Monat: September 2019

Argumente zum Mitgliederentscheid zur Wahl von Parteivorsitzenden

Ein Mitgliederentscheid möchte erreichen, dass die Parteivorsitzenden zukünftig per Urwahl gewählt werden, statt wie bislang auf einem Bundesparteitag. Ob man sich für ein solches Verfahren ausspricht oder dagegen, darf dabei nicht von der aktuellen oder prognostizierten Kandidat*innenlage abhängig gemacht werden. Die Bewegungslinke will die Partei erneuern und setzt sich dabei auch für die Demokratisierung der Strukturen ein. In diesem Sinne haben wir uns mit den Argumenten auseinandergesetzt und kommen zu dem Schluss: Eine Urwahl würde die von uns schon kritisch wahrgenommene Tendenz verstärken, über TVProminenz zu sprechen und reale Beteiligung noch zu verringern.

Vorab: Grundsätzlich unterscheiden sich die Erwartungen an die Funktion der Parteivorsitzenden und die Spitzenkandidat*innen für den Bundestagswahlkampf. So ist es für einen großen Teil der Mitgliedschaft unabdingbar, dass die Pluralität der Partei auch in ihrem Spitzenpersonal abgebildet wird. Während bei den Parteivorsitzenden aber Fähigkeiten wie Vermittlungsfähigkeiten und Kommunikation in die Partei stärker erfordert werden, spielt die mediale Präsenz bei Spitzenkandidat*innen eine größere Rolle. Ohne ins Detail zu gehen, bleibt festzuhalten, dass aufgrund der unterschiedlichen Erwartungen auch möglicherweise unterschiedliche Verfahren zur Wahl des Spitzenpersonals sinnvoll sind. Im Folgenden geht es um den aktuellen Vorstoß bezüglich der Wahl der Parteivorsitzenden.

Unsere Bewertung der gängigen Argumente:

Argument 1: Attraktive Strategiedebatten über Personalwahlen?

Die Initiator*innen des Antrags bemängeln, die Partei wirke seit einiger Zeit gelähmt. Es sei notwendig, die Partei zusammenzuhalten und zu erneuern. Mit einer Urwahl könne auch die in der Vergangenheit öffentlich ausgetragene Diskussion um das Spitzenpersonal beendet werden. Stattdessen biete eine Urwahl die Chance, dass strategische Fragen endlich diskutiert und entschieden würden. Auf der Gegenseite heißt es wiederum, dass bei einem solchen Verfahren von strategischen und inhaltlichen Fragen abgelenkt würde, weil nur noch über Personen gesprochen werde.

Gegen beides ließe sich einwenden: Personelle und inhaltliche Fragen lassen sich nicht trennen, auch wenn die innerparteiliche Diskussion zu häufig und zu stark auf Persönliches fokussiert, wo viel stärker über strategische Differenzen diskutiert werden sollte. Die Konflikte der letzten Jahre, die von interessierten Kreisen auf persönlichen Streit reduziert wurde, sind dafür beispielhaft: Es ging sehr wohl unter anderem um den Umgang mit dem Rechtsruck in Deutschland, um Migration und Asylrechte sowie um das Selbstverständnis als sozialistische Mitgliederpartei.

An diesen Diskussionen haben sich auch die Spitzen von Fraktion und Partei beteiligt. Die Parteivorsitzenden haben dabei ihre Positionen mehrfach auf Parteitagen zur Debatte und Abstimmung gestellt, wo sie von den Delegierten mit großer Mehrheit beschlossen wurden, etwa in Form des Wahlprogramms oder als Leitanträge.

Eine Personaldebatte um den Parteivorsitz kann keinen gleichwertigen Ersatz bilden für die strategischen und programmatischen Diskussion, die eine sozialistische Mitgliederpartei beständig führen muss – und zwar von unten nach oben. Völlig unabhängig davon, wer sich bei einer wie auch immer gearteten Personalwahl durchsetzt: Er oder sie hat das Programm der Partei zu vertreten, welches die Mitgliedschaft auf Parteitagen beschließt.

