eine linke Regierung muss Hoffnung machen.

Die regierende Linke: Sozialökologische und antikapitalistische Strukturreformen

Unser Ziel sollte eine linke Regierung sein, die dazu beiträgt, dass die Arbeiter*innen die Macht übernehmen. Denn darum geht es eigentlich: Dass die Macht den Kapitalist*innen und politischen Eliten genommen wird, sich von den Arbeiter*innen, den lohnabhängigen Zwischenschichten und dem Kleinbürgertum angeeignet wird: von den Paketzusteller*innen, den Kindergärtner*innen, den Maschinenschlosser*innen, den kleinen Handwerker*innen, von den Erzieher*innen, von den prekär Beschäftigten im Großhandel und der automobilen Zulieferindustrie usw.

Das geht nur durch die Demokratisierung der Wirtschaft und durch die Umwälzung der kapitalistischen Staatsapparate. Kurz: Eine linke Regierung ist nur als Teil einer umfassenderen linken Machtstrategie zu denken, in der soziale Bewegungen, Massenmobilisierungen, die Organisierung der Unorganisierten, der Aufbau von sozialer Gegenmacht und schließlich auch die Erfindung von neuen Institutionen, in denen das Volk Macht direkt ausüben kann, eine wichtige Rolle spielen.

Dass eine linke Partei so stark wird, dass sie eine entsprechende Regierung bilden kann, ist voraussetzungsvoll, aber sicherlich nicht unmöglich. Vorausgesetzt sind organische Krisen, in denen bisher führende politische Kräfte ihren Masseneinfluss verlieren – gesehen etwa in Griechenland, wo Konservative und Sozialdemokraten massiv verloren und Syriza, vor dem Hintergrund länger anhaltender Sozialproteste, wahlpolitische Erfolge feiern konnte. Im Ansatz entwickelte sich eine solche Konstellation in Spanien, wo es vorübergehend so aussah, als könnte Podemos ein starker Wahlerfolg gelingen. Ähnlich verhält es sich mit Labour unter Corbyn: Die Partei verfolgt eine basisorientierte linkssozialdemokratische Strategie. Ob sich entsprechende politische Verhältnisse bei uns herausbilden, ist offen – die anhaltende Erosion der Sozialdemokratie deutet aber zumindest an, dass zu großes Vertrauen in die hiesige politische Stabilität ebenfalls fehl am Platze ist. Und wer hat den Höhenflug der Grünen vor zwei Jahren erwartet? Wie offen die Zukunft auch ist, eines ist klar: Wir leben in Zeiten der politischen Instabilität und die wirtschaftliche lugt schon um die Ecke.

Eine linke Regierung wäre eine, die im spannungsreichen Bündnis mit Gewerkschaften, Initiativen und Bewegungen Macht ausüben will, um eine Reihe antineoliberaler Reformen auf den Weg zu bringen, die mit antikapitalistischen Strukturreformen verbunden werden: der Demokratisierung der Wirtschaft im Sinne der Selbstherrschaft der Arbeiter*innen, von unten nach oben; eines ökologisch-sozialen Notfallprogramms, das die profitgetriebene Zerstörung unserer Lebensgrundlagen stoppt; der Förderung von unmittelbarer Demokratie jenseits der Parlamente, in Stadtteilen, durch die die Bevölkerung selbst Macht ausüben kann; der demokratischen Kontrolle großer Banken, um die zerstörerische Kraft marodierenden Finanzkapitals zu brechen und nicht-profitorientierte Formen des Wirtschaftens zu fördern.

Antikapitalistische Strukturreformen bauen Brücken aus dem kapitalistischen Jetzt ins sozialistische Morgen, indem sie eine andere Organisationsweise des Wirtschaftens und Lebens einführen und die Macht der bisher Unterdrückten fördern. Sie werden in einer kapitalistischen Umwelt eingeführt, brechen aber mit der kapitalistischen Profitlogik. Während staatszentrierte sozialistische Politikansätze der Vergangenheit Planung, Kontrolle und Durchführung staatlich zentralisierten, wären heute neue Formen der demokratischen Selbstorganisation zu erproben, auf die Kreativität und Intelligenz von unten zu setzen.