Es ist selbstverständlich denkbar, dass über einen Mitgliederentscheid ein Wettstreit über politische Forderungen ausgerufen und nicht nur über Lieblingstier und Leibgericht der Kandidat*innen gesprochen wird. Personelle Debatten schließen strategische Diskussionen nicht per se aus. Eine Wahl über einen Mitgliederentscheid kann aber trotzdem die ohnehin vorhandene Fixierung auf Spitzenfunktionäre noch verstärken. Das birgt die Gefahr, dass die Bedeutung einzelner Personen gegenüber der breiten Mitgliedschaft noch größer wird. Dieses Ungleichgewicht entsteht ohnehin mit Blick auf die weiteren Vorstandsmitglieder, die anders als die Vorsitzenden auf einem Parteitag gewählt würden. Was für viele längst Normalität, sieht die Satzung eigentlich anders vor, denn da steht in § 19, dass der Parteivorstand als Ganzes das politische Führungsorgan der Partei ist.

DIE LINKE als sozialistische Mitgliederpartei muss auf kollektive Führung setzen, nicht auf die charismatische Herrschaft durch Einzelpersonen. Dass auf Parteitagen die Vorsitzenden sowie ihre Stellvertreterinnen und Stellvertreter, der Schatzmeister oder die Schatzmeisterin sowie die Bundesgeschäftsführerin oder der Bundesgeschäftsführer in Einzelwahlen gewählt werden, schwächt bereits das Prinzip der gemeinschaftlichen Führung. Ein Mitgliederentscheid zur Wahl der Vorsitzenden bräche mit diesem Prinzip vollends.

Argument 2: Öffentlichkeit und mediale Präsenz für die Partei?

Eine weitere Hoffnung, die im Zuge der Debatte für eine Urwahl sprechen soll, ist eine hohe Öffentlichkeit und mehr mediale Präsenz für DIE LINKE. Dabei wird oft auf andere Parteien verwiesen. Nun darf gezweifelt werden, ob sich die bürgerlichen Medien für eine solche Wahl bei der LINKEN ebenso interessieren wie bei SPD und Grünen, aber das ist spekulativ. Ebenso spekulativ ist, ob eine Urwahl die Partei für Medien und potenzielle Mitglieder interessanter macht oder ob sich die Medien vor allem für das Konfliktpotenzial interessieren, welches potenzielle Mitglieder dann eher abschreckt.

Was aber weniger spekulativ ist: Bei einer Urwahl können sich Kandidat*innen mit entsprechenden Ressourcen ziemlich heftige Vorteile verschaffen. Nicht nur, dass sich zwangsläufig weniger Mitglieder bei Regionalkonferenzen informieren werden, als über den Politikteil von Springer, Gruner & Jahr oder Holtzbrinck und so der direkte Draht zur Chefredaktion an die Stelle der aufrechten Diskussion in den Gremien der Partei tritt. Statt Diskurs und Dialog gibt es dann Monolog der politischen Prominenz vermittelt über TVFormate und Tageszeitungen. Die jüngere Geschichte zeigt, dass nicht selten die bürgerlichen Medien und ihre Kampagnen die Personalentscheidungen linker Parteien maßgeblich beeinflusst haben. Auch bevorzugt das Modell des Mitgliederentscheids die Kandidatur von Menschen, die über ausreichend Mittel verfügen, um eine solche innerparteiliche Kampagne zu stemmen. Wer berufstätig ist, muss lange Urlaub nehmen, um als Kandidatin oder als Kandidat an Regionalkonferenzen, Diskussionsrunden und Talks vor Ort teilnehmen zu können. Wer über viel Geld verfügt, kann für sich – auch innerparteilich – deutlich wirksamer die Werbetrommel rühren.

Manche befürchten angesichts eines solchen innerparteilichen Wahlkampfes schon monatelang andauernde Selbstbeschäftigung. Nach den Erfahrungen der letzten beiden Jahre ist verständlich, dass dieses Szenario Panik auslöst. Aber: Dass es anstrengend sein könnte und Aufwand bedeutet, egal ob zeitlich oder finanziell, sollte kein Argument gegen demokratische Verfahren sein, sofern man ansonsten von dem Verfahren überzeugt ist. Daher ist die wichtigste Frage vermutlich die, ob es tatsächlich zur Demokratisierung der Partei beiträgt.

Argument 3: Demokratisierung dank Einbeziehung der Basis?

Zweifellos würden bei einer Urwahl mehr Mitglieder in die Entscheidung über die Parteivorsitzenden einbezogen als bei einer reinen Wahl auf dem Bundesparteitag. Es gibt aber keinen Automatismus, dass deswegen die Repräsentativität steigt. Die Delegierten auf dem Parteitag werden durch Kreisverbände entsendet, die entsprechend ihrer Mitgliederzahlen Delegiertenmandate erhalten. Jede*r Delegierte*r vertritt in etwa gleich viele Mitglieder auf dem Bundesparteitag – und im Idealfall auch deren Interessen. Bei einer Urwahl hängt die Beteiligung nicht zuletzt auch davon ab, wer wo und wie erfolgreich mobilisiert. Dass das wiederum stark von den individuellen Kapazitäten und Ressourcen der Kandidat*innen abhängt, wurde bereits erläutert und lässt erhebliche Zweifel aufkommen, ob es sich um ein demokratischeres Verfahren handelt.

Es kommen weitere Schwierigkeiten hinzu: Ein Bundesparteitag gibt die Chance, Nachfragen oder Kritik an Kandidat*innen zu äußern – und eine Antwort vor eben denen zu erhalten, die auf Grundlage der gleichen Wissensbasis die Wahl durchführen. Auch wenn es bei einer Urwahl Möglichkeiten gibt, Fragen zu stellen und Antworten zu erhalten, so dürfte es schwierig sein, einen Ablauf zu garantieren, wonach diese Informationen all jene bekommen, die am Ende postalisch ihr Votum abgegeben. Auch Regionalkonferenzen sorgen für einen Austausch immer nur in einem begrenzten Rahmen, den nicht alle Mitglieder wahrnehmen werden.

Ein Bundesparteitag bietet zudem die Möglichkeit, Ausgleich vorzunehmen – und Erfahrungen vergangener Bundesparteitage zeigen, dass die Abbildung der Pluralität der Partei in ihrem Führungspersonal einem Großteil der Delegierten stets ein Anliegen war. Konkret: Wenn zunächst Kandidat 1 mit Profil A gewählt wurde, kann das Mitglied bei Kandidat 2 auf ein anderes, ergänzendes Profil B Wert legen. So verhindert ein Parteitag, dass sich beispielsweise nur ein Flügel bei der Wahl der Parteivorsitzenden durchsetzt. Wenn ein Mitglied bei einer Urwahl nicht weiß, welche Kandidat*innen die besten Aussichten haben, ist es gezwungen, nur ihm politisch nahestehende Kandidat*innen zu unterstützen, selbst wenn es nicht will, dass diese sich dann beide knapp durchsetzen, sondern eine plurale Kombination bevorzugt. Eine solche Zwickmühle ließe sich nur durch TeamVorschläge verhindern, nur verstößt das wiederum gegen unsere Wahlordnung. Die sieht vor, dass es das individuelle Recht eines Mitglieds ist, ohne Vorbedingungen für den Vorsitz zu kandidieren – ohne einen Teampartner präsentieren zu müssen und auch ohne die Unterstützung durch mindestens einen Landesverband, fünf Kreisverbände oder 1000 Parteimitglieder.

Unser Fazit: Dass ein Mitgliederentscheid demokratischer wäre, darf also mindestens bezweifelt werden. Er ist es unserer Meinung nach nicht. Das bisherige Verfahren, die Wahl bei einem Bundesparteitag, ist demokratischer und sollte daher beibehalten werden.