Jede dieser Strukturreformen sollte gleichzeitig zwei Zielen dienen: Zum einen die Macht der Arbeiter*innen und lohnabhängigen Zwischenklasse ausbauen, die Macht den Kapitalist*innen und politischen Eliten nehmen; zum anderen nicht-kapitalistische Organisationsweisen fördern und einführen.
Um Missverständnissen vorzugreifen: Eine linke Regierung braucht ein eigenes antagonistisches Staatsprojekt, ihr Erfolg hängt gleichzeitig davon ab, wie stark soziale Bewegungen sind und ob Massenmobilisierungen sie unterstützen, unter Druck setzen oder treiben: der bürgerliche Staat wird genutzt, um Einstiege in den Ausstieg aus dem Kapitalismus zu organisieren und diesen bürgerlichen Staat in einen der Arbeiter*innen, der lohnabhängigen Zwischenklasse und des Kleinbürgertums zu verwandeln.

Das kann kein harmonischer Vorgang sein, sondern setzt Kämpfe und Brüche voraus – wie erfolgreich das sein kann, hängt von der Stärke von Bewegungen und Massenmobilisierungen einerseits, der Entstehung neuer Formen der Macht außerhalb des Staates ab. All das ist nicht nur nötig, um Druck auszuüben, damit der Staat grundlegend verändert wird – sondern damit neue Ideen, neue Organisationsweisen, Alternativen zum Status Quo entstehen können. Das kann nicht in den Staatsapparaten selbst, kaum in Parteien und Gewerkschaftsapparaten geschehen. Dafür braucht es den Erfindungsgeist sozialer Bewegungen, die Kreativität und Intelligenz von unten.

Auch eine solche linke Regierung ist derzeit utopisch, weil ihr die gesellschaftlichen, die klassenpolitischen und auch die parteipolitischen Grundlagen fehlen; aber sie ist gleichzeitig realistisch, weil sie vom Notwendigen ausgeht.

Aufgaben sozialistischer Klassenpolitik: Das Nötige möglich machen

Unsere Aufgabe ist es, und das ist der Kern radikaler linker Politik heute, die Lücke zwischen dem heute Möglichen und dem Nötigen, einem Übergangsprozess zu einer sozialistischen Ordnung, zu verkleinern. Soll es mittelfristig eine rebellische linke Regierung geben, dann als Ergebnis geduldiger Arbeit – an gesellschaftlichen Bündnissen, an neuen Ideen, Programmen und Strategien und an neuen Formen der Zusammenarbeit zwischen Parteien der Linken, der Bevölkerung, Gewerkschaften und sozialen Bewegungen. Heute ist diese linke Regierung unmöglich.

Eine linke Regierung kann nur Ausdruck eines neuen gesellschaftlichen und politischen Blocks sein, den es heute noch nicht ansatzweise gibt: eines Bündnisses zwischen Teilen der Arbeiter*innenklasse, der lohnabhängigen Zwischenschichten und des Kleinbürgertums; einer Verbindung zwischen unterschiedlichen Initiativen und Bewegungen, die sich gegen die Zumutungen des heutigen Kapitalismus organisieren; ein Bündnis, das derart in die Gesellschaft „ausstrahlt“, dass sich auch die politisch weniger aktiven und interessierten Teile der unteren Klassen angezogen fühlen; ein Block, in dem bereits mit neuen Formen des Wirtschaftens und Lebens experimentiert wird.

Eine linke Regierung kann zweitens nur Teil einer breiteren politischen und sozialen Bewegung für gesellschaftliche Veränderung sein, in der auch Kräfte für den Sozialismus eine größere Rolle spielen. Das Programm einer solchen Regierung der Linken wäre gemeinsam mit Bewegungen, ausgehend von Initiativen und Verbänden zu entwickeln, nicht in Programmkommissionen. Ein lebendiges Reform- und Übergangsprogramm wäre in einer Kampagne zu entwickeln: durch gemeinsame Beratung und Parteien, die zuhören lernen.

Notwendige Voraussetzung für eine linke Regierung ist eine (oder mehrere) linke Partei(en), die in einer Regierung nicht loyal „aufgeht“, sondern in der Lage ist, auf die eigene Regierung Druck auszuüben – und sie auch zu verlassen. Eine regierende Linkskraft muss rebellisch bleiben.

Notwendig ist außerdem eine strategische Partei, die wir bislang nicht haben – eine Partei, die sich der möglichen Konfrontationen mit Kapital und Staatsbürokratie, die sich der politischen Mobilisierungen bewusst ist, die ihre Politik auslösen wird. Eine solche strategische Partei mag manövrieren müssen, sie fördert Mobilisierungen von unten allerdings, um den Weg in Richtung Sozialismus zu beschreiten. Deshalb braucht eine solche Partei, die erst noch zu erschaffen ist, eine eigene Machtstrategie und ein eigenes antikapitalistisches Staatsprojekt.