 

 

 

Anhang:

Hintergrund:

Anfang August 2019 haben 18 Mitglieder der Partei DIE LINKE eine Initiative gestartet, mit der sie gemäß § 8 der Satzung die Wahl der nächsten Parteivorsitzenden durch einen Mitgliederentscheid (Urwahl) erreichen wollen (statt durch den Bundesparteitag). Der Antragstext lautet:

„Der Parteivorstand beteiligt die Mitglieder der LINKEN im Vorfeld der Wahl des Parteivorstands auf dem ordentlichen Parteitag 2020 unter Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben an der Entscheidung über die beiden Parteivorsitzenden. Hierfür wird ein Mitgliederentscheid bzw. eine Urabstimmung über herausgehobene Personalfragen gemäß § 8 der Bundessatzung unserer Partei durchgeführt“.

Darüber hinaus hat es in den letzten Jahren auch wiederholt die Forderung gegeben, dass künftig die Spitzenkandidat*innen für Bundestagswahlen in einer Urwahl bestimmt werden sollen, statt wie bislang durch einen Beschluss des Parteivorstandes, nach Vorschlag der Parteivorsitzenden.*

Rechtliche Situation:

Die Satzung hält in § 8 fest, dass Mitgliederentscheide stattfinden können „(z)u allen politischen Fragen in der Partei, einschließlich herausgehobener Personalfragen“. Bei der Wahl der Parteivorsitzenden handelt es sich um herausgehobene Personalfragen, denn sie vertreten laut § 20 „die Partei gerichtlich und außergerichtlich und können für Rechtsgeschäfte Vollmachten erteilen“. Zwar schränkt die Satzung ein: „Soweit das Parteiengesetz eine Aufgabe zwingend dem Parteitag zuweist, hat der Mitgliederentscheid empfehlenden bzw. bestätigenden Charakter für die Entscheidung des Parteitags“. Im Parteiengesetz ist in § 9 unzweideutig festgelegt: „Der Parteitag wählt den Vorsitzenden“. Das bedeutet für einen Mitgliederentscheid zur Wahl von Parteivorsitzenden, dass das Ergebnis dieses Entscheids eine durch die Mitgliedschaft demokratisch legitimierte Empfehlung an den Parteitag darstellt. Die tatsächliche Wahl findet – in Übereinstimmung mit dem Parteiengesetz – durch einen Parteitag statt. Dabei würde es sich dann voraussichtlich nur noch um eine Bestätigung des Ergebnisses des Mitgliederentscheids handeln.

In dem Antrag, wie er vorliegt, wird zudem festgeschrieben, dass zur Wahl nur Teams, die das Kriterium der Mindestquotierung erfüllen, zugelassen werden sollen. Dass jedoch nur Tandems kandidieren dürfen, schränkt die individuellen Rechte eines jeden Mitglieds ein, da Einzelbewerbungen ausdrücklich ausgeschlossen werden. In der Ordnung für Mitgliederentscheid ist festgelegt, dass für die Durchführung des Mitgliederentscheids die Wahlordnung gilt. Dort heißt es in § 7 – ähnlich wie in § 4 der Satzung: „Jedes Parteimitglied kann Wahlvorschläge unterbreiten oder sich selbst bewerben.“ Wenn aber ein Mitglied nur unter der Voraussetzung kandidieren kann, dass es einen Teampartner für den Wahlantritt überzeugt, so ist das individuelle Mitgliedsrecht eingeschränkt.

Hinzu kommt, dass laut des Antrags ein Team, um für eine Kandidatur überhaupt zugelassen zu werden, auf die Unterstützung angewiesen sein soll durch mindestens einen Landesverband, fünf Kreisverbände oder 1000 Parteimitglieder. Auch diese Anforderung widerspricht der Formulierung in der Wahlordnung, die keine Vorbedingungen stellt.

Kosten:

Inklusive der Regionalkonferenzen, der Druckkosten für die Wahlunterlagen und des Portos muss angesichts von zwei möglichen Wahlgängen mit Kosten von bis zu 500.000 Euro gerechnet werden, Personalkosten nicht mit einbezogen. Die Mittel für einen bundesweiten Mitgliederentscheid werden solidarischen von der Bundespartei und den Landesverbänden getragen. Bezüglich der anfallenden Kosten ist die Satzung in § 8 eindeutig: „Die Kosten eines Mitgliederentscheids tragen alle Gebietsverbände gemeinsam“. Geht man davon aus, dass es sich nicht um ein einmaliges Verfahren handelt, müsste ein solcher finanzieller Aufwand entsprechend der alle zwei Jahre stattfindenden Wahlen Eingang in die Finanzplanung aller Gliederungen finden.

*Kurzer Exkurs: Mitgliederentscheid zur Wahl von Spitzenkandidat*innen zur Bundestagswahl

Mitunter wird in der Partei DIE LINKE zudem über die Möglichkeit diskutiert, die Spitzenkandidatin und den Spitzenkandidaten zur Bundestagswahl mittels Mitgliederentscheid zu wählen. Ein solcher Mitgliederentscheid unterscheidet sich in wesentlichen Punkten von einem Mitgliederentscheid zur Wahl von Parteivorsitzenden. Es geht um eine personalpolitische Machtfrage.

Weder das Bundeswahlgesetz noch das Parteiengesetz noch unsere Satzung kennen die Funktion der Spitzenkandidatin oder des Spitzenkandidaten. Zur Bundestagswahl treten Parteien mit Landeslisten an, auf denen die Reihenfolge der Kandidatinnen und Kandidaten durchnummeriert ist. Folglich stellt (fast) jede Partei in (fast) jedem Bundesland eine Spitzenkandidatin oder einen Spitzenkandidaten auf, nämlich diejenige Person, die die Landesliste anführt. Der Begriff der Spitzenkandidatur bei Bundestagswahlen stellt eine Erweiterung des Begriffs der Kanzlerkandidatin oder des Kanzlerkandidatin dar, ebenfalls eine Funktion, die sich in keinem Gesetz und keiner Satzung finden lässt. Beide Phänomene sind ein Resultat der Bedürfnisse der medialen Öffentlichkeit, die eine starke Tendenz zur Personalisierung von Politik und mithin von Wahlkämpfen hat. Realiter geht es bei Spitzenkandidaturen darum, dass Parteien festlegen, welche Personen im Wahlkampf, auf Großflächenplakaten und in TV-Talkshows, besonders präsent sein sollen. Es handelt sich aus diesen Gründen in erster Linie um eine werberische Funktion. Denn auch wenn es eine Art Automatismus zu sein scheint: Spitzenkandidat*innen müssen nicht zugleich Fraktionsvorsitzende werden, zumal die Anforderungen an die Führung einer Fraktion ganz andere sein können (gar sollten) als an das Spitzenpersonal im Wahlkampf.

Die Satzung unserer Partei hält in § 8 fest, das Mitgliederentscheide stattfinden können „(z)u allen politischen Fragen in der Partei, einschließlich herausgehobener Personalfragen“. Ob eine werberische Funktion die Voraussetzungen für eine „herausgehobene Personalfrage“ erfüllt, darf bezweifelt werden. Hinzu kommt, dass die Mittel, die für einen solchen Mitgliederentscheid notwendig sind, mit schätzungsweise 100.000 bis 200.000 Euro aus dem Wahlkampfbudget beglichen werden müssten.