Währenddessen: Unterstützende, initiative und oppositionelle Gestaltungskraft

Eine linke Regierung mag heute nicht möglich sein, Machtausübung, Einflussnahme und damit der Beweis der eigenen politischen Nützlichkeit für breitere Wählerschichten allerdings durchaus. Drei Wege, die wir bereits erproben bzw. erprobt haben, stehen uns offen:

Die Linke als verändernde Kraft vor Ort: Die Linke und die Partei DIE LINKE kann als politische Kraft wirken, die Organisierungen unterstützt, mit Initiativen und Bewegungen zusammenarbeitet und eine soziale Partei wird, die Menschen bei der Bewältigung sozialer Nöte hilft. Es gibt zwar gute Ansätze, weithin ist aber weder die LINKE bisher dazu in der Lage (zu Teilen auch nicht willig), noch große Kreise der radikalen Linken.

Die Linke als initiative Kampagnenkraft: Die Linke und die Partei DIE LINKE können durch Kampagnen die Interessen und Probleme der unteren Klassen sichtbar und in der „Arbeit der Zuspitzung“ Alternativen deutlichen machen, aufsteigend vom Kleinen zum Großen. Die Pflege- und Mietenkampagnen der LINKEN bieten gute Anknüpfungspunkte. Ein sehr gutes Beispiel ist auch die Kampagne „Deutsche Wohnen enteignen“, die an unmittelbare Probleme ansetzt, mobilisiert, politische Fronten bildet und die Eigentumsfrage aufwirft.

Oppositionelle parlamentarische Gestaltungskraft: Die parlamentarische Arbeit der Partei sollte darauf ausgerichtet sein, Initiativen, Bewegungen und Gewerkschaften nützlich zu sein, einen kritischen Dialog zu pflegen und sie, wenn möglich, besser sichtbar zu machen. Sie sollte aber auch offensiv parlamentarische Mehrheiten nutzen, um Verbesserungen durchzusetzen. Als Alternative zu formalen Koalitionen bietet sich ein offensives Tolerierungsmodell an, bei dem fallweise Mehrheiten für eine regierende Partei mitgebildet werden – oder auch nicht. Insbesondere DIE LINKE sollte dieses nicht als Verlegenheitslösung wählen, sondern als Beitrag zur unmittelbaren und einfachen Demokratisierung des verknöcherten parlamentarischen Systems propagieren.

Gelingt es uns einen kommunistischen Horizont linker Politik neu zu erfinden (einer klassenlosen Gesellschaft radikaler Demokratie), befreit von den Lasten autoritärer Politik von oben, sind wir in der Lage ein neues gesellschaftliches Bündnis für radikale gesellschaftliche Veränderung zu erkämpfen und sind wir dazu fähig realistische Machtstrategien zu entwickeln – dann wäre eine antikapitalistische Regierung eine Kraft, die die Türen zu einer sozialistischen Übergangsgesellschaft aufstoßen könnte, die (mit Salvador Allende gesprochen) das Bett eines die Gesellschaft umgestaltenden Stromes bereiten würde. Eine solche linke Regierung wäre Geburtshelferin einer neuen Welt. Einer Welt, in der die Arbeiter*innen die Macht übernehmen.

Der Artikel von Thomas Goes basiert auf seinem Vortrag vom Ratschlag der Bewegungslinken in Düsseldorf, den ihr euch auch auf der Soundcloud anhören könnt.

Was bedeutet verbindende Klassenpolitik? von Rhonda Koch

1. Verbindende Klassenpolitik meint nicht heute Klassenpolitik und morgen Kampf um Anerkennung. Es geht um den ganzen Menschen mit all seinen Geschichten und Erfahrungen von der Arbeit, aus dem Kiez und von der Chorgruppe. An meinem Körper, in meinem Kopf, in meinem Herzen findet Klasse und Politik, Identität und Soziales seinen Ausdruck: Brot und Rosen. In meiner persönlichen Erfahrung gehen Klasse und Geschlecht zusammen. D.h. ich bin nicht morgens Arbeiterin und nachmittags Mutter – sondern Arbeiterin, Mutter, Nachbarin – und vielleicht auch Feministin – immer zugleich. Warum ist das wichtig? Weil wir dadurch auf die Frage nach verbindender Klassenpolitik nochmal neu schauen können und sehen, dass das Auseinanderreißen von Identität auf der einen und Klasse auf der anderen Seite politische wie theoretische Fehler sind, die sich aus einer realen Trennung von Arbeiter*innenbewegung und sozialer Bewegung speist. Diese Fehler und Fallstricke gilt es zu vermeiden. Denn wenn im realen Leben Klasse und Identität im Menschen selbst zusammenfallen, muss es uns um den ganzen Menschen gehen. Dann müssen wir uns nicht Fragen, wie Feminismus und Klasse verbunden werden können, sondern müssen feministische oder antirassistische Klassenpolitik machen. Aber was heißt das nun konkret?