In der Vergangenheit hat DIE LINKE sich den medialen Erwartungen angepasst und ist bei Bundestagswahlen mit Spitzenduos respektive Spitzenteam aufgetreten. Vorgeschlagen wurden diese Genoss*innen durch den Parteivorstand – nach manchmal kurzer und einmütiger, manchmal langer und konfliktträchtiger Diskussion. Auf einem Parteitag, der über das Programm zur Bundestagswahl entschied, wurden sie per Akklamation bestätigt. Eine freie, geheime und gleiche Wahl, bei der sich mehrere Kandidat*innen hätten bewerben können, fand bislang nie statt. Bei der Bundestagswahl 2009 führten Oskar Lafontaine und Gregor Gysi DIE LINKE im Wahlkampf. Im Jahr 2013 war es ein Team bestehend aus insgesamt acht Personen (Jan van Aken, Dietmar Bartsch, Klaus Ernst, Nicole Gohlke, Diana Golze, Gregor Gysi, Caren Lay und Sahra Wagenknecht). Im Wahlkampf 2017 stand mit Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch erneut ein Duo im Rampenlicht des Wahlkampfs.

Innerparteiliche Machtfragen

Bei der Diskussionen um die Spitzenkandidaturen zur Bundestagswahlen geht es, zumindest bislang, nicht um programmatische oder strategische Fragen. Noch niemand hat die Forderung aufgestellt, dass die per Mitgliederentscheid bestimmten Spitzenkandidat*innen über das Wahlprogramm entscheiden sollen. Die Diskussion und Beschlussfassung über das Wahlprogramm, inhaltliche Richtschnur für die Arbeit der zukünftigen Abgeordneten, obliegt weiterhin den Delegierten eines Parteitags.

Hinter der Diskussion um die Spitzenkandidaturen verbergen sich andere Fragen: Wer sitzt der neuen Bundestagsfraktion vor? Wer hat somit Zugriff auf die umfangreichen Ressourcen einer Fraktion im Bundestag, bis hin zu Ministerposten, sollte DIE LINKE sich an einer Regierung beteiligen? Auch hier gelten viele der oben bereits genannten Argumente bezüglich des Einflusses, den etwa Medien auf solche Personalfragen nehmen – gerade auch im Zuge einer Urwahl, bei dem angeblich die Basis mehr Einfluss haben würde.

Mehr Transparenz, mehr Teilhabe

Einer sozialistischen Mitgliederpartei stünde es gut zu Gesicht, wenn über solche Machtfragen breit diskutiert und demokratisch entschieden würde. In der Gegenwart ist es so, dass über den Fraktionsvorsitz ausschließlich die wenigen Dutzend Abgeordneten der Bundestagsfraktion befinden, nicht aber die vielen tausend Mitglieder, die zuvor den Wahlkampf gestemmt haben. Sie werden auch dann nicht einbezogen, wenn Ministerien mit Ministerinnen und Ministern sowie Staatssekretärinnen und Staatssekretären bestückt werden. Für diese Entscheidungen demokratische Prozesse zu entwickelt, die gleichermaßen Transparenz und Teilhabe ermöglichen, ist eine große Herausforderung für eine linke Partei. Dabei steht nicht der Mitgliederentscheid über die formal bedeutungslosen Spitzenkandidaturen an erster Stelle, sondern eine intensive und ehrliche Debatte über mehrere Wege, die Entscheidungsprozesse über herausgehobene Personalfragen innerparteilich zu demokratisieren.

Ab heute das Comeback angehen

DIE LINKE hat bei den Wahlen in Brandenburg und Sachsen mächtig verloren. Während sich einige nur damit beschäftigen, wie sie aus der misslichen Lage den größten persönlichen Profit schlagen können, wollen wir konkrete Vorschläge für eine strategische Umorientierung der Partei im Osten (aber nicht nur da) machen. Dafür müssen wir auch ehrlich und möglichst nicht instrumentell à la „wie ich schon immer wusste“ Probleme benennen, aber eben auch mögliche Auswege vorschlagen. Während die politische Auswertung noch andauert, wollen wir erste Vorschläge machen (die nicht den Anspruch auf Vollständigkeit erheben):