2. Klassenpolitik ist Praxis, weil Kollektivität – das Wissen und das Gefühl von Zusammengehörigkeit – nur durch praktische Erfahrung entstehen kann. Wenn ein so verstandenes Klassenbewusstsein unser Ziel ist, muss man sich klar machen, dass Identität (egal welcher Art) an sich noch nicht politisch sein muss, sondern erst politisch wird, wenn sie zur kollektiven Identität werden kann. Verbindende Klassenpolitik muss also darauf zielen, dass gemeinsame Identität und gemeinsames Interesse gemeinsam erfahren und gemeinsam artikuliert werden – und zwar untereinander und gegenüber der anderen Klasse. Es hilft also kein Fronttranspi mit der Aufschrift „Für antirassistische Klassenpolitik“, wenn sich hinter dem Transparent nur weiße Funktionäre tummeln. Das ist dann gut gemeinte Politik, aber keine verbindende Klassenpolitik, weil kein Ort geschaffen wurde, in dem die Klasse zu sich selbst gesprochen hat, sondern lediglich für sie gute Absichten formuliert wurden. Klassenpolitik entsteht nicht durch Zuruf sondern durch die Erfahrung von kollektiver Selbstermächtigung. Wir können uns noch lange die Köpfe heiß reden wie genau nun Klasse und Geschlecht zusammengehören, Klassenpolitik machen wir damit nicht.

3. Bei verbindender Klassenpolitik geht es einerseits darum, unterschiedliche Kämpfe miteinander zu verbinden. Andererseits steckt im Anspruch verbindendender Klassenpolitik auch die Herausforderung, unterschiedliche Lebensbereiche in Kämpfen zusammenzubringen und dabei andere, neue Wege zu finden, um das Verhältnis von Politik und Ökonomie, von Ausbeutung und Unterdrückung, von Lohnkampf und dem Kampf um politische Rechte zu vermitteln. Vielleicht hilft also ein anderer Blickwinkel. Einer der von den Lebensbereichen der Menschen ausgeht, um die Klasse zu verbinden. Nehmen wir das Verhältnis von Arbeit und Nachbarschaft: Wenn wir erstmal begriffen haben, dass Arbeiter*innen, auch nachbarschaftliche, stadtpolitische und andere Interessen haben, geht es im ersten Schritt nicht darum, die Arbeiterin mit der Klimaaktivistin zusammenzubringen. Die Frage ist: Wie und wo trifft Klimapolitik auf die Lebensbereiche und Interessen der Arbeiterin.

Ein Beispiel in der Perspektive klassenorientierter Klimapolitik: Unseren Akteur – die Klasse – finden wir: im Betrieb. Wir beginnen also nicht wie üblich bei der Politik, sondern versuchen aus der Logik des Betriebs heraus eine Kampagne zu entfalten. Dann ist zuerst die Frage: In welchen Betrieben besteht am ehesten ein Interesse an Klimapolitik? D.h. wir fragen uns, welche Arbeiter*innen aus ihrer Beschäftigung heraus am unmittelbarsten ein Interesse an klimapolitischen Verbesserungen haben.

Wir finden: eine Busfahrer*in, die ein Interesse daran hat, dass der ÖPNV besser bezahlt wird und mehr Leute einstellt werden. Die Busfahrer*in wohnt in Bielefeld, am viel befahrenen Stadtrand. Als Städterin hat sie ein Interesse am Ausbau von verkehrsberuhigten Zonen, die bringen weniger Lärm und weniger dreckige Luft. Sie ist also ebenso klimapolitisch zu gewinnen.