1. Strukturelle Defizite

Seit vielen Jahren verlieren wir im Osten Mitglieder, vor allem aufgrund der historisch bedingten Überalterung. Das hat Folgen für die flächendeckende Verankerung, es macht sich nicht nur in den Wahlkämpfen bemerkbar, sondern vor allem auch dazwischen. Obwohl wir zwar im Osten immer noch mehr Mitglieder, Mandatsträger*innen und entsprechend bessere Ressourcen für die Parteiarbeit haben, beobachten und spüren Mitglieder seit Jahren den schrittweisen Verlust von Strukturen, sind zunehmend demoralisiert. Aus unterschiedlichen Gründen ist es noch nicht gelungen, für neue, breite Bevölkerungsschichten attraktiv zu sein und diese für die Arbeit in und bei der Partei zu gewinnen. Es braucht daher dringend eine Kampagne zur Gewinnung neuer Mitglieder, die über das Verteilen eines Imageflyers hinausgeht. Und die Partei muss im Alltag der Menschen stärker wahrgenommen werden, als Akteur in sozialen Bewegungen und lokalen Initiativen, mit offenen Stadtteilläden statt Büros, die mitunter eher wie ein Museum anmuten.
Dafür sollten wir voneinander lernen: Was machen Kreisverbände (auch im Osten, auch in der Fläche) besser, die Mitgliederzuwächse verzeichnen können? Was wünschen sich neue Mitglieder von den lokalen Parteistrukturen? Wo gibt es bei der Partei schon Orte der Begegnung und Solidarität, offene Geschäftsstellen, die zum Mitmachen einladen? Es muss auch in den Landesverbänden selbst eine größere Offenheit für neue Formate und andere Formen der Parteiarbeit geben. Das alles wird nicht leichter angesichts deutlich weniger zur Verfügung stehender Ressourcen nach diesen Wahlen (in Sachsen droht angesichts einer strukturellen Zweidrittelmehrheit für CDU und AfD auf Landesebene und ähnlichen Verhältnissen in der Provinz sogar ein noch aggressiverer Kulturkampf um jedes halbwegs alternative Projekt).

2. Empowerment statt Stellvertretung

Lange Zeit galt DIE LINKE im Osten als Volkspartei, legte viel Wert auf das Image als Kümmererpartei, welches vielen Mitgliedern im Westen fremd war. Dabei ist das Problem selbstredend nicht der Anspruch, sich um die Anliegen der Menschen kümmern zu wollen. Zum Problem wird es dann, wenn dahinter eine Herangehensweise an Politik steht, das auf Stellvertreter*innentum statt auf Selbstorganisierung setzt, und Illusionen stärkt statt bekämpft, was die Partei für sie tun kann. Der Unterschied ist der: DIE LINKE Berlin hat in ihrem letzten Wahlkampf gefragt: „Wem gehört die Stadt?“ – und die Antwort war ungefähr diese: ohne eine engagierte, kämpfende Stadtgesellschaft wird man nichts reißen. Dem gegenüber steht das häufig geäußerte: „Wir machen das (für euch)“ (das im Osten ausgeprägter als im Westen, aber keinesfalls ein Alleinstellungsmerkmal ist, auch in Bremen wurde zuletzt ähnliches plakatiert). Abgesehen davon, dass man diese selbst geschürte Erwartungshaltung selten bedienen kann, macht uns ein solcher Habitus auch in der Art und Weise Politik zu machen, wenig unterscheidbar von anderen Parteien. Wir wollen ja nicht nur das Sprachrohr von Protest und Unzufriedenheit im Parlament sein (und automatisch aufgeschmissen, wenn der Protest ausbleibt), sondern den Widerstand auch selbst organisieren und die Unzufriedenheit kanalisieren. Wir kämpfen mit den Menschen, nicht nur für sie.