Diese Busfahrerin hat eine Nachbarin. Die arbeitet bei der Sparkasse in Bethel und schickt ihre Kinder morgens immer mit dem Bus zur Schule. „Klimakrise“ ist bei der Sparkasse sicherlich nicht das Top-Thema, aber wenn sie ihre Kinder morgens pünktlich zur Schule bekommen würde und nicht täglich im von tausenden PKWs verursachten Stadtverkehr stecken bliebe, hätte sie einiges an Lebensqualität gewonnen.

Und jetzt das: In der kleinen Innenstadt von Bielefeld hängen Plakate auf denen steht: „Busfahrer*innen sind Klimaretter*innen“. Und gleich darunter: Komm zum ersten Aktiven-Treffen vom „Bündnis kostenloser ÖPNV – besser für uns, besser fürs Klima“. Beim ersten Treffen trifft die Frau von der Sparkasse den Studi Arne, der seit Jahren im Hambi gegen die Abholzung kämpft und sich einen Keks freut, dass die Klimabewegung endlich auch den Weg in die Stadt und die breite Bevölkerung gefunden hat. Der erste Tagesordnungspunkt Treffens wird von der Busfahrerin eingeleitet: Bericht aus den Tarifverhandlungen. Steffi, Linkspartei-Aktive moderiert, grinst und denkt sich: „Walter wird sich ärgern, wenn ich ihm erzähle, dass heute Arbeiter*innen da waren, der war nämlich immer der Meinung dass Klimapolitik was für die Mittelschicht ist und mit Klassenpolitik nichts zu tun hat“.

4. Steffi ist ein Vorbild dafür, wie verbindende Klassenpolitik von Linkspartei-Aktiven unterstützt und vorangetrieben werden kann: Steffi zeigt, dass wir als Aktive nicht nur Podiumsmenschen, Sitzungsmenschen, Plakatehänger*innen und Mobi-Tisch-Betreuer*innen sind. Um es mit Antonio Gramsci zu sagen: Wir müssen wir unsere Aufgabe als Parteiaktive auch sehen in der „aktiven Einmischung ins praktische Leben, als Konstrukteur, Organisator, ›dauerhaft Überzeugender‹, weil nicht bloß Redner“.

5. Verbindende Klassenpolitik wird bei aller Planung und Systematik jedoch nur dann wirksam, wenn wir bereit sind in den Kämpfen selbst zu lernen. Um Panagiotis Sotiris zu paraphrasieren: Tatsächliche Kämpfe und tatsächliche Bewegungen tragen mehr strategische Phantasie als wir, werfen immer mehr Fragen und manchmal mehr Antworten auf als wir uns ausmalen konnten, verweisen immer auf neue Wege wie Erfahrungen und Empfindlichkeiten verbunden werden können. Und sie deuten auf Lösungen hin, die wir uns vom jetzigen Standpunkt aus nicht hätten herbei philosophieren können.

Organisierende Gewerkschaftsarbeit von Katharina Stierl

Ich bin seit 2011 ver.di Mitglied. Ich war von 2012-2016 in der Jugend Auszubildenden Vertretung. Ich habe hier eng mit dem Personalrat der Uniklinik zusammengearbeitet. Nach einer Personalratssitzung stand ich mal wieder länger mit dem Personalratsvorsitzenden und dem Stellvertreter in der Küche des Büros und wir diskutierten über die Verbesserungen der Ausbildung. Irgendwann kamen wir auch auf die Frage der Personalbemessung und auf die Frage der politischen Vertretung und der Beschäftigung der Politik mit der Pflege zu sprechen. Meine beiden Vorsitzenden, welche beide SPD-Mitglieder sind, wiesen mich auf die AfA (Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen in der SPD) – hin und luden mich direkt ein, mit zum nächsten Treffen zu kommen. Zu dem Zeitpunkt gab es noch keine offizielle Kampagne zum Thema Pflege oder Personalmangel und die einzige parteipolitische Vertretung der Beschäftigten im Krankenhaus, die ich durch meine Kollegen mitbekam, war die AfA als politische Interessenvertretung der Arbeiter*innen.

Das treffen fand natürlich im DGB-Gewerkschaftshaus statt und neben meinen Personalratsvorsitzenden traf ich dort dann auch Kollegen aus den ver.di Gremienstrukturen, welche sich über eine neue junge Kollegin freuten. Noch wussten sie nicht (und ehrlicherweise ich auch nicht), dass wir politisch nie zusammenfinden würden. Von der LINKEN habe ich in meinem Betrieb nur ein einziges Mal etwas mitbekommen, und das war am Frauen*tag, an dem rote Nelken verteilt wurden. Wenn das nun meine ersten Erlebnisse als Arbeiter*in waren und sich das in den letzten 4 Jahren nicht groß gewandelt hat, dann ist das ein Problem.

Linke Betriebsarbeit bis jetzt

Marx sagt, dass „die Menschen ihre Geschichte machen“. Wenn ich mir die Situation in den Betrieben so ansehe, sehe ich: sie haben die Geschichte gemacht und zwar mit der Sozialdemokratie, welche sich immer noch nicht als das große Geschenk für die Arbeiterinnen entpuppt hat, wie prophezeit. Die Sozialpartnerschaft und ihr stellvertreterischer Fokus dominieren die gewerkschaftspolitische Arbeit in Deutschland. Diese Politik geht davon aus, dass die Menschen nicht aktiviert werden wollen oder können. Es werden keine Arbeitskämpfe geführt, die partizipativ sind, sondern solche, die gerade das Minimum an Beteiligung erfordern, um ein Mindestmaß an Verbesserung oder auch nur Veränderung hervorzurufen. Die Pseudopartizipation führt unter anderem dazu, dass immer weniger Menschen sich überhaupt organisieren. Ver.di hat in den vergangenen Jahren die 2-Millionen-Marke unterschritten und kämpft schon seit Jahren, genau wie alle anderen Gewerkschaften auch, um den Erhalt seiner Mitglieder.

Warum ist das wichtig?

Wenn es heißt, dass „Menschen ihre Geschichte machen“, so ist die Frage: Wer sind diese Menschen in Deutschland? Ca. 39,2 Millionen Menschen sind erwerbstätig, davon ca. 4-5 Millionen in Gewerkschaften organisiert. Es handelt sich also um eine riesige Anzahl von Menschen. Der Konflikt am Arbeitsplatz ist einer der Kämpfe, bei dem viele dieser 39,2 Millionen Menschen auch Erfahrungen sammeln können. Hier müssen wir auch über das Kräfteverhältnis sprechen. Denn diese Menschen können gemeinsam Erfahrungen machen und können gemeinsam über eine andere Welt diskutieren. Doch haben diese überhaupt Macht?

Sprechen wir von Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit so sprechen wir oft und ziemlich schnell von Begriffen wie „Arbeiter*innenklasse“ und von dem Machtpotential der Beschäftigten. Ohne den Arbeiter keine Veränderung. Neue Arbeitskonzepte werden immer weiter zum Problem. Leiharbeit, Werkverträge, Entgrenzung der Arbeitszeiten und Anwerben von ausländischen Arbeitskräften führt zu einer Spaltung der Arbeiter*innenklasse, die wir verhindern müssen.

Doch nun mal pragmatisch: Was hab ich bisher als linke Gewerkschafterin von der LINKEN erlebt? Wie macht die Linke eigentlich Betriebsarbeit? Wie macht die Linke eigentlich Gewerkschaftsarbeit? Ich bin seit 2011 Gewerkschaftsmitglied. Linke Betriebsgruppen habe ich in meinem Betrieb, und auch den umliegenden Krankenhäusern, noch nicht erlebt. DIE LINKE schafft es, Streikunterstützung aufbauen, verteilen Rosen und Flyer. Es gibt kleine Pflänzchen und Versuche, neue Konzepte durchzusetzen. Aber ernsthafte Angebote gibt es bisher wenige. Zu wenige.

Was muss anders werden?

Wer hat es nicht schon gehört: „Die Arbeiterklasse ist nicht mehr der Mann im Blaumann!!“ Weiterhin ist sie männlich, weiß und überwiegend auch nicht bewegungsorientiert. Es herrscht weiterhin das Verständnis, durch vorgetäuschtes Mitmach-Prinzip die Menschen gewinnen zu können. Die SPD als Sozialpartner der Gewerkschaften und auch in den Betriebs- und Personalräten ist ein Problem, Linke sollten sich nicht versstecken. Sie sollten sich aktiv einbringen und Verbindungen zwischen den Berufen herstellen.

Organizing-Ansätze statt Mobilizing

Wenn es darum geht, möglichst viele Menschen mit einzubinden, sie ernstzunehmen, dann geht es auch darum, aus den verkrusteten und alten Strukturen rauszukommen und neue Wege zu gehen. Offener zu sein, neue Leute mit einzubinden. Verantwortung abzugeben und Mehrheiten zu gewinnen.