3. Zuspitzen und Konflikte schüren

Ein großes Problem ist, dass die Partei in vielen Landesverbänden – Brandenburg und Sachsen stehen an der Stelle exemplarisch dafür – kaum bis gar nicht mit einer konkreten Forderung in Verbindung gebracht wird. Darüber hinaus waren die Diskussionen um Schuldenbremse und Kreisgebietsreform, die unklare Haltung Brandenburgs bei der Braunkohle bzw. die Zustimmung beim Polizeigesetz sicher nicht hilfreich, Wähler*innen zu halten, geschweige denn, Menschen neu von der LINKEN zu überzeugen (wir haben dabei auch junge, engagierte Parteimitglieder verloren, die jahrelang zum Rückgrat ihres Kreisverbandes gehörten). Die Leute fragen sich aber auch unabhängig von diesen Streitthemen: Warum sollen sie DIE LINKE wählen?
Wir müssen die Menschen als Akteur in einem gesellschaftlichen Konflikt adressieren. So wie aktuell die Mieter*innen in Berlin. Der Kampf um bezahlbare Mieten ist ein Klassenkonflikt, in dem sich die Partei mit der Immobilienlobby und zum Teil auch mit den Koalitionspartnern anlegt. Gewöhnt ist man dagegen häufig das Bedürfnis, als LINKE zu beweisen, dass man auch regieren kann, dabei verlässlich und bodenständig ist. Wer aber bereits den Konflikt mit konkurrierenden Parteien fürchtet, wird sich schon gar nicht mit dem Kapital anlegen. Die Partei muss – gemeinsam, voneinander lernend – zuspitzen und Konflikte schüren und weitertreiben. Und anerkennen, dass man politische Erfolge auch aus der Opposition erreichen kann, regieren allein noch keine Machtoption ist. Alles andere macht bescheiden, und bescheiden waren wir lang genug.

4. Allein machen sie dich ein

Uns begegnet immer wieder ein weit verbreitetes Vorurteil, man könnte es einen Mythos nennen: Bewegungsorientierung schön und gut, aber im Osten gibt es keine Bewegungen. Auch wenn große Teile der ostdeutschen Bundesländer historisch bedingt eine sehr geringe gewerkschaftliche Bindung aufweisen (niedrige Zahl von Betriebsräten, Schlusslicht bei Tarifbindung, geringere Tariflöhne als in den westlichen Bundesländern), haben die vergangenen Entwicklungen bei den Tarifkämpfen, zum Beispiel in der Pflege- und Dienstleistungsbranche, womöglich eine neue Phase gewerkschaftlicher Organisierung eingeleitet. Wo allzu oft ein „Jammer-Ossi“ vermutet wird, findet man Beschäftigte mit gestiegenem Selbstbewusstsein, die die Anerkennung bekommen wollen, die ihnen schon lange zusteht.
Neben der Zunahme von betrieblichen Auseinandersetzungen gibt es außerdem in fast allen kleineren Städten Schüler*innen, die bei FFF-Demos auf die Straße gehen. Als einzige Partei, die bereit ist, sich für Klimagerechtigkeit auch mit den Konzernen anzulegen, müsste diese Bewegung eine noch wichtigere Rolle spielen. Zig Konzerte fanden statt, um in der Provinz Gesicht zu zeigen gegen rechts, von den großen Kundgebungen in Chemnitz bei #wirsindmehr und den Unteilbar-Demos in Leipzig und Dresden ganz zu schweigen. Wir dürfen nicht vergessen, dass insbesondere die Wahlergebnisse der AfD für viele Menschen eine echte Bedrohung bedeuten, vor allem – aber nicht nur – außerhalb der großen Städte.
Auch wenn wir heute weniger Mitglieder im Osten haben als noch vor einigen Jahren, so haben wir zuletzt auch neue Mitstreiter*innen gefunden. Sie wollen sich einbringen und nicht nur für Solidarität werben, sondern solidarische Praxis und eine entsprechende Streitkultur selbst erleben. In diesem Sinne sollten wir zusammenrücken statt spalten.

Wir laden alle ein, das mit uns gemeinsam weiter zu diskutieren.

Ein Beitrag des Koordinierungskreises der Bewegungslinken.