Es geht darum, nicht die per se schon in einer monetären Abhängigkeit hängenden Funktionäre zu empowern, sondern vor allem die Kolleg*innen im Betrieb. Gewerkschaften machen zum Teil seit Jahren Stellvertreterpolitik. Aber: Gewerkschaften sind wandelbar, sind beweglich. Die Erneuerung durch Streik-Konferenz der RLS bietet einen Ort, an dem Gewerkschaftler*innen zusammenkommen können, um gemeinsam zu diskutieren und sich auszutauschen.

Es muss auch für linke ein Selbstverständnis geben zu sagen: ich bin die Gewerkschaft, oder besser: wir sind die Gewerkschaft! Um gesellschaftliche Mehrheiten aufzubauen und um linke Mehrheiten in der Gewerkschaft zu gewinnen, müssen wir unsere Ansätze überdenken.

Fazit

Wie kann das gelingen und wie stelle ich mir linke Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit vor? Ich glaube wir müssen …

  1. Selbstbewusster
  2. Organisierter
  3. Verbindender

… arbeiten.
Selbstbewusster in dem Sinne, dass wir den Anspruch haben müssen, DIE LINKE mittelfristig wirklich als die Partei der gewerkschaftlichen Erneuerung aufzubauen. Das heißt, um Mehrheiten zu kämpfen, weiter auszugreifen als auf die üblichen Verdächtigen, neue Streiktaktiken auszuprobieren, die stärkere Streiks und höhere Forderungen aufstellen und sich nicht mit wenig zufrieden geben und damit auch den Konflikt innerhalb der Gewerkschaften suchen.

Zweitens sollten wir organisierter arbeiten in dem Sinne, dass wir unsere Kräfte sammeln und uns vernetzen wie bei der Streikkonferenz der Rosa Luxemburg Stiftung, wo wir konkrete Vorschläge diskutieren können, wie wir auch die Gewerkschaften verändern. Versuche und Ideen zu linken Betriebsgruppen werden wir diskutieren.

Bisher denkt DIE LINKE viel darüber nach, wie aus Kolleg*innen Wähler*innen werden. Wir müssen aber überlegen und dann auch tatsächlich organisieren, dass aus Kolleg*innen Genoss*innen werden. Die Betriebsgruppen könnten dann kämpferische Pole der Hoffnung als das Rückgrat unseres alternativen Gesellschaftsprojeks bilden.

Zuletzt müssen wir verbindender arbeiten, und zwar in dem Sinne, dass wir gewerkschaftliche Konflikte nicht isoliert betrachten und ebenso wenig isoliert führen – betriebliche Kämpfe sind gesellschaftliche Kämpfe. Die US-amerikanische Organizerin Jane McAlevey nennt das Whole Worker Organizing. Das heißt, dass wir Beschäftigte nicht nur als Beschäftigte betrachten, sondern auch Menschen in einem sozialen Netzwerk. Die Auseinandersetzung in der Pflege geht weiter, der Kampf um unseren Planeten hat grade erst das nächste Kapitel aufgeschlagen. LINKE Gewerkschaftspolitik kann hier der Schlüssel zum Siegestor sein.

Im kommenden Jahr stehen verschiedene Tarifrunden wie z.B. im Handel, in der Metallindustrie, im Nahverkehr und weiterhin in den Krankenhäusern an. Es wird viele Möglichkeiten geben, sich einzubringen und neue Konzepte direkt auszuprobieren.

Ich glaube, dass wir mit der Bewegungslinken einen guten Anfang gemacht haben, um an diesen Aufgaben zu arbeiten. Ich glaube aber auch, dass es noch viel Hirnmasse, Kreativität und Mut brauchen wird. Ich freu mich drauf mich mit Euch auf den Weg zu machen.

Scheitern als Chance – wie weiter nach Wagenknecht Rückzug?

Die LINKE muss eine verbindende Klassenpolitik machen und Kämpfe gegen Ausbeutung, Rassismus und Sexismus verbinden.

von Thomas Goes

Deutschland braucht eine linke Antwort auf anhaltende soziale Krisenerscheinungen, auf das Weiter-so der Großen Koalition und den Aufstieg der AfD. Wie genau diese auszusehen hat, darüber wurde in der jüngsten Vergangenheit hart gerungen, in Teilen der Gewerkschaften und sozialen Bewegungen nicht weniger als in der Linkspartei. Mit Sahra Wagenknecht trat nun eine der zentralen Figuren dieses Streits ihren Rückzug an.

Aus gesundheitlichen Gründen, sicher. Aber seien wir ehrlich, im Hintergrund steht eine krachende politische Niederlage. Nicht nur Wagenknecht selbst dürfte geglaubt haben mit »Aufstehen« eine neue politische Kraft schaffen zu können, um auch die politischen Kräfteverhältnisse in der Linkspartei, der SPD und bei den Grünen zu verschieben. Sie setzte viel auf diese Karte und ist gescheitert. Damit hat sie sich auch selbst entzaubert. Zumindest hat ihre stets von AnhängerInnen hervorgehobene Beliebtheit nicht dazu ausgereicht Menschen massenhaft zu begeistern.

Wie sich das auf die Situation der Linkspartei auswirken wird? Klar ist: Sahra Wagenknecht ist (und war) nicht entscheidend. Natürlich stehen Köpfe für politische Orientierungen. Um sie herum kristallisiert sich allerdings, was politisch bereits da ist. Das gilt insbesondere für Parteien. Ausschlaggebend ist also, ob es der Linkspartei gelingen wird, Menschen innerhalb und außerhalb der Partei in einen Dialog einzubinden, die sich durch Wagenknecht repräsentiert sehen. Den vielen ehrlichen Herzen müssen wir ein politisches Angebot machen. Das ist durchaus möglich, wenn die Partei weiter daran arbeitet, eine verbindende Klassenpolitik zu erfinden, die versucht, ein neues Bündnis aus verschiedenen Teilen der arbeitenden Klasse zu schmieden – ein Bündnis, das Kämpfe gegen Ausbeutung mit solchen gegen Sexismus und Rassismus verbindet.

In den ostdeutschen Bundesländern hat die Linkspartei deutlich vor dem »Sommer der Migration« bei vielen Wahlen Stimmen verloren. Glaubt man den jüngsten Umfragen zu den drei Landtagswahlen im Herbst, dann wird sich diese Entwicklung fortsetzen. Vieles spricht dafür, dass das traditionelle Modell, mit dem die Partei vor allem im Osten der Republik Politik gemacht hat, sich erschöpft hat.

Eine linke Alternative zum Durchwurschteln der Großen Koalition und zum Aufstieg der extremen Rechten wird es ohne grundlegende Veränderung der Linkspartei nicht geben. Die Chance ist da, aber sie muss genutzt werden. Wir sollten nicht in bekannte strategische Sackgassen laufen. Etwa die immer gleiche Beschwörung von Rot-Rot-Grün oder die radikale Passivität, die aus der ausschließlich defensiven Verteidigung roter Haltelinien entsteht, ohne an der Veränderung der Kräfteverhältnisse und an einer linken Machtoption zu arbeiten, die den Einstieg in den Ausstieg aus dem Kapitalismus möglich macht. Anknüpfend an die bisherigen Experimente mit Organisierungs- und Kampagnenarbeit in der Partei sollten wir stärker an unserer sozialen Verankerung arbeiten; mit Menschen vor Ort Initiativen organisieren, um ihre Interessen durchzusetzen; soziale Milieus der arbeitenden Klasse verbinden, die eben nicht umstandslos dasselbe wollen, selbst wenn sie objektiv dieselben Interessen haben: von angelernten ArbeiterInnenmilieus und urbanen Prekären bis zu jungen qualifizierten Facharbeiter- und Angestelltengruppen.

Wir sollten Kämpfe für konkrete Verbesserungen verbinden mit dem Plädoyer für eine grundlegende gesellschaftliche Alternative, die ökologisch-sozialistische Demokratie. Das können wir jedenfalls von den linken Sozialdemokraten Bernie Sanders und Jeremy Corbyn lernen.

Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine haben für die Bekanntheit der Linkspartei viel getan. Der Partei selbst haben sie in den letzten Jahren aber Bärendienste erwiesen. In die Partei hinein haben sie polarisiert, die außerparlamentarische Mosaiklinke gespalten. Insofern ist ihr Scheitern auch eine Chance.

Thomas Goes ist Soziologe und arbeitet am SOFI Göttingen. Er ist aktiv im Koordinierungskreis der Bewegungslinken, eines Zusammenschlusses innerhalb der Linkspartei und hat zusammen mit Violetta Bock das Buch »Ein unanständiges Angebot? Mit linkem Populismus gegen Eilten und Rechte?« geschrieben. Der Artikel erschien zuerst im neuen Deutschland.